Rezensionen 2008

Alois Schöpf, Heimatzauber
Roman
Innsbruck – Hohenems: Limbus 2007, 178 Seiten

Man nehme - etwas spitz formuliert - einen großspurigen, gerade von der Ausbildung kommenden, hoch motivierten, von unbändigem Reformwillen getriebenen jungen Spund, vier bis fünf alteingesessene Dorfoberste und ein Dorfpolitikum, wie zum Beispiel die Besetzung der örtlichen Blasmusikkapelle. Ein spannendes Match ist garantiert, der Ausgang vorprogrammiert. 5 : 0 für die Dorfobersten, damals wie heute.
Der nach zwanzig Jahren neu aufgelegte Roman „Heimatzauber“ des Schriftstellers und Journalisten Alois Schöpf, eine satirische Bestandsaufnahme des ganz normalen alpenländischen Wahnsinns, hat an Brisanz nicht verloren. Glaubt der Leser aus der Stadt die Szenen und Menschenportraits auch auf den ersten Blick antiquiert und längst dem fossilen Dorfkauztum angehörend, so wird er bei näherer Betrachtung des dörflichen Lebens sei es nur ein paar Kilometer von der mondänen Hauptstadt Wien entfernt – doch eines Besseren belehrt.
Das Dorfleben mit seinen ureigenen Strukturen, Hierarchien und Regeln ist ein komplexes Gesellschaftsgebilde, dessen Unterlaufen gnadenlos sanktioniert wird. Das erfährt auch der Protagonist des Romans, der Kapellmeister Josef Ambach, schmerzlich am eigenen Leib. Einst in die Metropole Wien ausgezogen, „um auf der Universität Relevantes zu leisten“ und das „wahre Leben“ zu finden, denn nur in den Metropolen „ruht die Wahrheit“, kehrt er, von der Stadt enttäuscht und um seine Erwartungen betrogen, in den Schoß der vermeintlichen Provinzidylle, nach Maria Berg, einen Tiroler Wintersportort, zurück, wie so viele seiner Bekannten, die zu jener Zeit ihr Heil auf dem Lande suchen. Und so wird aus dem Kulturberichterstatter und PR-Texter innerhalb weniger Monate ein Lehrer eines städtischen Gymnasiums, aus dem Single ein Ehemann und Vater und aus dem Wohnungsbesitzer ein Häuselbauer. Doch das Dorf fordert seinen Tribut. Um akzeptiert zu werden, muss man sich in der dörflichen Gemeinschaft engagieren, entweder bei der Feuerwehr, der Kirche, dem Dorfheurigen oder bei der Dorfkapelle, wofür sich Josef Ambach entscheidet.
Lange kann ihn jedoch das Untertauchen in der Menge der „Gleichgesinnten“, kostümiert mit der gleichen Tracht, im immer gleichen Takt spielend, nicht befriedigen. Er absolviert eine Kapellmeisterausbildung, im besten Wissen und Gewissen, damit nicht nur sich, sondern auch der Dorfkapelle etwas Gutes zu tun. Sein Verbesserungswille wird ihm jedoch zum Verhängnis. Im „Glauben an die Möglichkeit, die kleinräumige Welt des dörflichen, sozial und ökologisch befriedigenden Lebens mit der Großräumigkeit geistigen Vollkommenheitsstrebens, Dorfbürgertum und Weltbürgertum zugleich, zu verbinden“ und eine Blasmusik entstehen zu lassen, „die nicht mehr mühselig getarnte Militär- und Staatsmusik ist, sondern aus der die Weltmusik derer wird, die auf dem Lande leben“, entwirft Ambach eine brennende Festrede zum 75. Geburtstag der Musikkapelle Maria Berg. Seine bis ins Kleinste inszenierte Rede wird zum Desaster, statt Lohn und Dank erntet er Hohn und Spott. Von da an geht es steil bergab. Seine Ambition, Dorfmusikkapellmeister zu werden, wird jäh zu verhindern gewusst. Mitwirken ist erlaubt, hinterfragen verboten. Bei der Generalversammlung der örtlichen Kapelle kommt es zum Eklat. Der selbst ernannte Erneuerer muss einsehen, dass er gegen durch Jahrzehnte festgefahrene Traditionen keine Chance hat.
Unschwer lässt sich hinter Josef Ambach der 57-jährige Autor selbst entdecken. Alois Schöpf, in Lans bei Innsbruck geboren, hat einen ähnlichen Leidensweg hinter sich, jedoch mit Happy End. Nach acht Jahren Mitgliedschaft bei der Musikkapelle in Lans wurde Schöpf langweilig, viel zu schlecht komponierte Werke würden gespielt. Daraufhin lernte er Klarinette und Saxophon und entwarf eine kritische Blasmusiksendung, die er dem ORF vorschlug. Mit mäßigem Interesse von Seiten des ORF, immerhin gab es regelmäßig ausgestrahlte Blasmusiksendungen, die Konkurrenz nicht duldeten. Alois Schöpf, ein Tiroler Stehaufmandl, gab sich jedoch nicht so leicht geschlagen. Er besuchte das Konservatorium und wurde nach zwei Jahren staatlich geprüfter Blasorchesterleiter. Doch auch diesem Weg war kein Glück beschert. Aus der Zusage der Lanser, ihm den Posten des Kapellmeisters zu übertragen, wurde nichts, da sich der alte Kapellmeister im letzten Moment doch für eine weitere Amtszeit entschied. [Aus diesen Erfahrungen heraus entstand das Werk „Heimatzauber“.]
Während jedoch der Roman mit dem Austritt Ambachs aus der örtlichen Blasmusikkapelle endet, geht für Schöpf die Suche nach der Verwirklichung seiner Ideale weiter. Ein Jahr später übernimmt er die neu gegründete Stadtmusikkapelle Innsbruck-Saggen, die er 14 Jahre lang leitet und in die höchste Leistungsklasse führt.
Alois Schöpf gelingt mit „Heimatzauber“ ein kluges Porträt einer dörflichen Gemeinschaft, in dem die einzelnen Charaktere vom Obmann bis zum Schriftführer zum Leben erwachen. Und das funktioniert durch die Form eines Theaterstücks im Roman. Kein Wunder, dass daraus unter anderem unter der Mitwirkung von Otto Gründmandl und Kurt Weinzierl ein Hörspiel im ORF wurde und sich an diesen Erfolg auch eine Theaterinszenierung am Innsbrucker Kellertheater anschloss. Nur Film und Fernsehen trauen sich nicht über die Umsetzung von „Heimatzauber“, was Alois Schöpf im rund 25-seitigen Nachwort, dessentwegen die Neuauflage schon lesenswert ist, nicht müde wird, den „quotengeilen Filmproduzenten und Fernsehredakteuren“ vorzuwerfen.
Das als kulturkritischer Essay über Film und Fernsehen mit besonderem Bezug auf die ländliche Blasmusikszene angelegte Nachwort verkommt an manchen Stellen zur wehleidigen Raunzerei, die das Übergangenwerden durch Film und Fernsehen bejammert. Zu tief gekränkt scheint der Autor noch zu sein, sodass eine Aufarbeitung mit der notwendigen Distanz noch nicht möglich ist. Schade. Abgesehen davon verspricht das Nachwort aber einen unterhaltsamen Galopp durch die die Heimat repräsentierenden Fernsehserien von „Mundl“ bis zur „Alpensaga“, zu deren beider Entstehen Alois Schöpf beigetragen hat. Alles in allem eine Neuauflage, die sich gelohnt hat. 

Petra Paumkirchner