Rezension von Krista Hauser [Jan. 2014]


 

 

Norbert C. Kaser, herrenlos brennt die sonne. Gedichte und·Prosa. hrsg. von Petra Nachbaur und Benedikt Sauer
Innsbruck: Haymon, 2013

Waren es die dunkelbraune Kutte, das schmale Gesicht oder doch die knappe Sprache Norbert C. Kasers, die sich mir bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im Jänner 1969 in Innsbruck eingeprägt hatten? Welche Texte der 21jährige Novize aus dem Brunecker Kapuziner Kloster im Hotel Speckbacher gelesen hat, lässt sich heute schwer eruieren. Das Gedicht „schnee“, das er am 15. November, zwei Monate nach seinem Eintritt ins Kloster in Kleinschreibung verfasst hatte, könnte es gewesen sein. Es passt zur Stimmung, die ich in Erinnerung habe. Und das, was der extreme Außenseiter seit seiner Gymnasialzeit sein wollte, das war er schon bei dieser Lesung: ein Dichter. Ein Mensch, der bis zu seinem frühen Tod  in der Sprache wohnte.


 
schnee

eine verschrummelte birne
baumelt am baum
sie fiele gern

drei blätter haben sich
selber eingewickelt weil
sie kalt haben

da kam schnee
und alles elend
ward nicht mehr
gesehen
                              15.11.1968


Zu finden ist dieses eindringliche Gedicht in der jüngsten Hommage für Kaser. Zu seinem 35. Todestag am 21. August 2013 haben Petra Nachbaur und Benedikt Sauer unter dem Titel  „herrenlos brennt die sonne“ im Haymon Verlag eine Sammlung von Gedichten und Prosa herausgebracht. War dieses Taschenbuch wirklich nötig, da doch alles, was der schwierige Einzelgänger aus Südtirol in seiner kurzen Lebensspanne schrieb, längst publiziert wurde?
Die Antwort des Herausgeberduos: ein überzeugendes JA! „Um Kasers Namen am Leben zu erhalten“. Denn mit Ausnahme der „gesammelten werke“ in drei Bänden, die unter Mitarbeit Sauers  1988 – 1991 im Haymon Verlag erschienen und Raoul Schrotts  „ N.C.Kaser elementar “ (2007) sind alle gebundenen Bücher mit Kasers Texten vergriffen.
Natürlich auch meine frühen Schätze, die mich über Jahre begleitet haben: „Eingeklemmt“ (1979), „Kalt in mir“ (1981) und die bibliophile Rarität „verrückt will ich werden sein & bleiben (1986).       
Oft ist es nur ein poetisches Fragment, das plötzlich aufblitzt: „ den schrei des Fruehlings /spuer ich/ in der luft...“ Oder Polemik, harsche Kritik, die sich im Gedächtnis eingegraben haben: „Kapuziner, ihr naht euch wie Affen den Sitten der  Pfaffen.“ Im „lied der einfallslosigkeit“ rechnet er mit verlogenem Traditionsbewusstsein ab: „dem herzen des gottes verschworen  & ueber allem schwebt der henngeier“
 Spontanes Erinnern an Worte, Sätze, Lebensspuren des vielseitigen Schriftstellers, der aus der geistigen Enge seiner Umwelt auszubrechen suchte und posthum zu einem bedeutenden Lyriker der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts aufstieg, verdichtet sich beim Blättern im neuen Taschenbuch.  Es richtet sich vor allem an junge Leser und engagierte Lehrer,  auch an Literaturinteressierte, die Kaser erst entdecken werden. Nicht zuletzt an Insider, die vielleicht die frühen Gedichte und die raren Prosastücke kaum kennen.
 Im  Titel des einführenden Essays von Petra Nachbauer und Benedikt Sauer klingt die Widersprüchlichkeit Kasers und seiner Werke an: „ Wunde, Gaudium und Tanz “.  Er war ein Zweifelnder, oft Verzweifelter, kränkelnd seit seiner Kindheit, aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen. An der Armutsgrenze  lebte er oft auch als Erwachsener. Ein Unsteter, fast ein Nomade, der viel unterwegs war, der aggressiv, aber auch lustig, witzig, voll Ironie sein konnte . Vom Schreiben war er besessen, wo immer er sich aufhielt. Am Wirtshaustisch mit Gleichgesinnten, die mit der Linken  sympathisierten, oder im  Kapuziner Kloster in Bruneck, in das er als Frater Christoph im September 1968 eintrat und das er zu Ostern 1969 wieder verließ. Er schrieb in einer kalten Schrebergartenhütte beim kurzen Studium in Wien, das seinen Niederschlag in der Sammlung „kampflaute aus der duesteren provinz & weltstadt “ fand. Kaser  jobbte als Wegmacher in Norwegen, als Mauteinheber in Sterzing, irgendwie kam er durch. Mit Unterstützung von Freunden wie Gerhard Kofler, Gerhard Mumelter, Klaus Gasperi , Hans Haider und Paul Flora.  Zeitweise fand er Ruhe als  Aushilfslehrer in abgeschiedenen Südtiroler Berggemeinden. Er liebte Kinder, schrieb für sie einfache, manchmal surreal anmutenden Gedichte und kurze Geschichten. Auch der Patient Kaser, der sich wegen seiner schweren Lebererkrankung und Alkoholismus öfters in Krankenhäusern und zur Kur sogar in der DDR aufhielt, schuf sich seinen inneren Freiraum als Dichter. Sporadisch übersetzt er auch Autoren italienischer Muttersprache, sogar Dante, und schrieb selbst Gedichte in Italienisch.
Doch es waren nicht nur Kasers poetische Kraft und engagierte  Literatur, die ihn zur Kultfigur der  regionalen 68er - Generation und deren Nachfahren werden ließ. Es war seine radikale, konsequente Haltung gegen das  politische Establishment des Landes, die Amtskirche, auch gegen manch heimatverbundenen Schreiber. Kasers  berühmt-berüchtigte „Brixner Rede“ von 1969 gipfelte im Aufruf „ den Tiroler Adler wie einen Gigger zu rupfen und ihn schön langsam über dem Feuer zu drehen“. Bis zu seinem Tod galt er in bürgerlichen und bäuerlichen Kreisen als Gottseibeiuns. Einer, der 1976 mit der Kirche brach und dies folgend begründete: „da ich ein religiöser mensch bin trete ich aus der katholischen kirche aus“.  Damals ein enormer Schritt in der von der Kirche geprägten Kleinstadt, in der Jeder Jeden kannte.        
Im selben Jahr wurde Kaser Mitglied der KP.
Bei seinem Begräbnis am 23. August 1978 in Bruneck läuteten keine Glocken.

Die Strahlkraft Kasers blieb auch nach seinem Tod  unvermindert, was Petra Nachbauer und Benedikt Sauer so begründen: „Ihn beschäftigten die großen welt- und sozialpolitischen Belange des Zeitgeschehens, und seine Texte waren der Zeit voraus, wenn es um „Das Private ist politisch“ ging.
 Dass Kaser auch heute aktuell ist, darüber sind sich die Herausgeber einig. „Der Blick auf Kasers Werk hat sich in unserem spannenden Arbeitsprozess, im Dialog miteinander geschärft. Wir haben Kasers Qualität und Originalität aufs Neue entdeckt“.
 Das spürt man bei der Lektüre.  Die großen welt- und sozialpolitischen Belange haben sich in den letzten Jahrzehnten zwar verlagert, doch existenzielle Fragen lassen sich auch in einer säkularisierten Welt nicht verdrängen. Um sie kreist der Dichter.  Neben den bekannten, wunderbaren Gedichten der späten Jahre, die sich fast alle im Buch finden, sind es frühe Reflexionen über Kirche, Glauben und Nichtglauben, ein Hadern mit Gott, die auch in einer Zeit, da Rekordzahlen von Kirchenaustritten für Schlagzeilen Menschen bewegen. Das kleines Gedicht, das ich bisher nicht kannte, hat Kaser nach seinem Austritt aus dem Kloster „in principio..“ betitelt. (S.55)
das wort
das fleisch
 der zweitausendjährige

warum
 hab ich Dich verlassen


steh
sprich
rede
sag

warum erlaubst Du
das alles“

Was ich bisher kaum wahrnahm, darauf hat mich Benedikt Sauer, der 1997 eine Biografie über den Dichter verfasste, hingewiesen: Es sind die Themen Mann und Frau, Sexualität und Gewalt, auch Kasers eigene Identität. Hier nur ein paar Hinweise: 
Oft zitiert wurde  „st. sebastian“,  verfasst 1971 auf der Hungerburg über Innsbruck, wo Paul Flora wohnte.
Das Gedicht über den schönen, zu Tode gemarterten jungen Mann, der als d e r Heilige Homosexueller gilt, endet mit folgendem Schluss:
„mit der nacht kommen
engel seine todeswunden
lecken“

Ein weiteres, vermutlich nur Insidern vertrautes Gedicht, ohne Titel, geschrieben 1970 in Bergen  
„muede meine haende wie
leere tauben
voller ringe & gold

muede mein mund wie
ausgeloeste krabben
voller zaehne aus grauem
elfenbein klappt
er zu

gespalten mein geschlecht.

Das beängstigende Gedicht „die braut“, das 1968, knapp vor Kasers Eintritt in den Orden entstand, beginnt mit folgenden Zeilen:
  „im grunde liebte sie ihn
   wenn er auch saugrob war
   aber ein mann
    Der Schluss des Gedichtes:

 „im grunde liebte sie ihn
 so lange
 bis er sie erstach“
   
Kirche und Sexualität, ein Text aus dem Jahre 1976 mit dem Titel „magdala“,  jede Zeile damals eine Provokation. Nicht nur für die Amtskirche und die Gläubigen in Südtirol:
„menschensohn! in den furchen spalten  huegeln meines leibes ist ungesaettigt`s  feuer von tausend teufeln! 

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