Rezensionen von Eleonore De Felip

 

 

 
Sabine Gruber, Zu Ende gebaut ist nie. Gedichte.
Innsbruck: Haymon 2014

Mit Zu Ende gebaut ist nie − bei Haymon in einer bibliophilen Ausgabe erschienen – legt Sabine Gruber ein sehr persönliches Buch vor. In nur 14 Gedichten, auf wenig Raum also und mit sparsamen Mitteln, beleuchtet die Autorin Aspekte einer omnipräsenten Vergänglichkeit. Außenansichten und Innenschau werden kontrastiert; Blendung und Lüge einerseits, Ernüchterung und die Erfahrung von kalter Leere andererseits ziehen sich leitmotivisch durch die Gedichte. Vor allem aber ist es der hinter allen Masken lauernde (physische und seelische) Tod, in dessen Zeichen der Zyklus steht. Es ist der barocke Vanitas-Gedanke, der hier in einer aktuellen, gleichermaßen reduzierten wie reflektierten Form neu formuliert wird.
Gruber nähert sich ohne Berührungsangst schwierigen Emotionen, befragt und ergründet sie mit analytischem Blick. Der distanzierte Blick des lyrischen Ichs fällt ins eigene Innere, auf die eigene Sprache. Schonungslos direkt sind im Gedicht Geschenktes Leben, das den Zyklus eröffnet, die Fragen an sich selbst:

Ich schau in mich, wie in die Trommel.
Monotones Rotieren im Schongang.
Klopf mir ans Glas. Wieviel Farbe
Ist schon verloren? Geht die Wäsche
Ein? Tummeln sich die Fetzen? […]

Das Gedicht endet ohne wirkliche Antworten. Haben sich die Antworten erübrigt? Will das Ich dem Ich nicht antworten? Die Verse suggerieren die Existenz zweier divergierender Ichs: eines strengen, das mit bohrenden Fragen aufwartet, und eines anderen, das sich die Erlaubnis erteilt, die Antworten nicht zu formulieren, das sich selbst gewissermaßen so sein lässt, wie es ist, das sich den provisorischen Charakter seiner Existenz und seiner Wahrheiten zugesteht:

Am Ende darf ich wieder probe
Liegen. Hör ich die Pumpe,
Hör die Trommel fliegen.

Indem das Gedicht unergründliche Paradoxa gleichzeitig sein lässt, erfasst es einen Moment psychischer Realität.
Auch die folgenden Gedichte holen die Schattenseiten der Emotionen herauf an die sprachliche Oberfläche und belassen sie hier als integralen Bestandteil der Wirklichkeit. Diagnosis, so der programmatische Titel des zweiten Gedichts, erkennt die Wirklichkeit, noch ehe sie eintrifft: Auch jener Freund wird bald verschwinden … Das grammatische Futur bezeichnet das Verschwinden als noch nicht eingetroffen, während das Pronomen jener den Freund schon in weite Ferne rückt. Schon jetzt, im Präsens, erschaudert das lyrische Ich vor Kälte: Mir zittert das Gesicht im Frost.
Zu den schwierigen Emotionen gehören die Trauer über das Vergehen der Zeit, die Enttäuschung (Diagnosis, Falsche Freunde), das Gefühl von Vergeblichkeit (Zu Ende gebaut ist nie) und von Vermessenheit (Vermessen), die Erfahrung von Leere (Nichts), die Angst vor dem Tod (Es kommt der Tod), das Abgestoßensein vom oberflächlichen Treiben ringsum (Im Wirtshaus), das Entsetzen und die eigene Ohnmacht angesichts des politischen Geschehens (Brandenburg – Lampedusa), die Trauer über den Tod von (wirklichen) Freunden und den unwiederbringlichen Verlust der Kindheit (Vinschgau, immer noch).
In formaler Hinsicht ist der Zyklus der Ästhetik der Moderne verpflichtet, welche seit der Romantik in der sprachlichen Darstellung von Gefühlen diese eher dekonstruiert als emphatisch besingt. Wiewohl von Emotionen handelnd, ist Grubers Sprache von emotioneller Zurückhaltung geprägt. Sie vermeidet das Pathos und bevorzugt die „Brechung“ der großen Gefühle in einzelne Facetten. So wie der Blick des lyrischen Ichs nach innen geht, so sind auch die sprachlichen Bewegungen gewissermaßen nach innen gerichtet, ereignen sich in zurückgenommenen Gesten, die weder auf Berührung zielen noch auf aggressives Schockieren. Grubers lyrischer Ton hat den Klang einer ruhigen Reflexion. Er ist frei von allem Grellen, verzichtet auf allzu offenkundige Wohlklänge, aber auch auf irritierende Härten. Es gibt Konzessionen an die sprachliche Tradition (die Groß-und Kleinschreibung, die Großbuchstaben am Versbeginn), so wie es plötzliche Abweichungen von der Norm in der Zeichensetzung und in der Satzgrammatik gibt. Auffallend sind die vielen autoreferentiellen Momente, in denen das poetische Sprechen selbst thematisiert wird. Attestiert wird der eigenen Sprache die Kälte, eine verschwiegene Beredsamkeit, eine „Bewegtheit“, die nur am Rande zu spüren ist: Die Sprache schneit, unablässig schweigt sie / Neues hervor, wirbelt an den Rändern. Es ist eine Gedankenlyrik, die die großen, „ewigen“ Themen auf vierzehn Gedichte zu konzentrieren weiß, die sie weder tragisch erhöht noch ironisch bricht. Das emotionelle Substrat des Zyklus ist eine gebändigte Melancholie.
Der Band endet mit einem zärtlichen Gedicht. Vinschgau, immer noch ist Gabriel Grüner gewidmet. Grüner, ein gebürtiger Südtiroler, geboren in Mals im Vinschgau und – wie die Autorin selbst – am Etsch-Fluß aufgewachsen, wurde als Reporter für das Magazin Stern 1999 − einen Tag nach dem offiziellen Ende des Kosovo-Krieges − von einem fanatischen Albaner-Hasser ermordet. Im poetischen Raum der Erinnerung gehen der Schmerz um den verlorenen Freund, die Schönheit des Tals und das Bewusstsein eines allgegenwärtigen Verfließens ineinander über:

Dein Vater hatte mich einmal
Apfelbäurin genannt, obwohl wir
Nie einen Baum besaßen, nur
Wörter setzten, in Blei und frei.
Als wüßte er, der Förster, um die
Weitausladenden Gedanken,

Um die Wortstützen, die uns
Hielten, damit wir nicht zu Boden
Gingen. […]

Hier, im letzten Gedicht, werden die zentralen Motive enggeführt: der omnipräsente (zu frühe) Tod, die Erinnerungen, die Sprache: Unser Wortgut im Etsch-Fluß. Sabine Grubers lyrisches Ich ortet seine Sprache im fließenden Element. Die Wörter sind wie Treibgut, sind losgerissen aus den ursprünglichen Kontexten, abgebrochen, zerbrochen, sind schmuckloses Material, das ab-  und wieder auftaucht, von der Oberfläche der Erscheinungen in die Tiefe und wieder retour. Im fließenden Element der Poesie vereinen sie sich zu neuen Konstellationen. Grubers poetische Wörter haben den eigentümlichen Glanz  von im Wasser tanzendem Treibgut. Ich habe dich auf der Zunge. Dieser Vers beendet den Zyklus. Er hat den Geschmack von Liebe. 

 


  

 

 
Vera Vieider,
Gebettete Landschaft. Gedichte. Mit einem PVC-Schnitt von Josua Reichert.
Meran: Offizin S. 2013 (Lyrik aus der Offizin S., Heft 23)

Der 7. Jahrgang der bibliophilen Reihe Lyrik aus der Offizin S. steht im Zeichen der Elemente. Mit Gebettete Landschaft hat Vera Vieider dazu einen für eine 25-jährige Autorin ungewöhnlich stillen Gedichtzyklus beigetragen. Man wäre nicht überrascht gewesen, bei einer so jungen Autorin ikonoklastische Sprachgesten zu finden, flammende Sturm-und-Drang-Verse, die das zunehmende Verrücktspielen der Elemente widerspiegeln, darin die Zerstörungswut der Menschen anprangern und von der globalen Rebellion der Elemente handeln.

Vieiders Gedichte handeln nicht von Rebellion, sondern von Dialogen, sie sind nicht ikonoklastisch, sondern betrachtend. Mit großer sprachlicher Zurückhaltung deutet die Autorin die einzelnen Elemente in ihren spezifischen (minimalen) Erscheinungsformen an und setzt sie in Beziehung zum lyrischen Ich. Die Struktur der Gedichte spiegeln eine lyrische Haltung wider, die als kontemplativ bezeichnet werden kann: dort die Vögel, die Flamme, die Bäume, der Regen, hier die gedankliche und emotionelle Resonanz der Sprecherin. Fokussiert werden, inmitten der Fülle der Erscheinungen, einzelne Details, an denen fast psychische Kräfte erspürt werden:

auf nacktem Asphalt
spielt
das Licht der Gasse
heimisch den Ton

oder

gebettete Landschaft
dieses Rauschen
schafft Räume

oder

Wasser spült Wunden

Den Zyklus eröffnet ein in formaler und thematischer Hinsicht programmatisches Akrostichon, bei dem die Anfangsbuchstaben der Verse das Wort ELEMENTE ergeben. Die Akrostichon-Verse evozieren zunächst abwechselnd das Wasser, die Luft, die Erde; am Ende, an (versteckt) exponierter Stelle, steht dann das Feuer:

T   aumelnd am Feuer
E   ntnabelt der Morgen die Glut

Der zwölfteilige Zyklus selbst besticht durch formale Transparenz: je drei Gedichte sind den Elementen Luft, Feuer, Erde und Wasser gewidmet. An (versteckt) zentraler Stelle, buchstäblich in der Heftmitte, im Herzen des Bandes, steht das Feuer.

Zu den besonderen poetischen Qualitäten der Gedichte zählt die konstante Verflechtung des Motivs „Element“ mit dem Motiv „Sprache“. Die Weite des Himmels, der Atem der Flamme, die Kargheit der Landschaft, die Brandung des Meeres werden mit dem (poetischen) Sprechen verknüpft, wobei diese Verknüpfung auf sehr leise Weise geschieht. Überhaupt zeichnet sich Vieiders Sprache durch eine große Zartheit aus; nirgendwo trägt sie dick auf; sie drängt sich den Erscheinungen niemals auf, sondern erfasst deren Qualität gleichsam an ihren äußersten Rändern, an ihrem Schatten, an ihren Folgen. Vieiders Sprache belässt den Dingen ihr Geheimnis. Es sind Gedichte voller Zärtlichkeit (und ich sehe / deine rissigen Hände / die du abreibst / unerzählt) und Anteilnahme, die an den Erscheinungsformen der Elemente ihre Bedrohtheit wahrnehmen:

Mager / stehen die Bäume / im Stamm […]; In diese Landschaft / ist Kargheit gezogen […]; Die Dünen / stehen haltlos […]; ein Plätschern / ein Raunen / Spurenzerfall […]

An den bedrohten Elementen wird wie in einem Spiegel die Bedrohung des eigenen und fremden Sprechens erkannt:

mundtaub / das zerborstene Wort […]; es bahnt sich die Welle / es bricht sich mein Wort […]

Bedroht wird es durch Schweigen (in diese wortlosen Ebenen/ will ich Furchen ziehen / doch im Kerzenschein / hat das Schweigen / einen zweiten Sinn […]), durch inneren Rückzug (ich trete den Rückweg an […]). Am Leben erhalten wird es durch die Ahnung weiter Räume (Gedankenflüge / das offene Feld […]), durch die Nähe des Feuers (bin mir lichtnah / wie nie […]; rückst du näher / kriecht dir Wärme ins Herz […]). An buchstäblich zentraler Stelle, wo der Heftfaden die Blätter zusammenhält, offenbart das lyrische Ich seine eigene Bedrohtheit und zugleich seine Kraft:

mundtaub
das zerborstene Wort

es scheint mir
das stechende Rot
als wär es
mein innerster Ton

Auch der Bildkünstler Josua Reichert, der zu Vieiders Gedichten das Bild Metamorphose geschaffen hat, scheint von genau dieser Passage inspiriert worden zu sein. Sein Bild zeigt vor tief rotem Hintergrund ein Feuer oder einen brennenden Baum. Dieser steht auf einem balkenähnlichen Stück Boden, seine Flammen erreichen und sprengen ein balkenähnliches Stück Himmel. Reichert hat die „innerste Farbe“ der Sprache von Vera Vieider erfasst und ihre potentielle Sprengkraft zum Ausdruck gebracht.

Josua Reichert: Metamorphose. PVC-Schnitt, 2013   

Wir wünschen der Autorin, dass sie dem Roten, dem Stechenden aber auch Leuchtenden, und dem Glühenden in ihren zukünftigen Büchern weiten Raum gebe. Gebettete Landschaft ist eine verheißungsvolle Ankündigung: Am Horizont / rot durchzogen die Naht
  

 


  

  

 

Martin Fritz, intrinsische süßigkeit. Lyrik
Horn: Berger 2013 (Neue Lyrik aus Österreich ; Band 4) 

Der Band 4 der Reihe „Neue Lyrik aus Österreich“ präsentiert ein erstaunliches Debüt. Der mit „intrinsische süßigkeit“ betitelte Band des jungen Lyrikers Martin Fritz enthält höchst eigenwillige, gleichermaßen virtuose wie leichtfüßige Versgebilde, von denen nicht genau gesagt werden kann, ob sie Gedichte oder Gesänge oder ein Sprachrauschen sind. Poetisch sind sie allemal, formal stringent und klug gestaltet; singen tun sie auch, sprechend singen oder singend sprechen; und sie sind rauschend, d.h. berauscht von dem, was sie inszenieren. Sie sind Zeugnisse und Generatoren von Sprachrauschzuständen.

Martin Fritz‘ poetische Texte weben einen Klangteppich, sie evozieren eine primär aus Lauten und Klängen aufsteigende eigene Wirklichkeit. Sie präsentieren sich als weit offene Sinngebilde, in denen die Sätze grammatisch vielfach ins Leere laufen, einander durchkreuzen, sich pausenlos verschränken, über weite Strecken ohne Trennungszeichen, ohne hörbare Zäsuren. Aus „jungen“ Wörtern und „jungen“ schnellen Rhythmen formt sich ein atemloser Laut-Gesang. Wer das Glück hat, den Autor selbst lesen zu hören, wird vom stark performativen Charakter seiner Lesung mitgerissen. Fritz skandiert seine Verse,  er liest die Gedichte im Takt, durchgehend mit hoher Geschwindigkeit, und – wiewohl es keine wirklichen Melodien sind, die er singt – so ist es doch ein Sprechgesang mit deutlichem Rap-Charakter, den er den Hörerinnen und Hörern präsentiert. Die an Flowtechniken des Rap erinnernden lockeren Rhythmen, die hohe Musikalität der Sprache (die sich auch versteckter rap-ähnlicher Wiederholungen bedient) sowie der sprühende Witz machen Fritz‘ Lesungen zu  Wort-Pop-Konzerten der besonderen Art.

Das Sprachregister ist das einer jungen Szene (happy hour, mistaggte bookmarks, zappen, active beauty magazin), gekennzeichnet von einer überstarken Präsenz der Computersprache sowie Anleihen aus der Hip-Hop-Kultur, aber auch von Fragmenten einer Bildungssprache, wie sie eine junge, akademisch gebildete, polyglotte, global vernetzte Generation spricht. Das einleitende Gedicht „die tierbabies um uns sind unruhig“ präsentiert in schwindelerregender Schnelligkeit eine Unzahl sehr verschiedener Tierbabies (rotrückenspottdrosselbaby, goldbauchschnäpperbaby …), die sich voneinander jedoch gerade noch durch ihren Tierspeziesnamen unterscheiden (ihr „label“); viel eher sind sie gleich, einander gleich geworden durch „globale“ Requisiten (Einstiegsportale ins Internet) und „globale“ Tätigkeiten (im Internet) (aus klein gefalteten / zettelchen schreibt das kleine stiglitzbaby sachen dann ins internet hinein … das kleine kleiberbaby bloggt vielleicht auch eine daily graphic novel). In die virtuellen (intellektuellen) Tätigkeiten im Netz und ihre Parodien (die bewertung von / popkultur unter dem aspekt der subversivität sprich fehl genauer leistungsperspektivischem code) schieben sich ansatzweise noch Alltagsverrichtungen wie Grießschmarrn-Kochen und Alltagsgefühle wie der Ärger über Bullenschweine und  die Freude am Bier. Doch inmitten technischem Know-how und hochspezialisiertem Vokabular (inmitten einer leistungsfähigen Existenz also) überlebt die Angst vor der abschaffung der tierbabyarten, vor der endgültigen Nivellierung, vor der Niederlage im Leistungsgefecht.

Es ist nicht das Lebensgefühl eines Großstadt-Ghettos, das Fritz einfängt, sondern das einer gebildeten jungen Generation einer mittelgroßen vielleicht österreichischen Stadt (beyoncé, carly rae jepsen und rihanna zum frühstück / sternderlaufgabe neuer innsbrucker ernst / (n.i.e.) exzellenzcluster). Arbeit, Freundschaften, Liebesbeziehungen, Freizeitaktivitäten, geschäftliche und bürokratische Tätigkeiten … alles spielt sich vor dem Bildschirm ab.  Die in den Gedichten auftauchenden Stimmen gehören jungen, technisch versierten, digital kommunizierenden Menschen (darauf die katze wie viel gigabyte hat dein tag). Gesucht wird allerdings nach jemandem, mit dem – eventuell jenseits vom Internet −  noch gut zu sprechen wäre (über das was es selbst wirklich interessiert / kann sich das kleine stockentenbaby unterhalten sowieso mit niemand). Zwischen Hochleistungsdruck und virtuellen Kontakten aufgerieben, von Informationen chronisch überflutet (und ständig neue post doch niemals zeit zum selektieren da), cool und bedroht zugleich, zeugen die Stimmen vom widersprüchlichen Gefühl, erwachsen zu sein und sich doch wie ein (Tier-)Baby zu fühlen. Es ist indes die herausragende künstlerische Leistung des Autors, aus den „großen“ Themen (Identität, Zukunftsperspektiven, virtuelle Kommunikation, die sich fast anhört wie Liebe …) ein so leichtes und poppiges Stimmen-Netz zu weben, dass es klingt, als würde es eine intrinsische süßigkeit enthalten.

Im Gedicht „ketwurst“ wird mit zu vielen, zu schwierigen, weil zu speziellen Redensarten und Redeweisen gespielt. Die Ketwurst, so erklärt uns Wikipedia, sei ein typisches Produkt der DDR-Imbisskultur und habe der Abspeisung großer Menschenmengen gedient. Indem sich das Gedicht eines sehr gehobenen Sprachregisters und eines schnellen, coolen sounds zugleich bedient, parodiert es die hochtrabende „Abspeisung“ von Nicht-Experten durch Spezialisten-Reden. Die letztlich unverständlichen Wortfolgen (insichvollendsein als trennung des subjekts von der verbundenheit der welt … abstraktionsbegehren vs. irreduzibilität ist immer wieder gender feeling … dispersion empfiehlt der ideologe) inszenieren das arrogante, unnahbare Sprachgehabe, wie es in wissenschaftlichen Kreisen beobachtbar ist. Zitate aus der Internetsprache, aus dem wissenschaftlichen Diskurs sowie Kommunikationsfragmente bilden ein Patchwork-Gebilde, das man als over-chilled bezeichnen könnte. Und doch: aus dem zusammenhangslosen, die eigene Unverständlichkeit inszenierenden Wort- und Satzgestöber steigt ganz am Ende (halblaut) ein fast zärtlicher Satz auf.

Fritz‘ Gedichte spiegeln die den Einzelnen überwältigende global anwachsende Informationsflut. Die ineinander übergehenden und doch zusammenhanglosen Satz- und Sinnfragmente reflektieren das Stimmengestöber im Internet, von dem sich auszuschließen mittlerweile für den Einzelnen fast unmöglich geworden ist und das im Internet-User zu Gefühlen der Überforderung und letztlich der Vereinzelung führt. Wie kann man sich finden in einer Welt gleichzeitiger, doch gesichtsloser Stimmen? Treffsicher und formal raffiniert fängt der Autor in seinen Texten das Gefühl der Unverbindlichkeit und Uneigentlichkeit ein, das sich bei einer hochfrequenten Internet-Nutzung einstellt (wir sind recht eigentlich auch gar nicht da / das alles passiert nicht eigentlich). Das lyrische Wir spricht von einem Lebensgefühl der Nicht-Dazugehörigkeit und Entfremdung: „wir“ empfindet sich als kleinste, den neuen, fremden Systemen sich anpassende Größe: wir sind wie sehr kleine alte fische / die sich zu fremden schwärmen bei gefahr / dazuschleimen es immerhin versuchen

„Wir“, das sind keine identifizierbaren Redeinstanzen. „Wir“ ist die Stimme eines kollektiven Ichs. Die Tierbabies (überhaupt die vielen Tiere in den Gedichten) entziehen sich aller individuellen Zuschreibungen. Die Gedichte sind das Echo einer kollektiven (inneren) Rede. Wir – das sind tierbabies, moormaulwurf, analogkarpfen, digitalkatze, süßes kleines einhorn … : als lyrische Subjekte haftet ihnen etwas Unpersönliches an, auch Winziges und Harmloses, sie sind gewissermaßen austauschbar, süß und ungefährlich. Überflutet von fremden Stimmen ringen sie um ihre Identität und um Selbstbehauptung (wegen gestern geschlossen ist das / gefühl der verpflichtung anderen gegenüber / man selbst zu bleibenich kann hier nicht so sein wie ich es bin). Niemals lässt der Autor jedoch zu, dass die großen existentiellen Themen die Leichtigkeit des Gesamteindrucks erschlagen; sie kommen vielmehr ganz locker daher, klingen wie nebenbei gesagt; Schweres steht neben Leichtem, Ernstes neben Banalem, Kluges neben höchst Albernem. Die Verse fließen schnell dahin, das Ohr muss weit offen bleiben, um das Einzelne im Rauschen wahrzunehmen.

Es lohnt sich allemal, die Gedichte mehrmals durchzulesen, entweder langsam und sorgfältig oder aber (wie es der Autor tut) mit hoher Geschwindigkeit. Zu den gelungensten Strategien des Gedichtbands gehört nämlich die Raffinesse, mit welcher die Aufmerksamkeit der Leser/Innen vom Inhalt weg und hin zum Klang gelenkt wird. Die Gedichte laden dazu ein, den Fokus vom Satzinhalt zum Klangumriss zu verlagern, sich nicht auf den „Sinn“, sondern auf die Klangqualität zu konzentrieren. Die vielen variierenden Wiederholungen verleihen den Gedichten einen gewissen Mantra-Charakter. Sinn, Gegensinn oder wirres zeug werden zu einer reell wahrnehmbaren Klangmassage. Die Gedichte sind Wortwogen, die ans Ohr der HörerInnen branden; sie sind beides: poetischer Lärm und Stille in einem; sie sind laut und lautlos zugleich; sie sind ein Stimmengewirr, doch ohne Behauptungen und ohne Urteile. Sie inszenieren die tosende Brandung der Stimmen im Netz und branden selbst dagegen an und heben diese eigentlich auf.

Zu den Stärken des Bandes zählt mit Sicherheit die Virtuosität, mit der der Autor mit der Materialität der Wörter spielt, mit der er ihre klingende Oberfläche akzentuiert. Des Weiteren besticht der Band durch den Sprachwitz, durch die spielerische Leichtigkeit, mit der Sinn dekonstruiert wird. Fritz beherrscht die Kunst, seine Gedichte fast nichts sagen, sondern weit offen zu lassen; anstelle von Behauptungen und Sentenzen erleben wir ein Zuwider-Reden, ein Ins-Wort-Fallen, ein Ineinander- und Synchron-Reden. Die Gedichte enden so offen wie sie beginnen.

Fritz‘ Gedichte treffen den „sound“ derjenigen, die heute jung sind: der Meister der digitalen Kommunikation, der vernetzten Prosumenten, der gebildeten Akteure im Web 2.0. Sie spiegeln ihre vom Deutschen ins Englische und retour wechselnde Rede, die Pidgin-Varianten von beiden, in denen Song-Zitate zu Bedeutungsträgern werden. Vom poetischen Satz, sagt Anne Duden, dass er „unbeirrbar und ungreifbar“ sei, „das Schwellenwesen, ein Vorgang des Übertretens, Aus- und Überschreitens, Unterlaufens und Auffahrens“ (aus: „Lobreden auf den poetischen Satz“). Darin liegt auch die poetische Qualität der Gedichte von Martin Fritz (ebenso wie ihre formale Homogenität): dass sie die Stimmen der Gegenwart gegeneinander auffahren lassen, dass reelle und virtuelle Reden einander unterlaufen, dass die Schwellen von Sprach- und Wirklichkeitsdimensionen übertreten werden.

Auch der Titel bleibt offen, unterläuft eigentlich die Gedichte. Was immer auch die „intrinsische süßigkeit“  sein mag: sie versetzt das Lesen ins Schwingen, sie hält die Neugier aufrecht, sie enthält ein süßes, geheimnisvolles Versprechen, das sie bis zuletzt nicht lüftet, so wenig wie sie es bricht. 

 


 

   

 
Oswald Egger, Euer Lenz
Suhrkamp, 2013 

Oswald Eggers neues Buch „Euer Lenz“ ist, wie schon seine vorhergehenden Bücher, ein Buch zum Anschauen und zum Lesen. Die optische Gestaltung des Bandes ist sehr schön. Der vom Autor selbst gemeinsam mit Nina Knapitsch gestaltete Satz verwandelt die Seiten in harmonische, elegante Wort-Bild-Kompositionen. Die Wortfelder, die leeren Flächen und die feinen, filigranen Zeichnungen, die an Illustrationen in Lehrbüchern der Botanik, Zoologie und Geologie erinnern, sind Gestaltungselemente eines Buch-Gesamtkunstwerks, das nicht nur mit dem semantischen Aspekt der Sprache arbeitet, sondern auch mit ihrem materiell-visuellen und (im Idealfall) auch mit ihrem klanglichen Aspekt; d.h. „Euer Lenz“ sollte nicht nur gelesen und betrachtet, sondern auch vernommen werden. Eggers Sprache ist − laut vorgetragen − ein Klangerlebnis.

Das Frontispiz schmückt ein Stich nach einer Zeichnung aus dem „ABC-Buch für kleine und große Kinder“ aus dem Jahr 1847: ein Narr steht im Schulterstand, die gegrätschten Beine weit zum Himmel streckend. Es ist der Buchstabe Ypsilon. Der Narr im Schulterstand ist zum Laut-Zeichen geworden und schaut seiner eigenen Verwandlung zu. Das Frontispiz hat Programmcharakter: in den folgenden Kapiteln werden die Signifikanten oft auf dem Kopf stehen. Sie lösen sich von den festgefahrenen Signifikaten und weisen in ungewohnte Sinnrichtungen. Die Bedeutungen werden unentwegt gedreht. Eggers Signifikanten schauen sich selbst aus dem Schulterstand zu. Hoch oben zwischen ihren Füßen, im Abgrund des Sprach-Himmels, formen sich neue Signifikate. Sie erzählen vom Zeichencharakter der Signifikanten und dem der Welt.

Zu Beginn des Kapitels „Wie heiße ich noch einmal?“ steht ein Kulissenbild („Wald“) des spätbarocken Theatermalers Carlo Galli Bibiena, darunter die Anmerkung: „Einvierung der illusionistischen Erweiterung des Weltinnenraums“. Bild und „Untertitel“ sind ein metapoetischer Kommentar zu dem, was folgt: zu einem „Weltinnenraum“, der ein Ich-und Sprach-Innenraum ist, und zu dessen virtueller Erweiterung. Es folgt ein wörtliches Zitat aus Dantes Göttlicher Komödie („Dantes Panther“ − die Allegorie der Wollust); in Eggers Übertragung („Kommödie des Verstehens“) verwandelt sich die Pantherkatze (Unze) in eine Allegorie der poetischen Wollust; sie stellt sich dem erzählenden Ich (seinem Wunsch nach einem linearen Verständnis) als Närrin in den Weg („mit schellengleichen Ärmelchen am Fell“); sie zwingt es, auf seinem „Kunterweg“ „hundert Volten“ zu vollführen. Der Weg führt (wie bei Dante) durch alle Höllen und alle Himmel,  vor allem aber durch einen „Wald“ an inter- und intratextuellen Bezügen, an Fremd- und Eigenzitaten, an Anspielungen und Inversionen (Dante, Büchner, Lenz, Goethe, Eichendorff, Calderon/Grillparzer, „Ossian“ …). Alles verwandelt sich unaufhörlich: das erzählende Ich, die Welt, die Spiegelungen der Welt in Wort und Bild.  

Das Buch fordert dazu auf, in ihm zu blättern, die Leserichtung zu ändern, Varianten des Verstehens zu probieren. Es lädt dazu ein, bei der Struktur der Sprachzeichen und  Zeichnungen zu verweilen, aber auch über die einzelnen Sätze zu sinnieren: „Ich weiß nicht, ich bin verwandert in einem noch ganz anderen Land.“, heißt es (fettgedruckt) auf S. 9. Es folgt eine eingerückte Zeile in Kursivlettern: „Siehe, ich hab so schöne Spiele mit Drehungen der Hände gespielt.“ Da könnte man lange verweilen: beim biblisch anmutenden „siehe“, bei der Schönheit des Satzganzen, bei der figura etymologica „Spiele gespielt“, bei der Unvereinbarkeit von Aufforderung  und Ausführung (Wie kann man etwas sehen, das schon vergangen ist?), beim spielerischen Charakter dessen, was gesehen werden soll, bei der Schönheit des Spiels, das aus „Drehungen der Hände“ besteht. Der ins Surreale gedrehte Satz inszeniert das „Drehbare“ der Sprache, ihre Wendung ins Ungewöhnliche, das Abrücken vom Genormten mit den Stilmitteln eines scheinbar einfachen Sprachregisters. Das poetische Sprechen wird zum metapoetischen Sprechen. Eine dritte Stimme sagt: „Meine Scheune ist ein leerer Wald aus eingeremmten Bäumen.“  Unüberhörbar ist hier die Freude an surrealen, paradoxen Verbindungen. Dass die Scheune ein Wald ist, ist die erste Drehung gegen den „Sinnzeigersinn“; dass dieser entleert wird, die nächste; die „eingeremmten“ Bäume als Material und Grundlage des leeren Waldes bilden die Schlussvolte des Satzes. Der Satz ist eine schwindelerregende Folge aus Volten. Der Satz tanzt.

Das Proömium „Alineas“ hat das Äußere eines Prosa-Poems. Stimmen in drei verschiedenen typographischen „Tonlagen“ fügen sich zu Prosa-Terzinen. Manchmal fehlt die kursiv gehaltene Stimme, dann sprechen nur zwei Stimmen, die dritte schweigt. Lehnt sich das Proömium formal an die Terzinen der „Göttlichen Komödie“ an? „Euer Lenz“ ist auch dies: eine Verschmelzung von lyrischer Prosa und sprechenden Stimmen. Es ist ein Langgedicht, ein Prosastück und ein dramatischer Text in einem.

In einer einzigen „Terzine“ durchmisst das sprechende Ich den Himmel und die Hölle:

(S. 10) Ich ging Bienen besichtigen, und der Himmel troff Blitze.
                                        Die Mandelkrähe trägt schon wieder ihr schön gefärbtes Gefieder.
                               Ich taumle in Form des völligen Auseinanderbrechens eines Zauns.

Schönes und Schreckliches werden zusammengeführt: die Bienen (bei Egger oft Metaphern für die Dichter) und der blitzetriefende Himmel, ein wunderschöner, vom Aussterben bedrohter Vogel und das auseinanderbrechende Ich. (Ist es ein Aufbrechen oder ein Zusammenbrechen?)

Ein polyphones Ich erzählt von sich: von seiner Zartheit, seiner Einfalt und seinem Innenraum („Ich bin ein kleiner, verwachsener, blaß und sensibel aussehender Tropf, knöbbter, aber ein verwölbter, glatt ausgehöhlter Knoten.“, S. 15). Im Kapitel „Durch durchs Gebirg“ erzählt das Ich, Büchners Novelle zitierend und invertierend, von den erlittenen tödlichen Verletzungen („Den 20. wurde ich erschlagen aufgefunden. Ich lag, unter dem Hochjoch, am Waldhang in einer großen Blutlache, mit dem Gesicht nach unten.“ S. 103“). Man hat den Narren erschlagen, seine Verrücktheit war bedrohlich. Auf der gegenüberliegenden Seite aber steht: „Muß ich dran glauben, wenn man sagt, ich bin tot?“ Das totgesagte Ich spricht noch immer, Lenzens närrische Sprache ist nicht totzumachen. Seine Narrheit bringt ihm die Erfahrung der eigenen Ermordung und Zerstückelung ein, aber auch die eines einfältigen Glücks („Ich bin ein wie einer, der lange Bärte trägt, glücklicher Tropf.“, S. 107), einer außerordentlichen Hellhörigkeit, einer Begabung zur gesteigerten Wahrnehmung ( „Man durchbohrt mir die Ohren und ich hörte und verstand die Gespräche und Träume der Farne …“, S. 107). Das Ich erfährt sich als endlos scheltend („Am Beginn der Wuhnen und Trosse: ich schelte ohne Ende.“, S. 108),  als lachend („Ich lache nicht, weil ich lustig bin, sondern ich bin lustig, weil ich lache …“, S. 110), als scheu („Ein scheuer Barsch bin ich …“, S. 114), als geschunden ( „Man zieht mir, wie den Kälbern, Haut in Form eines Fellsackes ab.“, S. 120) und verzweifelt („Niedergeschmettert, zerknirscht, und in einzelne Bestandteile zerlegt, ich existiere gewissermaßen nur noch in der Annahme und dem Durchleben dieser von allen Seiten über mich hereinbrechenden Verzweiflung …“, S. 121). Das Ich ist Lenz, Linz und Lunz in einem, es zerfällt, es zerteilt sich, es lacht und weint.

Dem Lenz-Kapitel folgt das Goethe-Kapitel „Ich bin ein Goethe in meiner Geode“ und diesem das Kapitel „Lullidalfahabarabbers Brobding“ mit seinen Wortschelmereien, kinderreimähnlichen Lautgedichten und seinem Wortgebimmel („Witzchen, sag Witzchen, / viel oder ein Fitzchen? / Fitzchen sag bald, / Feld oder Wald?“, S. 154). Die Sätze und Buchstaben tanzen, schwirren und albern herum. Eggers Sprache ist ein einziger Klangzauber, eine Ohrenfreude, ein klingender Jux.

„Euer Lenz“ ist (um eine Wendung zu übernehmen, die das polyphone Ich verwendet) ein „Ich-Ich-Ich“-Buch. Tausend Ichs sprechen von sich. Zugleich ist „Euer Lenz“ ein ich-auflösender Text. Er sondiert alle emotionellen und geistigen Zustände des Ichs; das Ich wird seziert und zerstückelt; es erfährt keine Gnade. Das Buch liest sich wie eine lange Meditation. In der sprachlichen Umkreisung des Ichs öffnen sich dessen Grenzen, der Ich-„Zaun“ fällt auseinander. Ich und Universum werden als Einheit erfahren, spiegeln einander. Eggers Sprache erweitert die Lexikonsprache um die ihr inhärenten Möglichkeiten. Wie ein „Wurm“ durchwühlt sie das „Erdreich“, die Sprach-Materie, durchlüftet, lockert sie und baut neues Material auf.  Eggers poetische Sprache schafft Wortträume („Ossianiden“), Kopfgeburten, gewaltige Sprachschlachten (Verteidigungen und Eroberungen von ganzen Sprachreichen) in einer ästhetisch vollendeten Form. 

 


 

  

 
C. W. Bauer
, getaktet in herzstärkender fremde
Innsbruck-Wien: Haymon, 2012 

C. W. Bauer hat seinen jüngsten, bei Haymon in einer bibliophilen Ausgabe erschienenen Gedichtzyklus José Oliver gewidmet, dem Dichterkollegen aus dem Schwarzwald. Die 14 Gedichte sind eine freundliche Reverenz vor Olivers multiplen Sprachwelten, vor der Gleichzeitigkeit seiner deutsch-alemannisch-andalusischen Sprach-„Heimaten“; zugleich sind sie eine Hommage auf Olivers Heimatstadt Hausach, auf ihre Polyphonie, auf die (Rede-)Vielfalt der gesamten Region.

„Getaktet in herzstärkender fremde“  ist ein poetisches Reisebuch, der reflektierende Bericht eines „Wellenempfängers“; es handelt vom polyglotten Stimmengeflecht in den Straßen Hausachs, von der sprachlichen Vieldimensionalität einer Landschaft, vom humanen und poetischen Mehrwert einer Region, der sich aus der Synchronizität von Mundart, Standardsprache und fremden Sprachen, von aktuellen und historischen Dimensionen ergibt.

Das lyrische Ich nimmt die Landschaft als Textur wahr. Es folgt dem Fluss Kinzig sowie den in der Luft liegenden Klangspuren. Das Fahren im Zug, das Gehen durch die Straßen der Stadt werden zu Auslösern poetischer Reflexionen, das Reisen selbst wird zum kommunikativen, dynamischen Prozess, der als Sprechakt auf die „einfallenden“ Stimmen reagiert und seinerseits zur Gegenrede auffordert.

So präsentiert sich denn der Zyklus als ein Geflecht aus Einfällen, Zitaten, intertextuellen und historischen Bezügen;  Ortsnamen (hornberg triberg st. Georgen) fallen ein; die Namen lokaler Größen möchten dechiffriert werden (nichts weiß ich von gerwig); schweres sonntagsgeläut in der Luft holt die ferne Kindheit herbei (zur wandlung ist der schwarzwald / gebetslang mein kindheitstirol); die alemannisch-multikulturelle Fastnacht löst Staunen aus und lässt an andersklingende Parolen zu Hause denken. Alemannisch Deutsch Latein – die Verse werden polyglott und gutverständlich. Der Schwarzwald weckt im lyrischen Ich Assoziationen zu Diana und Actaeon; diese wiederum wecken (auf der Rezipientenseite) Erinnerungen an Ovid, aber auch an Thomas Klings „Actaeon“-Zyklus und seine „Erprobung herzstärkender Mittel“. Bauers Gedichtzyklus respondiert auf viele poetische Stimmen, die kunstvolle Dichte.

der intertextuellen Bezüge gehört zum Charakteristikum Bauerscher Texte. Von José Oliver springen die Gedanken zu Martial, dem römischen Dichter mit den spanischen Wurzeln: So wie dessen Geburtsstadt in späteren Zeiten eine maurische Festung wurde, könnten doch auch unter der Burg Husen, dem Wahrzeichen der Stadt Hausach, maurische Fundamente liegen. Die Logik der Einfälle ähnelt der Logik der Schwarzwälder Fastnacht, führt sich närrisch auf, integrierend, nach inneren Rhythmen getaktet.

Die Verse spiegeln die bereiste Landschaft wider; sie zeichnen sie als Klangfeld teils konvergierender, teils konkurrierender Stimmen; sie würdigen vor allem den epistemologischen Wert einer polyphonen, hochkomplex gewordenen Welt. Sie zeichnen ein herzerwärmendes Bild der Stadt Hausach im Schwarzwald, ihrer weltoffenen Provinzialität, ihrer Qualität als provincia universalis, die ihren mehrstimmigen Bewohnern ein Zuhause geworden ist (über fünfzig nationalitäten seien hier / zuhause höre ich sagen / aneinander gewachsen in jahrzehnten);  im Spiegelbild seiner Stadt entsteht das Porträt des Hausacher Dichters Josè Oliver, eines heimatverbundenen Weltenbummlers, der zum (geheimen) Wahrzeichen dieser Stadt geworden ist.

Bauers jüngstes Gedichtbuch setzt die Reihe seiner zyklischen Kompositionen fort; er bestätigt die in der deutschsprachigen Lyrikproduktion seit den 90er Jahren zu beobachtende Tendenz zu zyklischen Konstellationen, die die poetische Sprache selbst, die Möglichkeiten poetischen Sprechens reflektieren. Auch Bauers lyrisches Ich fragt nach der „Heimat“ des poetischen Worts und findet sie in der Mehrzahl (heimat / will nicht länger verseuchtes wort sein / und ist nur in der mehrzahl denkbar), in einer „herzstärkenden“, weil polyphonen Fremde. Die Lektüre ist anspruchsvoll und leicht zugleich: anspruchsvoll ist sie, wenn man den vielen Anspielungen und Wissensspuren folgen möchte und in die eigenen Wissenslücken tappt; leicht ist sie, weil die Gedichte immer die Leichtigkeit eines freundlichen Lobs beibehalten. Sie sind Bauers poetisches Trinklied auf eine Stadt und auf einen Dichterfreund, auf den compan͂ero de viaje josé oliver

 


     

 

 
Sepp Mall, Auferstehung der Tiere.
13 Gedichte. Mit einem Holzschnitt von Abu Shek 
Meran: Offizin S., 2012 (Lyrikreihe)

Der sechste Jahrgang der bibliophilen Reihe Lyrik aus der Offizin S.  von Siegfried Höllrigl ist dem Thema "Tiere" gewidmet; eine der drei Ausgaben enthält Sepp Malls jüngsten Gedichtzyklus „Auferstehung der Tiere“ und einen Holzschnitt von Abi Shek.

Höllrigls handgesetzter und handgedruckter Band besticht durch die außerordentliche Sorgfalt der Ausführung und die Eleganz des Gesamteindrucks: jedes Detail – von der Stimmigkeit von Wort und Bild bis hin zur Wahl der Lettern und des Papiers – zeugt von einer großen Liebe zum Buch als Gesamtkunstwerk. Der schmale Band – in feines, weißes Papier gewickelt, in eine Schutzhülle geschoben – muss behutsam ausgepackt werden, um gelesen zu werden, genauso wie Abi Sheks Holzschnitt, der  im Schutzblatt, in das er gelegt ist, erst entdeckt werden muss, um betrachtet zu werden. Wer diese Ausgabe in Händen hält, verspürt den Impuls, langsam zu werden, achtsam jedes Detail zu erkunden, die Freude zu genießen, etwas Erlesenes zu berühren. Den einzelnen Gedichten ist viel Raum gegeben: auf den großen, weißen Seiten stehen die schwarzen Lettern da wie Bilder in einem weiten Rahmen. Dies gibt den Texten etwas Atmendes, eine große Ruhe. Die Eleganz dieser Ausgabe hat mit Weite und mit Ruhe zu tun.

Auch Abi Sheks Holzschnitt ist ruhig und klar: er zeigt einen Vogel mit einem Zweig im Schnabel, eine Friedenstaube mit überlangen Menschenbeinen oder einen Menschen mit Vogelkopf und langem schwarzen Frack, ein Rabenwesen, frei schwebend vor weißem Hintergrund. Das Vogelwesen fliegt nicht, der Flügel liegt am Körper an, es ist ein schwebender und stehender Vogelmensch zugleich, es ist sein Schatten, sein Traum, vielleicht seine Seele. Abi Sheks Vogelmensch lädt ein zu verweilen.

Dies tun auch Malls 13 Gedichte. So wie Abi Sheks Vogelwesen die Tier- und Menschenseite vereint, so ist auch Malls „Tierzyklus“ in hohem Maße ein „Menschenzyklus“. Die Gedichte handeln von Erinnerungen, von Emotionen, vom Sterben, vom Töten und von der Hoffnung auf das, was man „Auferstehung“ nennt. Wo Tiere auftauchen, geben sie dem Augenblick existentielles Gewicht: das den Zyklus eröffnende Gedicht „Auferstehung der Tiere“ evoziert ein frühes Trauma: das Schlachten der Tiere, das Lachen der Väter, die Verstörung: wir legtn unsere Wangen an flauschiges Fell (Hasenherz spürst du das Pulsen) und trockneten die Tränen : auf Kissen / blütenweiß; „Aufzählung III“ zeichnet im Bild des Großvaters einen Menschen von großer Kraft und Ruhe: Lodenjoppe Hut Und mit zwei Pferden / am Halfter … Aber kein Rossebändiger sieht dich an (mit verwildertem Blick) : ein Begleiter nur / der den Weg kennt; „Auferstehung“ spricht vom Töten, von der Vergänglichkeit und vom Anschreiben gegen beides:

 
1.
Aber was wissen wir schon
von ihrer Angst / vom Entsetzen
das sie befällt
 : an den Rampen

2.
Weiter obn wird die Schrift
gelöscht / ein sanftes Wischen nur
das bisschen Kreidestaub
das auf die Schuhe fällt

3.
Schreib nicht vom Tod
das / verkauft sich nicht
sag einfach : meine Stücke
handeln vom Lebn
  

Malls jüngster Zyklus kreist um das Sterben der Menschen und der Tiere, ums Umkommen „wie ein Tier“ [„Vor Lampedusa (les animaux ne s’ enterre pas)], um Abschiede („Schläft ein Lied“) und um die Hoffnung auf einen Neubeginn („Aufzählung I“). Die Gedichte sprechen die mitfühlende Seite im Menschen an, während sie gleichzeitig die unbarmherzige Realität der Welt hereinholen, der diese mitfühlende Seite ständig ausgesetzt ist. Sie spiegeln harte Wahrheiten wider und erinnern zugleich an das menschliche Bedürfnis nach Hoffnung und emotioneller Verbundenheit. Malls Sprache will nicht verschlüsselt sein, sondern wesentlich, sie bevorzugt karge, zurückgenommene Wörter. Der weite Raum der Stille ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Gedichte, er umgibt jedes Bild, er ist der Grund, aus dem die Gedichte aufzutauchen scheinen und wohin sie wieder zurückkehren. 

 


    

 

 
Reihe „Podium Porträt“ Nr. 64: Boško Tomašević

Der Band 64 der Reihe „Podium Porträt“ ist eine Hommage auf den serbokroatisch schreibenden Dichter Boško Tomašević und seinen Übersetzer Helmut Weinberger. Er enthält eine Auswahl an Gedichten aus den Bänden „Allerneueste Vergeblichkeit“ (2011), „Celan trifft H. und C. in Todtnauberg“ (2005) und „Früchte der Heimsuchung“ (2005). Walter Methlagl hat ein langes Vorwort dazu geschrieben - eine empathische und zugleich differenzierte Analyse des Gesamtwerks, zugleich eine Würdigung der kongenialen deutschen Übersetzung. Das Vorwort ist Lesehilfe, Interpretation und Mahnung zugleich, es verteidigt die Komplexität der in den Versen ausgedrückten Gedankenwelt gegenüber einer einseitig nihilistischen Lesart.

Methlagl kennt Tomaševićs gesamtes lyrisches Oeuvre, sein Blick ist umfassend und präzise zugleich, er erkennt Konstanten und Veränderungen, er nennt die Merkmale dieser „erschreckend schönen“ Lyrik, ihre Vorliebe für Sprachspiele und Überarbeitungen, für metaphysische Reflexionen und intertextuelle Bezüge.

Tatsächlich sind es die insistierenden Permutationen, die den eigentümlich intensiven Ton dieser Lyrik ausmachen:

 

Zu einer uralten Winterstille


Zu einer uralten Winterstille
wird die Zeit fallen
mit dem Schnee.

Wird uns bedecken.

Es wird sein die Zeit einer alten Stille
des Schnees unserer Stille
bedeckt
mit uns von oben.

Zu einer uralten Winterstille
wird die Zeit einer alten Stille sein
nicht zu früh
nicht zu spät
und gerade das ist es
was niemals kommen wird
sondern es wird sein
solange es sich nähert
Stunden Tage Wochen
Jahre
dieser Moment
die Zeit einer uralten Winterstille
einer Winternacht
dieser
jener Stille
unserer Stille
einer uralten Winterstille
gleich
dem Tod.

(aus: Früchte der Heimsuchung)

 

Ein poetisches Bild wird in seine Segmente zerlegt, wird gedreht, wieder und wieder gewendet, die kreisende Bewegung wirkt wie ein poetischer Sog, es ist, als ob der Leser dem prozessualen Schreiben zuschaute, das den Text im Werden verändert und offenhält. Lyrik, die sich an solchen Schreibverfahren orientiert, verlangt Leser, die bereit sind, sich den lyrischen Texturen zu stellen wie Geflechten aus sich verändernden Sinnspuren und sich auf distanzierte und zugleich neugierige Weise in Gedichte zu vertiefen. Tomaševićs Gedichte sind komplexe Sprachgebilde, bedeutungsoffene Kunstwerke, die ihren Sinn im Dialog zwischen Text und Rezipient immer neu entfalten.

Die Intensität der Verse nimmt die Farben der Realität an, auf die das lyrische Ich emotionell intensiv reagiert. Die Negativität ist keine Destruktivität, sondern die eine Seite dieser starken Empfänglichkeit. Die andere Seite ist die in vielen Gedichten ausgedrückte tiefe Verbundenheit mit Dichterkollegen (René Char, Rückkehr zu Joyce), die starke Anteilnahme z.B. am Schicksal Walter Benjamins (Port Bou, 27. September 1940), das verzweifelte Ringen um den Glauben. Die zornigen Gedichte schließlich offenbaren die leidenschaftliche Ablehnung von Gewalt, Heuchelei und Eitelkeit; die Verzweiflung, der Zorn und die leidenschaftliche Anteilnahme sind Register ein- und derselben leidenschaftlichen Antwort auf diese Welt. 

 


     

 

 
Sepp Mall, Berliner Zimmer

Innsbruck-Wien: Haymon, 2012

Nach dem Tod seines Vaters trifft Johannes die Erkenntnis, wie fremd sie einander ein Leben lang waren. Sein Vater hatte eine Mauer des Schweigens um große Bereiche seines Innenlebens gezogen und niemanden hineinschauen lassen. Nun, da der Tod das Frageverbot aufgehoben hat, folgt Johannes seiner Intuition, dass über den Tod hinaus die Beziehung zu seinem Vater gehalten und geheilt werden könne. Er macht sich auf die Suche nach dem Schlüssel zur inneren Wahrheit des Vaters und findet ihn in Berlin, wo sein Vater in den letzten Kriegsmonaten für die Wehrmacht gekämpft hatte. Hier, im brennenden Berlin, war es zu einer Liebesbegegnung zwischen dem sehr jungen Südtiroler Soldaten und einem Mädchen, Klara Hubmann, gekommen. All die vielen Jahre nach dem Krieg hatte Klara, im ostdeutsch gewordenen Teil Berlins, nie aufgehört, auf Erwin Stockner zu warten. Doch dieser war nie mehr wiedergekommen.

Johannes findet in Berlin Klara. Auf einer narrativen Ebene, die surreale und reale Elemente kombiniert, holt der Sohn für den Vater das Versäumte nach. Er führt ihn zu Klara zurück, er  gibt ihr den Langerwarteten wieder, er erlöst alle vom Schweigen, er gibt seinem Vater einen zweiten, besseren Tod, diesmal mit Klara bei sich. Und er erlebt selbst mit der mitfühlenden Frau seines Bruders eine Liebesnacht in einem Berliner Zimmer.

Sepp Malls neuer Roman handelt zum einen von der Möglichkeit, Versäumtes nachzuholen, davon, wie das Gewicht eines Versäumnisses eine ganze Familie belastet, wie einer der Söhne den Schatten des Vaters wahrnimmt und ihn mit seinen eigenen Mitteln (die in hohem Maße poetische sind) ins Leben integriert. Er handelt zum anderen von der unaussprechlichen Scham eines Menschen, der in seinem Leben nicht die Kraft hatte, den Tatsachen ihr wahres Gewicht zuzugestehen, vom Unvermögen eines Vaters, die eigene innere Wahrheit zu erkennen. Er handelt schließlich aber auch von der Macht des inneren Gesprächs. Klaras lebenslanger Dialog mit Erwin überwindet dessen reale Abwesenheit, politische Mauern und selbst den Tod. Dieser Dialog ist der stärkste im ganzen Roman, seine absolute Kraft ist ergreifend. Aber auch das innere, klärende Gespräch des Protagonisten mit seinem Vater gestaltet der Autor auf beeindruckende Weise. Und nicht zuletzt wird es der zarte, sich in minimalen Andeutungen anbahnende Dialog zwischen Johannes und Angelina sein, der eine gute Wende ahnen lässt.

Auf die Frage, was denn wahr sei und was fiktiv, gibt der Roman eine differenzierte Antwort: wahr sind unsere Beschreibungen von der Welt, unsere inneren Landkarten, nicht das, was gemeinhin als objektiv gilt. Johannes ist bereit, seine innere Landkarte zu weiten, neue Dimensionen zuzulassen, die bis zum Tod des Vaters nicht möglich schienen. Was als Liebesdienst für seinen Vater beginnt, entpuppt sich als Heilungsprozess in eigener Sache. Wo vorher im System Starre war, beginnt sich etwas zu bewegen. Was Johannes denkt, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Realität seiner Umgebung. Mall zeichnet eine innere Landschaft, in der ein Wiedertreffen möglich ist; ihre emotionelle Intensität - dies suggeriert uns der Roman - entspricht der inneren Wahrheit, die der Vater nicht zugelassen hat. Was als Fiktion beginnt, entwickelt sich als die eigentliche Realität, die den Wahrheiten von Vater und Klara, von Johannes und Angelina gerecht wird. Johannes wagt es, der verborgenen Landkarte des Vaters zu folgen, ihr ihre Berechtigung zurückzugeben, ihren unbegangenen Wegen zu folgen, sie begehbar zu machen, die verbotene Landkarte in die erlaubte zu integrieren. Vater wird ein zweites Mal begraben, diesmal auf einer emotionell stimmigen Ebene. Mit ruhigen, unspektakulären Erzählgesten entwirft Mall ein Szenario, dessen spektakuläre Ambiguität die Beteiligten zunehmend akzeptieren. Sicher und behutsam führt der Autor die Figuren auf die zweite Ebene der Realität. Der Roman löst die Darstellungsproblematik der multiplen Entwürfe von Wirklichkeit mit den Mitteln des realistischen Erzählens. Er zeigt, dass nicht nur der eine Text- und Wirklichkeitspol, sondern auch der andere (nur) eine Variable ist. Gleichberechtigt zur „objektiven“ Wahrheit erzählt der Text die dem Geschehen inhärente Wahrheit.

Eine besondere Stärke der Erzählung liegt darin, dass Geschlechterklischees vermieden werden: Zwar sind es vor allem die weiblichen Figuren (Klara Hubmann, Alma, Angelina, Irina), die in guter Verbindung zu ihrer liebevollen, großzügigen, empathischen Seite stehen, doch gibt es auch Johannes‘ Mutter, die ihre Emotionen abgespalten hat, zu ihrer Umgebung keinen emotionellen Zugang mehr findet und unaufhaltsam auf die Demenz zutreibt. Im Gegenzug zu den veräußerlichten Lebensentwürfen des Vaters und des Bruders Gregor zeichnet den männlichen Protagonisten Johannes hingegen ein hohes Maß an Sensibilität und emotioneller Integrationskraft aus (In den zwei sehr unterschiedlichen Brüdern greift Mall ein Motiv seiner frühen Erzählung „Brüder“ wieder auf).

Das poetische Sprachregister des Erzählers Sepp Mall ist ein anderes als das des Lyrikers. Seine gelassene, manchmal karge, immer präzise Sprache bietet der Geschichte einer langsamen Heilung den nötigen, weiten Erzählraum. (In der Darstellung der zweiten Berliner Liebesnacht allerdings, in der sich Johannes und Angelina finden, vermisst man ein wenig die poetische Verhaltenheit des Lyrikers; die Dinge eins zu eins zu sagen, ist gerade in literarischen Liebesbelangen manchmal zu viel.)  Mit sicherer Hand verknüpft der Autor Bilder leitmotivisch zu einem tragenden Netz. Eines davon ist das verrücktspielende Wetter: zu Beginn ein sintflutartiger Regen, in der Mitte ein unerhört heißer Berliner Sommer, am Ende Schnee im August. Die ans Surreale grenzenden Wetterlagen spiegeln die Mehrdeutigkeit der erzählten Wirklichkeit. Ihre Schilderungen gehören zu den suggestivsten Passagen des Romans, sie markieren die Übergänge zwischen Wachzustand und Traum, sie definieren die von uns wahrgenommene Realität als etwas in hohem Maße Durchlässiges, durch das komplexere Wahrheiten durchsickern, sie kennzeichnen den Text als offenes Kunstwerk. Zu den Schönheiten der Mallschen Poetik gehört ihr einladender Gestus: auch dort, wo sich der Text sehr öffnet (und wo er sich partiell verschließt), verweigert er sich nicht dem Leser, sondern bietet Brücken hin zu einem umfassenderen Verständnis von Wirklichkeit.

Der Schnee, ein auch in der Lyrik Sepp Malls wiederkehrendes Motiv, begleitet Johannes auf seinem Weg zu sich selbst, er signalisiert seine Verbindung zu den Tiefenarealen seiner Existenz. Im März, als die letzten Schneeflecken auf der Passhöhe zerrinnen, ereilt Johannes die Nachricht von Vaters Tod; „Schnee“ sagt der vom Fieber geschüttelte Vater auf seinem zweiten, Berliner Sterbebett; am Ende des Romans - es ist Ende August – schneit es. Inmitten der plötzlichen Kälte, doch geborgen an einem gemeinsamen Tisch, finden sich Johannes und Angelina in einem behutsamen Gespräch voller Aussparungen, ihre Hand auf der seinen, während draußen im Schnee Gregor in den Fangnetzen seines Daseins hängen bleibt.

Doch das eigentliche Herz des Romans bleibt das Berliner Zimmer. Es wird zum Kristallisationspunkt für alle wesentlichen Themen. Es ist der Knotenpunkt, durch den alle Stränge laufen. Es ist der Ausgangspunkt und das Ziel der Erzählung. Es ist der Wendepunkt im Leben des Vaters: nach ihm zerfällt seine innere Ganzheit in einen gelebten und in einen verdrängten Teil. Die Begegnung im Berliner Zimmer berührt Klara mit elementarer Kraft und treibt sie in eine lebenslange unerfüllte Liebe. Die im Berliner Zimmer erfahrene und verratene Liebe wird für Erwin Stockner zum Schatten, der seine ganze Familie belasten wird. In einem Berliner Zimmer wird Johannes auf die Liebe der Klara Hubmann endlich antworten und die vom Vater verursachte Wunde heilen. In einem Berliner Krankenhauszimmer wird dem Vater die liebevolle Sterbebegleitung zuteil, die er in Südtirol nicht bekam. Von einem Berliner Zimmer aus telefoniert Johannes mit seiner Tochter Alma; es ist ein langes Gespräch, während dessen seine Gedanken oft abschweifen, in dessen Tiefenstruktur sich jedoch die innige Beziehung zwischen Vater und Tochter offenbart (Diese Passage ist von hoher Poetizität; mit leichter Hand verknüpft der Autor Almas Erzählung von Orpheus und Eurydike mit der von Klara und Erwin; er öffnet die Oberflächenstruktur des Dialogs zwischen Vater und Tochter für die multiplen Tiefenschichten des Gemeinten; er kontaminiert den antiken Mythos mit der Berliner Gegenwart; er vertauscht die antiken Rollen; er mutiert Klara mit berührender Raffinesse zu einem jung-alten Mädchen in Himation und Hütchen und lässt eine Wiederbegegnung zwischen der Lebenden und dem Toten, mehrfach fiktional gebrochen auf den Monitoren eines S-Bahnhofs, tatsächlich glücken). In einem Berliner Zimmer schließlich wird Johannes die Chance geboten, den Teufelskreis aus vererbter Schuld und Wiederholung zu durchbrechen: Obwohl sein Zusammenkommen mit Angelina fast wortlos bleibt, ereignet es sich wie etwas Selbstverständliches und emotionell Notwendiges. Es wird an Johannes liegen, die Zeichen zu sehen. Es sind Szenen von großer emotioneller Intensität, die berühren und beeindrucken. Ihnen das existentielle Gewicht zu geben, das ihnen zukommt, ohne die deutende Vorsicht je aufzugeben, ist Sepp Malls besondere Sprachleistung.

 


    

  


Regina Hilber, im schwarz blühen die schönsten farben
Horn: Edition Thurnhof, 2010

Mit im schwarz blühen die schönsten farben präsentiert Regina Hilber ihren zweiten Lyrikband.
Der aus 12 Gedichten bestehende Zyklus prekmurje bildet das Herzstück des Bandes. Aus poetischen Impressionen, die alles Laute meiden, steigen Bilder einer Reise durch Slowenien auf. Es muss eine Landschaft von großer Schönheit sein, die dem lyrischen Ich durch die Augen ins Herz fällt. Sie trägt Züge einer inneren Landschaft, sie führt das reisende Ich zu Orten, wo unartikulierte Wünsche sich erfüllen (ich bin dein minutenglück flüster/ ptuj und ich/ bleibe noch …), wo sich die Worte finden lassen (ich bin dein wortinstrument insistiert/ moravske toplice und ich/ gehorche …), wo Sehnsüchte sich regen (ich bin deine fallgrube warnt/ ižakovsci und ich schreite mühelos hinein …). In welche Fallgrube schreitet man mühelos hinein, trotz Warnung? Ižakovsci, so erfahren wir beim Nachschlagen, ist eine der letzten malerischen Schiffsmühlen auf der Mur, vertäut an der „Liebesinsel“. Kontrapunktisch entspinnt sich ein innerer Dialog zwischen den sprechenden Orten einerseits, die das lyrische Ich trösten, ihm Rückhalt geben, ihm Zuflucht bieten (ich bin dein rückhalt säuselt ljubljana … ich bin dein untergang triumphiert/ kostanjevica und fingerkuppen kerzen brennen …), und Bildern andererseits, die Angst, Dunkelheit, Schmerz evozieren (kommt ein winter von osten oder/ fehlt da durchsetzungsvermögen/ kommt ein gestern/ kommt nachtverkehr/ kommen tränen/ nie …). Und immer wieder taucht das beängstigende Wort metastasen auf (minuten metastasen krokodile monumente/ lippen lüften auf ein ungestümes hol mich heim/ sei bei mir …). Doch nichts wird klar ausgesagt: welcher Art sind die Metastasen, wandern sie durch das Ich, durch die Landschaft, durch die Gedanken? Sind die verrinnenden Minuten die großen Metastasen, fressen sie sich wie Krokodile durch das Leben, durch die Landschaft? Sind sie tödlich oder hinterlassen sie nur Spuren, sind sie Monumente, sind sie Hinweise auf einen Ausgang? Regina Hilber arbeitet mit schönen, zarten Evokationen, sie knüpft ein Netz aus Bildfragmenten, sie betont die Leerstellen im Netz, sie lässt die Lesenden auf ihrer Suche nach Zusammenhängen und Verständnishilfen oft allein. Die Hilfen, die sie bietet, liegen im Atmosphärischen: es sind keine schwarzen Löcher, die sich auftun, es ist durchaus eine Stimmung lyrischer Geborgenheit und eines sehr verhaltenen, melancholischen Trosts, die den Zyklus bestimmt und die Lesenden trägt. Am Ende der Reise findet das lyrische Ich zu sich, wird sich selbst zum Apfelbaum, zum Haus (in der mitte bin ich ein apfelbaum … ich bin in mir ein gegenstand/ ein haus …). Es klingt wie eine Antwort.

Unter den prekmurje umrahmenden Gedichten fallen zwei auf: potapowo am jenissei (das den nördlichsten Ort sowjetrussischer Verbannungen anspricht, wohin, neben unzähligen anderen unschuldig Verbannten, 1941 auch die Wolga-Deutschen abtransportiert wurden) und nersut. In beiden Gedichten verdichtet sich am intensivsten die sprachliche Originalität der Autorin. Mit plötzlicher Kraft entfaltet sich die subversive Energie der Wörter, die Zurückhaltung wird aufgegeben, eindringlich und explosiv wird die Sprachoberfläche gesprengt, neu zusammengefügt, „Richtiges“ verlassen, Neues, Unstimmiges, Absurdes gewagt. Das Ergebnis sind Verse, die die eisige Absurdität von potapowo und die geheimnisvolle Schönheit von nersut vorbehaltloser und unmittelbarer konkretisieren als sprachlich gezähmte Verse es könnten.

Insgesamt steht der Band im Zeichen der Stille, der Ahnungen, unausgesprochener, halb angedeuteter Empfindungen. Hilbers poetische Sprache verfügt über hochdifferenzierte Register, um die Stille des Himmels und der Wörter, das Flüstern der Städte, das Tönen der  Landschaft einzufangen (rückhaltlos/ stille im haus/ stille im satzich bin dein kuhgehöft tönt/ noršinci …); die tröstende Naturwird in unzähligen Nuancen wahrgenommen (geduldig wie der schnee/ tröstlich wie das frostauge … ich bin dein herbst tröstet/ murska sobota und eicheln fallen …), die Sehnsucht wird beim Namen genannt (herbeigesehntes telegramm/ akkurat steht still das licht …). Die Risse und Brüche jedoch, die ohrenbetäubenden Misstöne der Welt, das Herzzerreißende der Dinge, die existentiellen Bedrohungen: sie dringen meistens nur als Ahnung bis knapp unter die Oberfläche der Wörter (stich die milch gleich herzkonturen blasser ahnen/ minuten metastasen schöpfer wasser barometer …).

Was wir der Autorin für die kommenden (hoffentlich bald erscheinenden) Lyrikbände wünschen: die Sprache heraustreten zu lassen aus dem Schatten ihrer Zurückhaltung, ihre poetische Intensität nicht zu dämpfen, die Freude am Experimentieren nicht zu zähmen, sondern (ihrer eigenen Sprachkraft bewusst) sich auch für komplementäre Register zu entscheiden: für dissonante Töne und virulente Experimente, für explizite Aussagen, für metaphorisch-stilistisch-prosodische Maßüberschreitungen, für die eigene Unüberhörbarkeit. Die Voraussetzungen dafür sind in reichem Maße gegeben.

Die zarten Offsetlithographien von Claudia Berg, die den Band illustrieren, sind eine kongeniale künstlerische Antwort auf die Gedichte: sie zeigen Fragmente von Bäumen (die Wipfel sind jenseits der Bildseiten zu denken), Ausschnitte einer Flusslandschaft mit Brücke, steinerne Monumente, deren filigrane Umrisse sich als schwarze Schatten im Wasser spiegeln, Häuser am oberen Rand der Bildseite, deren Dächer imaginiert werden müssen. Alles in Schwarzweiß, die darin blühenden schönsten Farben sind fürs Auge unsichtbar. 

 


   

  


C. W. Bauer, mein lieben mein hassen mein mittendrin du
Innsbruck-Wien: Haymon Verlag, 2011

Mein lieben mein hassen mein mittendrin du markiert eine erstaunliche Wende in C. W. Bauers poetischer Entwicklung.

Die lyrische Begabung des Autors überzeugte von Anfang an, seine stilistische Sicherheit, seine unübersehbare Freude an sprachexperimentellen Kapriolen (und Brüchen) waren sein Markenzeichen. Und doch umfing seine Verse bisher eine eigentümlich ambivalente Aura: zum einen ist es unmöglich, sich dem Sprachsog der Bauerschen Verse zu entziehen. Er ist die poetische Folge einer inneren Unruhe (1000 Wahrnehmungen in 4 Versen), einer unüberhörbaren (sich lässig gebenden) Musikalität und einer ziemlich verspielten formalen Virtuosität. Zum anderen halten die Verse die Lesenden auf Distanz, vermeiden (wo immer es geht) logische Zusammenhänge, machen sich Anleihen bei der literarischen Tradition und der Popmusik, um sie sofort so gründlich zu verfremden, dass eine Identifikation, auch nur ein intellektuelles Nachvollziehen (also ein erleichtertes Innehalten) unmöglich werden (fast). Zum dritten gibt es plötzliche Augenblicke intensiver Emotionalität, doch so zart und scheu, dass man sie fast überliest. Passiert Letzteres, so scheinen die Verse selbst zu erschrecken, der Zauber zieht sich sofort zurück, verschwindet im nächsten Vers hinter sprachlichen Verrätselungen und einer überbordenden Gelehrsamkeit. Nichts war eindeutig gewesen bisher: die Liebe in fontanalia ist ein überaus virtuoses Vexierspiel mit ironischen Herzensverneigungen à la Troubadour einerseits und einer plötzlichen Innigkeit andererseits, deren Verhaltenheit und sprachliche Noblesse berühren. Welchem Aspekt ist mehr zu glauben? Es ist dem Autor ein spürbares Anliegen, dies auf keinen Fall zu verraten. In supersonic wiederum zog Bauer, um sich dem Thema Tod und Schmerz zu nähern, buchstäblich die gesamte literarische Tradition zu Rate (und mehrere Fremdsprachen gleich dazu inklusive Latein), nahm sich (wo immer er sie finden konnte) Bilder, Metaphern, Wortklänge, um das Hinabstürzen der Zeit, das Hineinrasen in das schwarze Loch, sprachlich zu umkreisen. Doch auch hier erwischt die Lesenden ein plötzlicher intensiver Schmerz, hinter aller Gelehrsamkeit verbirgt sich eine Trauer, die nicht gelehrt ist.

Und nun (wiederum plötzlich) mein lieben mein hassen mein mittendrin du. Mit einem Nachwort von Niklas Holzberg (dem Catull-Experten schlechthin). Also diesmal Catull. Der Titel des Bandes, die vielen Zitate, der zyklische (an antiken Modellen sich orientierende) Aufbau, das Nennen sämtlicher Größen der antiken erotischen Literatur (und auch späterer Jahrhunderte), alles sagt: hier wird rezipiert, hier kennt sich einer aus, hier ist einer seinen Vorbildern gewachsen. Einsprengsel aus der Popmusik, und überhaupt ein gewisser salopper Sprachduktus geben dem Ganzen eine sehr jetztzeitige Couleur. Auch hier wieder (wie schon in den vorausgegangenen Lyrikbänden) ein selbstironisches, sein Leben und Lieben im Schreiben reflektierendes Ich. Wir erkennen an den Versen die stilistische und prosodische Meisterschaft, den Witz, die Liebe des Autors für die Antike.

Aber die Größe dieses Buchs liegt woanders. Sie liegt in einer bisher nicht dagewesenen Fokussierung des Blicks. Die ganze Welt reduziert sich plötzlich auf die Spanne zwischen Ich und Du, zwischen aneinandergekauert und so circa fünf frauen nach dir. Auf die Spanne zwischen dem Glück in Florenz (auf einer fahrt nach florenz du/ schläfst und ich folge deinen/ atemzügen) und dem von allen Worten verlassenen Unglück im Supermarkt (ein brennen plötzlich auswippend in wut/ dass wir einander gehen ließen/ ohne widerstand). Verschwunden jede sprachliche Ambivalenz, hinter sich gelassen die literarischen Versteckspiele, zusammengefügt die Brüche. (Sie tauchen nur vereinzelt noch im Mittelteil des Bandes auf als Spiegel der sich zeigenden inneren Brüche.) An ihrer Stelle Worte von großer Klarheit und Einfachheit. Verse, die sich hineinbegeben in das Herz der Liebe und der Dunkelheit. Die Verse weisen die Leser nicht mehr ab, sie holen sie herein in ihr Zentrum, in ihr eigenes Herz. Die Dinge dürfen (sprachlich) sein, was sie sind: die Magie des Anfangs, das neugierige wilde Glück, die Qual der Distanz, die Irritationen, die verbalen Verletzungen, das Verstummen, die Sehnsucht. Nicht die formale Vollkommenheit dieser Gedichte ist es, was diesen Gedichtband vor den vorausgegangenen heraushebt, nicht die literarische Gebärde, nicht die Verschmelzung von antikem Modell und Moderne. Es ist die Tatsache, dass hier einer Catull rezipiert, dessen odi et amo (in Übersetzung) auf den Buchdeckel schreibt, und doch (im Innern) (stillschweigend) das odi streicht. Denn für sein Lieben findet das lyrische Ich tausend Register, für sein Hassen kaum eines. Die Besonderheit (und Schönheit) dieser Catull-Rezeption liegt darin, dass hier ein lyrisches Ich geschaffen wurde, das imstande ist, seine Liebe hinüberzuheben über das Ende. Nicht Hass steht am Ende, am Ende stehen Sehnsucht und Bedauern. Kein geschwafel und kokette[s] lamentieren, im Gegenteil: aus den Seiten spricht wehmütige Akzeptanz.

Mit vorliegendem Band beweist C.W. Bauer einmal mehr, dass seine eigentliche Stärke im Lyrischen liegt. Er beschenkt uns mit einem meisterlich komponierten, einem liebevollen Buch.

 


 

  


Konrad Rabensteiner, Aldo Ricci
Bozen: Raetia, 2010

„Man wird nicht erleuchtet, wenn man sich Lichtgestalten vorstellt“, sagt C. G. Jung, „sondern durch Bewusstmachung der Dunkelheit.“ Auch in seinem zweiten Roman geht es Konrad Rabensteiner um die Erforschung von Schattenphänomenen, um deren Definition, um die Erkundung ihres Wesens und ihrer Wirkung. Er gestaltet dies in komplexer und faszinierender Weise auf drei Ebenen: auf der individuell-persönlichen seiner Hauptfigur Aldo Ricci, auf einer kollektiven und auf der literarischen.

Ein seiner Hauptfigur wohlwollend nahestehender Erzähler berichtet von Aldo Riccis nur halb freiwilliger Übersiedlung, die eine endgültige werden sollte, von seinem Heimatort nahe Legnago an der Etsch im Nordosten Italiens hinauf ins fremde Bolzano, in die zweisprachige Stadt Bozen, in die terra incognita Südtirol. Ruhig, linear und mit eindringlicher Genauigkeit schildert er das unauffällige Leben des aus bescheidenen Verhältnissen stammenden italienischen Arbeiters Aldo, dessen Größe und Würde sich erst allmählich offenbart: im Vollzug einer lebenslangen, stabilen, von – wie es heißt – „Wohlwollen und Verantwortungsgefühl“ geprägten Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann, mit Theo Linn, dem deutschsprachigen Südtiroler, dem Akademiker, dem Lehrer, dem aufgeklärten Humanisten. Doch auch in dieser für so manche unbegreiflichen, von manchen beneideten Beziehung verbirgt sich ein gewisses Maß an Dunkelheit, und das Wunder, das den zwei Männern gelingt, würde an Bedeutung verlieren, hätte es nicht seinen Widerpart in der Traurigkeit. Dieser wendet sich der Erzähler in gleichem Maße zu wie dem erstaunlichen Gelingen einer de-facto-Männerehe vor einem denkbar ungünstigen politisch-sozialen und familiären Hintergrund.

So erfährt man in immer neuen Details von Aldos sensibler Persönlichkeit, von seinem Interesse für Blumen, Heilkräuter, Kochrezepte, von seinem Bemühen, das ärmliche Haus seiner Eltern zu verschönern, von seiner stillen Geschicklichkeit. Als sein nach Bozen ausgewanderter Bruder durch einen Unfall seine Frau verliert, wird auch Aldo von seinen Eltern nach Bozen geschickt, um für seinen verwitweten Bruder und dessen Kinder den Haushalt zu übernehmen. Als die Kehrseite von Aldos gutmütiger Hilfsbereitschaft zeigt sich bald seine ängstliche Passivität, die wie ein Schatten viele seiner Lebenssituationen verdunkeln wird. Jung, einsam, von seiner eigenen Familie ausgebeutet, verloren in einer fremden Stadt, macht sich Aldo auf die Suche nach Männerfreunden. Wir werden Zeugen seiner Streifzüge durch die Schattenseiten der Stadt, in die Pissoirs des Bahnhofs, in die dunklen Winkel der Parks und der Talferwiesen, mit seinen Augen nehmen wir teil am Erlernen einer unbekannten Topographie der Stadt, die Männerbekanntschaften möglich macht, die anderswo nicht möglich sind, wir erfahren von seinem Ekel, seinen erotischen Erfolgen, von der Tristesse, die ihn erfasst. Und endlich von der Wende, die sein Leben nimmt, als er Theo begegnet, von der geregelten Arbeit, die er findet, von der Ruhe, die eintritt, von der sich festigenden emotionellen Sicherheit. Theo nimmt ihn in seine Wohnung auf, die zwei Männer geben einander, was sie haben: ihre Fürsorge, ihre Nähe.

Nun richtet sich die Kamera gleichermaßen auf das Paar und auf die Mechanismen, die es einerseits festigen und andererseits belasten. Sie beleuchtet Aldos mit den Jahren zunehmende Gereiztheiten, seine feindseligen Ausfälle gegen Frauen und Süditaliener, seine charakterliche Passivität, seine Neigung zur Opferrolle, sein bockiges, Theo verletzendes Desinteresse an Südtirols Geschichte und politischer Realität, sein lebenslanges Versäumnis, einen Deutschkurs zu besuchen, und immer wieder seine Sprachlosigkeit, die eine tiefergreifende ist als seine Weigerung, Deutsch zu lernen. Und Theos Traurigkeit, das für beide immer bedrohlich werdende intellektuelle Gefälle sowie die mit den Jahren zunehmenden Belastungen durch Krankheit, Alter und Tod. Wiederholt droht der Beziehung das Scheitern. Immer wieder gelingt es jedoch den zwei Männern, sich bewusst für ihr Fortbestehen zu entscheiden.

Hochinteressant ist der Roman als Studie eines kollektiven Schattens. Sachlich, detailliert, schonungslos genau wird die zur Schattenexistenz gezwungene Homo-Szene beschrieben, ihre Praktiken, die der Verständigung dienenden Codes, die Treffpunkte und der Insider-Jargon, die ständige Angst, die Demütigungen durch Klerus und Presse, Polizei und private Razzien, der Zwang zum aufreibenden Doppelleben. Man erfährt aber auch von Restaurants, in deren Separees Treffen unter sich möglich sind, von Urlaubszielen, wo homophile Paare sich nicht mehr verstecken müssen, von berühmten Männerpaaren, von den ersten öffentlichen Initiativen Homosexueller, von Aids.

Der lange als Lyriker bekannte Autor Rabensteiner integriert nun zum zweiten Mal in sein literarisches Sprechen die in seinen lyrischen Jahren genrebedingt stumm gebliebenen Register: langatmiges Erzählen, unermüdliches, akribisches Benennen realistischer Einzelheiten, die detailbesessene Schilderung von Alltagssituationen als Erzählprinzip. Die tragende Idee des Romans – die gelungene Lebensgemeinschaft zweier sehr unterschiedlicher Männer in einer schwierigen Provinzstadt – hätte in einer Novelle knapper und vielleicht prägnanter erzählt werden können, bei Rabensteiner darf sie sich über 627 Seiten erstrecken. Rabensteiner gestattet seinem Erzähler eine ungewohnte emotionelle Nähe zu seiner Hauptfigur, aus ihr heraus wird auch die auffallende Gewichtung mancher Aspekte verständlich: Es ist Aldos Perspektive, die hier eingenommen wird, sein waches Interesse für gutes Essen, für die männliche Attraktivität, für erotische Handlungen, seine Furcht vor Frauen … es ist seine Sprache, die hier widergespiegelt wird. Vielleicht liegt die Schwäche des Romans in der Zuneigung des Erzählers, die ihn streckenweise zum narrativen Übermaß verführt. Als Dokument einer Männerliebe, als ungewöhnlicher Eheroman, als kluge Milieustudie wird er die Leser überraschen und überzeugen. Man muss sich halt Zeit dafür nehmen.

 


 

 


Roman Santeler, Landecker Hefte
Bozen: Edition Raetia 2010

Kafkas Wort an Oskar Pollack aus dem Jahr 1904 "Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns" ist, obwohl nun schon über hundert  Jahre alt, noch immer  so treffend und präzise wie kaum eine andere Definition von guter Literatur. Auf dem kürzesten aller Wege, in einem Satz, definiert es die Absicht des Schreibenden (zu treffen) sowie die dazu nötige Haltung des  Lesers (des gefrorenen Meeres in sich bewusst zu sein). Kafkas Satz macht im Grunde eine Rezension zu Santelers Landecker Heften überflüssig: er hat die nötige Prägnanz, die äußerste Knappheit, die Erfahrung von Kälte, die alle nötig sind, um den spezifischen Ton von Santelers Gedichten, Notizen und Tagebuchaufzeichnungen zu beschreiben. Er deutet z.B., besser als jede lange Erklärung, die Stellung des Sängers, sein Stehen auf verlorenem Posten, nicht nur in der herben Landschaft des oberen Inntals, sondern vermutlich allerorten:
 
Kammerton
(S. 81)
 
Wenn du hinausgehst
überleg dir zweimal, was du sagst
du kämpfst gegen Windmühlen

stumpf sind
deine Waffen

für den Notfall
gebe ich dir eine Stimmgabel mit
aber besser, du schweigst

Sänger.

Auch in Günter Kunerts Frankfurter Vorlesungen aus dem Jahr 1985 (Vor der Sintflut, Das Gedicht als Arche Noah) finden sich Passagen, die sich als Deutungen zu manchen Santeler-Gedichten lesen.  So sagt Kunert vom Gedicht: … Seine Sache ist die Verstörung. Wenn der Leser, der das Gedicht mehr oder weniger intensiv nachvollzieht, sich um sein Leben betrogen fühlt, seiner Möglichkeiten und Chancen beraubt; wenn das Gedicht sein Einverständnis mit der Welt erschüttert, dann hat es eine Leistung vollbracht, die für ein derart winziges Gebilde aus wenigen Zeilen gigantisch ist. (Vor der Sintflut, S.52). Im Falle der Landecker Hefte heißt das, dass es ihnen gelingt, dem Leser ihre Sicht zu vermitteln: die Erfahrung des Fremdseins im Fischteich (Frage S. 80), die extreme Wortkargheit ringsum, die unterkühlte Kommunikation zwischen den Menschen, die vielstimmige, schrille Sprachlosigkeit (Zur Kirschblütenzeit S. 41, Manna S. 59), das Unterschreiten eines Minimums an Nähe (Landeck, S. 17), atemraubende Einsamkeit (Bescheid S. 16), Geheimnisse statt Gespräche, die schwere Last, Geheimnisse zu tragen (Verschwiegenheit  S. 82), das Dröhnen des finsteren Inns und leerer Worte, äußere und innere Türme zu Babel (Du S. 50 ), das Schweigen Gottes (Im Gotteshaus S. 84), die letzte Stille (Silentium S. 87).

Immer wieder fühlt sich der Leser wie Kaspar Hauser:  um den Dialog mit dem Text betrogen, weil dieser  auf Verständnis aufbauen müsste; die Gedichte entziehen sich dem logischen Zugriff oft kraft ihrer extremen Kargheit, die die Grenze zum einfachen Textverständnis wiederholt und gezielt unterschreitet. Der Leser bleibt draußen, Ante portas (S. 85), unerwünscht. Er bleibt ein Kaspar Hauser, eine Lektüre lang. Er erfährt Kaspar Hausers Verzweiflung, dessen Sprache nie an die der Anderen heranreichte. Die Landecker Hefte sind das Sprachrohr eines Kaspar Hausers, der nicht anders kann als die Mangelhaftigkeit der Sprache ringsum zu spiegeln. Seine Spiegelfunktion macht ihn unerträglich:

In euren Augen
(S. 64)
 
immer werde ich
ein armer Kaspar Hauser sein
aus der Stadt
verjagt

mundtot gemacht.


Die Landecker Hefte (Edition Raetia, 2010) sind zwei in einem Band zusammengeführte Textsammlungen von ungefähr gleichem Umfang: 1. Glückliche Zeiten und 2. Silentium.
Das Eingangsgedicht schlägt eine Tonart an, die weite Teile des Bandes bestimmen wird:

Exit (S.15)

Letzte Ausfahrt:
Stanzer Tal, Paznaun,
Oberes Gericht.

Herr,
sei mir gnädig –
ich bin nicht Hiob.

Es markiert vielleicht den Beginn einer Lebensphase, eine Etappe hin zu einem ungewissen Ausgang, es ist eine Verurteilung, das Gericht so undefiniert  wie in Kafkas „Prozess“.  Wer kennt Hiobs Schuld, das Ausmaß seines Leidens?  Keine Andeutung  auf späteres Glück, nur Angst, auch dafür keine Erklärung, nur weißes Papier ringsum.  Äußerste sprachliche Zurücknahme: unverständliche geographische Angaben, ein verschwiegenes Ziel, ein Stoßgebet.
 
Und doch: dieses Stoßgebet steht zu Beginn der Glücklichen Zeiten. Der Leser hält sich ans titelgebende Glück und liest weiter. Er tut dies, obwohl das Gedicht keine Mutmaßungen zulässt. Wie ein Fremder nimmt der Leser die letzte Ausfahrt, biegt ein in ein herbes, ihm unbekanntes Tal. Noch bevor er ankommt, zieht  das Tal, d.h. das Gedicht, die Tür vor ihm fest zu. In die sprachliche Oberfläche transportiert Santeler sehr gekonnt das schroffe Schweigen des Paznauntals, die unheilvolle Präsenz eines Oberen Gerichts, das Schweigen Gottes. Das Schweigen, die Erfahrung der Beklemmung, die Sehnsucht nach Weitung und Wärme, werden im gesamten Gedichtband präsent bleiben, aber sie werden um sanftere, hellere Nuancen erweitert werden: so offenbart sich das Schweigen manchmal sogar als unterdrückter Glücksschrei …

Nachricht (S. 33)

So ist mir zumute:
laut in den Himmel schreien
ich liebe dich
dass die Kraniche
es dir zutragen.

… oder auch als scheue, zarte Aufforderung, hinzuschauen, wo Worte unmöglich sind …

Königsblau (S.38)

Sieh mich an –
auf und auf bin ich
voller Farbe

ein offenes Buch.

Die Gedichte Nachricht und Königsblau befinden sich im Teil Glückliche Zeiten: sie sind, versteht der Leser plötzlich, Erklärung genug, Hiobs Schicksal hat sich bereits gewendet.

… oder auch als Gottes schwer zu entschlüsselnde, trotzdem Licht spendende Sprache …

Im Gotteshaus
(S. 84)

Hier bist du,
hier musst du sein –
ich nehme die Sprache
beim Wort

zurückgezogen
verbirgst du dich
im eigenen Anfang
und schweigst

ich lausche, atme
Licht fällt ein
die Hoffnung so
so groß

als wär‘ der Himmel offen.

Dieses Gedicht steht im 2. Landecker Heft, in Silentium: hier mündet der Weg des eben noch Anreisenden in eine andere Dimension des Schweigens: es ist die wohltuende Stille eines heiligen Ortes, des spirituellen Vertrauens (Verschwiegenheit S. 82), des Meeresgrundes, zu dem sich, gegen Abend hin, unsere Seele neigt (Abend S. 86, Silentium S. 87).

Das 2. Gedicht des Bandes (Bescheid S. 16) nimmt indes Bezug auf Tomis und Worronesch und damit einerseits auf den römischen Dichter Ovid, der die traurigen Jahre seiner Verbannung im unwirtlichen Tomis am Schwarzen Meer  verbringen musste, inmitten unkultivierter  Menschen, die ihm dem Eisernen Zeitalter zu entstammen schienen,  andererseits auf den russischen Dichter  Ossip Mandelstam, der von 1934–38 in Worronesch in der Verbannung leben musste. Gefesselt an einen locus horribilis, erinnert sich das lyrische Ich an berühmte Leidensgefährten, denen als einziger „Exit“  die geschriebene Sprache blieb. Das Exil des lyrischen Ichs heißt Landeck (S. 17), seine Enge gleicht einem Nadelöhr, über der Enge der Herzen (Am Gehsteig / kommen wir uns am nächsten) erübrigt sich jeder Kommentar. Und so wird Kreuzgasse 9, Zimmer 407 (S. 18) als Gegenstück zu Günter Eichs berühmten Gedicht Inventur verständlich: eine Bestandsaufnahme am Nullpunkt der Existenz, ein Auflisten dessen, was übrigbleibt nach einem Kahlschlag:


Und für die Nacht:
Mitgebrachte Bücher,
Papier und Bleistift.
Ich muss ins Geschehen eingreifen.

Wenn ich dich
Vom Fenster aus sehe,
werde ich dir zurufen.


Übrigbleibt der Wille, einzugreifen, zuzurufen, mit der Kraft der Worte.
Und hier, so scheint’s,  beginnen auch die wahrhaft Glücklichen Zeiten:  es folgt das titelgebende Gedicht (Für René und Sabine).
Unmittelbar darauf jedoch der Einbruch:

Sanna (S. 20)

Kaum geboren
schon gestorben
hilft der schönste Name
nichts.

Ein vierzeiliges Epitaph, in gebrochenen Versen, für ein Kind. Wiederum erweist sich Santeler als ein Meister im Zeigen der vielen Facetten von sprachlicher Knappheit: in diesem Falle setzt er sie als die einzig richtige Sprachgeste ein.

Und auch sonst sind die Glücklichen Zeiten stets bedroht: von der inneren Isolation, der Sprachnot; Begegnungen erweisen sich als Vergegnungen  im Buberschen Sinne(Begegnung S. 21) (keine Notiz nehmt ihr / offen steht mein Haus / an der Landstraße …). Das Gedicht vermittelt die beklemmende Erfahrung versäumter Begegnungen (Fernab zieht / die Karawane vorbei …); unfähig, hinauszulaufen, die Karawane einzuholen, verharrt das lyrische Ich wie gelähmt still in seinem Haus. Sein offenes Haus erweist sich als zu leise Botschaft; wer gesehen werden will, muss sich zeigen … Das zu zaghaft sich öffnende Ich fällt zurück in die Enttäuschung, wie verloren in der Weite des Weltraums.
Immer klarere zeigt sich auch, dass die Klage nicht nur dem Schweigen gilt, das das Ich umgibt (die stumme Landschaft, die mundfaulen Menschen). Die Klage ist subtiler. Lautes gäbe es ja genug: Trosse, stimmenerfüllte Türme zu Babel … was fehlt, das sind die leisen Töne, Augen, die offene Türen wahrnehmen, die Einladungen sehen, selbst wo sie nicht formuliert werden, die sich nur in Gesten offenbaren, weil der Einladende selbst sich verbirgt. Immer deutlicher mutiert die An-Klage in die Klage des lyrischen Ichs über das eigene Schweigen, über die eigene große Angst, einen Schritt zu setzen, durch falsche Schritte Lawinen loszutreten (Wintereinbruch S. 23). Derselben starrkalten Stimmung ist auch das Gedicht Frost (S. 24) verpflichtet, dem tatenlosen Warten, das Frösteln springt den Leser an …

Frost
(S. 24)

Darauf
wartest du,
dass Tauwetter kommt.
Hier, auf der Baustelle,
bin ich der Kälte
ausgesetzt

bis in die Haarspitzen.

Manche Gedichte sind gleichermaßen still wie herzzerreißend. Zu ihnen zählt Im 56. Jahr (S. 27f.), eine melancholische, ruhige Lebensbilanz, oder auch Regionalzug Telfs-Landeck (S. 29f.), wo sich die Verse finden: von Schönwies weiß ich / nichts Weltbewegendes zu berichten … Hier, in diesen unscheinbaren, unaufgeregten lyrischen Momenten, leuchtet die Welthaftigkeit auf, die Walter Methlagl im schönen Vorwort erwähnt: wer in der zweiten Hälfte seiner Lebensreise Bilanz zieht (52 Minuten meines Lebens / sind vorüber), träumt sich nicht mehr in ferne Kontinente, sein Blick ist aufmerksam geworden fürs Nächstliegende: … noch ein Tunnel und die Gleise / verästeln sich in der Enge / des Talkessels:/ aussteigen. Wenn Roman Santelers Gedichte berühren (und sie tun es nie mit Absicht, sie sind völlig frei von jeder Attitüde), dann hier: in dieser Einfachheit, Stille und Würde.
 
Immer wieder gibt es zwischen den Gedichten Tagebucheintragungen, angesiedelt in einem literarischen Grenzbereich, keiner lyrischen Gattung zur Gänze zuzuordnen. Und doch hat Roman Santeler sie in seinen Gedichtband aufgenommen. Der Autor zieht alle Register des erschrockenen Schweigens, des resignierten Verstummens, aber auch der trauernden Stille, der versunkenen, wortlosen Meditation. Das scheint ihm der Maßstab zu sein, nach dem er seine Texte misst: das Ringen um Worte, um bisher Unaussprechbares Sprache werden zu lassen - nicht die formale Vollendung, nicht die poetische Raffinesse oder Originalität. Sein Anliegen ist es vielmehr, einer bedrohten Sprache auf die Sprünge zu helfen, sie aus dem allgegenwärtigen Eismeer der Stummheit hinaufzuhieven auf eine Eisscholle, das abermalige Absinken zu beschreiben, zu betrauern, die abermaligen, mehr oder minder missglückten Versuche festzuhalten, der Kälte Ausdruck zu geben.

Tagebucheintragung, 21.4.1999  (S. 31)

Dieser Pfiff geht mir
durch Mark und Bein:
Abseits!

Du stehst abseits.


Fragen nach der Gattungszugehörigkeit von Tagebucheintragungen dieser Art gehören in die erste Hälfte des Lebens. In der zweiten Lebenshälfte, wo der Blick und das Gehör schärfer werden, gilt die Aufmerksamkeit nur dem Pfiff, dem Schrecken, den er verbreitet. Fragen nach seiner Poetizität sind in diesem Kontext redundant.
 
Roman Santeler fängt die Sprache bei ihren Anfängen ein, da, wo sie sich aus ihren Befangenheiten schält, aus den Fesseln der Stummheit befreit; er beschreibt ihr mühevolles Lautwerden, ihr Zerbrechen, die Brocken, auch das Echo der ungesagten Dinge, und immer wieder die Unmöglichkeit des Einander-Verstehens.
 
Dieses Ringen um Sprache wird festgemacht an der landschaftlichen Kargheit und Herbheit des oberen Inntals. Santelers Sprache spiegelt die Schroffheit der Felsen wider, die Abgründe des finsteren Inns, die Enge der kleinen Ortschaften, die scheue Art der Menschen. Verständlich wird daher auch das Fernweh, das immer wieder durchbricht: die Hoffnung, in der fremden Sprache, ja in Esperanto, das zu finden, was in der eigenen Sprache nicht möglich scheint (Fernweh S. 45, Abschied S. 46). Und immer wiederkehrend die Trauer über das Chaos, wenn die Worte, gefangen im „Schlund“ , den erlösenden Weg in die Sprache nicht finden:

Chaos
(S.49)

Mein Mund
sperrangelweit offen,
als ob tausend Worte gleichzeitig
heraus wollten

aus diesem finsteren Loch.

Das Chaos, das entsteht, wo es an Dialog mangelt, ein Mangel, der wiederum in einem gestockten  Informationsfluss wurzelt, der seinerseits vermutlich wegen unaussprechbarer  Emotionen erstarrt ist, dieses Chaos in die Textstruktur zu bannen, ist dem Autor meisterhaft gelungen. Auch dem Leser werden oft nur Fragmente von Informationen angeboten; am Stilmittel einer die Grenze der Verständlichkeit wiederholt unterschreitenden  Knappheit erfährt der Leser die Gefahr, die von einer solch minimalistischen Sprachhaltung ausgeht; seine Hoffnung auf klärende Hinweise, hilfreiche semantische Brücken, bleibt oft unerfüllt. Immer wieder fällt, symbolisch gesprochen, die Tür vor ihm ins Schloss. Wer die Tragödie einer zermürbenden Wortarmut je selbst erfahren hat, wird diesen Gedichtband mit Erstaunen lesen; er wird sich erinnert fühlen, wird die Einbrüche ins Schweigen nachvollziehen können, wird das Ausbleiben von Antworten wiedererkennen, die latente, umfassende Dialoglosigkeit, die uns alle bedroht, spüren und sich merkwürdig getröstet fühlen.

Die zweite Hälfte des Bändchens trägt den Titel „Silentium“ und ist ganz den vielen Facetten der Stille gewidmet. Pst! (S. 55) ist eine Aufforderung, dem lauten Geschwätz Einhalt zu gebieten, das uns die Ohren verstopft; das Eigentliche ist scheu wie ein Reh, schnell wird es ein Opfer der Jäger …
In Manna (S. 59) spricht ein selbstbewusstes lyrisches Ich:

Ich
Buchstabengießer,
habe ein Feuer
entfacht

ich
Seher,
stopfe eure
sprachlosen Mäuler

ich Unbehauster,
führe euch aus dem Dunkel
ans Licht

fürchtet euch nicht.


Resignation und Verzweiflung weichen manchmal messianischem Sendungsbewusstsein.

Mit dem titelgebenden Gedicht Silentium (S. 87) schließt der Gedichtband: ein Text voller Frieden, der an Goethes Wanderers Nachtlied erinnert (Über allen Gipfeln ist Ruh …). Auch hier erfüllt den Reisenden, nun fast am Ende seines Weges, die Vorahnung von Frieden, von tiefer Stille. Die Ungewissheit des Anfangs, die Qual der Verbannung, das Leiden an der allgegenwärtigen Stummheit, die Flüchtigkeit des Glücks, das unteilbare Geheimnis der Zwiesprache mit Gott … alles wird niedersinken in eine Stille, die jedem zuteil wird. Am Ende wartet ein letzter Aspekt von Schweigen: das Aufgeben –Dürfen des Sprechens.  

 


  

 


Roman Santeler, Landecker Hefte
Bozen: Edition Raetia 2010

Kafkas Wort an Oskar Pollack aus dem Jahr 1904 "Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns" ist, obwohl nun schon über hundert  Jahre alt, noch immer  so treffend und präzise wie kaum eine andere Definition von guter Literatur. Auf dem kürzesten aller Wege, in einem Satz, definiert es die Absicht des Schreibenden (zu treffen) sowie die dazu nötige Haltung des  Lesers (des gefrorenen Meeres in sich bewusst zu sein). Kafkas Satz macht im Grunde eine Rezension zu Santelers Landecker Heften überflüssig: er hat die nötige Prägnanz, die äußerste Knappheit, die Erfahrung von Kälte, die alle nötig sind, um den spezifischen Ton von Santelers Gedichten, Notizen und Tagebuchaufzeichnungen zu beschreiben. Er deutet z.B., besser als jede lange Erklärung, die Stellung des Sängers, sein Stehen auf verlorenem Posten, nicht nur in der herben Landschaft des oberen Inntals, sondern vermutlich allerorten:
 
Kammerton
(S. 81)
 
Wenn du hinausgehst
überleg dir zweimal, was du sagst
du kämpfst gegen Windmühlen

stumpf sind
deine Waffen

für den Notfall
gebe ich dir eine Stimmgabel mit
aber besser, du schweigst

Sänger.

Auch in Günter Kunerts Frankfurter Vorlesungen aus dem Jahr 1985 (Vor der Sintflut, Das Gedicht als Arche Noah) finden sich Passagen, die sich als Deutungen zu manchen Santeler-Gedichten lesen.  So sagt Kunert vom Gedicht: … Seine Sache ist die Verstörung. Wenn der Leser, der das Gedicht mehr oder weniger intensiv nachvollzieht, sich um sein Leben betrogen fühlt, seiner Möglichkeiten und Chancen beraubt; wenn das Gedicht sein Einverständnis mit der Welt erschüttert, dann hat es eine Leistung vollbracht, die für ein derart winziges Gebilde aus wenigen Zeilen gigantisch ist. (Vor der Sintflut, S.52). Im Falle der Landecker Hefte heißt das, dass es ihnen gelingt, dem Leser ihre Sicht zu vermitteln: die Erfahrung des Fremdseins im Fischteich (Frage S. 80), die extreme Wortkargheit ringsum, die unterkühlte Kommunikation zwischen den Menschen, die vielstimmige, schrille Sprachlosigkeit (Zur Kirschblütenzeit S. 41, Manna S. 59), das Unterschreiten eines Minimums an Nähe (Landeck, S. 17), atemraubende Einsamkeit (Bescheid S. 16), Geheimnisse statt Gespräche, die schwere Last, Geheimnisse zu tragen (Verschwiegenheit  S. 82), das Dröhnen des finsteren Inns und leerer Worte, äußere und innere Türme zu Babel (Du S. 50 ), das Schweigen Gottes (Im Gotteshaus S. 84), die letzte Stille (Silentium S. 87).

Immer wieder fühlt sich der Leser wie Kaspar Hauser:  um den Dialog mit dem Text betrogen, weil dieser  auf Verständnis aufbauen müsste; die Gedichte entziehen sich dem logischen Zugriff oft kraft ihrer extremen Kargheit, die die Grenze zum einfachen Textverständnis wiederholt und gezielt unterschreitet. Der Leser bleibt draußen, Ante portas (S. 85), unerwünscht. Er bleibt ein Kaspar Hauser, eine Lektüre lang. Er erfährt Kaspar Hausers Verzweiflung, dessen Sprache nie an die der Anderen heranreichte. Die Landecker Hefte sind das Sprachrohr eines Kaspar Hausers, der nicht anders kann als die Mangelhaftigkeit der Sprache ringsum zu spiegeln. Seine Spiegelfunktion macht ihn unerträglich:

In euren Augen
(S. 64)
 
immer werde ich
ein armer Kaspar Hauser sein
aus der Stadt
verjagt

mundtot gemacht.


Die Landecker Hefte (Edition Raetia, 2010) sind zwei in einem Band zusammengeführte Textsammlungen von ungefähr gleichem Umfang: 1. Glückliche Zeiten und 2. Silentium.
Das Eingangsgedicht schlägt eine Tonart an, die weite Teile des Bandes bestimmen wird:

Exit (S.15)

Letzte Ausfahrt:
Stanzer Tal, Paznaun,
Oberes Gericht.

Herr,
sei mir gnädig –
ich bin nicht Hiob.

Es markiert vielleicht den Beginn einer Lebensphase, eine Etappe hin zu einem ungewissen Ausgang, es ist eine Verurteilung, das Gericht so undefiniert  wie in Kafkas „Prozess“.  Wer kennt Hiobs Schuld, das Ausmaß seines Leidens?  Keine Andeutung  auf späteres Glück, nur Angst, auch dafür keine Erklärung, nur weißes Papier ringsum.  Äußerste sprachliche Zurücknahme: unverständliche geographische Angaben, ein verschwiegenes Ziel, ein Stoßgebet.
 
Und doch: dieses Stoßgebet steht zu Beginn der Glücklichen Zeiten. Der Leser hält sich ans titelgebende Glück und liest weiter. Er tut dies, obwohl das Gedicht keine Mutmaßungen zulässt. Wie ein Fremder nimmt der Leser die letzte Ausfahrt, biegt ein in ein herbes, ihm unbekanntes Tal. Noch bevor er ankommt, zieht  das Tal, d.h. das Gedicht, die Tür vor ihm fest zu. In die sprachliche Oberfläche transportiert Santeler sehr gekonnt das schroffe Schweigen des Paznauntals, die unheilvolle Präsenz eines Oberen Gerichts, das Schweigen Gottes. Das Schweigen, die Erfahrung der Beklemmung, die Sehnsucht nach Weitung und Wärme, werden im gesamten Gedichtband präsent bleiben, aber sie werden um sanftere, hellere Nuancen erweitert werden: so offenbart sich das Schweigen manchmal sogar als unterdrückter Glücksschrei …

Nachricht (S. 33)

So ist mir zumute:
laut in den Himmel schreien
ich liebe dich
dass die Kraniche
es dir zutragen.

… oder auch als scheue, zarte Aufforderung, hinzuschauen, wo Worte unmöglich sind …

Königsblau (S.38)

Sieh mich an –
auf und auf bin ich
voller Farbe

ein offenes Buch.

Die Gedichte Nachricht und Königsblau befinden sich im Teil Glückliche Zeiten: sie sind, versteht der Leser plötzlich, Erklärung genug, Hiobs Schicksal hat sich bereits gewendet.

… oder auch als Gottes schwer zu entschlüsselnde, trotzdem Licht spendende Sprache …

Im Gotteshaus
(S. 84)

Hier bist du,
hier musst du sein –
ich nehme die Sprache
beim Wort

zurückgezogen
verbirgst du dich
im eigenen Anfang
und schweigst

ich lausche, atme
Licht fällt ein
die Hoffnung so
so groß

als wär‘ der Himmel offen.

Dieses Gedicht steht im 2. Landecker Heft, in Silentium: hier mündet der Weg des eben noch Anreisenden in eine andere Dimension des Schweigens: es ist die wohltuende Stille eines heiligen Ortes, des spirituellen Vertrauens (Verschwiegenheit S. 82), des Meeresgrundes, zu dem sich, gegen Abend hin, unsere Seele neigt (Abend S. 86, Silentium S. 87).

Das 2. Gedicht des Bandes (Bescheid S. 16) nimmt indes Bezug auf Tomis und Worronesch und damit einerseits auf den römischen Dichter Ovid, der die traurigen Jahre seiner Verbannung im unwirtlichen Tomis am Schwarzen Meer  verbringen musste, inmitten unkultivierter  Menschen, die ihm dem Eisernen Zeitalter zu entstammen schienen,  andererseits auf den russischen Dichter  Ossip Mandelstam, der von 1934–38 in Worronesch in der Verbannung leben musste. Gefesselt an einen locus horribilis, erinnert sich das lyrische Ich an berühmte Leidensgefährten, denen als einziger „Exit“  die geschriebene Sprache blieb. Das Exil des lyrischen Ichs heißt Landeck (S. 17), seine Enge gleicht einem Nadelöhr, über der Enge der Herzen (Am Gehsteig / kommen wir uns am nächsten) erübrigt sich jeder Kommentar. Und so wird Kreuzgasse 9, Zimmer 407 (S. 18) als Gegenstück zu Günter Eichs berühmten Gedicht Inventur verständlich: eine Bestandsaufnahme am Nullpunkt der Existenz, ein Auflisten dessen, was übrigbleibt nach einem Kahlschlag:


Und für die Nacht:
Mitgebrachte Bücher,
Papier und Bleistift.
Ich muss ins Geschehen eingreifen.

Wenn ich dich
Vom Fenster aus sehe,
werde ich dir zurufen.


Übrigbleibt der Wille, einzugreifen, zuzurufen, mit der Kraft der Worte.
Und hier, so scheint’s,  beginnen auch die wahrhaft Glücklichen Zeiten:  es folgt das titelgebende Gedicht (Für René und Sabine).
Unmittelbar darauf jedoch der Einbruch:

Sanna (S. 20)

Kaum geboren
schon gestorben
hilft der schönste Name
nichts.

Ein vierzeiliges Epitaph, in gebrochenen Versen, für ein Kind. Wiederum erweist sich Santeler als ein Meister im Zeigen der vielen Facetten von sprachlicher Knappheit: in diesem Falle setzt er sie als die einzig richtige Sprachgeste ein.

Und auch sonst sind die Glücklichen Zeiten stets bedroht: von der inneren Isolation, der Sprachnot; Begegnungen erweisen sich als Vergegnungen  im Buberschen Sinne(Begegnung S. 21) (keine Notiz nehmt ihr / offen steht mein Haus / an der Landstraße …). Das Gedicht vermittelt die beklemmende Erfahrung versäumter Begegnungen (Fernab zieht / die Karawane vorbei …); unfähig, hinauszulaufen, die Karawane einzuholen, verharrt das lyrische Ich wie gelähmt still in seinem Haus. Sein offenes Haus erweist sich als zu leise Botschaft; wer gesehen werden will, muss sich zeigen … Das zu zaghaft sich öffnende Ich fällt zurück in die Enttäuschung, wie verloren in der Weite des Weltraums.
Immer klarere zeigt sich auch, dass die Klage nicht nur dem Schweigen gilt, das das Ich umgibt (die stumme Landschaft, die mundfaulen Menschen). Die Klage ist subtiler. Lautes gäbe es ja genug: Trosse, stimmenerfüllte Türme zu Babel … was fehlt, das sind die leisen Töne, Augen, die offene Türen wahrnehmen, die Einladungen sehen, selbst wo sie nicht formuliert werden, die sich nur in Gesten offenbaren, weil der Einladende selbst sich verbirgt. Immer deutlicher mutiert die An-Klage in die Klage des lyrischen Ichs über das eigene Schweigen, über die eigene große Angst, einen Schritt zu setzen, durch falsche Schritte Lawinen loszutreten (Wintereinbruch S. 23). Derselben starrkalten Stimmung ist auch das Gedicht Frost (S. 24) verpflichtet, dem tatenlosen Warten, das Frösteln springt den Leser an …

Frost
(S. 24)

Darauf
wartest du,
dass Tauwetter kommt.
Hier, auf der Baustelle,
bin ich der Kälte
ausgesetzt

bis in die Haarspitzen.

Manche Gedichte sind gleichermaßen still wie herzzerreißend. Zu ihnen zählt Im 56. Jahr (S. 27f.), eine melancholische, ruhige Lebensbilanz, oder auch Regionalzug Telfs-Landeck (S. 29f.), wo sich die Verse finden: von Schönwies weiß ich / nichts Weltbewegendes zu berichten … Hier, in diesen unscheinbaren, unaufgeregten lyrischen Momenten, leuchtet die Welthaftigkeit auf, die Walter Methlagl im schönen Vorwort erwähnt: wer in der zweiten Hälfte seiner Lebensreise Bilanz zieht (52 Minuten meines Lebens / sind vorüber), träumt sich nicht mehr in ferne Kontinente, sein Blick ist aufmerksam geworden fürs Nächstliegende: … noch ein Tunnel und die Gleise / verästeln sich in der Enge / des Talkessels:/ aussteigen. Wenn Roman Santelers Gedichte berühren (und sie tun es nie mit Absicht, sie sind völlig frei von jeder Attitüde), dann hier: in dieser Einfachheit, Stille und Würde.
 
Immer wieder gibt es zwischen den Gedichten Tagebucheintragungen, angesiedelt in einem literarischen Grenzbereich, keiner lyrischen Gattung zur Gänze zuzuordnen. Und doch hat Roman Santeler sie in seinen Gedichtband aufgenommen. Der Autor zieht alle Register des erschrockenen Schweigens, des resignierten Verstummens, aber auch der trauernden Stille, der versunkenen, wortlosen Meditation. Das scheint ihm der Maßstab zu sein, nach dem er seine Texte misst: das Ringen um Worte, um bisher Unaussprechbares Sprache werden zu lassen - nicht die formale Vollendung, nicht die poetische Raffinesse oder Originalität. Sein Anliegen ist es vielmehr, einer bedrohten Sprache auf die Sprünge zu helfen, sie aus dem allgegenwärtigen Eismeer der Stummheit hinaufzuhieven auf eine Eisscholle, das abermalige Absinken zu beschreiben, zu betrauern, die abermaligen, mehr oder minder missglückten Versuche festzuhalten, der Kälte Ausdruck zu geben.

Tagebucheintragung, 21.4.1999  (S. 31)

Dieser Pfiff geht mir
durch Mark und Bein:
Abseits!

Du stehst abseits.


Fragen nach der Gattungszugehörigkeit von Tagebucheintragungen dieser Art gehören in die erste Hälfte des Lebens. In der zweiten Lebenshälfte, wo der Blick und das Gehör schärfer werden, gilt die Aufmerksamkeit nur dem Pfiff, dem Schrecken, den er verbreitet. Fragen nach seiner Poetizität sind in diesem Kontext redundant.
 
Roman Santeler fängt die Sprache bei ihren Anfängen ein, da, wo sie sich aus ihren Befangenheiten schält, aus den Fesseln der Stummheit befreit; er beschreibt ihr mühevolles Lautwerden, ihr Zerbrechen, die Brocken, auch das Echo der ungesagten Dinge, und immer wieder die Unmöglichkeit des Einander-Verstehens.
 
Dieses Ringen um Sprache wird festgemacht an der landschaftlichen Kargheit und Herbheit des oberen Inntals. Santelers Sprache spiegelt die Schroffheit der Felsen wider, die Abgründe des finsteren Inns, die Enge der kleinen Ortschaften, die scheue Art der Menschen. Verständlich wird daher auch das Fernweh, das immer wieder durchbricht: die Hoffnung, in der fremden Sprache, ja in Esperanto, das zu finden, was in der eigenen Sprache nicht möglich scheint (Fernweh S. 45, Abschied S. 46). Und immer wiederkehrend die Trauer über das Chaos, wenn die Worte, gefangen im „Schlund“ , den erlösenden Weg in die Sprache nicht finden:

Chaos
(S.49)

Mein Mund
sperrangelweit offen,
als ob tausend Worte gleichzeitig
heraus wollten

aus diesem finsteren Loch.

Das Chaos, das entsteht, wo es an Dialog mangelt, ein Mangel, der wiederum in einem gestockten  Informationsfluss wurzelt, der seinerseits vermutlich wegen unaussprechbarer  Emotionen erstarrt ist, dieses Chaos in die Textstruktur zu bannen, ist dem Autor meisterhaft gelungen. Auch dem Leser werden oft nur Fragmente von Informationen angeboten; am Stilmittel einer die Grenze der Verständlichkeit wiederholt unterschreitenden  Knappheit erfährt der Leser die Gefahr, die von einer solch minimalistischen Sprachhaltung ausgeht; seine Hoffnung auf klärende Hinweise, hilfreiche semantische Brücken, bleibt oft unerfüllt. Immer wieder fällt, symbolisch gesprochen, die Tür vor ihm ins Schloss. Wer die Tragödie einer zermürbenden Wortarmut je selbst erfahren hat, wird diesen Gedichtband mit Erstaunen lesen; er wird sich erinnert fühlen, wird die Einbrüche ins Schweigen nachvollziehen können, wird das Ausbleiben von Antworten wiedererkennen, die latente, umfassende Dialoglosigkeit, die uns alle bedroht, spüren und sich merkwürdig getröstet fühlen.

Die zweite Hälfte des Bändchens trägt den Titel „Silentium“ und ist ganz den vielen Facetten der Stille gewidmet. Pst! (S. 55) ist eine Aufforderung, dem lauten Geschwätz Einhalt zu gebieten, das uns die Ohren verstopft; das Eigentliche ist scheu wie ein Reh, schnell wird es ein Opfer der Jäger …
In Manna (S. 59) spricht ein selbstbewusstes lyrisches Ich:

Ich
Buchstabengießer,
habe ein Feuer
entfacht

ich
Seher,
stopfe eure
sprachlosen Mäuler

ich Unbehauster,
führe euch aus dem Dunkel
ans Licht

fürchtet euch nicht.


Resignation und Verzweiflung weichen manchmal messianischem Sendungsbewusstsein.

Mit dem titelgebenden Gedicht Silentium (S. 87) schließt der Gedichtband: ein Text voller Frieden, der an Goethes Wanderers Nachtlied erinnert (Über allen Gipfeln ist Ruh …). Auch hier erfüllt den Reisenden, nun fast am Ende seines Weges, die Vorahnung von Frieden, von tiefer Stille. Die Ungewissheit des Anfangs, die Qual der Verbannung, das Leiden an der allgegenwärtigen Stummheit, die Flüchtigkeit des Glücks, das unteilbare Geheimnis der Zwiesprache mit Gott … alles wird niedersinken in eine Stille, die jedem zuteil wird. Am Ende wartet ein letzter Aspekt von Schweigen: das Aufgeben –Dürfen des Sprechens.  

 


  

 


Boško Tomašević, Erneute Vergeblichkeit. Gedichte
Edition Neue Wege, 2009

Lyrik lebe vom Vergessen, sagt Hilde Domin in Wozu Lyrik heute? (1968), so wie Prosa vom Erinnern lebe: „Sie lebt von der Essenz statt vom Detail“. Vergessen werden im lyrischen Sprechen der Zufall der unmittelbaren, der „ersten“ Realität, die harten Fakten, die handfesten Begebenheiten, die unmittelbaren politischen und die historischen Wirklichkeiten, die Fragmente der Wirklichkeiten.
Bewahrt werden die inwendige Seite der Dinge und der Worte, ihre nach innen gerichtete Offenheit, ihr „Atemspielraum“, wie Hilde Domin sagt, ihre Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit, ihre Dunkelheit, die eine einladende ist, mehr als es die plakative Wirklichkeit der Welt, die gleißende Helligkeit des schneeigen Alaskas (S. 22) je sein könnte. Bewahrt wird also eine „zweite“ Realität, die unter einer fragmentierten Oberfläche liegende innere Realität. Zur ersten, zur eingeschränkten Wirklichkeit zählen die biographischen Fakten des Autors Boško Tomašević, seine Erfahrungen des Exils, eines serbischen Autors, der zur Zeit in Österreich lebt, seine Betroffenheit durch die politische Wirklichkeit, seine Alltagsrealität als Lyriker inmitten einer aus sprachlichen und inhaltlichen Gründen verständnislos reagierenden Umwelt. Zur zweiten, zur geweiteten, mehrschichtigen, nicht so offenbaren und also dunklen Realität zählen seine Erfahrungen des unendlich sich wiederholenden Suchens: nach dem zutreffenden, dem poetischen Wort, nach dem metaphysischen Ziel, nach dem Ausgang, der in sich den Startpunkt und den Endpunkt vereint, nach den Erinnerungen, nach ihrer Farbe, ihrem Geruch und ihrer emotionalen Intensität. Es ist diese zweite Realität, von der die Gedichte in seinem neuen Band Erneute Vergeblichkeit handeln.
Auf dem Cover steht zum Autor: „Zwischen 1994 und 2008 entstand eine weitere dichterische Matrix, die sog. Dichtung der Erfahrung, die in dem bisher unveröffentlichten Zyklus Erneute Vergeblichkeit eine Radikalisierung erfährt.“ Nicht gesagt wird auf dem Cover, welcher Impetus es denn sei, der die Worte immer wieder aufbrechen, sie suchen lässt, sie immer wieder, erneut, einen Anlauf machen lässt, und dies im Bewusstsein der Vergeblichkeit ihres Tuns. Ist Hilde Domins Antwort noch gültig?: „Indem das Gedicht dem Menschen hilft, er selbst zu sein, indem es ihm hilft, die eigene Erfahrung zu benennen und mitzuteilen, hilft es ihm, der Wirklichkeit Herr zu werden, die ihn auszulöschen droht. Denn sobald wir unsere Erfahrungen, und noch die unerträglichsten, genau benennen, leben wir sie von ihrem anderen Ende her, von dem menschlichen und nicht dem verdinglichten: als ob wir frei wären, sie anzunehmen oder abzulehnen. ... Ein Sprungbrett ist da, von dem gesprungen werden kann, wo sonst gestoßen würde. Atemraum für etwas wie Entscheidung.“ (Wozu Lyrik heute?) Hilde Domins Antwort ist eine Lesart, ein Lichtkegel auf dem Dunkel der Worte, eine Lesehilfe, mehr nicht. Aber eine sehr wertvolle.
Wie klingen Tomaševićs Verse im Originalton, auf Serbisch? Für Leser, die des Serbischen nicht mächtig sind, klingen die ins Deutsche übertragenen Verse so, als ob sie nicht melodisch sein wollten, als wollten sei keine Gesänge sein, sondern Litaneien, Mantras, manchmal Stoßgebete, in zirkulären Bewegungen sich artikulierende Meditationen, Reflexionen, Obsessionen, Fragen, so wiederkehrend wie die Perlen eines Rosenkranzes. Und so tröstlich. So wie die Schönheit eines Mantras sich einstellt bei der einhundertsten Wiederholung, so entfaltet sich die Schönheit dieser Verse in ihrer Obsessivität, ihren Wiederholungen, ihren spiegelverkehrten Variationen, in ihrer melodiösen Eintönigkeit, ihrem Dialogcharakter, in ihren Atempausen und abrupten Enden. Sprachlich fallen die vielen Substantivierungen auf (das Undurchsichtige, das Nirgendwo, die Mitleidigkeit des Todes), die zahlreichen Abstrakta (das Sein, das Sagen, das Ende, die Rückkehr, die Ankunft, das Treiben, das Dauern, das Nichts, das Schweigen, das Verschiedene/das Gleiche, die Leere, die Vergeblichkeit, Gott...). Die Konkreta vereinen sich zaghaft zu Bildketten wie Haus-Schwelle-Eltern oder Steppe-Fluss-Vögel und Nachtmahl-Brot-Wein-Kruzifix-Grab-Sarg. Ungewöhnlich und berührend sind die sprachlichen Bilder dort, wo Konkretes mit Abstraktem vebunden wird (die Rose meiner Einsamkeiten, der Himmel meiner Lasten, der kobaltene Körper meiner Heimat, in den großen Nächten schweigen Erlöserfische...) Mit Gebetstexten teilen viele Gedichte nicht nur die spirituelle Dimension, sondern vor allem ihren immanenten metaphysischen Dialogcharakter, der sich als intertextueller Dialog artikuliert: mit der großen, europäischen Dichtung (in wörtlichen Zitaten z.B. von Hilde Domin, Thomas Bernhard, Samuel Beckett, Paul Celan, Adam Zagajewski ..., in Variationen auf Themen z.B. von Samuel Beckett ...), mit der europäischen Geschichte (Lascaux, Holocaust ...), vor allem aber, wiederkehrend, mit der Tradition des christlichen Glaubens, mit ihrer ikonischen Sprache (so zitieren z.B. der Titel und der erste Vers eines Gedichts Psalm 103, v. 15-16 Wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes S. 8; das sündlose Brot S. 22, ... heiterer Himmel über dem alten Golgotha drei Kreuze/ und zwei Räuber echte Bösewichte mit spitzen/ Lanzen ... S. 20).
Drei ausgewählte Gedichte seien hier etwas näher beleuchtet.

ES SOLL WEITERGEHEN ES SOLL EIN ENDE NEHMEN (S.4)

1   Es soll weitergehen es soll ein Ende nehmen
2   in der Fortsetzung im Wunsch im Durst in der Ernte
3   das lange Feuchte soll weitergehen
4   das lange Feuchte soll ein Ende nehmen
5   im anderen Geschlecht soll es sich vollenden
6   die Säfte bis hin zum Kruzifix
7   es soll weitergehen es soll
8   ein Ende nehmen in diesem Mund
9   in diesen Augen wo der Dorn wild
10  „in die Blume meines Weizens“1 wächst
11  der Schnitt meines Zornes
12  soll weitergehen soll ein Ende nehmen.

1Thomas Bernhard: „In hora mortis“

 
Es wird nicht gesagt, was es ist, das weitergehen, das ein Ende nehmen soll. Aber es muss widersprüchlicher Natur sein, ein Paradoxon, und als solches hervorragend geeignet, den Geist, das Wunschdenken zu besetzen. Ein intensiver Wunsch wird in der Art einer Litanei formelhaft wiederholt: der erste Vers wiederholt den Titel, es folgen Asyndeta, in denen die Qualität des Wunsches angedeutet wird (Vers 3: das lange Feuchte soll weitergehen...), die das Angedeutete sogleich widerrufen (Vers 4: das lange Feuchte soll ein Ende nehmen...), die eine Richtung und etwas wie Erfüllung suggerieren, die Auflösung des Paradoxons (Vers 6/7: im anderen Geschlecht soll es sich vollenden/ die Säfte bis hin zum Kruzifix...). Der intensive Optativ nähert sich dem Imperativ an. Die Vollendung wird intensiv herbeigesehnt, aber wie kann sich das lange Feuchte, wie können sich die Säfte vollenden bis hin zum Kruzifix? Man stutzt über der Wahl der Präposition: liegt die Vollendung nicht im Kruzifix? Zweifel kommen auf: vollzieht sich die Vollendung auf dem Weg zum Kruzifix? Ist das Kruzifix das Ziel einer vorher erreichten Vollendung? Der folgende Vers 7 beginnt voller Hoffnung es soll weitergehen... und endet abrupt ... es soll. Eine Zäsur, eine Atempause. Dann das Kippen in die Negation im Vers 8: ein Ende nehmen in diesem Mund. Offen bleibt, in wessen Mund: in dem des Kruzifixes, des lyrischen Ichs? In wessen Augen wächst der Dorn wild „in die Blume meines Weizens“? Ist das Zitat, ist „In hora mortis“ die Antwort? Ist der Weizen eine Chiffre für das Leben? Treibt in der Stunde des Todes der Tod seinen Dorn wild in die Blume des Lebens? Ist also das lange Feuchte das Leben, so wie der Tod Staub ist? Oder wächst in die Blume des Lebens mein Zorn, der Schnitt meines Zornes (Vers 11)? Vollzieht das lyrische Ich willentlich einen Schnitt, ist es ein bewusster Schlussstrich? Oder ist es der Schnitt des Zorns, der weitergehen, der ein Ende nehmen soll ...(Vers 12)? Die syntaktische Verknüpfung ist mehrdeutig, der Sinn polyvalent. Mögliche Bedeutungen tauchen auf und werden sogleich zurückgenommen. In den Wünschen und ihrer sofortigen Negation, in angedeuteten Emotionen und ihrer raschen Konterkarieung erweist sich das lange Feuchte als unfassbar, undenkbar, nicht nennbar. Es bleibt ein Paradoxon, das im ersten und im letzten Vers das Gedicht rahmt. Mit dem Ausklingen des Paradoxons ... soll ein Ende nehmen endet auch das Gedicht. In der Zusammenführung von Form und Inhalt kommt das Paradoxon zur Ruhe. Dem Gedicht als ästhetischer Einheit gelingt, was die Worte negieren: Der Auf- und Abklang des Immergleichen, die Litanei der ubiquitären Widersprüche, das Leben und der Tod werden zusammengeführt, werden eins. In der Benennung des Widerspruchs gelingt seine Aufhebung. Das Gedicht besticht durch die Intensität und zugleich Unaufdringlichkeit des Tons, durch seine formale Stringenz und verhaltene Eleganz.
Als Beispiel für die „dichterische Matrix der Erfahrung“ sei hier zitiert

ÜBERALL IST DAS ICH (S. 28)

Wohin mich meine Seele führt
überall ist Regen überall ist Prag
überall Taufbecken Chorstühle
ein Sämling des Seins überall ist das „Ich“
überall abendlicher Abend aus einem Riss
weinen meine Eltern
lautlos über Zackenpflaster
führt mich die Seele.

Hier artikuliert das lyrische Ich seine Lebenserfahrung in konkret anschaulichen Bildern, die Sprache ist nahezu einfach, der Ton still und berührend. Wohin auch immer das lyrische Ich geht, trägt es seine Lebenserfahrungen mit sich, seine Erinnerungen, seine Identitäten, seine Sehnsucht. Und seinen Schmerz. Überall öffnet sich plötzlich ein Riss, durch den die in Zeit und Raum vermeintlich zurückgelassenen Erfahrungen das Ich wieder einholen. Doch ist es keine Flucht, auch kein planloses Irren. Die Seele ist es, die das Ich führt, lautlos, unbemerkt. Wer ist die Seele?
Das ist es auch, was in diesen Gedichten immer wieder aufhorchen lässt. Auch in ihnen ist ein Riss spürbar, durch den etwas dringt, was bis eben noch unerwartet war: ein Innehalten, ein Gewahrwerden, eine Art Hoffnung, inmitten des vergeblichen Suchens eine Art Rast:

RAST VON DER STILLE (S. 32)

Auf des Hauses Schwelle fiel Schnee.
Die Wege abgeschnitten. Hier werden wir liegen
lange so nahe der Stille wie
Stroh in der Krippe zu Bethlehem war
so nahe werden wir Seinem Wesen sein
wie unser Leben es von uns niemals verlangte.

Am Ende, besser: inmitten unserer Suche, unserer spiralförmig sich auf das Zentrum hin zu bewegenden Suche fällt plötzlich Schnee, die Wege abgeschnitten. Unsere Suche ist zu Ende, sie endet in der Stille, besser: so nahe der Stille wie Stroh in der Krippe zu Bethlehem war. Unser Wesen wird einfach und demütig sein wie das Stroh, das den Heiland in seiner Armut empfing. Hier wird als Einheit erfahrbar sein, was im Leben nicht möglich war: die äußerste Reduktion und der größte Glanz, das Erreichen der Stille. Es ist ein äußerstes Abverlangen und die äußerste Rast.
Diese Worte sind hinreichend/ zum Lernen der Stille nach der Stille, so beginnt das Gedicht Worte dafür (S. 10). Sie könnten das poetologische Programm dieses schmalen Gedichtbands sein. Boško Tomaševićs fragendes Umkreisen des Letzten transportiert in die sprachliche Struktur der Texte die Erfahrung der Stille und des Schweigens: als Fragen, die ohne Antwort bleiben, als Zitate, als Dialoge mit Dichtern, die in die letzte Stille bereits vorausgegangen sind, als persistierende, besser vielleicht: als meditierende Wiederholung und Variation der Wiederholung, als fast völliger Verzicht auf Satzzeichen und also als das Zulassen sehr vieler grammatikalischer und semantischer Bezugsmöglichkeiten, als Vorliebe für Paradoxa, als Wiederkehr des Motivs „Schweigen“, „Gottes schweigende Präsens“: ... in den großen Nächten schweigen Erlöserfische/ schweigt dein Auge und Gott in der Finsternis... (Schau durch unklare Dinge, S. 10), immer näher rückt der letzte Abend/ Gespräch und Schweigen Heiligkeit des Lichtes .... (Letzte Bilder und Verzweiflung, S. 40). Die Stille zählt die Wirklichkeit nicht auf, sie erklärt sie nicht. Sie deckt sie. Sie lässt ihr das Dunkle.
Die Edition Neue Wege bietet uns Tomaševićs Gedichte in der Originalfassung auf Serbisch sowie in der meisterlichen deutschen Übersetzung von Helmut Weinberger. Weinberger, Slawist an der Universität Innsbruck und empathischer Übersetzer auch früherer Prosa und Lyrik von Tomašević, ist dem Autor trotz wechselnder Verlage treu geblieben. Seine Übersetzung schafft es, auch Leser, die des Serbischen nicht mächtig sind, davon zu überzeugen, dass sie eine sehr gelungene sein muss, da sie sich selbst vergessen macht.