Rezension 2010 

Norbert Lantschner, Wie atmet Liebe 
Bozen: Raetia 2009

Norbert Lantschners Band „Wie atmet Liebe“, bei Raetia erschienen, enthält eine Sammlung von Prosaminiaturen, Texte, die auf ein oder zwei Seiten erzählen, und solche, die wie lyrische Skizzen wirken, in denen Szenerien mit zarten Linien, oder je nach dem auch mit klaren harten Strichen ins Bild gesetzt sind. Manchmal scheinen sie wie mit der Kamera eingefangen, mitunter wie mit Herzfarben leicht aufs Papier getupft. Worte, die Lebensmomente und Traumszenen zwischen Schlaf und Wachen festhalten, Beobachtungen zwischen Realität und Täuschung, und die da und dort auch paradoxe Schnitte ins Alltagsmuster ziehen.

Formal changieren die Texte zwischen schlichten Notaten und Gedichten, können vielleicht beides zugleich sein, je nachdem wie man sie liest. Der Band ist in vier Abschnitte gegliedert und beginnt mit einer Reihe von Liebes- und Beziehungsgedichten: „In der Mitte des Glücks“, dann folgt „Die heimliche Flucht“. Der dritte Abschnitt ist mit einer Gedichtzeile aus dem Gedicht „Raben“ übertitelt, ein Herbstgedicht, das in der Titelzeile endet:„Die Dunkelheit beginnt am Tag“. Der vierte Teil des Bandes, in dem es viele Winterbilder gibt, heißt schließlich “Wieviel wiegt eine Schneeflocke“. Die Texte sind in diese Einheiten gefügt, ohne dass sich dadurch eine zwingende Komposition ausdrückt. Zwar deutet sich subtil ein jahreszeitlicher Bogen an, dennoch überwiegt der Eindruck der losen Reihung und Offenheit der Texte. Und dies ist kein Nachteil, vielmehr spiegelt sich darin ein Gestaltungsprinzip der Texte selbst, die durch lose Aneinanderreihung der Bilder und Aussagen eine individuelle Kombinatorik und subjektive Sinnentschlüsselung ermöglichen. Es bildet sich auf den knapp 100 Seiten des Bandes ein poetisches Flechtwerk aus Szenen, die das Sichtbare, den Augenschein der Realität mit dem inneren subjektiven Erleben, mit dem Gedankenfluss verbindet. Der poetische Blick zieht sich durch die in den Texten gespiegelten Beobachtungen von einsamen Menschen, von Natur und „zerzausten“ Landschaften, stürzenden Bauwerken und merkwürdigen Räumen, die Gedanken kreisen vorrangig um Liebe, eigentlich um das ‚Dasein’. Im ‚anderen’ Sehen des Daseins - quasi von innen her - drückt sich die Freiheit des Schreibens aus: Da sprechen Bäume, sind in Mauern ‚Geschichten’ eingeschlossen, da liegt die Zeit „wie ein alter Pullover daneben“, es verdichtet sich das Unauffällige, wird zum Gedicht:

„Vielleicht ist die eingerollte Katze in der warmen Abendsonne eine unbemerkte Liebe. / Vielleicht ist das fallende Rosenblatt ein / lautloses Umblättern im Buch der Fragen. / Vielleicht ist mein Suchen nach Worten ein Versuch, nach dem Licht im Nebel zu greifen. / Vielleicht ist mein Denken ein verlorener / Faden. Meine Augen ein geliehenes Fenster? / Die Hoffnung, vielleicht, ein gelber Krokus, / nass vom Reif einer fremden Nacht. / Vielleicht gibt es kein vielleicht, so wie es  / kein Verstecken gibt.“

In den wie beiläufig festgehaltenen Bildern leuchtet eine Intensität auf, zeigt sich nicht zuletzt eine sensible Aufmerksamkeit für das Unspektakuläre und nur allzu leicht Übersehene. Gerade darin sind oft die Kristallisationspunkte der Verwandlung zu finden. Norbert Lantschner breitet in „Wie die Liebe atmet“ ein kleines Textpanorama aus, das Sehnsucht und Vergeblichkeit, die Einsamkeit, das Fremdsein, Leben und Abschiednehmen erkundet.

Christine Riccabona