Rezensionen von Iris Kathan
- Hans Haid,
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Hans Augustin,
Hubert Gundolf, Geschichten der Erinnerung
Georg Payr, Das ewig Päpstliche zieht uns hinan
Elias Schneitter, Venedig. Jugendroman -
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Hans Augustin, Aufzeichnung einer Täuschung. Roman. Kyrene 2010 Innerhalb der Tiroler Verlagslandschaft ist der 2003 gegründete und von Martin Kolozs geführte Kyrene-Verlag der jüngste. Insbesondere um die junge Tiroler Literatur macht sich der kleine Literaturverlag seither verdient. Dass das in einer Zeit, in der allerorts im Kulturbetrieb gespart werden muss, nicht immer einfach ist, lässt sich denken. Zeit also, ein paar jüngst erschienene Titel aus dem Kyrene-Verlag vorzustellen. Hans Augustins Roman führt in eine nicht näher lokalisierte Bergwelt. Ein Mann und eine Frau, sie bleiben den ganzen Roman hindurch ohne Namen, verlassen bei einer Bergtour die vertrauten Pfade und wagen sich in unbekanntes Terrain vor, um einen nur vermeintlich existierenden Gipfel zu erreichen. Dabei geraten sie in eine fremde Welt, in der alles Vertraute plötzlich wegbricht, die gewohnten Lebenszusammenhänge fragwürdig und unsicher werden. In der fremd gewordenen und feindlich anmutenden alpinen Landschaft finden sie Unterschlupf in einem verlassenen Heuspeicher. Dort wollen sie Kräfte sammeln für den Rückweg am nächsten Morgen. Doch verzögert sich der Aufbruch und schnell wird klar, an eine Rückkehr ist nicht zu denken. Was wie eine Bergsteiger- und Abenteurergeschichte beginnt, wird zur Geschichte eines gesellschaftlichen Ausstiegs, zu einer modernen Robinsonade. Das Paar beginnt sich einzunisten in seiner Höhle, die Frau sammelt Kräuter und Wurzeln, aus denen sie Brühe kocht, der Mann macht die Behausung winterfest. Dass spätestens zu diesem Zeitpunkt manches nicht mehr ganz schlüssig ist, ist ohne Belang, die Erzählung folgt der Logik ihrer eigenen Fiktion. Das zunächst schmerzhaft erfahrene Verlustig-Werden der Welt erweist sich zunehmend als Gewinn und Befreiung. Es geht um die Reduktion auf Wesentliches, um die letzten Dinge des Lebens, um die Rückkehr an den Anfang einer Geschichte. Letztlich um Sehnsüchte, die der Reflex sind einer modernen Gesellschaft und einer sinnentleert erlebten Welt. Die Frau wird schwanger und das Paar beschließt die hochalpine Welt zu verlassen und sich in lebensfreundlichere Gefilde vorzuwagen, sich dem Tal wieder anzunähern. Was folgt – es soll an dieser Stelle nicht genauer ausgeführt werden –, lässt verschiedenste Lesarten zu, kann als stufenweise Vertreibung aus dem Paradies ebenso gelesen werden wie die Geschichte einer Schöpfung und damit auch als Reflexion über das Schreiben. Schlägt Hans Augustin in seinem Roman nachdenkliche und leise Töne an, hat man es bei Georg Payr mit einer ganz anderen Erzählstimme zu tun. Die gut zwei Dutzend in dem Erzählband versammelten und zu einem größeren Teil bislang unveröffentlichten Kurz- und Kürzestgeschichten schlagen einen vorwiegend vergnüglichen Ton an. In erster Linie sind es abstrus-komische Geschichten, manchmal treibt es einem vor Lachen die Tränen in die Augen. Einer, der in einem Kaffeehausgespräch vor sich hin monologisiert, sich selbst die Stichworte zuwirft, um sich in immer höhere (oder tiefere), auf jeden Fall aberwitzige Sphären der Gesprächskunst zu schwingen. Ein pensionierter Finanz- und Stempelmarkenbeamter, der seine Tage damit zubringt, alltäglich beim Frühstück im Kaffeehaus seinen Tisch bis zu drei Metern mit Bröseln zu markieren und im Klinikum darauf zu warten, dass die Zeit vergeht, und ein motorradliebhabender Kaffeehaussitzer, der das Papstamt anstrebt, begeben sich auf eine motorisierte Wallfahrt nach Wigratzbad. Ein Rilke-Forscher vertieft sich in die Mechanik des Spülkastens seiner Toilette, ein Schauspieler verliert am Höhepunkt des Faust sein Gebiss. Wiederkehrende Themen: Mobilität (von der libidinösen Beziehung des Kindes zu seinem ersten Gefährt zu aberwitzigen Motorradgeschichten), Immobilität (Menschen, die sich gar nicht mehr bewegen, irgendwo festwachsen), Zahnarztbesuche und Lokusprobleme, selbstverliebte Menschen und solche, die das Papstamt anstreben. Aber auch nachdenklichere Geschichten und Betrachtungen, die schönste, wie ich finde, Friedhof im Engadin. Was die Qualität der meisten dieser Erzählungen ausmacht, ist neben dem (Sprach-)Witz ein sehr bewusster Umgang mit Sprache, kaum wo ein Wort zu viel, eine große Stilsicherheit und die Stringenz der Texte, die meist vom ersten bis zum letzten Wort den Spannungsbogen halten und sehr geschlossen, ja stimmig wirken. Kurz: Ein Lesevergnügen. In der „Reihe für junge Leser“ erschien Elias Schneitters Jugendroman Venedig. Der Titel des Romans ist ein wenig irreführend, ist Ort der Handlung doch irgendein „Kuhdorf“ im Oberland von Tirol. Venedig, das ist anderswo. Venedig könnte eigentlich überall sein, Venedig ist, wie es lapidar heißt, „gut essen, durch die engen Gassen strolchen, etwas trinken und rauchen, und vor allem quatschen“. Hier, das ist tiefe Provinz, das sind die an einer Hand abzählbaren Orte einer Provinzjugend, ein dörfliches Pub, ein paar Gymnasiastenkneipen, wo man immer dieselben Leute trifft. Im Mittelpunkt des Romans steht die 15jährige Julia, die in Briefen an ihre beste Freundin Melissa aus den Wechselfällen ihres Lebens berichtet, wobei die Briefpartnerin selbst kein einziges Mal zu Wort kommt und seltsam körperlos bleibt. Die Form des Briefromans wirkt ein wenig konstruiert, ist es doch eher schwer vorstellbar, dass eine Jugendliche ihrer besten Freundin, die sie jeden Tag in der Schule trifft, seitenlang aus ihrem Leben berichtet, vor allem, weil in diesen Briefen nichts gesagt wird, was nicht genausogut besprochen werden könnte. In einem einzigen atemlosen Monolog also erzählt Julia von ihren Alltagssorgen, Verliebtheiten und ersten sexuellen Erfahrungen, von Alkoholexzessen und hemmungslosem Zigarettenkonsum, Gewichtsproblemen und guten Vorsätzen. Der Horizont des Erzählten ist eng. Obwohl dauernd gesprochen wird, entsteht der Eindruck, dass eigentlich nichts erzählt wird. Dennoch entwickelt sich während der Lektüre ein Gefühl für die Protagonistin, dafür, worüber nicht geredet werden kann, was unausgesprochen bleiben muss. Eine Ahnung von Suche und Sehnsucht nach etwas anderem. Doch das lässt sich lediglich im Subtext erahnen, muss zwischen den Zeilen gefunden werden. Was auffällt – bei allen pubertären Grenzüberschreitungen, von denen berichtet wird – ist die große Konformität der Jugendlichen, von denen erzählt wird. Ihre Wünsche und Träume sind doch sehr bescheiden. Eine Reise nach Venedig, eine gute Figur, weniger rauchen. Irgendwo ist an Stelle von Phantasie, Vorstellungen und Träumen Leere getreten. Und da liegt vielleicht auch der Mangel dieses sehr leicht lesbaren und mit leichter Hand geschriebenen Romans. Erwarten sich nicht Leser – gerade in diesem Alter, an der Schwelle zum Erwachsen-Werden – von Literatur eine Horizonterweiterung, alternative Lebenskonzepte zu den ohnehin vertrauten Alltagsgeschichten? Ist Lesen nicht häufig ein Erproben fremder Gedankengänge, ein Ausbrechen und Türen-Öffnen? Als dritter Band der „Reihe alter Autoren“ erschienen 2010 posthum die Erinnerungen Hubert Gundolfs (1928–2001), langjähriger Redakteur der Tiroler Nachrichten und ab 1972 Pressereferent der Tiroler Fremdenverkehrswerbung. Sie führen zurück in die Kindheit und Jugend des Autors, die er im Tirol der 30er und 40er Jahre erlebt hat. |
Arno Heinz, Schwindelfrei im Lichtmeer. Erzählung. Mit Vignetten des Autors „Sie haben nicht das Recht, abseits zu stehen“, mahnen ominöse Stimmen den Protagonisten in Arno Heinz‘ Erzählung Schwindelfrei im Lichtmeer, als dieser sich gerade in der Belletristik-Abteilung einer Buchhandlung befindet und einen Gedichtband von Erich Fried aufschlägt. Die Stimmen fordern ihn dazu auf, eine verdächtige Person beim Buchstaben T der Belletristik-Abteilung zu observieren. „Es war SIE, die Frau, die ihm aufgefallen war, die er aus irgendeinem Grund anziehend gefunden hatte und der er aus seiner gewohnten Umgebung der Fachbücher in die fremde Welt der Belletristik gefolgt war.“ Rasch fügt sich der Angesprochene in sein Schicksal und in die Rolle eines Geheimagenten. Denn „diese Art der Agententätigkeit“, so die Stimmen, sei „ideal für Mitglieder der heutigen Multi-Optionsgesellschaft, eine Öffnung der Arbeitszeit nach oben in freiwillige, aber aus moralischer Sicht obligatorische Sozial- und Arbeitsdienste, eine selbstverständliche Lebensform, die uns im Innersten ergreift und über uns hinausgeht, entsprechend dem Willen des modernen Menschen zur Steigerung, zum Vorwärts, zum Mehr-Machen und Mehr-Sein, über den Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Wunsch hinaus, immer neue Grenzen zu überschreiten und am liebsten schon dort zu sein, wo man noch nicht ist und sich noch nicht dazu entschieden hat, zu sein“. Lichtgestalter von Beruf, mehrfach geschieden, Rationalist, reist er, ein moderner Nomade, durch Europa, von einem Projekt zum nächsten, Flughäfen, Konferenzräume, Hotelzimmer sind ihm Arbeitsstätte und Zuhause. Die Maximen der modernen Gesellschaft hat er längst verinnerlicht. Ein Jahr lang, von Dezember bis Dezember, durch das Wachsen und Abnehmen des Lichtes, begleitet ihn die Erzählung bei seinem rätselhaften Auftrag von einem Ort zum nächsten, verfolgt seinen Weg in zunehmende Isolation und Paranoia. Allerorts wittert er Verschwörung und fürchtet „hinters Licht geführt zu werden“, Angst ist ein Grundtenor der Erzählung. Angst (unter anderem vor dem Irrationalen) ist es wohl auch, die es dem Protagonisten unmöglich macht, sich auf Begegnungen mit verschiedenen Frauen – ein Leitmotiv der Erzählung – einzulassen. Erzählt werden Episoden aus dem Alltagsleben des Helden, lose zusammengehalten durch den Handlungsfaden des Spionageakts. Immer wieder fällt er in Schlaf und beginnt zu träumen – werden die Schilderungen alltäglicher Situationen durchbrochen von bildhaften, verdichteten Textpassagen. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion, Bewusstem und Unbewusstem, Tag und Nacht scheint dabei zunehmend an Bedeutung zu verlieren, durchlässig zu werden. Daneben finden sich manchmal ironische sowie gesellschafts- und vor allem sprachkritische Betrachtungen und Reflexionen des Erzählers. Das Spektrum der Themen ist dabei weit gesteckt, da geht es um Kontrolle und den gläsernen Menschen, Terrorangst und Verschwörungstheorien, die Informationsgesellschaft, und, der Autor erweist sich hier als Kenner, immer wieder um Licht und Architektur. Ästhetisch gleicht der Ton der Erzählung dem Akt des Zappens beim Fernsehen: Es mischen sich die verschiedensten Textgenres, Stile und Themen, Vielstimmigkeit charakterisiert die Erzählung. Sie erinnert an das unentwegte Angesprochensein durch die Medien. Gegen ihr Ende hin spielt der Protagonist mit dem Gedanken, es dem Staubsaugervertreter James Wormold aus Graham Greenes Roman Unser Mann in Havanna gleichzutun und seine Auftraggeber mit fingierten, erschwindelten Informationen zu füttern. Doch hatte Greenes Romanheld im britischen Geheimdienst noch eine institutionelle Macht als Gegenüber, so stellt sich im vorliegenden Fall die Frage: „Wer hat hier das Kommando?“. Gefangen ist die Hauptfigur im Spiel der Bedeutungen, mit ihr der Leser. Voller Anspielungen auf Literatur und Film, Philosophie- und Kunstgeschichte steckt die Erzählung. Andererseits führt diese Dichte an Zitaten und Anspielungen, Informationen und Themen dazu, dass die poetische Aussage verschwimmt und am Ende der Lektüre wenig haften bleibt. Schatten und Licht sind die tragenden Motive der Erzählung. Nicht zufällig taucht wiederholt Platons Höhlengleichnis im Text auf, geht es dem Autor wohl – zumindest auf einer wesentlichen Ebene des Textes – um Fragen nach Möglichkeiten der Erkenntnis. Dabei scheint Licht nicht unbedingt Garant für Wahrheit zu sein, braucht es die Nachtseiten. So lässt sich der Text auch als Plädoyer für die Freiheit der Phantasie lesen: „Das Gedicht / wird richtiger, / die Welt / wird falscher“ liest der Protagonist zu Beginn der Erzählung aus Erich Frieds Gedichtband Warngedichte (1964) und lässt dann das Buch irgendwo liegen. |
Erika Inger, All Souls Clinic. Martin Pichler, Navigatore Der Ausstellungskatalog All Souls Clinic zeigt Arbeiten der Südtiroler Künstlerin Erika Inger, die im Zeitraum von 2007 bis 2009 entstanden sind. Die Erfahrungen mehrerer Aufenthalte in Afrika haben die künstlerische Auseinandersetzung geprägt. Es handelt sich bei einem Großteil der Arbeiten um zweiteilige Kompositionen, jeweils bestehend aus einem Reisebild, das um eine skulpturale Einheit aus (Fund-)Gegenständen ergänzt wird. Die Abbildungen erinnern an geöffnete Zündholzschachteln: „Das sich Hin- und Herbewegen zwischen den Welten” des Reisenden vollzieht sich im Betrachter zwischen flächigem Bild und eingeschachteltem Fundstück. Das titelgebende Bild des Ausstellungskatalogs zeigt die Fotografie einer Klinik in Accra. Passanten gehen vorbei. Diverse Aufschriften („All Souls Clinic“, „No Entry“, „No Parking“) fügen der Abbildung verschiedene Bedeutungsebenen hinzu. Ergänzt wird dieses Bild durch eine geometrische Anordnung von Fundstücken, zerbrochenes weißes Porzellan, verbogene Nägel, eine Schere, Lichtschalter. Bruchstücke vor allem. Das Motiv der Fort-Bewegung spielt auch in Martin Pichlers kurzer Erzählung Navigatore eine Rolle. Die Fahrt eines Rollstuhlfahrers zu einer Tanzstunde. Navigatore, so wird der Ich-Erzähler von Margherita, die ihn begleitet, genannt, verzeichnet akribisch seine Wahrnehmungen, vor allem die nach innen gerichteten Bewegungen, die Begegnungen mit anderen Menschen in ihm auslösen. Der Körper dient als Messinstrument: „Ein kleines Erdbeben und Wirbeln in meinem Rücken“, „ein Kälteschlitz […] an meinen Hüften“, „gewecktes Blut, eine besondere Kitzligkeit an unvermuteten Stellen“. Der Erzähler dokumentiert, lotet aus: „Ich bin ein Kartograf, vermesse und staune, ich bin dauernd bei der Arbeit und ziehe die Grenzen nach.“ Grenzen und vor allem auch deren Überschreitung spielen in Pichlers Geschichte eine Rolle in vielerlei Hinsicht: In der Erfahrung körperlicher Unzulänglichkeit, als Barrieren zwischen Menschen, in Form von Übergriffen, aber auch in Bildern von Reibung, Ergänzung und Vereinigung. Navigatore hält, um bei der Sprache der Seefahrt zu bleiben, manchmal das Steuer fest in der Hand, verliert es aber auch wieder, changiert zwischen Gefühlen der Macht und Ohnmacht. Zentral ist die Frage nach dem Fremden und dem Eigenen, die schwierige, mitunter schmerzhafte Begegnung mit dem Anderen. Die Erkundung des fremden Kontinents ist hier in die persönliche Erfahrung verdichtet: „Ich denke an den elastischen Stoff, bei jeder Bewegung Reibung und Differenz, die beiden Hälften der Wirklichkeit: Was dem eigenen Körper zugeschlagen werden kann, und das restliche Gebiet, weit, öd und unerkundet.“ Nicht gesagt wird, inwieweit Pichlers Erzählung als literarischer Kommentar zu den Arbeiten Erika Ingers intendiert ist. Augenfällig sind jedoch viele Bezüge sowohl auf der formalen als auch auf der Bildebene. Einfühlsam scheint der Autor Motive aus den Skulpturen der Künstlerin in seine Erzählung einzuweben. Da sind etwa die aus Stahlnägeln gefertigten Objektbilder aus der Serie „Nageln“, die sich ebenfalls im Katalog befindet. Auf einem Bildträger umgekehrt befestigte Nägel bilden verschiedene Sprachbilder („Ich“, „Seele“, „Stille“), die sich mit ihren Spitzen gegen den Betrachter richten. Die aus verbogenen Nägeln geformten Bilder werfen Schatten, die an feine Härchen erinnern. Sprießende Haare, „die kreuz und quer ins Fleisch gesteckten Schrotkugeln“, sind ein durchgängiges Motiv in Navigatore: Bärte, „dieses verletzliche Moos und die aperen Stellen dazwischen, wo die Härchen nicht sprießen wollen, rühren an mein empfängliches Herz.“ In einer früheren Arbeit – die Skulptur „leichter gehen“ (Skulpturenwanderweg Lana, 2000) – befestigte Inger schwere Steine auf Stangen und ahmte durch ihre Anordnung die Bewegung einer Welle nach. „ Die Skulptur verweist auf […] einen Prozess, dessen Ziel die Leichtigkeit ist, zwar eine fragile Leichtigkeit, aber eine, die wie ein Traum über die Erdschwere hinausweist”, schreibt die Künstlerin in einem Kommentar zu dieser Arbeit. „Eine fragile Leichtigkeit” ist auch in jenem Paartanz erahnbar, in dem Pichler seine Erzählung hoffnungsvoll enden lässt. |
Martha Lanz, Frühere Wasser. Ein Aufwachsen in Absätzen In Frühe Wasser beschwört Martha Lanz in knapper, lyrisch dichter Prosa frühe Kindheitsbilder. Erinnert wird, klar und unsentimental, die Kindheit auf einem Bergbauernhof in den frühen 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. Ort der Handlung ist das karge Grenzland des eine Generation zuvor in Nord, Süd und Ost geteilten Tirol. Dass uns der Text Besonderes zu sagen hat, liegt wesentlich an der Gabe der Autorin einen kindlichen Blick zu wahren, ohne jedoch die Erzählerfigur konkret werden zu lassen. So wird es möglich den Hintergrund an Härte und Brutalität dieses Daseins in wenigen Zeilen als Prospekt zu entwerfen, ohne das Eigentümliche der Botschaft eines kleinen Menschen zu zerstören. „Und die Erde war nicht einfach da und war Erde. Die Erde war zu führen wie das Leben. Sie war nicht und blieb nicht, wo sie sein sollte. An der Seilwinde sitzen und schalten. In den Ohren winselt es ein und aus. Von unten nach oben war sie zu karren, die Erde. Einer rennt auf und ab mit der Grutte, so führt man die Erde. Und der Aprilwind reißt die paar Haare in Strähnen, daß sie es nie mehr vergessen. Sie bleibt aber nicht oben, die Erde. Unten ist sie wieder im nächsten April.“ Gegenstände initiieren den Prozess der Erinnerung, die Holzkiste in der Küche, gut gefüllt, leer erst, wenn ein Toter hinausgetragen wird, der Blechkranz für Begräbnisse, wieder verwendbar im Fall, selten genug genossene Aranciata in gerippten Flaschen, als „Lullaflaschen“ aufgehoben, der „Tundarodla-Roller“, ein Himmelsglück. Erzählt wird von Menschen, die kommen und gehen, vom Abnehmen und Zunehmen der Sonne wie der harten Arbeit, die im Sommer zu „kälbern“ beginnt, von der Präsenz des Todes. Und wichtig ist das Land an sich, das Vaterland (der Hof Eggemanner bei Toblach) mit seinen Wegverläufen, Fluchten, Verstecken, aber auch das Mutterland (in Osttirol) und das „Muineland“ Welschellen (ein ladinisches Bergdorf im Gadertal) als projektierte Ferne. Als Brüche ziehen sich diese Grenzen durch das Erinnerte, und ein Bruch liegt nicht nur zwischen dem Hier und Anderswo und denen „von hier“ und „von irgendwoher“, sondern auch im Gefälle zwischen Berg und Dorf, den „Bergern“ und den „Dorfern“, die es immer ein bisschen leichter haben. Und so geht es auch um die Frage von Bleiben oder Gehen, und erzählt wird vom Ziehen von der einen Kammer in die andere derer, die nicht der Bauer wurden, aber auch nicht weggingen. Nachvollziehbar wird, dass das Beste unter allem Spielzeug all jenes war, was fuhr, mobil machte. Und weil hier nicht nur von kleinbäuerlicher Welt, sondern auch vom Kindsein und Großwerden erzählt wird, liegt der tiefste Bruch wohl im Auseinandertriften der Welt im Moment des Erwach(s)ens, in dem Moment, wo die eigene Welt als brüchig erlebt wird, weil etwa plötzlich zwischen dem, was in der Schul-Fibel steht, und der erfahrenen Wirklichkeit eine Diskrepanz entsteht. Genau an diesem Punkt aber setzt das Schreiben an. Dort wo die Dinge nicht mehr als ganz erfahren werden, auseinanderzuklaffen beginnen, werden sie benannt, wird flüchtig Gewordenes festgemacht und verwoben zu einer Erinnerungstextur, die trägt. |
Turi Werkner, Idiomatik Irgendwo zwischen Kunst und Literatur angesiedelt, so lässt sich Turi Werkners „Lexikon“ Idiomatik wohl am ehesten charakterisieren. Wir haben es mit alphabetisch geordneten Reihen von Begriffen und Wortfügungen zu tun. So weit das Lexikon. Doch bleibt im Dunkeln, was man hier nachschlagen kann. Die alphabetische Ordnung dient dem Leser nicht. Auch wird, wer sich auf die Suche nach diesen Wortgebilden oder ihren Ursprüngen macht, dies häufig vergeblich tun. Denn offensichtlich hat man es vor allem mit Schöpfungen des Autors zu tun. Ein Lexikon zum Selbstzweck, das einzig dazu sein scheint, um seine eigene Form zu erfüllen, zu existieren. Bei eingehenderer Lektüre erweist sich, nichts existiert hier aus sich selbst. Werker greift auf schon vorhandenes Material zurück, ordnet neu, mischt durch, übersetzt, dickt ein, deutet um, verschlüsselt, kürzt ab („AküWa = Abkürzungswahn“). Schafft aus vorhandenem Sprachmaterial völlig neue, überraschende, manchmal poetische Sprachbilder, die sich nur schwer übersetzen, deuten, festmachen lassen. Wer sich die Mühe machen will, kann aus schillernden Sprachgebilden etwa Buchtitel, Sprichwörter, Zitate, idiomatische Wendungen herausschälen („ABZ=Alles bloss Zitate“). Werkner arbeitet dabei mit allen Mitteln der Sprachkunst, mit Klangfarben ebenso wie mit Formen des Reims, mit rhetorischen Figuren wie mit Mitteln der Wortbildung, selbst die materielle Seite der Zeichen ist von Belang („DAS AUGE LIEST MIT“). Das Lexikon ein einziges Furioso des Sprachspiels. Nicht nur die Einträge selbst sind komponiert, auch ihre Anordnung verrät System. Die alphabetische Ordnung erlaubt etwa die Variation. Sowohl auf inhaltlicher wie auf formaler Ebene kehren Motive, Themen, Spielarten wieder („Die Form totlutschen“), die Vorhergehendes wieder in anderem Licht erscheinen lassen. Die Fülle an Wortmaterial, dem jahrelanges Horten voraus gegangen sein muss, fasziniert, aber auch das eigenwillige Spannungsverhältnis zwischen Ausuferung und Ordnungswille, das hier aus jeder Zeile spricht. Was kann nun, was will dieses Buch? Offensichtlich ist, es macht nicht, was interessiert, es macht, was es will. („Ja wenn mir nichts anderes einfällt“). Es irritiert, bremst den Lesefluss ein, zwingt in die Auseinandersetzung („Autor setzt an, den Leser zu quälen“). Dem Leser, der verstehen will, verlangt es einiges an Vorwissen und Mitdenken ab. Und dennoch geben die Idiomatikzettelkästen Werkners wie Alibabas Schatz ihr Geheimnis nicht wirklich preis. Letztendlich geht es vermutlich darum, Zeichen in der Schwebe zu lassen („Aktive Suche nach dem Missverständnis“ oder „Die Missverständnisse der Leser sind der eigentliche Sinn der Literatur“). Als „Katalog noch nicht katalogisierter Sachverhalte“ sensibilisiert das Buch für Sprache und ihre Wirklichkeiten, regt an, noch nicht Erfasstes sich auszumalen. Und nicht zuletzt – vielleicht will das Buch auch nicht über die Maßen ernst genommen werden – bereitet die Lektüre wirkliches Lesevergnügen. Turi Werkner, 1948 in Innsbruck geboren, hat sich als bildender Künstler einen Namen gemacht. Genannt seien hier etwa seine „Schoner“ (bis ins Unkenntliche bezeichnete Schreibtischunterlagen), seine Arbeiten mit Büchern (bearbeitet erworbene Bücher, etwa Registerbücher, Buchführungsbücher, künstlerisch, erzählt darin visuelle Geschichten), aber auch seine großformatige Malerei. Schrift und Bild, Literatur und Malerei gehen eine enge Verbindung ein, wenn Werkner etwa in seinen Büchern, 635 waren es im August 2008 an der Zahl, narrative Bildfolgen kreiert: „Literatur mit Mitteln der Malerei, Malerei mit Mitteln der Sprache“. Idiomatik ist Werkners erste Veröffentlichung. |
Christian Kössler, Bestialisches Innsbruck. 12 mysteriös, düstere Kurzgeschichten Mit Bestialisches Innsbruck von Christian Kössler legt das hiesige Literaturmagazin Cognac & Biskotten die sechste im eigenen nicht-kommerziellen Kleinverlag herausgegebene Publikation vor. Es sind Kalendergeschichten der etwas anderen Art. Jedem Monat ist eine der Kurzgeschichten gewidmet, deren Figuren einem amerikanischen B-Movie entstiegen zu sein scheinen. Innsbrucks Straßen und Plätze werden heimgesucht von Vampiren, Wiedergängern und ähnlichen Nachtgestalten, die nach dem Leben unbedarfter Bürger trachten. |
Luciferin macht es dem Leser nicht leicht. Wieder und wieder will der Text gelesen werden. Selbst dann öffnet er sich nur bedingt, verblüfft, lässt Unlösbares zurück. |
Der Brenner. Ort des Durchzugs. Schauplatz nationaler Konflikte und Grenzziehungen. Projektionsfläche bürgerlichen Fernwehs. Ausstiegsphantasie. Warenumschlagplatz. Transitraum. Ein Ort der Kunst? |