Rezensionen 2008
Otto Grünmandl, Pizarrini. Roman
Hrsg. von Aglaja Spitaler und Florian Grünmandl, mit einem Nachwort von Eckhard Henscheid
Innsbruck: Kyrene 2008 (Reihe alter Autoren 2)
Ausgehend von der zentralen Figur des überaus ordnungsliebenden Buchhalters Pizarrini verzweigen sich in Otto Grünmandls jüngst erschienenem Roman unterschiedliche Erzählstränge und führen den Leser in die psychologischen Tiefen eines dümmlichen spießbürgerlichen Denkens mit all seinen verschlagenen, ja kriminellen Schlagseiten. Dass dieser Text dem nachgewiesenen Humoristen und Satiriker, wie der Autor einer gewesen ist, ordentlich Spaß gemacht haben muss, liegt auf der Hand. Und dass er all jenen, die sich durchs Erzählgestrüpp des Romans wagen, vergnügliche Stunden bescheren wird, dessen kann man sich, kennt man Otto Grünmandl von früher her, sicher sein.
Der Titelheld geht eines Tages ins Bordell und begeht die Dummheit, Geld für nichts zu bezahlen, weil er im Grunde gar keine erotischen Dienste in Anspruch nehmen will. Offenbar will er sich nur sagen können, einmal im Puff gewesen zu sein - „ordnungshalber“. Solch unlogische, damit „unordentliche“ Handlung zieht erwartungsgemäß Strafe nach sich: Pizarrini ist verwirrt und steuert ab nun dem Abgrund entgegen. Wie das? Erraten! Die Katastrophe beginnt im „Weißen Hirschen“ bei viel Alkohol (er trinkt mehrere Gläser „siebzigprozentigen Kontiuszowska“) und in Gesellschaft zweier Herren, die den unerfahrenen Pizarrini an der Nase herumführen wollen, um ihn auszunehmen, die aber alles in allem auch nicht gescheiter sind als er.
Das Vergnügliche an diesem Text sind die Typen, die man lesend leibhaftig vor sich sieht und deren Eigenarten man aus eigenen Erfahrungen kennt: Man hat den einen oder anderen Charakterzug entweder schon an sich selbst gesehen oder an anderen beobachtet. Wie jeder Satiriker war Otto Grünmandl ein Moralist, der den Finger in die Wunde legte, um zu erschrecken, um den Spiegel vorzuhalten, zum Lachen zu bringen und aufzuwecken.
Vergnüglich ist der Roman aber auch im hintergründigen Witz und im sprachlichen Detail. Grünmandl führt uns in der Typenzeichnung da und dort aufs Glatteis, glaubt man als Leser, Durchblick gewonnen zu haben, wird man bald eines Besseren belehrt. Damit geht die Spannung nicht verloren, die andererseits oft durch allzu bekannte, mitunter auch klischeehafte Situationen gefährdet wäre. Bei seinen zu Lebzeiten veröffentlichten Arbeiten und bei seinen Auftritten hat Grünmandl immer den Leuten aufs Maul geschaut, und das tut er auch hier. Ob gespreizter Dialog oder boshafter innerer Kommentar, die Rede ist an der Realität gemessen, und der Leser wehrt sich gegen die Einsicht, dass die Welt wirklich so „zappenduster“ ist, aber schließlich begreift er: Sie ist es doch. Das Surreale ist letztlich Realität und das Reale im Fortschreiten der Verstrickungen zunehmend verrückt oder auch nur komisch. Und doppelbödig wie diese Geschichte, das weiß schließlich jeder, ist auch das Leben.
Mit „Pizarrini“ hat der junge Verleger Martin Kolosz dem ersten einer Reihe nachgelassener Texte des vor sieben Jahren verstorbenen Tiroler Kabarettisten und Autors an die Öffentlichkeit verholfen, weitere sollen folgen. „Nach dem originalen Schreibmaschinenmanuskript in der alten Rechtschreibung“ heißt es knapp (und kleingedruckt) im Impressum, ein editorischer Bericht, Informationen über den Nachlass des Autors und andere historiografische Bemerkungen fehlen. Derartiges mag zwar dem Durchschnittsleser nicht von Vorneherein abgehen, wäre aber für Fans, Fachleute und auch für viele allgemein Interessierte ein Zugewinn. Denn auch wenn Otto Grünmandls Text qualitativ vielem, was in der neuesten Zeit veröffentlicht wird, prinzipiell standhalten kann, so mutet er doch ein wenig wie aus einer versunkenen (oder doch zumindest versinkenden) Welt an. Zusatzinformationen – die Antwort der unwillkürlich auftauchenden Frage etwa, welchen Stellenwert der Roman im Gesamtwerk Grünmandls einnimmt und warum er nicht zu Lebzeiten veröffentlicht wurde – würden das Lesemotiv schärfen und damit der Lektüre etwas mehr Schubkraft geben. Auch ist es bedauerlicherweise durchaus nicht so, dass Otto Grünmandl in seiner unnachahmlichen Art, über die Verhältnisse im Land und anderswo nachzudenken, sich einige Jahre nach seinem Tod noch allzu großer Bekanntheit erfreuen würde (oder in der breiteren Öffentlichkeit jemals erfreut hätte).
Das wunderbare Nachwort von Eckhard Henscheid, dem bayrischen Experten für das Komische und Kollegen in der satirischen Zunft, hilft auch nur bis zu einem gewissen Grad aus der Verlegenheit eines Durchschnittslesers, nicht allzu viel zu wissen und kaum etwas zu erfahren. In der Diktion einer Huldigung, die Grünmandls literarisch-kabarettistische Aktivitäten nur anreißen, sie aber nicht ausführen oder gar systematisieren will, wirft es eher noch weitere Fragen auf. Henscheids Kommentar setzt ein wenig den Pizarrini-Ton fort, erzählt eine persönliche Geschichte und vermittelt die Atmosphäre einer bestimmten Kultur in einer vergangenen Zeit. Das ist erfreulich und gut, es reicht aber nicht aus, um den Text für Leser, die Otto Grünmandl entweder nicht oder nur als Schauspieler und Kabarettist, also bloß von einer anderen Seite her kennen, zu positionieren.
Wollen wir hoffen, dass dies in den folgenden Grünmandl-Ausgaben nachgeholt wird, zumal wenn weitere bis dato unbekannte (und womöglich wieder erzählende) Werke auf uns zukommen sollten. Alte Grünmandlfans warten jedenfalls gespannt darauf!
Erika Wimmer