Rezensionen 2008

Konstantin Kaiser, Ausgewählte Gedichte   
Mit einem Vorwort von Daniela Strigl
Wien: Podium Porträt 31 (hrsg. von Hannes Vyoral) 2007 

Eines der jüngsten jener liebenswerten schmalen Lyrikbändchen des Hannes Vyoral – „Podium Porträts“ – ist dem in Wien lebenden Innsbrucker Dichter Konstantin Kaiser gewidmet. Man freut sich, wieder einmal Lyrisches von Kaiser in Händen zu halten, hat er doch nach seiner Publikation im TAK-Verlag – „Durchs Hinterland“ 1993 – keine Gedichtsammlung mehr veröffentlicht.
     Das Buch kommt im Umfang bescheiden daher, die Gedichte sind nicht ausladend, vielmehr knapp, doch was sie hergeben, ist nicht wenig. Sie führen in die Welt eines augenscheinlich strukturierten Ich, eines Ich, das genau, aber auch skurril wahrnimmt, das konkret ausspricht, aber auch philosophiert, das trotz aller Struktur  (oder vielleicht gerade ihretwegen) dem Spielerischen und Schnodderigen offenbar nicht zu widerstehen vermag. Diese Texte führen darüber hinaus in unterschiedliche Alltagswelten, sie tippen da und dort einen politischen Diskurs an, den wir leider im Gedicht allzu oft vermissen, einen geradewegs linken Diskurs. Und die Gedichte rühren da und dort behutsam, sich jeder bombastischen Geste entziehend, an den großen Themen wie Liebe, Verlassenheit, Tod. Der lyrische Erzähler, der nichts erzählen will, aber doch alles Wesentliche zur Sprache bringt, verhält sich einmal beiläufig, ein andermal punktgenau zielend und hält damit eine Spannung aufrecht, die von einem Text zum anderen trägt. Entstanden sind Kaisers Gedichte aber wohl nicht innerhalb eines geschlossenen Zeitraumes, sondern lose über die Jahre.
     Eindrucksvoll, wie Kaiser die Dinge im Ungefähren hält, ohne in Geheimniskrämerei zu verfallen.  Der schwebende Zustand der Gedichte, das spürt man auf sehr angenehme Weise, kommt aus dem Beiläufigen und Alltäglichen. Wo man sich wie ein Blinder sicher bewegt, da muss man nicht hervorheben oder gar ausbuchstabieren. Mit Koketterie des Verbergens hat dies nichts zu tun, wohl eher mit dem Vertrauen, dass wir alle Teil eines Erfahrungspools sind und darum das bloß Angedeutete ohne weiteres verstehen, das Ausgelassene mitdenken können. Es ist ein persönlicher Eindruck nur, aber diese  Gedichte wirken wie Gespräche unter guten Freunden. Aber bei aller Intimität sind sie auch universell bedeutend. Und vor allem sind diese Texte warm, sie kommen aus der Mitte, gewähren Teilnahme und fordern Beteiligung. Besonders schön ist dabei, dass Kaiser in seiner Lyrik niemals das Authentische dem Runden und Glatten opfert, in seinem Schreibstil darf es rumpeln und holpern. Wenn ein Dichter die Wahrheit sagen soll, dann muss es Brüche geben dürfen in der Sprache und im Rhythmus! Der „Mund, der Gedichte philosophiert, sitzt nicht genau im Gesicht, nicht richtig  Leben […] (S. 42).
     Das Vorwort zu Konstantin Kaisers  Gedichten hat Daniela Strigl verfasst und es ist, wie dies auch bei allen anderen Podium Porträts der Fall ist, nicht nur eine Beigabe. Strigls Lesart ist auf eine Art vorangestellt, dass sie uns manches aufschlüsselt, zugleich aber nichts festnagelt, ihre Beobachtungen stellen tatsächlich einen Mehrwert dar, sie spuren, sie konzentrieren ein wenig, und das ist hilfreich. Denn auch wenn Kaisers Gedichte frappierend einfach zu sein scheinen, auf Fremdwörter völlig verzichten und Artistik vermeiden, so sind sie doch nicht leicht zu erfassen oder gar simpel, manche von ihnen muss man wieder und wieder lesen. Strigl arbeitet außerdem die wichtigsten Bedeutungsstränge heraus, verortet sie damit im literarischen Kontext: die programmatische „Diesseitigkeit“, die „Verkörperung“ des Philosophischen, die „Etüden der Angst“ wären hier als Leitbegriffe für eine Dichtung zu nennen, die Daniela Strigl zwischen Lakonie und großer Eleganz und Prägnanz ansiedelt (vgl. S. 8). Das Politische ist allgegenwärtig, obwohl es sich gar nicht immer als solches gibt.
     Kaiser ist ja durch sein über Jahrzehnte andauerndes Engagement für die Exilliteratur, für die Literatur des Widerstands und die antifaschistische Kunst im Allgemeinen in Österreich bekannt. Durch ihn haben zahllose Autorinnen- und Autorennnamen, zahllose wichtige Texte erst Eingang in unsere Literatur gefunden. Er ist seit langem Mitarbeiter der Theodor Kramer-Gesellschaft und hat in dieser und anderen Funktionen als Herausgeber und Editor randständiger oder vergessener literarischer Werke und Persönlichkeiten der österreichischen Kultur einen großen Dienst erwiesen. Dass dabei die eigene literarische Arbeit womöglich notgedrungen an den Rand gedrängt wurde, verwundert spätestens dann nicht, wenn man Kaisers Literaturliste durchsieht und sich vergegenwärtigt, in wie vielen großen und kleineren Projekten er hauptverantwortlich war oder mitgearbeitet hat.
     Der Vielarbeiter, aber Wenigschreiber Konstantin Kaiser kann aus seiner unglaublichen Erfahrung mit Welt und Geschichte umso mehr destillieren. Das ist es auch, was diesen seinen Gedichten anhaftet: Gewicht im besten Sinn des Wortes. Keine Schwere, jedoch das seelische Gewicht von einem, der die Schattenseite im eigenen Leben und in der Geschichte nicht nur gesehen, sondern erforscht hat, der das Unrecht nicht nur analysiert, sondern sich auch dagegen verhalten hat. 

Erika Wimmer