Rezensionen von Marlene Kuppelwieser
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Annemarie Huber,
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Otto Licha,
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Annemarie Huber, Alles Liebe. Eigentlich müsste es heißen: alles Liebe von Annamarie Huber und Thea Blaas, denn während Erstere die Gedichte dieses gut 90 Seiten schlanken Bandes geschrieben hat, stammen von Frau Blaas die Künstlerfotos, die ein wichtiger Bestandteil des Buches sind. |
Otto Licha, Die Begegnung. Die einzigen Hauptfiguren des neuen Buches von Otto Licha sind „der Dichter“ und „Albert“. Von Ersterem erfährt man nur den Beruf und nicht den Namen, von Letzterem nur den Namen, nicht den Beruf. Stil und Sprache entsprechen dem Inhalt: Konversation im reinsten Deutsch, das nur selten und wenn, dann sehr bewusst, von tirolerischen Einbrüchen gekennzeichnet ist. Die Dialoge sind aber, so natürlich sie klingen, auf alle Fälle geschriebene Dialoge, also keine Dialoggeschichten im umgangssprachlichen Sinn, sondern eben immer im Sinne eines griechischen Διάλογος. |
Angela Jursitzka, Das Gähnen der Götter. Tirol vor 2299 Jahren. Knapp 60 Werke hat Angela Jursitzka als Bezugsliteratur angegeben, von Der Geschichte des Landes Tirol bis hin zu Kräuter- und Kochbüchern aus der Bronze- und Eisenzeit oder Abhandlungen zur Kunst des Schwert- oder Schmuckschmiedens. Man kann wahrhaft sagen, die Autorin hat ihre Hausaufgaben gemacht, auch wenn sie in der Einleitung sagt, „der Dichter darf verzichten, worauf der Wissenschaftler bestehen muss“. Dies mag zweifelsohne stimmen, trotzdem hat man den Eindruck, diese 2299 Jahre alte Geschichte sei bis in allen Details ein Abbild des Alltagsgeschehens der Stämme, die im heutigen Tirol (das nie namentlich genannt wird) wohnten. Protagonisten sind die Askami, ein Volk aus dem Süden, dessen Dorf von nördlichen Barbaren abgebrannt wurde. Wie alle schwachen, kriegsunfähigen oder kriegsunwilligen Völker lautet ihre Devise „Lauf schnell, lauf so weit und verstecke dich, solange du es vermagst!“ Die Beute friedvoller Völker „bestand aus geistigem Diebesgut“, d.h. sie lernen von anderen Lebenskunst. Das Volk lebt aber nicht isoliert. Außer zu dem Volk der Wilden, dem Frühen Volk und dem Eulenvolk hat es direkten Kontakt zu den Gelbhaarigen, einem Kriegsvolk, das nach Süden unterwegs ist, um dort genau das zu tun, was andere mit den Askami getan haben: rauben und plündern. Nur die Intelligenz und Diplomatie der Druade und des Häuptlings sorgen dafür, dass sie vor den Gelbhaarigen geschützt sind, mehr noch, dass diese sich als ihre Beschützer aufspielen. Überraschenderweise aber gehen gleichzeitig mit lockeren Ereignissen sehr tiefgehende Dinge einher: Auf Seite 168 zum Beispiel nimmt Taranos Abschied von den Askami. Mit Müh und Not ist ein Streit vermieden worden. „Was zählen schon Worte, wenn der Tonfall stimmt?“ Verblüffend ist, wie wichtig jede einzelne der unzähligen Personen ist, auch wenn sie nur eine Nebenrolle spielt. Dies gilt für eine Cia ebenso wie für ein Barbarenkind, das von einer Ziege gestillt wird. Jeder hat seine eigene Geschichte, jeder ist Angela Jursitzka zuweilen ein lyrischer Tonfall wert. Diese Meisterhand im Umgang mit den Personen und in der zwar linearen, aber auf Grund der Personenvielfalt doch recht komplexen Geschichte hilft dem Leser über die Anfangsschwierigkeiten bei der Namensbenennung hinweg, denn man muss sich erst daran gewöhnen, Begriffe wie Lebenhauchen, Sämann, Aufrechtgeher, Beischläferin, Kauwerkzeuge oder Einäugige in Küssen, Penis, Mensch, Partnerin, Zähne oder Glied zu „übersetzen“. Ebenso ungewohnt ist am Anfang der Umgang mit der Sexualität. Erst im Laufe der Zeit merkt man, dass die freizügige Sprache oder das lockere Verhalten keineswegs freizügiger sind als in der Gegenwart. |
Helene Flöss, Löwen im Holz. |
Monica Wittib, O Patèra oder der Abschied vom Athos. |
Quadratisches, handliches Büchlein, 13x13, in der Mitte zweigeteilt, der linke Streifen schwarz, der rechte weiß: das ist das neue Werk der Philosophin und Theologin Claudia Mathis. Im Untertitel steht lyrik und kurzprosa. Die Aufmachung ist sehr einladend, die gewählte Schriftart klar, schön leserlich und angenehm.
Nur die groß geschriebenen Wörter verweisen darauf, was besonders wichtig ist, vielleicht befolgt Mathis auch die Internet-Regeln, nach denen die Großschreibung für Schreien steht.
Unmöglich, bei diesem Gedicht nicht an „an das verlorene kind“ zu denken, vor allem, da es nicht heißt, „lieber / wenn ich an dich denke“, sondern „liebes / wenn ich an dich denke“. Ein sehr intensives, persönliches Gedicht, wo wie in allen guten Gedichten das Private zum Öffentlichen wird, ohne Peinlichkeiten hervorzurufen, im Gegenteil, hier empfindet der Leser das öffentlich Gemachte als sein ureigenes Privates. In dieser Hinsicht ähnlich, aber viel weniger hermetisch, überaus flüssig ist die Kurzprosa. Auch hier geht es um Verluste, um den Verlust der Kontrolle über seinen eigenen Körper und über seine Umwelt in „das krokodil“ und über den in keiner Weise schmerzhaften Verlust einer flüchtig kennen gelernten Person am Strand in „treffen“.
Jeder der folgenden Absätze ist einem dieser Sinneserlebnisse gewidmet, doch weder das, was er hört, noch fühlt oder schmeckt, gefällt ihm. Anders ist es mit dem, was er sieht:
Er meint, das Krokodil, streicheln zu können, es ist sein Freund, findet er. Wenn er einschläft, wacht es über seinen Schlaf.
Sehr interessant ist das perfekt zweisprachig geschriebene „treffen“, wo sich eine deutschsprachige Frau und ein italienischer Mann am Strand treffen, einander offen gestehen, wie gut sie einander gefallen, weil sie sich sicher sein können, dass der andere sie auf Grund der Sprachbarriere nicht versteht und damit jedes peinliche Moment wegfällt. Die Frau wundert sich, dass der Mann gar nicht versucht, sie zu berühren oder einzuladen, aber der Mann ist zu ernsthaft von ihr angetan, um die stereotypen Strandregeln des italienischen Machos zu befolgen.
Da ist keine Sentimentalität drin. War schön, dich kennen gelernt zu haben. Wie intensiv die Begegnung aber in Wirklichkeit war, drückt der letzte (vielleicht auch etwas künstliche) Absatz aus:
Das genaue Gegenstück hierzu hatte einleitend die Frau gebildet. Dieses Werk stellt vielleicht die einzige wahre Liebesbegegnung zwischen einem Mann und einer Frau in diesem Band dar. Eine Begegnung ganz anderer Natur hingegen bietet uns die gleichnamige Kurzprosa. Hierin berichtet die Erzählerin (und Autorin?) in einer Presseaussendung, wie zwei Priesterseminaristen aus Afrika, die in Innsbruck ihr Theologiestudium absolvieren, absichtlich auf ihrem Nachhauseweg von einem Auto überfahren werden. Der Grund ist ganz klar: Fremdenhass. Die körperlichen Verletzungen heilen in wenigen Tagen, was aber nicht heilen wird, sind die seelischen Wunden, die auch die Erzählerin verspürt, als sie erfährt, dass die Polizei von einer Anzeige abrät („das war aber sicher keine absicht, oder? werden halt zuviel getrunken haben.“). Die Presseaussendung muss revidiert werden: „rassisische attacken entsprechen nicht der art der innsbrucker, nicht der art der tiroler und nicht der art der österreicher.“
Und so kann die Autorin Innsbruck nur hassen, lieben und beweinen. |
Aurelia Seidl-Todt, ... und es blättern aus den Bäumen. „… und es blättern aus den Bäumen“. Irgendwie mutet hier alles „falsch“ an: dieser Titel, bei dem man gerne das Verb korrigieren möchte (sagt man denn nicht es blättert?), das hübsche Passfoto der Autorin, die ausgewogene Struktur, die das Inhaltsverzeichnis verrät. Das Buch ist in vier Teile unterteilt, welche mehr oder weniger alle gleich lang sind: „im Windschatten der Zeit“, „…und es blättern aus den Bäumen“, „Tauziehen“, „und kannst es wenden wie du willst“.
Die Beispiele, die man zitieren könnte, sind endlos. Diese Angst vor der Zeit überrascht, wenn man an das Alter der Autorin denkt (1948 geboren). Dabei ist diese Angst ein globales Gefühl aller Zeiten, und insbesondere unserer modernen Zeit, wo Mann wie Frau nicht mehr nur den Tod, sondern vor allem die Spuren des Alter(n)s fürchten. Wenn in „Tauziehen“, „Zeit für Raben“ oder „eingeschneit alles“ die Resignation sich noch in Grenzen hält, so hört man aus „Gründlich“ schon Angst heraus. Trotzdem lehnt sich die Autorin immer wieder gegen den Feind auf: „für langsames Sterben / bleibt noch Zeit genug“ meint sie in „wieder haben“. Und aus diesem Motto scheint dieses Buch geboren zu sein. Ein weiteres Thema ist die mit jeder Faser ihres Seins erlebte Natur, die etwas Allgegenwärtiges, Großes und gleichzeitig auch „Natürliches“ ist.
Diese große Liebe zur Natur verleiht vielen Werken eine ungeheure Intensität, führt aber dort, wo die Metaphern allzu üppig eingesetzt werden, auch aufs Glatteis: das sind die wenigen eher schwachen Gedichte dieses Bandes. Seidl-Todt schreibt sehr persönliche Gedichte, aber keine „Frauengedichte“, die Gedichte könnten gleichermaßen von einer Frau wie von einem Mann geschrieben sein, was den Stil betrifft: straff, unsentimental. Gerne benutzt die Autorin das zusammenfassende, abschließende Partizip Perfekt, wie zum Beispiel in „der Durchreisende“: „dem Vieh das Heu eingeholt / dem Bauer die Scheune gefüllt / den Raben wieder geräumt das / Feld […]. Eine einfache Sprache also, sagten wir. Dies gilt auch für die Bilder und Symbole, welche direkt dem Alltag entnommen sind. Wie Roland Jordan im Buchumschlag hervorhebt, versucht die Autorin, „Gegenstände des unmittelbaren Erlebens (…) und selbst der scheinbar grauen und gräulichen Alltäglichkeit (…) in Sprache zu fassen.“ Dies führt dazu, dass die zahlreichen Symbole, die Seidl-Todt verwendet, selten gekünstelt wirken, sondern immer realistisch und damit eine erhöhte Wirkung erzielen. Einen Raben als Todessymbol herzunehmen ist nicht sehr originell, in seinem natürlichen Kontext aber wirkt er absolut überzeugend:
Die Österreicherin Seidl schreibt bestes Deutsch, nur die oft eingeschobenen „mein Bester“, „meine Liebe“ stören die Reinheit dieser Sprache, was aber durchaus positiv zu verstehen ist, denn sie lockern sie auf, wodurch die Autorin eine aseptische Sprachschule vermeidet. Sie sorgen dafür, dass die Gedichte noch persönlicher wirken als sie es ohnehin schon sind. Wie bei allen guten Gedichten ist das Persönliche aber so verfasst, dass es nie peinlich anmutet, sondern zum Öffentlichen wird.
Überraschend wirken im Rahmen dieser an sich doch eher sanften Gedichte, die Gedichte „vielleicht nur Zufall“ und „noch einmal Zufall“: das respektlose Sinnen über das Autokennzeichen GOTT 1, das vor ihr im Morgenverkehr herfährt („als ob es einen zweiten gäb“) erinnert an die Beerdigung von W.D. Schnurre, wo ein „gewisser Gott oder Klott“ begraben wird. Ein interessanter Lyrikband also, wo zwar auf den ersten Blick alles „falsch“ anmutet, wie wir eingangs sagten, der Inhalt aber absolut stimmt. |