Rezensionen von Markus Köhle
- Heinz D. Heisl,
- Jörg Zemmler,
Alois Schöpf, Platzkonzert. Essay mit Erinnerung WORTMARSCH Alois Schöpf ist seit 40 Jahren bei der Blasmusik und seit 20 Jahren Kapellmeister. Das an den Anfang zu stellen ist wichtig. Denn in der Folge werden mitunter Typisierungen und Klassifizierungen vorgenommen, die man so noch nirgends gelesen hat. Platzkonzert trägt den Titelzusatz Essay mit Erinnerung. Das heißt so viel wie Analysen rund um das Thema Blasmusik und Autobiografisches. Und genau das bekommen die LeserInnen dann auch serviert und zwar – ein Kapellmeister weiß, wie er sein Publikum zu bedienen hat – in gut gemischten Dosen. Schöpf gibt freimütig zu, „katholischer Atheist und leidenschaftlicher Antiesoteriker“ zu sein, was ihn jedoch nicht daran hindert, den kompositorischen Wert von Kirchenmusik zu loben. Schöpf geht es immer um die Musik, vom wie auch immer gearteten ideologischen Hinterbau lässt er sich nicht blenden. Er ist kein Dogmatiker, er ist Blasmusikmaniac. „Ich bin süchtig nach dieser Welt“ (S. 10), Um kurz in diesem Sprachbild zu bleiben. Schöpf ist ein strenger Dealer. Er weist sich frank und frei als durchaus pedantischer Kapellmeister aus, hält die „anstrengenden Zurechtweisungen“ allerdings für notwendig. Milde ist auch der Autor Schöpf nicht. Milde erwartet man sich auch nicht in einem Essay, das darf schon streitbar sein und das ist es vor allem dann, wenn Schöpf seine Schlüsse zieht. Doch zuerst zum Erinnerungspart. Schöpf – man darf hier durchaus von Schöpf reden und nicht vom Erzähler respektive Erinnerungsessayisten – ist in einem Gasthaus aufgewachsen, in dem die Musik immer schon eine wichtige Rolle gespielt hat. Platzkonzerte waren etwas Besonderes in seiner Kindheit, da er schlicht und einfach länger auf bleiben durfte. Ähnliche Funktion hatten später dann die Musikproben. Das Kind genoss die Musik und wollte schon als Siebenjähriger Opernsänger werden. Für die Liebe zur Klassik waren Radioerlebnisse verantwortlich. Das erste Opernerlebnis erfuhr er via TV. Via Staatsfunk also, der damals noch was taugte, nun aber nur mehr nivelliertes Mittelmaß sende. In die Schriftstellerei schließlich wurde Schöpf von Pater Karl eingeweiht, der an sich auch andere Interessen gehabt hätte. Schöpf weist sich als Sonderling aus, als einer, dessen erste Platten die G-Moll- und die Es-Dur-Sinfonie von Mozart waren und dem die Mädchenwelt verschlossen blieb. Die Erinnerungspassagen und das Essayistische sind angenehm ineinander verwoben. Erst wird beispielsweise erzählt, wie Schöpf 1957 den Zirkus Krone in Innsbruck besuchte und sich dort quasi auf den ersten Blick in das Saxofon verliebte. Dann folgt eine interessante Abhandlung über die Geschichte dieses Instruments, das seinen Ausführungen zufolge das „antijesuitischste“ sei. Es entspannt sich im Folgenden ein äußerst amüsanter (ja, natürlich auch angreifbarer) Vergleich zwischen Saxofonisten und Flügelhornisten. „Das Saxofon ist so perfekt konstruiert wie die menschliche Vernunft.“ Und zwar weil es keinen eigenen Ton habe, und sich „der menschlichen Vernunft vergleichbar, geradezu hurenhaft jeder Klangvorstellung“ (S. 32) anpasse. Das Saxofon sei, so führt er weiter an, das Instrument der „Selbsverwirklicher, die jeden biederen Kapellmeister, der auf konservative Werte sie Solidarität, Verlässlichkeit und die Bereitschaft angewiesen ist, auch Dinge zu tun, die nicht immer Freude bereiten, zum Wahnsinn treiben.“ (S. 34) Das muss wohl so sein. Ein Blasmusikverrückter darf von seinesgleichen schon in den Wahnsinn getrieben werden, das ist Teil des Systems Musikkapelle und gleicht sich ohnehin intern wieder aus, denn: „Ganz im Gegensatz dazu ist das Flügelhorn eine kastrierte Trompete.“ (S. 35) Die Herren „der Innerlichkeit“ seien „meist fromme oder nachdenkliche Menschen“ und überdies gläubig, Klarinettisten hingegen „beredt.“ (Vgl. S. 41) Der Kapellmeister muss mit all diesen Typen umzugehen wissen, ein schwieriges Dasein: „Der Leitbulle muss erst beweisen, dass er würdig ist, seine musikalische Herde mit Kunst zu begatten.“ (S. 23) Das liest sich gut, ist aber (hoffentlich) nicht ganz ernst zu nehmen. „Ich war zu wenig ironisch“, schreibt Schöpf auf S. 92 über seine Mozart-Verständnisschwierigkeiten in der Jugend. Mittlerweile hat er die hohe Kunst der Ironie im kleinen Finger. Schöpf hat auch einen Hang zu prägnanten Stehsätzen. Um nur ein paar (der gelungenen) zu zitieren: „Beethoven ist bürgerlicher Aufstiegsstress pur.“ (S. 81f.) „Der Marsch ist die Musik des öffentlichen Gehens.“ (S. 113) „Die Glenn Miller Story. Das war Lässigkeit in Reinkultur. (S. 112) Platzkonzert ist außerdem durchaus aufschlussreich. Man erfährt beispielsweise, woraus historisch korrekt Fanfarenorchester bestehen. Was man unter einem „Alla-breve-Schock“ zu verstehen hat. Wie man die Klassik gegen den Jazz verteidigen kann. Warum sich große Komponisten oft an die Machthaber anbiedern mussten, und, und, und. Freilich manchmal poltert Schöpf etwas zu klassikverbandelt altväterisch: „Umso unverzeihlicher ist es, wenn die Jugend durch die Medien, aber auch durch anbiedernde Instrumentalpädagogik und billige Konzertprogramme geradezu systematisch von dieser wunderbaren Welt ferngehalten wird.“ (S. 25) Wo er doch selbst weiß, dass es nichts bringt, die Jugend zu ihrem Glück zu zwingen. „Lehrer wollen alles richtig machen, daher machen sie das meiste falsch.“ (S. 73) Was ebenfalls immer wieder kommt, ist die Behauptung, Städter, Kulturjournalisten etc. würden das Landleben und die dortige Blasmusikkultur denunzieren. Das jedoch sei dem Langzeitkämpfer der Traditionspflege zugestanden. Schöpf zieht überdies einen klaren Strich zwischen Blasmusik und volkstümlicher Musik und erklärt, wie der Siegeszug österreichischer Unterhaltungsmusik zu verstehen sei, nämlich dadurch, „dass hierzulande seit der Gegenreformation das Denken bis in unsere von großkoalitionären Mehrheiten gesegneten Tage herauf unerwünscht und wenn schon nicht verboten, so doch verpönt war.“ (S. 36f.) Schöpf denkt mit, weiß sehr wohl die Vor- und Nachteile beispielsweise des Tourismus (der auch immer wieder Thema ist) aufzuzeigen. „Wir machten Kunst für die Gäste. Und die Gnade, dass wir für sie spielten, hielt der Freude, dass sie uns zuhörten, die Waage.“ (S. 65)
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Elias Schneitter, Österreich. Karl Hör mal wer da spricht!Das neue Buch von Elias Schneitter enthält drei Erzählungen gänzlich unterschiedlicher Machart. Der Titel „Österreich. Karl“ erweckt natürliche eine Erwartungshaltung. Der Erfinder des Herrn Karl, Herr Qualtinger, wäre dieser Tage 80 Jahre alt geworden. Der Herr Travnicek war eine Vorstufe des Herrn Karl und die Inkarnation des „ang'fressenen“ Österreichers. Der Herr Karl ist nicht nur „ang'fressen“, der Herr Karl wirbt um Verständnis für seine Ressentiments. Genau das u. a. machen Rechtspopulisten. Genau das macht auch die Figur in „Tausend Jahre Österreich“, der ersten Geschichte in „Österreich. Karl“. 1 Des Schorschis Freund wiederum ist der Karl, ein Beamter, der mit 54 in Pension geht. Und recht hat er. Der Schorschi hat übrigens das Recht gepachtet. Der Schorschi weiß sich zu wehren. Und schlägt natürlich zu, wenn zugeschlagen werden muss. „Zum Glück bin ich ein Mensch, der sich zu helfen weiß.“ (S. 12) Fast immer. Nur gegen die „Schneckeninvasion der Russenmafia“ müsste man was machen. Die russischen Mafiaschnecken fallen nämlich über Schorschis gehegten Garten her, wie die „Cevapcicis über das Land“. Und freilich gehörte auch dagegen was gemacht. Nein, der Schorschi verteufelt den Adi nicht, sehr wohl aber die „Buschneger“ am Fußballplatz, wenn sie nicht spuren und die hiesigen Frauen, wenn sie nicht spuren. Aber der Schorschi schimpft nicht nur. Er hat auch Gutes zu berichten. Beispielsweise über die Qualitäten von Thailänderinnen oder die Vorzüge von Kurschatten. Des Schorschis Mantra ist: „Mir macht keiner mehr was vor.“ Hirn aus, Klappe auf. Ein stets auf eigene Vorteile bedachter, polternder Österreicher wie er nun im Buche steht. Sprachlich überzeugend, konsequent umgesetzt. Form meets Inhalt. Unsympathisch aber gut. 2 3 Ja und wenn der Schorschi nicht so ausgesackelt worden wäre von seiner Ex, dann hätte er sich vielleicht auch einen Kreuzfahrtstrip auf der Astor geleistet und geschimpft über den Dreck und die Zustände in den bereisten Ländern. Und der Ernst hätte zuhören müssen. Kein Spaß für Ernst.
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Schamaufstand in der Sitzbadewanne Der Held von „Abriss“ hat eine schwierige Reise anzutreten und ein leidiges Kapitel seiner Biografie abzuschließen. Er muss zurück in die Stadt seiner Kindheit (unschwer als Hall zu erkennen). Er muss ohnehin immer wieder und immer weiter zurück, muss ausholen, um seine Gegenwart erklären zu können. Er muss also zurück, weil er sein Erbe anzutreten hat, er weiß, wie er das zu tun hat und lässt das Elternhaus abreißen, um somit einen Schlussstrich ziehen und endlich alles Gemeinsame planieren zu können. Es regnet viel in den Geschichten die in Bremen, Bochum, Paris, New York aber vorwiegend in Hall spielen. „Der Regen beruhigt.“ (S. 185) Und Beruhigung und Aufarbeitung hat der geschundene Held notwendig. Wie schon in seinem Text „Vom Gefühl. Eine Grobheit“ (2006) entdeckt Heisls Held eine Bar für sich als Reflexionsstube und zwar diesmal nicht in Tokio, sondern in New York, die Broome Street Bar (located in the heart of Soho). Was? Persönliche Erinnerungsarbeit mit eindringlichen Kindheitsepisoden, Spitzbubenstreichen und erschütternden Erziehungseskapaden der Eltern. Da werden viele schmerzliche Erinnerungen ausgegraben aber auch berührend melancholische Alltagsgeschichten. Da vergleichen Schüler ihre Zahnstellung anhand der Bissmuster in Schokolade, ekeln sich vor und erregen sich gleichzeitig an Erotikfotos. Da richtet sich des Helden Glied in der Sitzbadewanne angesichts des Auftauchens von Annemarie trotzig auf. Da begegnet man undichten Absaugschläuchen von Gülletankwagen. Da werden erste Geschlechtsgegenchecks vor- und diverse interessante Körperdetails genauer unter die Lupe genommen. Da werden die Schennachs, die spießigen Schreckensnachbarn vorgeführt: „Und die Schennachs lachten alle diejenigen aus, welche keine Fremdenzimmer mit fließendem Kalt- und Warmwasser anbieten konnten.“ (S. 194) Und da wird viel Lokalkolorit gefärbt mit des Helden Sichtweise präsentiert. Der Ich-Erzähler ist Musiker, war Orchestermusiker am Bochumer Stadttheater und musikalisch durch und durch ist auch der Text. Musikalisch, rhythmisch und gewohnt sprachoriginell. Ein wahrer Heisl halt. |
Egon A. Prantl, Andrea Steinlechner: Madagaskar. Ein pornographischer Roman Geriatriepornografie auf der Schatzinsel Ich sitze in der Straßenbahn und lese „Madagaskar. Ein pornographischer Roman“. Der Platz scheint mir gut gewählt. Ringsum gackernde Teenager. Auf der Rückseite der Lehne des Sitzes vor mir steht mit Edding geschrieben: „Anna Anal“, darunter „Bitch sucht Boy zum Budern“, daneben die jeweilige Handynummer. Ich bin versucht das Alphabet fortzusetzen mit „Cärtlicher Cicker“, habe aber keinen wasserfesten Stift dabei. Also lesen statt schreiben. |
Alois Schöpf, Vom Sinn des Mittelmaßes. Essay Jedes Land hat die Kulturszene die es verdient „Alle Essayisten müssen, um interessant zu scheinen, bis zu gewissen schicklichen Grenzen aufschneiden. Dies gehört zur Berufsausübung, die nicht von jedem Beliebigen verstanden werden kann.“ Robert Walser
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Der neue Schneitter ist da, diesmal wieder broschiert und ohne Sonnenbrille und Kopfschmerzen zu lesen, obwohl er wenig „augenfreundlich“ schreibt. Der Titel ist fast titelseitenfüllend, der Text, wie bei allen Skarabaeus-Büchern gewohnt schön gesetzt, die Farbe des Bandes tiefblau, die Prosa flattersatzflott und die Zeichnungen von Hans Pfefferle herzlich willkommene optische Zugabe. Apropos Optik: Das Ich in Schneitters Prosaband leidet unter Diplopie, sieht alles doppelt, doppelte Augenblicke einer Biografie also, außerdem verdrehen im Sinne Oskar Pastiors selig Phonem und Graphem dem Ich den Kopf. „und haben sätze ein geschlecht / oder brüste oder einen arsch? / ist der satzbau eine genetische abhandlung? kann man sätze gegeneinander aufrechnen / oder soll man sie einfach schlucken?“ (S. 10) will das Ich wissen und versucht sich so von wirklichen Problemen abzulenken. Denn da schwingt eine Trennung mit, irgendwo im Hintergrund, irgendwo zwischen dem freimütigen Geplauder, das erfrischend anders in Form gebracht wurde. Denn: „wird der satzbau weiterhin verwendet, Vordergründig wird freilich laufend der Ort (Triest, Rom, Wien, Zirl, Lowell Massachusetts) gewechselt – auch das nur eine Möglichkeit der sich zu stellenden Realität vorübergehend zu entkommen: „aber man reist ja nie allein, / zumindest irgendein alter ego ist immer dabei“ (S. 12) Und überdies wird laufend der Erzählstrang unterbrochen. So viel zu Selbsteinschätzung. Nicht die Geschichte, sondern das Erzählen ist Ziel, wird auf dem Cover postuliert. Der Erzähler hält fest: “ich will keine geschichte erzählen / und weshalb das so ist, / das ist eine eigene geschichte.“ (S. 37) Aber keine Angst, dieser Text ist weder hermetisch, noch fühlt er sich ausschließlich der Form verpflichtet und nein, man muss nicht notwendigerweise wissen, wer Giorgio Voghera ist. Auch nicht wer Jack Micheline, Kathy Acker, Jan Kerouac, Ray Bremser, Richard Brautigan, John Wieners, Gregory Corso, Buk oder Philip Whalen sind. Der Ich-Erzähler hat schlicht eine Schwäche für BeatautorInnen, gibt gerne Unmengen für Bücher dieser Heroinen und Heroen aus, schwatzt aber ebenso gerne mit schreibenden KollegInnen aus der näheren Umgebung (Gert Jonke, Peter Vonstadl, Urs Mannhart, Christoph Simon, Helmuth Schönauer, R. P. Gruber, etc. – zumindest diese AutorInnen sollten einem doch schon untergekommen sein. Vortrefflich die Vonstadl-Episode, in der er in einer Spelunke u. a. die Einsicht „Gedichte kann man nur zulassen“ vom Stapel lässt und damit auf ein neues Bier spekuliert.). Darüber hinaus erlebt der Erzähler beispielsweise unvergessliche Straubengenüsse im Schilcherland, trinkt drittklassigen Schnaps kombiniert mit erstklassiger Unterhaltung auf seiner Terrasse in Zirl. Denn die Gesprächspartner entpuppen sich stets als weise Bemerkungen absondernde, gut trinkende oder an der Erfindung eines Schreibcomputers herum tüftelnde, also interessante ZeitgenossInnen. Ob das Leben wie eine Geschichte ablaufe oder ob das nur eine Schreibtischfiktion sei, will der alte Freund der Centraldichter, dem es nicht besonders gut geht, wissen, bevor er in die Klapsmühle zu Hall eingeliefert wird. Halten wir dem Wissen aus erster Hand entgegen. Diesem Zitat muss erklärend ein weiteres folgen: „alles, was ich weiß, / weiß ich von anderen. / das steht in einer triestiner familiengeschichte, / aus der claudio magris in gedenken an giorgio voghera vorliest.“ In Schneitters Buch steht das auf Seite 147, also am Schluss und thematisiert nochmals eine Frage, die sich durchs ganze Buch zieht, nämlich: „wenn sich ein satz in einem buch befindet: / wem gehört er dann?“ (S. 7)
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Heinz D. Heisl, Vom Gefühl - Eine Grobheit.
Er sollte weniger Kaffee trinken, denkt man sich. Dieses sympathische Arschloch sollte wirklich weniger Kaffee trinken, schlägt nämlich auf den Magen, das müsste nicht auch noch sein. Andererseits, was trinkt man in einem Cafe untertags, eben. Und wenn man den ganzen Tag, ja Tag für Tag „auf dem Hocker vor der Scheibe des Cafes in der Gaien Higashi Dori“ sitzt und sinniert, dann müssen es eben viele Kaffees sein, eh klar. Du darfst. Er darf. Der Held der Geschichte heißt Konrad Greiner und ist ein „Gummibandinnsbrucker“. Vater Geiger, Mutter Philatelistin. Greiner wechselte von der „Tonfolgenerzeugungsmannschaft“ in die „Sprachniederbringungsgemeinschaft“, wurde zum „Wortzeilenanhäufer“, zu einem, über den das Leben lacht. Greiner ärgert sich über seine „Unsinnigkeiten“ in der Vergangenheit – „Hätte ich bloß nicht. Wäre ich bloß nie.“ – und er ärgert sich auch über seine gegenwärtige Altersgeilheit. Das alles geht äußerst wortgewaltig und sprachrhythmisch von statten, gnadenlos und selbstkritisch wird über „sprachaufgedunsene Popanze“ be-, ja auch gerichtet. Schriftsteller zu sein, bedeute einen unerträglichen Charakter zu besitzen, ein unerträglicher Mensch, ein „Betriebsspeichelschlürfer“ zu sein, liest man im Gedankenprotokoll des Schriftstellers Greiner, der all das, was einem als Text vorliegt, niemals würde schreiben wollen, ja mehr noch: „Nichts hätte ich schreiben sollen. Niemals auch nur eine Zeile.“ (S. 4) Weit schlimmer noch, als die „Kellner der Literatur“, sind die Verleger, die sind nämlich „Aasgeier“ oder um es blumiger zu formulieren „gewissenlose Ausschlachter“. Die „Verlagshausdünkelvisagen“ riecht der Abrechner meilenweit gegen den Wind. „Eine Minderwertigkeitskomplex-bedienungsmeile, die Gangfluchten und Büroräume der Verlagshäuser“ (S. 160f.) Apropos Verlage: Der Roman ist das erste Produkt (ja, Produkt, weil nicht nur Buch) der Manuskript Edition Sprachsalz. Dass das jährliche, mehrtägige Literaturfestival Sprachsalz mittlerweile allen Lesefähigen und Lesewilligen ein Begriff ist, davon erlaube ich mir an dieser Stelle auszugehen. Ich erlaube mir außerdem in dieser Besprechung, aufgrund der exklusiven Auflage und des nicht minder exklusiven Preises, der mit der Auflage korreliert, einige längere Textpassagen wieder zu gegeben, um es einer breiteren Schar von Lesepiratinnen und Lesepiraten zu ermöglichen, Teile des Heiselschen Wortschatzes zu lichten.100 Stück des Romanmanuskriptes wurden nummeriert und signiert, versehen mit einer Audio CD (gewohnt gut vom Autor gelesen) sowie einer DVD („die Kobe Haus Sequenz“ aus der filmischen Umsetzung des Romanes von Magdalena Kauz) herausgegeben. Ein Foto des „Zeit“ lesenden und Zigarre rauchenden Autors mit nasefliehender Brille und der hirschdominierte Umschlagfassadenvorschlag für den Roman „Die Alleinunterhalter. Gewissermaßen die Fortsetzung“ komplettieren den beeindruckenden, mehr als fest gebundenen Text-Ton-Bild-Ziegel im A4-Format (ein schweres Buch im einfachsten Wortsinn). „Vom Gefühl. Eine Grobheit“ ist ein formal äußerst komplexes, sprachscharf geladenes, konsequent rundumkritisches, nichtsdestotrotz vergnüglich zu lesendes Buch. Vor allem, wenn sich leicht zu entschlüsselnde, allseits Bekannte Figuren in den Text tummeln. Von einem Rudolf Saurwein ist da die Rede – „eine durch und durch groteske Erfolgsexistenz dieser Rudolf Saurwein, wie ich eine durch und durch groteske Erfolgsexistenz bin: Erfolgssüchtig, verdorben und verludert, nichtsnutzige, verabscheuungswürdige, erfolgshungrige und also erfolgsverfressene Schriftstellerexistenzen.“ (S. 135) – und zu allem Überfluss auch noch von diesem Nikolaus Gerlacher. Man fixiere die Initialen und abstrahiere. Heuchelwunder Greiner versteht es mit beiden zu reden: „[…] an und für sich versteht man alles, sieht sich freilich hin und wieder dazu verpflichtet, ein Missverstehen Verstandes halber zu verstehen zu geben…, Betroffenheitszurschaustellungen, Gleichgültigkeitsgesten, Freundlichkeitswörter-umzingelungen, Liebenswertigkeitsfesselschlingen im Hüfthohen Gras der Betriebswiese, Nettigkeitsstolperdrähte, Glückwunschposttodeskarten, Feindbildwertkarten, Paranoiabriefmarken, Verfolgungswahngrußkarten, Entleibungswunschtelegramme, posttraumatische Rundumwortwurfsendungen, Blickstriche, Sticheleien, Versöhnungen, Mundprotuberanzen.“ (S. 68f.) Der Selbstankläger Greiner sitzt auf einem Barhocker irgendwo in Japan, nicht in einem Ohrensessel irgendwo in Österreich. „Ich saß auf dem Hocker. Und ich zerrte an mir.“ (S. 98) Er zerrt ordentlich. Ein Autor sieht rot. Greiner, der selbst ein „Erfolgsautorenverlagsgesicht“ hat bzw. gerade dabei ist, dieses zu verlieren, entledigt sich seiner Vergangenheit. Der Besuch des „Scheidungstempels“ erweckt Vergessengeglaubtes in Greiner, lässt es ihn wiederkäuen und endlich verdauen bzw. auszuspucken, der Tempelbesuch festigt Greiner in seinem Entschluss, den österreichischen „Fettwurstwortkessel“ hinter sich zu lassen. „Heimaterinnerungsbilder alpenrepublikanischer Hauseigentumsumzäunungsgepflogenheiten: Betonieren oder nageln; Pfosten in den Boden rammen, und Bretter und Nägel, und Nägel einschlagen, und Pinsel und Firnis, oder betonierte Sockel und Eisensäulen (Steher) und Draht; zuoberst (einen, zwei, vielleicht drei (Umläufe) mit Stacheldraht. Dahinter die Koniferen, Thuya Occidentalis L. Scheußliche Zypressengewächse in den Innsbrucker- und Stistranser- und Lanser- und Rumer- und Thaurer- und Völser- und Tulferer- und Ampasser- und Aldranser- und Zirler- und Haller- oder Igler- Eigenheimgartenanlagen… Ein, neben der durch die Waldruhe reitenden Töchterschar weiteres Ärgernis stellen die den Erholungssuchenden plötzlich mit unsagbarer Wucht anfallenden Aussichten auf Architektur- und Bausünden dar.“ (S. 130) Dass dem Tod, gegen Ende des Romans, eine nicht unwesentliche Rolle zugedacht ist, das beschleicht einen schon vorher. „Das Leben ist das Fremdgehen vor dem Tod.“ (S. 213) Greiner, der sich schwört nichts mehr zu schreiben, liest und kommentiert, noch immer auf dem Barhocker im Cafe sitzend, sein letztes, unfertiges Manuskript mit dem Arbeitstitel „Das zweite Leben“. Diese Kommentare geraten erneut zu Verlags- bzw. Literaturbetriebsmodenkritik. „…Kurze Sätze Modisch kurze Sätze…. Kurze Sätze sind in Mode… Die Verleger und Verlegerinnen lieben kurze Sätze und sie lieben Autoren, welche kurze und also modische und dem Zeitgeist entsprechend knapp gehaltene Sätze schreiben. Es auf den Punkt bringen, sagen die Verleger und Verlegerinnen, dachte ich. Es auf den Punkt bringen….“ (S. 239) Auch in diesem Roman im Roman ist der Held ein Musiker, allerdings nur ein Laie. Greiner verabscheut diesen seinen Text – „Hier blüht die Niedertracht.“ (S. 259) – und entsorgt ihn im Abfalleimer des Cafes auch der Romanentwurf im Moleskin (eine 40 Stunden Lebensbeichte in Natters) kann Greiners in seinem Erregungszustand zwischen Unsinnigkeit und Notwendigkeit nicht überzeugen (wenngleich die Skizzen doch eine gewisse Neugier in ihm erwecken). „Du bist erfolgreich gewesen Greiner, weil du – silentium est aureum – niemals das geschrieben hast, was du dir jetzt und hier, auf dem Hocker vor der Scheibe sitzend, denkst.“ (S. 184f.) Greiner registriert, dass ihn Innsbruck auf dem Gewissen hat, dass ihn Innsbruck umgebracht hat „und also“, bleibt dem Helden „naturgemäß“ nur mehr die Flucht, die Flucht nach vorne „gewissermaßen“. Greiner fährt in den Selbstmörderwald. „Deru kui wa utareru, der Nagel der hervorsteht, der wird eingeschlagen, lautet ein Sprichwort in Japan, dachte ich und dachte, dass ich alle hervorstehenden Nägel einschlagen möchte und am Schluß auch mich selbst als einen ebenso hervorstehenden Nagel einzuschlagen hätte.“ (S. 333) In „Vom Gefühl. Eine Grobheit“ von Heinz D. Heisl läuft eine überreife Wortbirne Amok, wird zur Abrissbirne des Literaturbetriebs- und Heimathauses, um schließlich selbst ins „Weiche“ zu gehen.
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Siegfried J. Schmidt, Zwischen Platon und Mondrian. Heinz Gappmayrs konzeptuelle Poetik. Es lebe die Dauerreflexion! Die Beiträge im vorliegenden Ritter-Theorie-Band spiegeln gut 40 Jahre Entwicklung von Praxis und Theorie der konkreten Kunst und Dichtung in wechselseitigen Bezugnahmen zweier befreundeter Autoren. Die Palette reicht von ersten Konkrete-Kunst-Manifesten und Grundsatzerklärungen in den 60er Jahren, bis hin zu den Versuchen eines zeitgemäßen, neuen Selbstverständnisses konkreter Kunst und Dichtung. „In der konkreten Poesie gibt es keine Symbole, keine Metaphern, d. h. keine abstrakten sprachlichen Formen, die auf Objekte der Wahrnehmungswelt verweisen.“ (S. 13) Das ist im Anbetracht der Komplexität des Betrachtungsgegenstandes erstaunlich luzid formuliert. Das Gedachte werde als real gesetzt. Sprache verweise auf etwas, sei abstrakt, liest man und folgt gerne. „Konkret bedeutet in der konkreten Poesie das Unmittelbare des Gedachten, Sinnhaft-Logischen, Ideenhaften, das in den Zeichen der Schrift erscheint.“ (S. 19) In der visuellen Poesie wird also das Erscheinen von etwas Gedachtem, der Übergang vom Zeichen zum Begriff sichtbar. Gappmayr weist auf die Universalität der Begriffe hin, hebt hervor, dass sie etwas Allgemeines und Ideenhaftes sind. Gappmayr arbeitet das seiner Ansicht nach eigentliche Thema der visuellen Poesie klar heraus und sieht es im Übergang vom Physischen der Schrift in das Gedachte des Begriffs. „Der visuellen Poesie geht es um das Erscheinen von Ideen in Wortzeichen.“ (S. 24) Und die Differenziertheit zwischen Zeichen und Begriff sei in der visuellen Dichtung nicht etwas Vermittelndes, sondern eine poetische Qualität. Schmidt attestiert Gappmayrs Poetik eine „unerhörte Klarheit“. In theoretischen Texten seiner Feder aus den 70er Jahren ortet er einen Übergang von „experimentell-konkretisierenden“ zu „konzeptionell-konkreten“ Sprachvertextungen und stellt fest, dass die konkrete Poesie nicht mimetisch, sondern generativ sei. Schmidt weist darauf hin, dass in der Beschreibung der konkreten Dichtung oft negative Kennzeichnungen verwendet werden. Die Negation als Kategorie zur Beschreibung konkreter Dichtung wird nicht nur von Gegnern dieser Literatur angewandt, sondern auch von den Befürwortern. Konkrete Poesie negiert episches, narratives, lyrisches Sprechen, negiert die Mimesis, und das Metaphorische. Konkrete Dichtung teilt nichts mit. Die Rolle des Rezipienten dabei ist: „Der Rezipient konkreter Texte wird, weitaus radikaler als bei der Rezeption fiktiver literarischer Texte, aus einer Genießerrolle in eine Realisationsrolle gedrängt. Die Rezeption erfordert eine Anstrengung der Anschauung und des Begriffs zugleich, eine Lösung von angebotenen Sinn-Problemen, die sich erst dann als ästhetischer Genuß realisiert, wenn die Rezeption die Null-Kontexte gefüllt, die paradigmatische Dynamik des konkreten Textes in Gang gesetzt hat und dabei erfährt, dass konkrete Texte sich dem Verbrauch entziehen, weil sie auf die Gesetzmäßigkeiten von Vertextung überhaupt transparent sind. Zog der Betrachter und Leser gegenständlicher Kunst bzw. semiotischer Literatur den ästhetischen Genuß aus dem Vergleich des Textes mit einer suggerierten Wirklichkeit als Vorbild, so gewinnt der Rezipient konkreter Kunst den ästhetischen Genuß aus der Entdeckung der Theorie (=Interpretabilität) aus dem Text bzw. aus dem Vergleich von Theorie (= Textprojektion) und ihrer Realisation im Text.“ (S. 79) Diese Arbeiten nehmen den Betrachter entweder ganz auf, oder sie schließen ihn ganz aus. Diese Kunst thematisiert primär das Sehen, der Reflexionsgehalt des Werkes ist wichtiger als die mimetische oder Repräsentationsfunktion. So benutzt Gappmayr beispielsweise seinen Gegenstand – die Sprach – nicht argumentativ, sonder präsentativ und schrieb schon 1970: „Das einzelne visuelle Gedicht in seiner Vollständigkeit ist die Erscheinungsform einer bestimmten Beziehung zwischen den Begriffen oder Ideen der Dinge und den Zeichen der Schrift.“ (S. 134) Übrigens: Der 80jährige Gappmayr trug frei vor, im Stehen, mit am Rücken verschränkten Armen und verkündete: „In der Literatur geht es meist um etwas, um etwas, das außerhalb der Sprache ist. Es ist immer ein Bezugspunkt da, zu etwas, das außerhalb der Literatur liegt.“ Schmidt ist anderes aber auch verständlich. Er hat die Stimme, die Artikulationsweise und das Charisma von Eduard Zimmermann aus „XY ungelöst“. Bei Schmidt aber bleibt nichts ungelöst, der umsichtige Analytiker lässt keine Fragen offen und bewies Humor, in dem er den Vortrag Gappmayrs als erhellend kommentierte und nüchtern hinzu fügte, dass es ihm, dem Theoretiker, nun obläge, das Themengebiet wieder zu vernebeln. Zwar gibt es keine Poetik mehr mit Anspruch auf Normativität aber da man Gappmayrs visuelle Arbeiten nicht lesen kann, sondern sie sehen muss, möge man seine und Schmidts theoretische Texte lesen und dann schauen, sehen und verstehen.
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Heinz D. Heisl, Wohin ich schon immer einmal wollte.
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Jörg Zemmler, Leihworte & Leihtöne. Sowohl Buch, als auch CD, tragen unverkennbar zemmlers Handschrift. Im Buch im wörtlichen Sinne: zemmler fütterte den Verlagscomputer mit seiner Schrift (große Blockbuchstaben), und ein Programm transformierte die Textdokumente zu einem einzigartigen Endprodukt - eine leserliche, standardisierte Handschrift; auf der CD im übertragenen Sinn: zemmler verzichtete auf die Aufnahmequalität von Computerprogrammen, verwendete wie bisher Minidiscplayer, Stimme, Gitarre, diverse Effekte, viel Verzerrer und eine solide Hintergrundrauschkulisse. Hör-CDs sind im Trend, Leihtöne ist aber nicht nur die CD zu Leihworte, Leihtöne ist eine Ganzkörpermassage mit Kopfwäsche und Nachspeise. |
Dietmar Eder, Stadtrundfahrt. Sarg-Rallye38 Szenen, 1 Epilog, 142 Seiten. 3 Stunden Lesezeit. 3 HauptdarstellerInnen: Eine von Beginn an, einer vorwiegend und einer am Ende tot. Viele NebendarstellerInnen, die meisten irgendwie daneben. Das Ich Xaver Kasfy ist eine Arschgeige. Seine Schwester Isabella wählte den Strick. Der tote Vater war Polizist. Sein letzter Wille ein nicht unorgineller. Der von allen gehasste Vater wünscht, von Xaver eingesargt durch die Stadt kutschiert zu werden. Die sieben Stationen gibt er vor. "Nimm dir Zeit.", wünscht er sich im Nachsatz. |
SCHÖN-WEG-ERfahrungNein, ich war noch nie in Meran und nochmals nein, ich kannte Matthias Schönweger bisher nur vom Namen her. Hatte mitbekommen, dass er seit Jahrzehnten diverse Aktionen startete, einst Fußball spielte und in unregelmäßigen Abständen verhältnismäßig dicke, überdurchschnittlich schöne Bücher veröffentlichte, deren Seitenanzahl zuweilen die Wortanzahl übertraf und dann das: von & zu Peter & Paul, ein Buch mit geschätzten 50.000 Wörtern, formal vorwiegend konventionell im Blocksatz abgefasst, auffallend die zentrierten Versalieneinschübe, augenscheinlich die kapiteltrennenden Blickpunkte. Ein Roman von Matthias Schönweger. Und ich, der um seine Verdienste nicht Bescheid weiß, soll darüber schreiben. Gut. Das sind an sich die besten Voraussetzungen für ein unbefangenes, objektives Urteil, für eine sachliche, solide Analyse, für eine klar strukturierte Rezension. Allein dies ist keine solche, denn von & zu Peter & Paul ist ja auch kein herkömmlicher Roman, sondern ein RomanC, ergo ist dies keine Buchkritik, sondern eine BuchkriTikTakTik. Womit die einleitende Kurve salopp gekratzt wäre. Und nun: Klappklapp! Aufgepasst, gleich geht's los... PARA UND oder LIEBER GOTT und natürlich KUNST DAR insomma IRRE
Nein, mehr möchte ich eigentlich gar nicht mehr zitieren, erklären oder erwähnen. Die SCHÖNverWEGeneERzählhaltung zu durchschauen sei Ihnen vorbehalten, auch werde ich an dieser Stelle den großen Rest des Inhalts nicht vorwegnehmen. Was ich Ihnen aber rate, ist von & zu Peter & Paul zu lesen, es lohnt sich, denn es ist ein fruchtbares Buch. Es sei Ihnen auch mein ganz persönliches Warum verraten. Schon während der Lektüre wuchsen mir wuchernd Ideen aus den Fingern und ich notierte begeistert: BITTE GEH STUHL ROM PEIN Man möge einwenden, dass dies ein höchst individuelles Argument ist, doch ich garantiere Ihnen, dass Sie - egal was Sie machen - (durch die Lektüre von von & zu Peter & Paul) auch Ihr persönliches Erfolgserlebnis haben werden: UM
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