Rezensionen 2008
Turi Werkner, Idiomatik
innsbruck university press 2008
Irgendwo zwischen Kunst und Literatur angesiedelt, so lässt sich Turi Werkners „Lexikon“ Idiomatik wohl am ehesten charakterisieren. Wir haben es mit alphabetisch geordneten Reihen von Begriffen und Wortfügungen zu tun. So weit das Lexikon. Doch bleibt im Dunkeln, was man hier nachschlagen kann. Die alphabetische Ordnung dient dem Leser nicht. Auch wird, wer sich auf die Suche nach diesen Wortgebilden oder ihren Ursprüngen macht, dies häufig vergeblich tun. Denn offensichtlich hat man es vor allem mit Schöpfungen des Autors zu tun. Ein Lexikon zum Selbstzweck, das einzig dazu sein scheint, um seine eigene Form zu erfüllen, zu existieren.
Bei eingehenderer Lektüre erweist sich, nichts existiert hier aus sich selbst. Werker greift auf schon vorhandenes Material zurück, ordnet neu, mischt durch, übersetzt, dickt ein, deutet um, verschlüsselt, kürzt ab („AküWa = Abkürzungswahn“). Schafft aus vorhandenem Sprachmaterial völlig neue, überraschende, manchmal poetische Sprachbilder, die sich nur schwer übersetzen, deuten, festmachen lassen. Wer sich die Mühe machen will, kann aus schillernden Sprachgebilden etwa Buchtitel, Sprichwörter, Zitate, idiomatische Wendungen herausschälen („ABZ=Alles bloss Zitate“). Werkner arbeitet dabei mit allen Mitteln der Sprachkunst, mit Klangfarben ebenso wie mit Formen des Reims, mit rhetorischen Figuren wie mit Mitteln der Wortbildung, selbst die materielle Seite der Zeichen ist von Belang („DAS AUGE LIEST MIT“). Das Lexikon ein einziges Furioso des Sprachspiels. Nicht nur die Einträge selbst sind komponiert, auch ihre Anordnung verrät System. Die alphabetische Ordnung erlaubt etwa die Variation. Sowohl auf inhaltlicher wie auf formaler Ebene kehren Motive, Themen, Spielarten wieder („Die Form totlutschen“), die Vorhergehendes wieder in anderem Licht erscheinen lassen. Die Fülle an Wortmaterial, dem jahrelanges Horten voraus gegangen sein muss, fasziniert, aber auch das eigenwillige Spannungsverhältnis zwischen Ausuferung und Ordnungswille, das hier aus jeder Zeile spricht.
Was kann nun, was will dieses Buch? Offensichtlich ist, es macht nicht, was interessiert, es macht, was es will. („Ja wenn mir nichts anderes einfällt“). Es irritiert, bremst den Lesefluss ein, zwingt in die Auseinandersetzung („Autor setzt an, den Leser zu quälen“). Dem Leser, der verstehen will, verlangt es einiges an Vorwissen und Mitdenken ab. Und dennoch geben die Idiomatikzettelkästen Werkners wie Alibabas Schatz ihr Geheimnis nicht wirklich preis. Letztendlich geht es vermutlich darum, Zeichen in der Schwebe zu lassen („Aktive Suche nach dem Missverständnis“ oder „Die Missverständnisse der Leser sind der eigentliche Sinn der Literatur“). Als „Katalog noch nicht katalogisierter Sachverhalte“ sensibilisiert das Buch für Sprache und ihre Wirklichkeiten, regt an, noch nicht Erfasstes sich auszumalen. Und nicht zuletzt – vielleicht will das Buch auch nicht über die Maßen ernst genommen werden – bereitet die Lektüre wirkliches Lesevergnügen.
Turi Werkner, 1948 in Innsbruck geboren, hat sich als bildender Künstler einen Namen gemacht. Genannt seien hier etwa seine „Schoner“ (bis ins Unkenntliche bezeichnete Schreibtischunterlagen), seine Arbeiten mit Büchern (bearbeitet erworbene Bücher, etwa Registerbücher, Buchführungsbücher, künstlerisch, erzählt darin visuelle Geschichten), aber auch seine großformatige Malerei. Schrift und Bild, Literatur und Malerei gehen eine enge Verbindung ein, wenn Werkner etwa in seinen Büchern, 635 waren es im August 2008 an der Zahl, narrative Bildfolgen kreiert: „Literatur mit Mitteln der Malerei, Malerei mit Mitteln der Sprache“. Idiomatik ist Werkners erste Veröffentlichung.
Iris Kathan