Rezension von Markus Dapunt

 
 

Bettina Galvagni, Persona. [Jan. 2003]
München: Luchterhand, 2002, 189 Seiten.

Bettina Galvagni ist keine Geschichtenerzählerin. Sie erzählt vielmehr von Stimmungen, Eindrücken und Empfindungen. Das hat sie in ihrem Erfolgsbuch „Melancholia“ als „Wunderkind der österreichischen Literatur“ bereits ausgiebig betrieben, das praktizierte sie auch in ihren anderen (kurzen) Prosatexten und erst recht in ihren Gedichten. Ein Neben- und Durcheinander von Stimmungen, Eindrücken und Empfindungen ist auch das letzte, lange erwartete Buch mit dem einprägsamen Titel „Persona“. „Roman“ ist unter dem Titel zu lesen. Diese Gattungsbezeichnung wird Galvagnis gesammelten Stimmungen, Eindrücken und Empfindungen nicht ganz gerecht.

Dabei wirkt „Persona“ im Vergleich zu „Melancholia“ in sich geschlossener. Wer aber abgerundete Formen sucht in einem Roman, wer sich von einem Roman einander ergänzende und/oder in sich verwobene, kunstvoll konstruierte Handlungsstränge erwartet, wird enttäuscht sein. Natürlich passt auch in „Persona“ alles zusammen, natürlich sind die Vor- und Rückblenden stimmig, sind die einzelnen Episoden miteinander verbunden. Aber sie könnten genauso für sich alleine stehen. Galvagni hat literarische Miniaturen zu einem Buch vereint. Innerhalb dieser Miniaturen - und das macht die Autorin auch in ihren Lesungen - kann man fast nach Belieben hin und her springen.

Lori heißt die Protagonistin in „Persona“. „Kurz nach Abschluß der Schule hatte sie einen Nervenzusammenbruch erlitten. Einmal, aber das war, als sie ein kleines Mädchen war, hatte sie auch versucht, sich umzubringen, einsam war sie immer gewesen.“ Das ist Lori. Mit dieser Figur knüpft Galvagni nahtlos an die „Heldin“ in „Melancholia“ an. Gleich zu Beginn berichtet die Erzählerin/der Erzähler vom Besuch Loris bei einer Psychiaterin. Und zwei Seiten weiter ist zu lesen: „Manchmal dringt eine tote Seele in mein Herz, und ich versuche auszuführen, was sie mir befiehlt.“ Schwere Kost gleich zu Anfang von fast 200 Seiten. Typisch Galvagni, ist man geneigt zu sagen. Ihre Sprache ist immer noch dieselbe. Ihre Themen auch. Wieder dreht sich alles um das Kranksein. Wieder geht es um eine junge Frau (um ein Mädchen), die sich nicht zurechtfindet und auf ihrer Suche nach der Erfüllung im Kranksein endet. „Und ich weinte und sagte mir, dass ich für den Schmerz geboren sei.“ Am Ende der Geschichte befinden wir uns im psychiatrischen Krankenhaus Steinhof. „Geisterstadt“ nennt Lori das Krankenhaus.

Städte, Orte, Länder spielen in „Persona“ eine große Rolle. Jerusalem oder Haifa, Barcelona oder Athen, Indien oder das libysche Meer, aber auch eine Kirche und ein Fußballplatz sind Orte der Erinnerung. Lori hat diese Orte gesehen oder darüber gelesen. Sie verbindet damit Erfahrungen mit ihren Eltern, ihren Freundinnen oder ihren Liebhabern. Die Kirche verbindet sie mit Kindheitserinnerungen, auf dem Fußballplatz liebt sie den Bruder ihre Freundin Anne. Mit dem Lehrer, den sie Ulysses nennt, reist sie nach Israel. Dort hält sich immer wieder auch ihre Psychiaterin Eliza auf, die von Lori fast vergöttert wird. Eliza erzählt Lori über Indien, ein indisches Mädchen teilt mit Lori das Zimmer in Steinhof. Orte scheinen in diesem Werk die Bücher aus „Melancholia“ zu ersetzen. Von Büchern ist kaum die Rede. „Hören Sie auf mit den Büchern, Lori“, fordert Eliza. Die Autorin lässt sich von ihrer Figur bremsen.

„Persona“ erzählt nicht nur vom Leiden der Protagonistin. Selbstmorde und Selbstmordversuche gibt mehr als einen. Eliza, die einfühlsame Psychiaterin, eine Art Lichtfigur im Roman, war als Kind selbst schon in einer psychiatrischen Anstalt. Doch all dieses Leiden an der Welt wirkt gar nicht tragisch. Lori ist nur von den Orten ihrer Erinnerung fasziniert, sie ist es auch vom Treiben und den Menschen in Steinhof. Wie schon in „Melancholia“ wird Krankheit fast zu einem Ereignis, zu einem Zustand des Wohlfühlens.

Bettina Galvagni lässt immer wieder ihr Sprachgefühl erkennen. Zum Teil sehr poetisch erzählt sie die Geschichte von Lori. Aber die zahlreichen Metaphern und die vielen Farben („rot wie der Umschlag des Duden-Fremdwörterbuches“), welche dauernd auftauchen, sind dem Text nicht immer förderlich. Bisweilen stolpert man darüber. Die insgesamt feinfühlige Sprache bestärkt den Eindruck, dass Leiden und (Welt)Schmerz gar nicht so schlimm sein müssen. Alles wirkt so glatt und schön. Wie die schönen, geheimnisvollen Frauen, die Lori dauernd irgendwo entdeckt.

„Ansonsten war es leise.“ Der letzte Satz im Buch ist Programm. „Persona“ ist eine ganz leise Geschichte. Sie handelt von Lori und ist die Geschichte ihrer Sehnsucht, ihrem Leiden an sich und an der Welt und die Geschichte ihrer Reise zu sich und in die Welt. Die Reise scheint kein Ziel zu haben und kein Ende. „Persona“ ist auch die Geschichte einer Suche. Es ist zu hoffen, dass Bettina Galvagni sich ebenfalls auf die Suche macht und für ihre nächsten Arbeiten neue Themen findet.

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