Rezensionen 2008

Quart. Heft für Kultur Nr. 12 
Hg.: Kulturabteilung des Landes Tirol. Redaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett
Innsbruck: Haymon, 2008

Quart Nummer 12 ist erschienen. Kenner wissen, dass man eigentlich die besondere Qualität und Bedeutung der Grafik von Quart nicht mehr eigens hervorheben und betonen muss, denn das Konzept der Kultur- und Kunstzeitschrift sieht es vor, dass die Gestaltung nicht bloß augenfälliges Beiwerk des Inhalts ist, sondern bewusst wahrgenommen werden will. Dazu gehört interessanterweise auch ein völlig anderer Umgang mit den für Zeitschriften gängigen Werbeeinschaltungen. In Quart erhalten sie großformatiges Gewicht und eine Nähe zu Kunst-Photografie, als solche nämlich können diese Einschaltungen bei näherem Hinsehen ohne weiteres auch betrachtet werden. Ganz besonders augenfällig ist in diesem Heft beispielsweise der Gewölbekeller der Weinkellerei St. Michael in Eppan, durch die Halotech Lichtfabrik ins Bild gesetzt - Werbung zwar, aber ein ästhetischer, kunstvoller Blickfang allemal. Aber auch das schon gewohnte, immer noch anregende Seitenspiel, das den Fließtext auf der rechten Seite hält und die linke Seite für den assoziativen Denkspielraum offen lässt, ist ein wichtiges Element, das diese Zeitschrift zu einem außergewöhnlichen ästhetischen wie intellektuellen Lesevergnügen macht.
Also der Reihe nach von vorne: Wie immer beginnt die Gestaltung des Hefts beim Cover. Es setzt diesmal auf die Wirkung der Farben gelb, blau, und rot und stammt von keinem Geringeren als Daniel Buren, einem international bekannten französischen Konzeptkünstler, dessen monochrome Farbstreifen Kennzeichen seiner Kunst geworden sind. Über den Künstler, der in den sechziger Jahren mit seinen Installationen im öffentlichen Raum bzw. auf Gebäuden  für Furore gesorgt hat, ist ein informativer Essay von Walter Grond zu lesen. Vertikale Streifen in Grundfarben ist der Stoff seiner Kunst, mehr noch: Für ihn ist Farbe allein schon Träger sprachlicher gedanklicher Bedeutung. Die Signatur der Farbstreifen kennzeichnet sein Werk: „Streifen, mit denen er interveniert, auf dass der Blick sich öffne für den Ort und seinen Kontext“, schreibt Walter Grond.
Schauspieler und Theatermacher („Das monolithische Theater“ in Wien) Philipp Mosetter schreibt über „Das Risiko, verstanden zu werden“, einen höchst lesenswerten und amüsanten Text über Kommunikation, das Verstehen und Verhältnis zwischen Mann und Frau im weitesten Sinn.
Dann folgt eine wunderbare Fotogalerie aus dem Museum der Tiroler Bauernhöfe zur „Phänomenologie  der Eckbank“. Der dazugehörige Kommentar bringt die - aktuell betrachtet – bereits wieder innovative Eigenart und innenarchitektonische Sprache dieser kargen hölzernen Stubeneinrichtung Tiroler Bauernhöfe der Vergangenheit zur Sprache. Und zwar nicht etwa aus der Perspektive von Volkskunde oder Kulturgeschichte, sondern schlicht und praktisch aus der Sicht der zeitgenössischen Wiener Designerschmiede EOOS.
Ulrich Ladurner zeichnet ein Städtebild von Meran. Schon N. C. Kaser schrieb in seinem „stadtstich“ über Meran: „Du hast alles liebes meran wonach Dir der sinn stand & steht besungen von großen und kleinen poeten“. Die Spuren Merans in den Werken und Briefen vieler weltbekannter Künstler machen es möglich, Meran auch als Traumstadt zu vermarkten. Der Text allerdings greift jenseits touristischer Images tief in die Untiefen der NS-Vergangenheit der einstigen glamourösen Kurstadt, die günstig auf der „Rattenlinie“ lag - Meran also auch ein Durchgangsort. „Er bot Schutz und öffnete ein Tor ins Freie. Meran war ein Traum, auch für Verbrecher.“ Ulrich Ladurner berichtet Fakten zu den Aufenthalten von Nazis, erzählt aus historischer Perspektive etwa über das Verhältnis des argentinischen Präsidenten Peron zu Meran, das hauptsächlich mit seiner Liebe zum Pferderennen zu tun hatte.
Mario Capecchi hat letztes Jahr den Nobelpreis für Medizin erhalten, sein Forschungsgebiet ist Humangenetik. Capecchi  hat eine besondere Herkunftsgeschichte, die u. a. auch nach Südtirol führt. 1946 kam er mit seiner Mutter in die USA, heute lebt der weltberühmte Wissenschafter mit italienischen Wurzeln in Utah. Über ihn und über seine Forschungsarbeit ist Interessantes in Johanna Bodenstabs Schilderung einer Begegnung zu erfahren. Sie hat den Nobelpreisträger in seinem Institut für Humangenetik an der Universität of Utah interviewt.
Ansichten von Tirol, aufgenommen mit einer Lochkamera, verfremden maximal den gewohnten Blick. Gegen gewohnt gestochen scharfe Fotografien führt die Lochkamera, mit der Jörg Zielinski die Bilder für Quart aufnahm, die pure Zeit ins Treffen, die gedehnten Augenblicke, die - durch die Linse aufs Papier gebannt - jede Bewegung als Flimmern und Flirren des Lichts und der Farben einfängt. Ein interessantes Seherlebnis.
„Diesmal: Stress“ beschreibt ein Phänomen unserer Zeit. Es gibt vier einseitige Beiträge zu lesen, eine Erhebung sozusagen. Die Zeitschriftenmacher nennen die Serie „Gutachten“, zu verstehen als Mitteilungen zu zeittypischen Themen. Stress: darin ortet Gertrud Spat beispielsweise ein allerorts präsentes neudeutsches Wort mit zu unrecht nur negativer Konnotation, denn schließlich bedeutete es genau genommen auch Kraft, Nachdruck und Betonung. Drei weitere Beiträge von Ulrich Ott, Oliver Welter und Andreas Kriwak laden ein, sich über das Thema Gedanken zu machen.
Musik und Literatur kommen in den beiden Beiträgen von Wendelin Schmidt-Dengler und Franz Gratl zur Geltung. Schmidt-Dengler schreibt über die „Bibel in gerechter Sprache“ eine ausführliche und kritische Besprechung. Dieses Großprojekt einer neuen Übersetzung und Adaption der alten Bibelsprache ist 2006 erschienen, hat mehr als 20 Personen beschäftigt und ist nicht ganz unumstritten. Franz Gratl schreibt über einen vergessenen, vielleicht gar nie so bekannt gewordenen Gefährten Schuberts: den Dichter Johann Chrysostomus Senn. Er stammt aus dem Tiroler Oberinntal und hat mehr schlechte als lesbare Gedichte geschrieben, einige davon hat Schubert vertont. Senn dürfte ein recht aufrührerischer Hitzkopf gewesen sein, eine spannende Lebensgeschichte hat er jedenfalls, die Franz Gratl schildert und anhand der er ein kleines kulturhistorisches Porträt rund um diese Verbindung zu Schubert schreibt. In Tirol, wohin er nach Misserfolgen und gescheiterten Versuchen zurückkehrte, wurde Senn nicht glücklich, in der Musik Schuberts hört man dies heraus.
Thomas Ballhausens Text für die Serie „Landvermessung“ führt vom Hochjoch bis zum Reschensee und ist doch eigentlich vielmehr der literarische Nachvollzug eines Geschehens, einer innere Reise, vielleicht eines Abschieds, eines Geheimnisses oder einer Spurensuche?
Von Gottfried Rainer stammt ein berührend lebensnaher Bericht über die Rot-Kreuz-Fahrten mit Krebspatienten aus Osttirol zur Strahlenthearpie nach Klagenfurt.
Schließlich gibt es auch wieder eine „Originalbeilage“. Sie stammt vom Innsbrucker Künstler Peter Kogler und ist ein in dicken Karton geprägtes Ornament.
So etwa sind die Eindrücke der neuen Quart im Schnelldurchlauf, dabei fordert die Zeitschrift geradezu auf, sich Zeit zu nehmen, das Lesen und Sehen zu genießen, allemal dem Weiterdenken Raum zu geben. Die erzählerische Vielfalt der Beiträge und das breite Spektrum der Themen sind inspirierend. Einmal mehr hat die Redaktion bewiesen, dass sie es versteht, dem Anspruch entsprechend eine Kulturzeitschrift zu machen, die „einen eigenwilligen, aus dem Regionalen entwickelten, auf internationalem Niveau ausformulierten Kulturbegriff pflegt“.

Christine Riccabona