Rezensionen von Peter Giacomuzzi
- Matthias Schönweger,
- Hans Haid,
Innsbruck: Skarabeus Verlag, 2009 matthias schönwegers (msch´s) letzte veröffentlichung grand coeur ist herzensache. eine verknüpfung von den vier zentralen begriffen: bunker, herz, museum, buch. und nach flügelverleih und türe zu der letzte teil einer vielgewichtigen trilogie. bunker. msch „sammelt“ seit einiger zeit u.a. auch bunker. reste aus dem letzten krieg, die heute noch überall im land südlich der brennergrenze aufzufinden sind und vornehmlich kindern und jugendlichen dazu dienen, mit taschenlampen ein seltsam unbeachtetes, aber auch nicht mehr brauchbares bauwerk für verschiedenste zwecke zu erkunden. geschichtsträchtig und der hölle näher als dem himmel, sind diese hallen lange zeit neben dem heimatlichen alltag dahin verrottet, wahrscheinlich in der hoffnung darauf, dass mit ihrem zerfall auch die erinnerung an eine zeit verschwinden möge, der nicht mehr gedacht werden will. geschichte als einkaufswagen, wo man sich mitnimmt, was man grad braucht. der bunker in kriegszeiten sollte ein ort der sicherheit sein, geborgenheit bringen, und für die lange zeit der angst vor den bomben aus dem himmel auch eine kurze zeit frieden auf erden. zur abschreckung der schrecken erbaut, versucht msch den brach liegenden höhlen die friedfertigkeit des künstlers einzuhauchen. buncœr. die öffnung eines der bunker fürs publikum fand am 21. 06. 2009, dem herzjesusonntag, in saltaus im passeiertal statt. http://www.schoenweger.net/herzbunker/herzbunker.html herz. ein museum der herzen, das erste weltweit in dieser art, will grand coeur sein. ein öffentlicher bunker in buchform, in dem sich die besucher/betrachter ohne angst verlieren und den geist wandern lassen können. valerio dehò schreibt im vorwort: „matthias schönweger setzt, seiner eigenen religion folgend, obige verkündung fort und hortet das symbol der liebe zuhauf im herzen der erde in friedfertigen kriegsbunkern“. das herz als symbol für alles: für die tradition, die es in unserer herzgeliebten heimat spielt, für den bund mit dem herzen jesu, welchen die tiroler politik in zeiten der globalisierung noch immer alljährlich einseitig erneuert, für die herzlichkeit, mit der wir touristen und migranten (= wanderern. das wandern = des müllers lust) begegnen, für die beherzten hinaufsteigenden und hinabfahrenden tollkühnen heldinnen, welche zu oft ihr herz geben müssen, für allerlei und einerlei, worüber zu sprechen und zu denken uns das herz zu brechen scheint. msch´s herzen entsprechen dem bunker, sie schützen uns und geben den einen die kraft um zu bleiben und den anderen die ruhe um zu gehen. museum. sammeln und ausstellen, zugänglich machen und anregen. blättern also und versuchen zu sehen und zu verstehen. auf der oberfläche viel bekanntes von msch, aber da grand cœur auch ein beitrag von msch und der gruppe „kunst Meran Merano arte“ zum großartigen gedenkjahr 2009 gewesen ist, werden wir (auch) gezwungen bezüge herzustellen und müssen uns fragen, was diese msch´schen herzen mit uns selbst zu tun haben. klappentext vorne, also am museumseingang:
im
und dazwischen kann flaniert und sinniert werden, ohne führende musuemspädagogik, kindlich und kitschig kommt vieles auf glanzpapierchen aus der vorschulzeit ins auge und wandert verwundert ins herz, wo das gefühl sitzt. museen bewahren das, was uns wichtig erscheint. msch´s grand cœur. museum wird an das gedenkjahr 2009 erinnern, solange uns dazu nichts anderes einfällt. danach bleibt es jedoch allemal ein museum der herzen. |
Hans Haid, Similaun Es ist kein Musikantenstadl, den uns Haid hier auftischt. “Similaun” ist eine Gletscheroper, eine gewaltige und gewalttätige Erzählung, die uns kein Happy End beschert und von der wir uns erholen müssen, wie nach einem schlechten Traum. Wer sich durch Haids Erzählung liest, wird in Zukunft eher mit bangen und unsicheren Blicken auf die Berge hinauf schauen, wissend, dass da noch vieles herunter kommen wird, was besser oben bleiben sollte. Virgil, der lonely man von der Transhumanz (wers nicht weiß, bitte googeln), geistert im hintersten Ötztal herum und sinniert darüber nach, wie dem grässlichen Treiben der Gotteslästerung, Hurerei und Naturzerstörung ein Ende gesetzt werden könnte. Er erscheint uns bereits heillos Verdorbenen als Unberührbarer, als einer aus der Vergangenheit, der selbst sein Heil in einer noch ferneren Zeit suchen muss, da er mit seinen Schafen nicht mehr in der Lage ist, das anrollende Unglück in Form einer gewaltigen und bereits vor ihrer Fertigstellung dem Untergang geweihten Gletschermegastadt abzuwenden. Hoffnung und Stärkung für diese unlösbare Aufgabe sucht und findet Virgil z.T. bei und in Rusilena. Diese gehört einer alpenländischen Sagenwelt an, die wir “Gebildeten” schon längst nicht mehr in unserem Wissenskanon haben und nur besonders Fleißige und Aufmerksame höchstens noch in den “Dolomitensagen” von Auguste Lechner anzutreffen wissen. Hans Haid ist es mit seinem “Similaun” zu verdanken, dass er in schöner Parallele zum “anschwellenden Bocksgesang” der Tourismushyper ein Szenario entworfen hat, das dazu dienen könnte, uns an gewisse Gesetzesmäßigkeiten zu erinnern, aus denen es kein Entrinnen gibt, wenn auch noch so viele Ansprachen, Segnungen und andere Versicherungen 1000%ige Garantien abgeben und ewiges Glück durch das Geld an sich und die moderne Technik im Besonderen versprechen. Die “Langtüttin”, die “wilde Frau”, die ”Disen”, die “Sontga Margriata” und die “Saligen”; der “Malefiz-Bua” und der “wilde Mann”. Was sind das für Gestalten, die hier herbeigeschworen werden? Ihre Gegenüberspieler sind die Touristiker, die machtgeilen Politiker und die alles segnenden Vertreter des Herren auf Erden. Kurzfristige Gewinner in diesem ungleichen Spiel sind die Letzteren. Auf die Dauer aber bleibt es Figuren wie Virgil und seinen Mitspielern aus der Halbwelt der Berge vorbehalten, den Verlauf der Dinge so zu lenken, dass dem großen System dahinter, der Natur der Berge, nicht zuwider gehandelt wird. Die Erfüllung der Dämme ist ihr Bersten. Das Wasser wird gestaut, um dann mit unbändiger Gewalt das verdorbene Tal rein zu spülen und die frevelnden Mammonanbeter und deren Mätressen der gerechten Strafe zuzuführen. “Der Ferner kommt”, bzw. Dessen unter dem Eis aufgestaute Wasser. “Und dann ist es geschehen. Alles ohne Menschenschuld. Ohne nachweisbare Maschinenschuld. Einfach ein Ereignis, zwar schrecklich, aber nicht vermeidbar. Neun Tote und ein wenig Trauer im Tal der Zuhälter und Seilbahnpioniere”. Etwas mehr Liebe wär einem solchen Buch zu wünschen. Buchdeckel auf, los gehts, keine Verschnaufpause für das Auge, hinten schauts gleich aus: Bibliografisches schnell noch auf die letzte Seite gepappt. Der Flattersatz gibt auf der rechten Seite keine Ruhe, während links alles gradlinig verläuft. Konsequent wäre ein solches Layout, wenn bereits auf dem Umschlag mit dem Text begonnen und am Rücken damit aufgehört würde. Und wenns rechts flattert, sollte es das links auch tun, da man sonst ja bekanntlich leicht abstürzt. Auf alle Fälle aber eine Pflichtlektüre für all jene, die sich nicht so ganz sicher sind, dass "Skifoan (…) des Leiwandste” is, “wos ma sich nur vur stön konn”. |
lieber msch es ist schon erstaunlich, was dir immer so einfällt und vor allem wie! weil das “was?” wär ja nicht das problem, da liegt im lande soviel glumpert herum, historisches, politisches, künstlerarisches und noch vieles mehr. da wird ja wirklich an den stamm- und schreibtischen mit hingabe geschrieben und gedichtet, aber am ende bleiben dann doch meist nur die berg und die fremmen und die walschen samt der etsch, die sie uns südwärts gestohlen haben und welche daselbst dortunten schon gar kein gscheites wort deutsch mehr verstehen tut. das “was?” also ists nicht, aber das “wie?” schon gewaltig, weil das, was du, lieber msch, da so sang- und klanglos zwischen zwei pappdeckel hast drucken lassen, geht normalerweise auf keine unserer kühe häute heute. eng Peter Giacomuzzi |
Die Herzen bestehen aus einem schlagenden Kern und 3 Blutstropfen 心 Die Herzen So sollten eigentlich Wörterbücher ausschauen. Das Bild, der Text, die Poesie. Und dies scheint mir, falls ich Stechers Anspruch einigermaßen verstanden habe, Sanwen zu sein. Wer aber Antworten sucht, wird nicht auf seine Kosten kommen. Auch alle anderen Texte sperren sich sofort jedem, der zu „verstehen“ versucht. Da wird die Logik bewusst außer Kraft gesetzt und wer sich nicht verführen lassen will, wird zŏuba! wenig abgewinnen können. Nun lässt sich natürlich einwenden, dass damit der Beliebigkeit alle Tore geöffnet werden, dass die Anordnung dieser verschiedenartigen Geschichten und Geschichtchen nicht nachvollziehbar ist. Diese aber, die „Beliebigkeit“, ist eines der Wesensmerkmale von Sanwen. Die kurze Erzählung Das Ungeborene beschreibt die Verweigerung eines Kindes, geboren zu werden. Das geht nun eigentlich nicht, ist Unsinn. Hier geht es und endet so: „ Ich denke - obwohl ich genau weiß, dass ich mit ihr sterben werde -, ich lebte lieber in ihrem Bauch weiter als allein, denn sie ist mein Herz, mein Gedanke und mein Auge. Wahrscheinlich verwandeln wir uns dann beide in Schmetterlinge und fliegen davon. |