Rezension von Petra Nachbaur
Stefan David Kaufer, Auf Peamount. [Jan. 2002] Irish Coughee. Eine Krankengeschichte. Nie werde ich vergessen, wie der Sänger der trashigen Heavy Metal-Band Motörhead das Konzert Anfang der neunziger Jahre eröffnete, indem er von unten zum herabbhängenden Mikrofon hineingrölte: "Innsbruck: The Meaning of Pain!" Ob Stefan David Kaufer ebenfalls im Publikum war? Möglich wäre es, denn der mittlerweile in Berlin lebende Autor hat seine Studienzeit großteils in Innsbruck verbracht, und zumindest dem Erzähler aus seiner jüngsten Veröffentlichung "Auf Peamount" erscheint die alpine Universitätsstadt in recht genauer Kenntnis ganz ähnlich wie dem legendären Lemmy Kilmaster auf den ersten Blick. "The Meaning of Pain" hat aber für diese Erzählung eine noch andere, wesentlichere Bedeutung: Während eines Auslandssemesters in Dublin, das dem jungen Studenten als erster Schritt, Innsbruck endgültig zu lassen, erscheint, erkrankt er. Von dieser Krankengeschichte erfahren wir im ersten Teil des Buches in Rückblenden, die zwischen den Bericht einer Thailand-Reise zu zweit geschaltet sind. "Be patient", ermahnt die College-Ärztin Stefan schon auf Seite 27. Wie viel Geduld er tatsächlich noch brauchen wird, kann dem Erzähler noch nicht klar sein, doch die Leserin ahnt bereits, daß mit dem englischen Wort für "geduldig" gleich zeitig auch das "Patient sein" hier bereits heraufbeschworen wird und ungeahnte Dimensionen erreichen könnte. "Den Körper finden, ein neues Leben finden", nimmt sich Stefan dennoch vor und wehrt sich gegen den Husten, die Schwäche, den Schweiß. Behauptet wird schließlich TBC, und verbunden mit der nicht ganz eindeutigen Diagnose sind auch nicht ganz eindeutige Folgen und Maßnahmen. Wie steht es wirklich um Stefan? Wie schlimm ist es? Und wie sind die Konsequenzen? Das fragt sich der Erzähler selbst, das fragt sich seine Umgebung, das fragt sich der Leser. In der knappen Mitte der Erzählung wird Stefan nach Peamount, in die titelgebende Heilanstalt geschickt, zunächst für eine Untersuchung. Nach dieser Untersuchung kann er die außerhalb Dublins gelegene, besser: abgelegene Klinik allerdings nicht mehr verlassen. Im zweiten Teil der Erzählung fokussiert der Text ausschließlich auf die abgeschiedene Welt von Peamount, die Thailand-Reise gerät mehr und mehr in Vergessenheit, und der Autor zieht sein Publikum mit der stark durch Dialoge und inneren Monolog geprägten Darstellung seines Aufenthaltes in der Lungenheilanstalt in Bann. Irland wird zu Irrland. Unerträglich und absurd erscheint dieser Aufenthalt (der geschildert wird wie eine unendliche Qual, schlussendlich aber ganze vierzehn Tage dauert) durch die völlige Ungewissheit, Unberechenbarkeit, Undurchschaubarkeit, beinahe Irrealität der Situation: Ärztliches Personal ist nur einmal pro Woche zu sehen oder zu sprechen, Tests werden wiederholt, Kommunikation findet mit dem Patienten nicht oder nur unecht wirkend statt, auch die Kommunikation mit anderen, externen Fachleuten, Institutionen, Nahestehenden gestaltet sich als schwierig bis unmöglich. So bleibt Stefan das Gespräch mit seinen Mitpatienten. Er befindet sich als geduldeter bis gern gesehener Außenseiter in einer man's world, einer Welt der alten Männer und der beschränkten, die den jungen Nonnen mit kleinen Anzüglichkeiten, den alten mit Gehorsam begegnen und die in mehrfacher Hinsicht "hoffnungslose Fälle" sind. Kaufer gelingt es, sie so darzustellen, daß sie einer trotz ihrem brutalen Chauvinismus und fanatischem Anti-England-Geist, trotz derbem Schmäh und sturem Fatalismus beinahe ans Herz oder an die Lunge wachsen. Bemerkenswert subtil geschildert ist auch Stefans Unvermögen, Auskunft zu erteilen über seine Heimat bzw. die Aspekte daran, die die anderen Patienten interessieren - im österreichischen Fußball kennt sich einer der Iren besser aus als der, der immerhin einen FC Tirol zu bieten hätte, und auch in Sachen Landwirtschaft und Bergbauern fehlt es dem jungen Intellektuellen an Kompetenz. Das große Österreich-Thema bleibt auf Peamount "Hitler", der dem jungen Österreicher in immer wiederkehrenden Provokationen zur Seite gestellt wird. Im allerletzten Abschnitt, als sich keine Lösung des Problems durch Entlassung oder klare Aussagen abzeichnet, baut Kaufer eine derartige Spannung auf, dass eine/r das Buch tatsächlich nicht mehr aus der Hand legen kann, ohne erfahren zu haben, ob denn nun die Flucht aus dem Krankenhaus gelingt oder nicht - es steht bis zu allerletzt auf der Kippe. Kleinere erzählerische Mängel bestehen in einem Nocheinsdraufsetzen, das den Bogen oft überspannt: "Ja, kann man denn nicht einfach nichts werden, niemand? Ein Loch, das sich durch die Landschaft bewegt. Schiebt. Und alles schluckt", sinniert der Erzähler, um sich dann selbst zu erklären: "Nein, das geht wohl nicht. Das ist wohl nicht möglich." (S. 25) Möglicherweise handelt es sich bei diesen Passagen nicht um erzählerische Mängel, sondern vielmehr um "Erzähler-Mängel", um das Phänomen einer gewissen Rollenprosa also, in der der Autor seinen Erzähler eben so denken, sprechen, erzählen läßt. "Ich bin nie weit gegangen", berichtet dieser Stefan schon auf Seite 3 und meint damit zunächst einmal bloß die schlicht Tatsache, daß er bei seinen Spaziergängen im Anstaltsgelände keine großen Strecken zurückgelegt hat. Bindeglieder zwischen den Welten, die er außerhalb seines Herkunftslandes bereist, sind gelungen in den Text eingebaut. So werden die Nasszellen in den diversen Unterkünften in Thailand, die ständig von mehr oder weniger bedrohlichen exotischen Insekten besucht werden, kontrastiert mit dem penibel desinfizierten Waschbecken im Krankenzimmer. Größtes Bindeglied aber ist die englische Sprache als Verständigungsmittel, eine Sprache, die nicht die Muttersprache von Stefan ist und die auch in Südostasien und Irland spezielle, nicht standardisierte Ausprägungen und Färbungen hat. Stefan trifft beide Male von außen auf diese Welten, immer jedoch in einer bestimmten, von vornherein klar definierten Rolle, einmal als Tourist, einmal als ausländischer Patient. Das Wort "dancherout" vom thailändischen Warnschild passt auch zur unklaren Situation der ansteckenden Krankheit im Land der IRA. Doch auch seiner eigenen Sprache gegenüber ist der Erzähler, geschwächt durch die Krankheit und die Medikamente, skeptisch durch die Beschäftigung mit Sprache und Philosophie, ohnmächtig: "Die meisten Wörter gingen durch meinen Kopf hindurch wie Flugzeuge, und beinahe nichts hinterließ etwas Bleibendes, nur einen rasch sich auflösenden Kondensstreifen" (S. 60) Nach gelungener Abreise ruft Stefan schlussendlich auf dem Patiententelefon an, um sich zu verabschieden. Der alte Paddy ist am Apparat und kann es gar nicht glauben: "You fuckin' did it!" - "He fuckin' did it". Der Kondensstreifen dieser Erzählung ist ein starker und mehrfacher, manchmal zum Teil von einer Thomas Bernhard-, manchmal von einer Franz Kafka-Wolke verdeckt. Er lässt auf eine beachtliche Anzahl literarischer Triebwerke schließen. Stefan David Kaufer jedenfalls gehört mit dem ebenfalls in Berlin gelandeten Florian Neuner und dem Wiener Xaver Bayer zu den spannendsten und noch viel zu wenig gelesenen Siebziger-Jahrgängen Österreichs. |