Rezensionen 2008
Angelika Rainer, Luciferin
Innsbruck–Wien: Haymon Verlag, 2008, 75 Seiten
«Wenn die Schöpfung einen Zweck hatte, so bleibt ihr Zweck verborgen, ungreifbar, und kann nur im Bereich der Zeichen entdeckt werden, niemals in dem, was offensichtlich geschieht.», schreibt der britische Kunstkritiker und Autor John Berger in seinem Aufsatz «Der weiße Vogel». Wie einer derartigen Natur in ihrer Verborgenheit und Ungreifbarkeit mit Zeichen beizukommen ist, ist Thema von Angelika Rainers Debüt «Luciferin». Berger ist dafür nicht Wortspender, seine Erzählung «Die drei Leben der Lucie Cabrol» aus der Sammlung «SauErde. Geschichten vom Lande» (1979) ist aber Impuls für das, was man als den Plot dieses lyrischen Kompendiums, das selbst verborgen und ungreifbar bleibt, bezeichnen könnte. Wortspenden kommen von anderen, Beckett und Heiner Müller, Hesiod und Ovid, Mayröcker, Lévi-Strauss und Schubert; und solcherart Zeichengeber gibt es sicher noch viel, auch wenn sie nicht namentlich erwähnt sind oder zitiert werden.
Was gesagt wird über die anfangs anaphorisch heraufbeschworene Protagonistin – «Sie heißt Lucy./Sie wird Cocadrille genannt./Sie hört nicht auf ihren Namen.» – «tun sie [sagen] –», die anderen. Anschließend heißt es: «So sag, was du siehst, auch wenn kein Gott danach fragt/und wenn Sonne gemeint ist, ist Sonne zu sagen». Was so einfach nicht ist, denn: «Was du heute benennst, wird morgen anders genannt sein». Und ein Stück weiter: «Alles was du siehst ist das, was du sehen willst». Und das Gesehene träufelt dann doch als Ver(w)ortetes auf die Buchseiten. Es gilt: «Wie gedroschenes Getreide haben wir die gedachten Dinge/auf die Wortschaufel zu legen». Um «das Korn von der Spreu» zu trennen. So könnte Geschriebenes entstehen, das neben den beschriebenen Naturphänomenen an sich bestehen kann, neben Naturphänomenen wie etwa den Spinnweben, die – nehmen wir einmal an, dass das stimmt – «siebenunddreißig Mal stärker als Stahl» sind.
Ins Spinnennetz fliegt zuweilen ein Glühwürmchen, jene Spezies, die in der Dämmerung oder nächtens zu leuchten vermag. Das Titel gebende Luciferin spielt bei diesem Phänomen eine Rolle. Die Autorin zeichnet davon auf den Schlussseiten ein «angenommenes Bild» – als chemische Formel. Ein Versuch ist es immerhin, wo gilt: «Im Bild ist die Wahrheit, die dem Wort sich verweigert./Das Bild fließt jenseits der Worte./Das Bild ist der stummen Dinge Wort./Das Bild ist die Katharsis des Satzes./Das Bild ist Antwort auf Babel.» In diese Phänomenologie der Natur und ihrer Bezeichnung, die in zumeist hohem Ton und nur selten ironisch gebrochen vorgetragen wird, sind Handlungsfäden gesponnen, in denen sich Phänomene immer wieder verfangen und den Text auf an die 70 Seiten anwachsen lassen.
Soviel lässt sich von diesem Debüt berichten, das auch immer wieder ein traditionelles Liebeslied ist. Ihren Textstrom wird man vergeblich in den Feuchtgebieten der Spannungs- oder Spannerliteratur suchen. Angelika Rainer, die Musikerin und Harfenistin der Osttiroler Musicbanda Franui, schwimmt auch nicht gegen den Strom realistischen Erzählens. Sie ist Poetin und bei ihren Vorbildern – von Ovid bis Beckett – gut aufgehoben. Wie und was sie montiert, ist ein Kosmos, den man mit Neugier durchliest. Und solange diese Autorin Erlesenes mit eigener Originalität kombiniert, wird ein solcher Kosmos auch interessant bleiben.
Bernhard Sandbichler