Universität InnsbruckUniversität Innsbruck

Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Rezensionen von Otto Licha

 
 

Helmuth Schönauer, Afterschock.
Schwere HTML-Gedichte.
Klagenfurt: Sisyphus, 2006.

Schockweise Gedichte

Gedichte schreibt man schockweise. Der Rahmen für Schönauers Gedichte-Schock hat mit Demokratie zu tun. Von 7 bis 108 erhält jede Seite ein Gedicht, Das sind 102 Gedankenblitze, fast zwei Schock, aufs Jahr umgerechnet alle drei Tage ein Gedicht mit zwei Monaten Urlaub. Es kann aber auch sein, es ist bei Schönauer eher so, dass das ganze Buch in einigen Wintertagen aus der Druckerpatrone geronnen ist, bis sie leer war und aus. Und dann raus auf den Gedichte-Markt.

Am Markt geht es in der Regel fein zu, da schwirren meist innovativ die Gedichtlein harmonisch in der Optik verteilt
in
jeder
zeile
ein
wort
oder zwei
alles klein
Und da patzt der Helmuth Schönauer hinein. Seine Gedichte-Seiten gleichen einem Autobus, in dem beispielsweise 20 Wortpassagiere völlig uninnsbruckerisch die Plätze 1 bis 14 einnehmen, höchstens durch Schrägstriche getrennt, während der restliche Bus leer bleibt. Aus ihrer Ecke beißen die Insassen dann heraus. Meistens fährt der Bus durch Innsbruck, es kann aber auch sein, dass man sich plötzlich in Garmisch-Partenkirchen oder Vöckla wieder findet, jedenfalls wieder in der Provinz.

Immer, wenn ein Maler malt, ein Filmer filmt, ein Komponist komponiert, ein Dichter dichtet, hat er keine Ahnung, welche Eindrücke das Werk bei manchen Rezipienten zu anderen Zeiten an anderen Orten hinterlässt. Wenn ein lyrisches Ich im Sonnenschein auf der Höttinger Alm auf seinem Papier die Zweige im Wind bewegen und die Vöglein pfeifen lässt, kann es sein, dass ein Leser dieses Gedichts in seinem Winter einen Wutanfall bekommt. Und damit sind wir bei der Sprache. Im Afterschock spürt der Rezipient der Gedichte bei all ihrer Ironie wieder einmal den Wutanfall des Schreibers. Bei ihm pfeifen nicht die Vögel am Baum, sondern vögeln die Pfeifen im Altersheim. Natürlich ist Schönauers Sprache fäkal. Das ist sie ja schon lange. Und höchstens oberflächliche TT-Kritiker nennen sie Plagiat. Schönauer hat mehr Bücher und Wörter gelesen als ein gleichaltriger ÖBB-Schaffner an Fahrten und Kilometern heruntergespult hat. Er ist in seinen Live-Auftritten derart wortgewandt, dass es für ihn ein Leichtes wäre, irgendeinen Stil so zu kopieren, dass es kein TT-Kritiker merkt. Aber er will offenbar seine detaillierten Beobachtungen derart derb und immer von unten nach oben preisgeben, sodass er sein Vorhaben, selbst preisfrei zu bleiben, wahrscheinlich umsetzen wird, weil die Polit- und Intellekt-Kritisierten oben auf ihren Podesten so etwas nicht vertragen.

Dem Schreiber dieser Zeilen passiert es gerade, dass in seiner Bekanntschaft zwei alte Menschen, Verzeihung Senioren, in ein Altersheim eingeliefert werden, weil sie sich nicht mehr selbst versorgen können, zum Teil Alzheimer-, zum Teil Katheter-bedingt. Der Nicht-Alzheimer-Teil des Paares spürt in der neuen Umgebung, ohne etwas verbrochen zu haben, den Hauch von Ziegelstadel und verzweifelt. Mitten hinein in diese Empfindungen drischt Schönauer mit einigen Hammergedichten, sexual in ihrer Art. Und in diesen Empfindungen spürt man wieder die wohltuende Nähe des Autors zum Leben. Er trifft ihn wieder, den Nagel, und nicht nur diesen auf den Kopf. Sollen sie nur wieder blöd reden. „Der Schönauer hat halt wida oan außalassn“ oder so.

Ein anderes Ziel der Schönauerschen Pfeilspitzen sind die Germanisten. Sie werden nicht menschlich aufs Korn genommen, auch die Romanisten oder Anglisten wären dran, würde Schönauer auf Italienisch oder Englisch schreiben. Er kritisiert vielmehr die Humorlosigkeit und die Wichtigtuerei seines Arbeitgebers Universität. Wenn Mathematiker in der Mensa beim Essen ausschließlich über die Stetigkeit von Funktionen debattieren, so riecht das ebenso nach Sterilität und Quarantäne, wie wenn sich Linguisten nicht über Empfindungen und deren Niederschrift durch Nichtgschtudierte den Kopf zerbrechen, sondern darüber, warum ein etablierter Dichter in irgendeinem Gedicht Nerf mit „f“ schreibt, während jene Zeit, die noch übrig ist, bis wir Würmerfutter sind, unberührt bleibt. Er schreit vielmehr in seinem Buch die Ansicht hinaus, dass es auch in der Lyrik ums Leben gehen muss, und zwar um jenes, das uns mit all seinen Fäkalien nicht nur berührt, sondern zudeckt.

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Thomas Schafferer, Innsbruck: 365 tage (buch)

TAK – Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative, 2005 

Gedichte übers Jahr

In persönliche Gedichte einzutauchen erfordert zunächst Ruhe. Im Bus zwischen hundert Schulkindern finde ich sie, Sitzplatz vorausgesetzt. Um Liebe geht’s, oder glaubt er’s nur? Da hat einer ein Stück von sich hergegeben, her geschrieben, von seiner Seele gelitten. Und es braucht bisweilen ein paar Jahre, bis dieses Stück seiner selbst zum „lyrischen Ich“ (blödes Wort) geworden ist, dass man es endgültig auslässt, in Buchform freigibt für alle.

Da kann ich kein lyrisches Etwas als Drittperson erkennen, denn der Schreiber hat einen Namen: Thomas Schafferer aus Pfons. Er hält nichts geheim von sich. Er ist verliebt, religiös, und er möchte das Mark des Lebens in sich aufsaugen. Es braucht für mich einige Wochen des Durchbeißens durch die ersten Gedichte. Soll ich mich da überhaupt einmischen in ein fremdes Leben? Doch schließlich habe ich die Ruhe dafür gefunden: wie gesagt, im Bus zwischen den Schulkindern. Und ich tauche so tief in die Texte ein, dass ich nicht einmal mehr höre, wenn mich jemand anspricht. Ich habe mich in den Zeilen selbst gefunden, damals, als ich noch jünger war. Auch bei ihm gibt es Zweifel, ob die große Liebe wirklich eine ist. Alle Gedanken konzentrieren sich darauf. Er liebt Italien so wie ich es liebe, auch er spricht italienisch, nur wird bei ihm durch die Parallelverschiebung der Zeit mein Fabrizio de André, so nehme ich an, durch Lorenzo Giovanotti ersetzt. Er schießt Tore, und es tut gut zu erkennen, dass endlich einmal ein Dichter nicht den Sport hasst, wie es bei den Kulturellen oft „in“ ist.

Die Liebe versiegt im April, und der Kampf um sich selbst beginnt. Stärke zeigen, die schönen Dinge rundherum mit Absicht genießen, wieder zurückfallen in die unsägliche Sehnsucht und Trauer, weil es mit dir so schön war. Hier ist die stärkste Zeit der Gedichte. Man lastet sich Arbeit auf. Der Radiosender verlangt einem fast zu viel Energie ab. Zum ersten und einzigen Mal, irgendwann im August, kommt eine Zeit, in der es Mühe macht, auch das Gedicht für den heutigen Tag noch „zu erledigen“. Nur kurz kommt dieses Gefühl auf, vielleicht liegt’s auch an mir, dem Leser. Vielleicht ist auch meine Energie gerade zu Ende, sodass mir augenblicklich jegliches Lesen schwer fällt. Ich habe auch ein Buch geschrieben mit einem Text für jeden Tag. Ich konnte damals hin und wieder ein paar Tage voraus- oder hinten nachschreiben. Hier aber wird jeder der 365 Tage genau am Schopf gepackt. Manchmal erkennt man den Tag genau, weil ein großes Ereignis, eine Katastrophe etwa, noch in unser aller Gedächtnis steckt.

Entweder schreibt man ein Drehbuch oder ein Tagebuch. Thomas Schafferer hat natürlich ein Tagebuch geschrieben. Vielleicht hat er es aber erst veröffentlicht, als ihm bewusst wurde, dass es auch ein Drehbuch ist. Die Dramaturgie seiner „Liebe“, insbesondere aber jene seiner Arbeit mit diesem Gefühl, macht es dazu. Ich habe mir ein Datum herausgeschrieben, den 20.5., weil mich das Gedicht nicht loslässt. Erst knapp vor dem Ende meines Lesens, schon im Dezember, entdecke ich auf der Rückseite des Buches, dass genau dieses Gedicht als Beispiel herausgegriffen wurde. Gibt es doch so etwas wie Lyrik, die allen am besten gefällt? Das glaube ich ganz einfach nicht. Mir fällt nur noch eines auf: dieses Gedicht wurde am Bahnhof geschrieben, vielleicht in größter Unbequemlichkeit. Oft schreibt Not die tiefsten Gedichte.

Der 5.12. bringt wieder einen Text, der länger in mir arbeitet:

Schon gar nicht mehr was

ich weiß schon gar nicht mehr was müdigkeit
bedeutet, wenn nicht zu schlafen zur
selbstverständlichkeit wird, ich weiß schon gar
nicht mehr was lieben bedeutet, nur stumpfes
sinnloses mich begleitet, ich weiß schon gar
nicht mehr was leben bedeutet, wenn ich tag
für tag in einem haus nur sitze, ich weiß schon
gar nicht mehr was schönheit bedeutet, wenn
man sich nicht darum zu kümmern braucht
ich weiß schon gar nicht mehr was spontaneität
bedeutet, wenn alle dinge nur geplant ihrer
erfüllung harren, ich weiß schon gar nicht mehr
was lachen bedeutet, wenn die trostlosigkeit in
meinen sinnen einkehrt und sich breit macht

Kann schon sein, dass manche Dichter ihre Gedichte stärker verdichten. Aber es kommt immer noch darauf an, welche Gefühle Gedichte bei dem auslösen, der sie liest. Thomas Schafferer steht zu dem, was ihn in diesem Jahr des Schreibens ausmachte. Seht her, das war ich damals, auch wenn ich jetzt vielleicht anders bin, gereifter, mag sein, aber das, was ich damals war, bis in jede Einzelheit, das gehört auch heute noch zu mir, das bin auch ich, höre ich ihn in meiner Vorstellung sagen, obwohl ich ihn gar nicht persönlich kenne. Seine Gedichte geben mir das Gefühl, auch in den geheimen Ängsten und Wünschen, die man normalerweise für sich behält, nicht allein zu sein. Danke, Thomas!

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Margit von Elzenbaum, Dorf mit Bühnen.
Bozen: Edition Raetia, 2004.

Dorf ist Bühne; Lebensbühne für die Bewohner, Komödie oder Tragödie für die Beobachter. Eine Schriftstellerin als Beobachterin kann die Realität für uns Leser ins Spannende übersetzen. Die gebürtige Boznerin Margit von Elzenbaum ist in die Dörfer aufgebrochen, hat beobachtet und geschrieben. Sie hat dabei keine der Sprachen übersetzt. Man denkt als Mehrsprachiger ja auch immer in jener Sprache, die die Situation erfordert: Deutsch, Italienisch, Südtirolerisch, Jugend, Alter, fehlt Ladinisch? Nichts fehlt, denn die gewählten Südtiroler Bühnen-Beispiele brauchen kein Ganzes. Man muss ja auch nicht beide Seiten einer Medaille betrachten, wenn in einer allein so viel Aussage steckt. Der offizielle „Kopf“ der Südtiroler Medaille hat in diesem Buch jedenfalls, ohne dass er gezeigt wird, seine Kratzer abbekommen.

68er Kind, schon 1997 in der Zeitschrift Kulturelemente veröffentlicht, bringt Katjas Beobachtungen: Opa Kriag und Nazi, Vater 68er, lei stessa con l’amico Paolo al bar da Yvonne. „Carissima Katja, io spero che questa canzone ti sia gradita.” Wos isch des fir a Loudn, Paolo? Losch mi, wou i koan Mensch kenn, durchn Lautsprecher ausiriafn, dass di gonze Bar ihre Augn af miar draufdrahnt? Die Uroma Marie soll gern gesungen haben. Es miaßet an Toug fir die hailigen Uromen geibn.

Kastlwelsch und Fraktion Martatsch ist die Bühne des Dorfschreibens. Idylle 1999 in Hexametern bricht nur an wenigen Stellen das Versmaß. Sie beschreibt die Monotonie des Dorflebens. Tourismus und Sparkasse brechen dörfliche Strukturen auf. Reportage 1999 präsentiert sich als literarisches Sommergemälde. Unverschämt reiche Dorfleute, il maresciallo che conosce tutti per nome, Soalbohn, die Kinder ins Heu, damit die Urlauber Platz haben, die Vereine in deutscher Hand. Porträt 1999 beschreibt noch mehr Einzelheiten aus dieser Gemeinde: elf Kräne, den Flüchtling, die Walschn singen laut in der Kirchn und vieles mehr.

Richtung nächstes Leben ist aus dem Tagebuch einer Fünfzehnjährigen. Der DDR-Liedermacher Gerhard Schöne hat Anfang der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts das gleiche Thema für einen seiner Songs gewählt. Interessante Parallelen sind erkennbar. Jugend ist eine Quereinteilung zu herkömmlichen sozialen und gesellschaftlichen Strukturen und hat ihre eigene Sprache.

Noch andere Südtiroler Bühnen erfasst Margit von Elzenbaum mit ihrem literarischen Teleobjektiv: SMS - Drehbuchnotizen, Sursum Corda - den Monolog eines jammernden Pfarrers, Muttertage - eine Rede zum 8. März. Das Dach ist neu gedeckt bringt in einer Person mehrere Bühnen knapp nebeneinander unter einem Dach zusammen, Song: Mir sitzt der Tod im Hals, vielleicht schluck ich ihn heute noch hinunter, die Hoch-unser-Frauen-Prozession, die Ballnacht mit der Großmutter: Fanciulle mie, kauft alle Rosen und verteilt sie! Ele birgt Kindheitserinnerungen, am Ende beschreibt Klatschmohn eine riskante Zugfahrt: Es könnte sein, dass ich vergesse, mich nicht aus dem Fenster zu lehnen, den Kopf nicht aus dem Fenster zu stecken. … Am Ende dieses Hörspiels, das als Drama in Prosaform geschrieben ist, finden wir uns in der Lyrik wieder: Voglio proprio riconcentrarmi sul papavero rosso. Rosso un attimino più chiaro del rosso passione. Son sottili pensierini quei petali, son fazzoletti. Farfalle sono, ecco.

Bis zum Ende dieses Buches habe ich mich gefragt, wieso die Autorin ihrem Werk den Untertitel Experimentelle Texte gab. Ist nicht jeder eigene, neue Text experimentell? Ist es nicht von vornherein ein Experiment, etwas von sich, von seiner Seele, herzugeben? Vielleicht ist die Aufhebung jeglicher literarischer Gattung damit gemeint. Ist ein Roman ein Roman, wenn ich ihn so bezeichne, oder müssen das Literaturwissenschaftler tun? In Dorf mit Bühnen, 2004 im Raetia Club erschienen, purzeln die Texte filterlos, einfach so, aus der Autorin heraus, und wenn man dafür offen ist, direkt in die Leserseele hinein. Manchmal gibt es Bücher, bei denen ich denke, die sind nur für mich verfasst. Dorf mit Bühnen gehört dazu. Ich wollt, ich hätt’s geschrieben.

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Markus Köhle, Letternletscho – ein Stabreim-Abcetera.
Klagenfurt: Sisyphus, 2004.

Man argumentiert richtigerweise kaum unlustig, sollte Kein ödes hunde-leben entstehen, wenn Markus Köhle aus dem Lettern-Salat der deutschen Umgangssprache Sprachgebäude zimmert. Ich selbst fühle mich in die Achtziger des vorigen Jahrhunderts zurück versetzt, als mein Lieblingssänger Fabrizio de André, dem bisher italienische Lyrik, aufrichtige Schicksalsbeschreibungen und sarkastische Gesellschaftskritik wichtig waren, plötzlich in den Walzer-Minnesang verfiel, ausschließlich strenge Stabreime produzierte und dazu in einem selbst erfundenen Tirolerisch jodelte. Aber auch Ernst Jandl pocht an die Erinnerungstür, und Markus tut gut daran, wenn er seine Sprachschnipfel nicht nur niederschreibt, sondern auch in die hohle Gasse oder von der Bühne brüllt, wobei ihn improvisierende Trompeter und Saxophonisten inbrünstig begleiten sollten.

Aber auch zum Lesen ist sein im Sisyphus-Verlag erschienenes Werk Letternletscho, ein Stabreim-Abcetera bereits unterhaltsamer als so mancher Kabarett-Abend. Welcher Heini hat in irgendeiner Sprache überhaupt die Buchstaben erfunden? Der Autor des gegenständlichen Kurzbuchs gibt’s ihm ordentlich. Er hat sicher selbst seine Hetz gehabt, Anselms Absichten, Beichtvater Bernhards Begierden oder Unilateraler Umsturz aus der formalen Vorgabe heraus zu komponieren, jedes verwendete Wort mit demselben Buchstaben beginnen zu lassen. Was tun aber bei jenen Lettern, die nicht so viele Wörter hergeben? Er kreiert ein Wort, zerschnipfelt es in seine Buchstaben oder Wortteile und lässt diese wie von selbst die Worte finden wie in China, Quart, Tivoli, Xeno oder Yeti. Tivoli alt und neu übrigens, denn Markus Köhle ist sportlich ganz gut drauf, und so ergibt sich zumindest in den Überschriften so manche Gesellschafts- und Literaturkritik wie Ötztaler Rebellieren und Stadtschreiber stört. Was aber ganz toll ist, die gewürfelten Wörter ergeben immer Geschichten, so wie ein geschütteltes Kaleidoskop Ornamente ergibt. Manche sind zwar nicht so leicht bis zum Ende zu lesen, weil sie auf Dauer quer stehen wie eine Gräte im Hals, andere jedoch rinnen wie wohliger Wein in die Lesekehle und man würde sich gerne weiter einschenken, wenn die Flasche sprich Geschichte nicht schon fertig wäre. Extrem ist dem Markus die DT-Kombination Dany und Danone, aber auch die E-Geschichte Erotikexkret: Entzückende Eichelspiele gelungen. So muss es wohl Ovid gegangen sein, als er zu sprechen anhob und Hexameter seinem Mund entschlüpften. Sogar zwei Dramolette mit den Buchstaben P und V verließen Markus’ Feder bzw. Computer klopfende Finger. Wer will, kann sich auch an den Mathematisierungen der Sprach-Bauteile ergötzen. Herzerfrischend ist auch die Story von Herta Hummel hund Hartmut Hecht, exakt Hohllipppen-Heckflossen-Heckmeck. Schließleich muss man eingestehen, Grenzfurtner ging’s ganz gut, gleichwohl grübelte Grass-Leser Grenzfurtner gelegentlich. Gute Unterhaltung!

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Helmuth SchönauerBürger Metzger Meisterin.
Innsbruck: Kyrene, 2004.

Helmuth Schönauer steht zu seiner Provinz. Mögen andere, die in der Welt berühmt sind, während des Flugs von großen Städten zu fernen Inseln einen Abstecher nach Tirol zur Lesung machen, so stellt er, inzwischen schon fünfzigjährig, als junger Autor seinen Roman ‚Bürger Metzger Meisterin’ dem noch jüngeren Kyrene-Verlag unter der Devise „In Innsbruck bin ich weltberühmt“ zur Verfügung. Schönauer durchstreift seine Stadt, und wo andere, um zu dokumentieren, Tonband und Kamera zücken würden, um Unglaubliches festhalten zu können, bleibt er der Dichter. Denn Dichter zu sein hat er gelernt, das kann er, und so beschreibt er zunächst irgendein Faktum, umkreist es mit einem Netz aus Heiterkeit und beginnt dann zu übertreiben. Und er übertreibt ungeheuer gekonnt. Wie wenn sich eine Dokumentation zum Zeichentrickfilm wandelt, übertreibt Helmuth Schönauer seine Protagonisten. Die eine hat nur Fleischkäs, der andere nur das Stadion im Sinn. Die Übertriebenen werden zu Getriebenen und sicher böse, wenn sie ihren eigenen Zeichentrick im Text erkennen. Wir anderen haben eine Gaudi und lachen über die Bürgermeisterin und ihren Vize. Irgendwo aber bleibt unser Lachen im Hals stecken, spätestens, wenn wir uns selbst gefunden haben, und wenn nicht auf dieser Seite, so auf der nächsten. Denn Schönauer lässt nichts und niemanden aus in dieser Stadt. Alle sind wir dran, wir, die Spießerinnen, die Lodenmantelträger, die Kids im Sillpark, der Kripp, die Sackroller-Fahrer, die Polizei, der Schiverband, die Einsatzleiter bei sportlichen Großveranstaltungen, die Wirtschafterinnen, die Lehrer, die Musikantinnen und Generäle, die Handyträger und GrünInnen und so weiter, und so weiter. Alle zusammen bilden den Ibk-Normi, der vor laufender Kamera gezeugt wird. Dem Volk wird beim Schreiben aufs Maul geschaut, und wenn’s fäkal zugeht, erst recht, denn diese Sprache ist in ihrer tief provinziellen Allgegenwart für Schreiber und Leser befreiend, außer vielleicht am Mitterweg und in der Höttinger Au, denn dort wohnt die Intelligenz.

Was sollen wir, die WeltstädterInnen, tun, wenn wir auf hundertachtundzwanzig Seiten in einem fort erniedrigt und beleidigt werden? Würde etwa eine x-beliebige Frau, zum Beispiel irgendeine Hilde Z., die keiner kennt, sich mit einem durchschnittlichen Mitterwegler namens Helmuth S. auf ein Schnitzel treffen und philosophieren, käme dabei leicht eine Sau aus und beide würden über sich selber lachen. So geht’s aber nicht, wenn erstens die erstgenannte ein Organ ist und zweitens die ‚Weltstadt’, in der beide agieren, wie ein Stachelhäuter ihre Organe im Sinne der Verdauung mittels ‚Tirol heute’ und Zeitung nach außen stülpt. Und ein Organ hat gefälligst nicht und nichts zu lachen, sonst wird es transplantiert. Schon gar nicht hat es über sich selbst zu lachen. Helmuth Schönauer jedoch trägt die Wut in sich, dass Großes von Innsbruckern oder ähnlichen offensichtlich nur geschrieben werden kann, wenn es von Seattle, Paris oder einer fernen Insel handelt und als Weltumsegler in der kleinen Großstadt wieder eintrifft. Innsbruck möchte doch selbst etwas sein. Der Autor beschreibt dies auf seine besondere Art. Man stelle sich eine Null vor, deren Verwalter beschließen, kultureller und sportlicher Mittelpunkt zu werden und daher immer wieder versuchen, Großereignisse wie Olympische Spiele zu veranstalten. Aber leider ist die Null für die Welt uninteressant geworden, weil sie keinen eigenen Inhalt bieten kann außer die heiße Luft, mit der die Verwalter versuchen, sie aufzublasen. Irgendwo gibt es zwar noch die Stadt Schasibody, die mit ihrer internationalen Jury unsere Null regelmäßig zur Weltstadt der Provinz kürt, aber niemand von den Verwaltern weiß, wo Schasibody liegt und wer dort regiert. Helmuth Schönauer konzentriert in sich unter der Devise ‚Provinzler aller Länder vereinigt euch!’ die Wut all jener, die es satt haben, in einer Null zu wohnen, die die Welt veranstalten will, und zwar so lange ist er wütend, bis aus ihm die Begeisterung heraus bricht: „Seht her, wir sind’s, die Null!“ Und in dieser Begeisterung lässt er durchblicken, dass er seine ‚Weltstadt’ liebt. Und uns bleibt nur, beim Lesen herzhaft zu lachen, und am lautesten über uns selbst.

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Einer hält durch. Festschrift für Helmuth Schönauer.
Innsbruck: Skarabaeus, 2004.

43 Autorinnen, Autoren, Verleger, Lektoren, Zeitschriftenherausgeber, Lehrer, Bibliothekare, Schauspieler, Regisseure, Zeichner, Bildhauer, Musiker, Journalistinnen, Journalisten, Germanisten, Buchhändler und Kulturdealer bekunden in der Festschrift „Einer hält durch“, herausgegeben vom Skarabaeus-Verlag, ihre Solidarität mit Helmuth Schönauer zu dessen 50. Geburtstag. Solidarität tut dem Helmuth, der sich in seiner Kompromisslosigkeit und Geradlinigkeit in der offiziellen Kultur-Unterstützer-Szene häufig unbeliebt macht, auf jeden Fall gut, und jede der 43 Personen, die einen Beitrag geliefert haben, lassen an derselben keinen Zweifel aufkommen, eine jede auf ihre Art.

Da sind die Hymnen auf Helmuth Schönauer und seine unermessliche Arbeit im Dienst der Literatur, der bekanntlich nie endet. Gerhard Ruiss etwa bringt einen Kalender mit den Tätigkeiten der IG Autorinnen und Autoren zur Zeit der blau-schwarzen Regierung mit ein, wobei Helmuth Schönauer an jeder Protestaktion beteiligt war. Ludwig Roman Fleischer wiederum berechnet die theoretische Lebenszeit des Gefeierten auf Grund von dessen Rezensionen und Veröffentlichungen, wobei sich ergibt, dass Schönauer schon mit minus 13 Jahren mit dem Schreiben begonnen haben muss.

Zahlreich sind die Erinnerungen im Buch an frühe Begegnungen mit Helmuth. Walter Klier denkt dabei an den „Luftballon“, eine satirische Zeitschrift mit dem Untertitel „Beiträge gegen den Wahnwitz“. Manfred Chobot erinnert an Schönauers Werke vom Graukas über die vergesslichen Reiter bis zu den Enten, Hans Augustin an die frühe Verlagsarbeit mit dem inzwischen zum „echten Fufzger“ mutierten, gerichtlich anerkannten Schriftsteller. Einige Autorinnen und Autoren geben ihre Signatur zu Ehren des Gefeierten ab. So brauchen Hans Haid im Kapitel „Halte durch“ und Barbara Hundegger mit „schön-höttinger-auer“ unter „patriotisch lesen“ gar nicht erst ihre Namen unter ihre Beiträge zu setzen, so unverwechselbar ist ihre Gedichte-Handschrift geworden.

Es würde zu weit führen, alle Beiträge hier zu erwähnen. Dennoch möchte ich noch zwei davon hervorheben, da sie mir selbst einen emotionalen Ruck versetzt haben. Zum einen ist da Kurt Lanthaler, der im dritten Abschnitt „Die Literatur ist immer im Dienst“ abseits von seinem Tschonnie Tschenett in „Nun schaut herr h. genau“ ein sprachliches Feuerwerk entzündet. Zum anderen öffnet Helmut Schiestl in „Lebe am Mitterweg“ seine Seele und gibt ein gutes Stück davon her, schenkt es ihm, dem Helmuth, der wohl am Mitterweg wohnen bleibt und uns erhalten, hoffen wir, noch sehr sehr lange. 

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Markus Köhle, Pumpernickel.
Innsbruck: Skarabaeus, 2003, 128 Seiten.

Wer sich ein Tiroler Buch erwartet hat, wie etliche andere es sind, so eines mit Erzählungen und so, der läuft vorerst blau an. Nicht wegen eines zu großen Gold-Delicious-Brockens, nein, sondern wegen der ersten Geschichte „Falsche Fährte?“, die dem Betthupferl für Erwachsene, Teil 1, folgt. Den Betthupferl-Start habe ich zunächst irgendwie als Vorwort interpretiert – ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. Und dann braucht Markus Köhle eine ganze Kurzgeschichte lang, um fünf Minuten zu erzählen. Ich gehe die Möglichkeiten durch:
a)Er ist ein Langsamdenker.
b)Er hat nicht viel erlebt und muss daher das Wenige langsam beschreiben.
c)Er betrachtet die Welt in Zeitlupe, weil
*)die Zeit so schnell vergeht,
*)auch Sportübertragungen häufig eine Wiederholung in Zeitlupe bieten,
*)man der Hast der modernen Zeit entgegenzuwirken hat.
d)Er möchte alles anders machen.
Und jetzt stockt’s. Ich weiß, da muss ein e) her, das die Lösung ist, aber das e) steckt in Hals, Hirn, Herz, Bauch und so weiter. Das Buch stellt sich quer wie eine Gräte eines genussvoll verspeisten „Mero“, dessen Namen ich auf Deutsch nicht weiß. Verflixt, da schreibt einer in einer ganz besonderen Weise, und mir steckt das Buch im Hals.
Und dann geschieht es: als sich Adams allerersten Apfels erstes riesiges Stück via vierfachen Klopfens seitens der Fähren-Stewardess Eva samt Speibschwall den Weg ins Freie bahnt, löst sich die Gräte und ich bin dem Lachkrampf verfallen, wache spätnachts noch auf und lache über die AUA, die zusammen mit ausnahmslos allen in der Adria versinkt. Und zwar lache ich, weil
a)ich an einen guten Witz denke,
b)die AUA eine irrlustige Fluglinie ist,
c)man doch auf einer Fähre nach Griechenland keinen Apfel, und schon gar nicht seinen ersten isst,
d)alle aus Markus Köhles Geschichten so irre Namen haben: Artemis, Manfred, Adam, Max Mustermann, Knut Knaller, Martha Mahlknecht, fehlt nur noch Erwin,
e)endlich e), weil Markus Köhle ein traumhafter Entertainer ist, ein irrer Performer, der es mit allen Haders und Dorfers aufnehmen kann, weil er sich nicht nur des gefilmten und nicht nur des theatralischen bzw. radiophonen Mediums bedient, sondern auch vor allem des geschriebenen.
Aus ist’s mit der Vorstellung vom Betthupferl-Vorwort. Ich warte jeweils sehnsüchtig auf die Fortsetzung dieser Leitgeschichte wie ein Kind der Fünfziger und Sechziger des vorigen Jahrhunderts auf das Traummännlein gewartet hat. Das Ende dieser siebenteiligen Erzählung über Knut und Martha ist schließlich wie ein Tritt in den Hintern, nach dem man ganz besonders gut schlafen kann. Doch zuvor gibt es noch die Zwischen-Geschichten. Diese Erzählungen, die manchmal das gewisse kriminalistische Etwas an sich haben, gleiten nach dem Kotzen des ersten Apfelbrockens hinunter wie Apfelmus. Der Höhepunkt ist schließlich die Schlafsack-Story aus St. Johann. Dort ist ja unter anderem der Jochen Burger mit seinem Literaturkreis daheim, hallo Jochen, dort fühlt sich ein Literat wohl.
„Pumpernickel“ (warum’s so heißt, ist irr, lest bitte selbst!) von Markus Köhle aus Nassereith – ich kann’s nur empfehlen.

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Irene Prugger, Nackte Helden und andere Geschichten von Frauen.
Innsbruck: Skarabaeus, 2003, 172 Seiten.

‚Die Zeit läuft nicht rückwärts, bloß weil man keine Zukunft mehr sieht.’ Dieses Zitat aus ‚Symmetrie’, einer ganz besonders ergreifenden Kurzgeschichte in der Mitte des Buches, nehmen sich Irene Pruggers ‚Heldinnen’ zu Herzen und gestalten Gegenwart wie Zukunft. Mögen die Schicksale dieser Frauen zum Teil alltäglich sein: mit makabrer Konsequenz übersehen werden, nichts gelernt haben, dick, geheime Geliebte oder Witwe sein, alt werden, vom jung sein träumen und so weiter, ihre Bewältigung hat mit Alltag nichts gemein. Hier treibt einen die Spannung eines Kriminalromans, dort wird man von einer unglaublichen Pointe überfallen. Irene Prugger holt kaum Männer von den Sockeln, sie lässt sie Chef sein, Macho, Liebling, Müller oder nackter Bad Boy. Den Absturz besorgen die Mannsbilder schon selber, die Frauen gehen nur behände ihren Weg, außer sie stechen ein Schwein ab, und dann hat letzteres es sich selbst zuzuschreiben und weckt keine Trauer. Es hat Irene Pruggers brillanter Stil an sich, dass Tragisches plötzlich zum Lachen anregt und beste Unterhaltung mit Botschaft kombiniert wird, ohne dass man ein überflüssiges Rufzeichen ausmachen kann. Die Welt bleibt die Welt, die man ‚nur mit Müllers Worten erklären kann’, aber die Zeit wird durch ‚Nackte Helden’ eine andere.

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