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Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Rezensionen von Petra Paumkirchner

        

 
Hans Augustin,
 Der im brennenden Dornbusch. Roman
Innsbruck: Skarabaeus 2009, 236 Seiten

 
Gott ist en vogue

Gott ist nicht tot, Gott ist en vogue. So hat man jedenfalls seit letztem Jahr den Eindruck, in dem Gott in der deutschen Literatur wieder Einzug gehalten hat, allen voran in Peter Henischs vielbesprochenen Roman „Der verirrte Messias“. Wer immer schon einmal wissen wollte, was Gott sagen würde, ließe er sich im 21. Jahrhundert dazu hinreißen, uns eine Botschaft zu schicken, der ist mit dem neuesten Buch des Tiroler Schriftstellers Hans Augustin „Der im brennenden Dornbusch“ gut bedient. Wie schon im alten Testament spricht Gott aus einem brennenden Dornbusch mit dem Protagonisten des Buches, sozusagen die Schlüsselstelle, in der die Zentralbotschaft des Romans vermittelt wird: Frieden zwischen Israel und Palästina, Frieden auf Erden. Doch langsam und der Reihe nach.
Der Protagonist mit dem bedeutungsschwangeren Namen Moses Mandelbaum verkörpert eigentlich den Durchschnittsbürger par excellence. Der Ehemann und Vater zweier Kinder  geht, um seine Familie erhalten zu können, mehreren Berufen nach. Hauptberuflich ist er Versicherungsmakler mit mäßigem Erfolg, daneben arbeitet er zweimal die Woche als Reinigungskraft in einem Verlag und hin und wieder als Koch in einem Restaurant, wenn der Chefkoch frei hat oder unpässlich ist. Mit Religion hat er nicht sehr viel am Hut, doch das soll sich im Laufe des Buches ändern.
Eines Tages macht Mandelbaum in seinem Stammcafé eine eigenartige Bekanntschaft. An der Theke steht ein Fremder, der mit ihm das Gespräch sucht. Er scheint ihn zu kennen, jedenfalls weiß er Details von Mandelbaum, die sonst nur ein Freund oder Bekannter wissen kann. Die beiden verabreden sich, um das Gespräch ein paar Tage später fortzusetzen. Das Verblüffende: Der Fremde verlässt das Lokal nicht zu Fuß, sondern indem er vor dem Café seine Arme ausbreitet und mit seinen nur für Mandelbaum sichtbaren Flügeln davonfliegt – ein Engel, der Erzengel Gabriel, wie sich später herausstellen sollte.
Ein paar Tage später treffen sich die beiden wieder zur verabredeten Zeit. Der Engel stellt Mandelbaum ein Erlebnis der besonderen Art in Aussicht. Er solle doch auch die Arme ausbreiten und mit ihm davonfliegen. Gesagt, getan und so macht sich Mandelbaum auf eine „Reise“ und findet sich mir nichts dir nichts in der Konfliktzone zwischen Israel und Palästina wieder.
Er erlebt seltsame Geschichten. So sieht er zum Beispiel Abdullah, der sich von seiner Mutter verabschiedet, um sich in einem Strandcafé in die Luft zu sprengen. Er begegnet Itzak, einem Soldaten, der unabsichtlich den kleinen Sohn eines Palästinensers erschießt, desertiert und Mandelbaum bittet, seiner Mutter einen Brief zu überbringen.
Auf dem Weg nach Tel Aviv, lernt Mandelbaum den Architekten Zvi Katz kennen, der für den Arzt Israel Januschewsky eine Villa bauen soll. Januschewsky ist aber nur ein angenommener Name, der dem Arzt nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Identität verliehen hat. In Wirklichkeit hieß er Adolf Koch und war Sanitätsunteroffizier der SS.
Auf den Hügeln, von denen man auf den See Genezareth blicken kann, hat Mandelbaum dann seine Erscheinung, ganz ähnlich wie in der Geschichte mit dem biblischen Moses. Ein Dornbusch brennt und daraus erklingt die Stimme Gottes. Gott beklagt das Elend seines Volkes. Er wollte es in ein Land führen, in dem Milch und Honig fließen und jetzt fließt Blut. Mandelbaum solle zu Ariel Sharon, der im Krankenhaus im Komma liegt, gehen und ihn bitten, den Mauerbau zu stoppen. Er solle die Mauern, die schon gebaut sind, wieder niederreißen und ein Yoveljahr, ein Jahr der Versöhnung ausrufen.
Mandelbaum macht sich – wie ihm aufgetragen – auf den Weg und seine Mission gelingt. Sharon unterzeichnet ein entsprechendes Dokument, das in der Welt großes Aufsehen erregt und – siehe da – Taten folgen lässt, nämlich den Stopp des Mauerbaus. Es scheint alles gut zu werden, ein sehr frommer Traum vom Autor.
Der Roman changiert zwischen Traum und Wirklichkeit, die Ebenen verschwimmen bis zur Unkenntlichkeit. Der Engel, der Mandelbaum für eine Mission auf der Terrasse dessen Wohnung abholt oder ihn anruft, während Mandelbaum zuhause bei seiner Familie ist, was ist er, Einbildung, Fiktion oder ein von Gott gesandter Bote? Soeben hat Mandelbaum noch vom Fliegen geträumt und wacht neben seiner Frau auf, da findet er sich in Israel wieder und erlebt Geschichten, die sonst nur das Alte Testament zu erzählen wusste. Handelt es sich um eine moderne biblische Geschichte oder um eine multiple Persönlichkeit? Es wird bis zum Schluss nicht klar und jeder Leser und jede Leserin wird wohl seine und ihre eigene Version finden. Manch einen Leser wird das Buch auch ratlos zurücklassen. Es wirkt ambitioniert, der Autor wollte streckenweise viel, eine politisch und historisch hochaktuelle Thematik mit religionsphilosophischen Versatzstücken zu spicken, ist mutig und ist nicht an allen Stellen geglückt. Es gibt aber Hoffnung und Zuversicht, dass Gott vielleicht doch nicht tatenlos auf das Geschehen auf der Erde hinabblickt, sondern eingreift, wenn es zu viel wird. „Und Er sah, dass es gut war.“  

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Elias Schneitter, Österreich. Karl. Erzählungen
Innsbruck: Skarabaeus, 2008, 92 Seiten

Der Herr Karl lebt. Elias Schneitter hat ihn in seinem neuen Erzählband auferstehen lassen. Da heißt er zwar nicht Karl (nur der Freund des Protagonisten der ersten Erzählung „Tausend Jahre Österreich“ heißt so), sondern Richter Schorschi, aber sonst hat er eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Qualtinger Vorbild. Auf gut Wienerisch ein Raunzer sondergleichen, ein notorischer Nörgler, einer, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und sagt, was Sache ist. Einer, der als erstes bei anderen die Schuld sucht, und dann vielleicht erst bei sich selber, wenn überhaupt, einer, der sich als Entwicklungshelfer tituliert, wenn er für ein schnelles Sexabenteuer nach Thailand fliegt, sich als Sparefroh sieht, wenn er Übernachtungsgelder durch diverse Affairen gespart hat, und der mit seinen Vorurteilen nicht lange hinter dem Berg hält, sei es über die „Neger“ oder die „Bloßfüßigen vom Balkan“ . Einer, der schnell den „Adi“, also Adolf Hitler, mit Bruno Kreisky vergleicht, der meint, dass die Wiener zwar drei Türkenbelagerungen abwehren konnten, aber leider von der vierten überrollt wurden, und der gegen die Sozialschmarotzer wettert.
In der zweiten Erzählung „Ruhe sanft im Trommelfeuer“ geht es um Walter, der sich gesellschaftlich nicht wirklich anpassen kann, der gerne mit Waffen spielt und Gewaltphantasien hegt, einer, der mit Hitlerfahne, Stahlhelm, Kriegsabzeichen und Kriegsbüchern ausgerüstet jeden Moment zu explodieren droht. Sein Stolz: eine 100-Kilogramm-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Während des Lesens wartet man nur darauf, dass er Amok läuft. Einer, dem wirklich nichts in die Wiege gelegt wurde, der sich so durch das Leben, den Alltag laviert und die Tage hinüber zu bringen versucht - ein tristes Leben zwischen Suff, Gewalt und Frauen.
Die dritte Erzählung „Hoher Wellengang“ handelt von einem Bediensteten auf einem Kreuzfahrtschiff und erzählt dessen Erlebnisse. Wie sie zu den beiden vorherigen Erzählungen passt, bleibt offen. Eines ist jedenfalls sicher, tauschen möchte man mit keiner der Figuren.
Das Buch hält, was es am Cover vorwitzig verspricht. „Geschichten vom kleinen Mann, dessen Lebenswidersprüche Schneitter in seinem typischen lakonischen Humor, dabei aber stets einfühlsam und respektvoll beschreibt.“ Elias Schneitter bedient im Galopp alle Klischees, überzeichnet in der Kürze die Figuren, vor allem die des Richters Schorschi, wobei während des Lesens das Schmunzeln im Gesicht des Lesers immer größer wird und man aus dem Staunen über die angeführten Episoden nicht herauskommt. Ein bisschen weniger wäre vielleicht mehr gewesen. Aber seien wir ehrlich, haben wir uns in der U-Bahn nicht schon oft umgedreht, weil wir, ein Gespräch zwischen zwei Fahrgästen belauschend, gedacht haben, den Herrn Karl gibt es wirklich?  

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Johann Holzner, Alois Hotschnig (Hg.), Wechselnde Anschriften

Innsbruck university press 2008, 176 Seiten

Was haben Autoren, die Texte in einer Anthologie veröffentlichen, eigentlich gemeinsam –abgesehen von der Lust am Schreiben? Sie schreiben entweder Texte der gleichen literarischen Gattung, leben in der gleichen Epoche, in der gleichen Region oder schreiben Texte zu den gleichen Themen und Erlebnissen. So weit so gut. Der Verlag innsbruck university press beschritt einen neuen Weg und fasste mit seiner Anthologie „Wechselnde Anschriften“, herausgegeben von Johann Holzner und Alois Hotschnig, den Begriff etwas weiter. Darin werden nämlich Texte von 21 Autorinnen und Autoren zusammengefasst, die entweder an der Universität Innsbruck studiert oder gelehrt haben. Dabei spannt sich der Bogen von Bettina Galvagni, von der man schon längere Zeit nichts mehr gehört hat, bis Friederike Mayröcker, die jedes Jahr aufs Neue als potentielle Literaturnobelpreiskandidatin gehandelt wird. Manche wie Kerstin Mayr, Carolina Schutti, Roger Vorderegger und Erika Wimmer arbeiten weiterhin an der Universität Innsbruck, im Brenner-Archiv. Etwas unkonventionell, aber spannend, was einem da an unterschiedlichsten Texten entgegenblättert, versammelt das Bändchen doch Erzählungen, Gedichte und einen Sachtext von Autorinnen und Autoren, jedoch ohne zu werten, in welchem Sinn auch immer. Die Texte sind alphabetisch nach den AutorInnen-Namen gereiht.
So macht der 1972 geborene Schriftsteller und Fotograf Bernhard Aichner den Anfang, dessen neuer Roman „Schnee kommt“ im Oktober 2008 bei Skarabaeus herauskam. 2004 wurde sein Stück „Pissoir“ in Innsbruck uraufgeführt. Der mit dem zweiten Preis der Stadt Innsbruck für sein künstlerisches Schaffen ausgezeichnete Autor beschäftigt sich in seiner Erzählung mit den Themen Einsamkeit und dem Alleinsein, dem Sein ohne Familie. So melancholisch der Text auch beginnt, so viel Hoffnung steckt im Ende, das das Sprichwort „die Hoffnung stirbt zuletzt“ wahr werden lässt.
Die 1982 geborene Autorin, Barbara Aschenwald, die Lyrik, Prosa und Hörspiele veröffentlicht, entführt den Leser mit ihrem lyrischen Text zu sich selbst. Wie gut kennt man sich eigentlich, den anderen, kann man sich durch den sozialen Umgang mit anderen erst wirklich kennen lernen? Fragen, die Barbara Aschenwald durch den bewussten Verzicht der Zeichensetzung gleichsam dem Leser als Aussagen in den Mund legt.
Christoph W. Bauer, 1968 geboren, beschäftigt sich in einem seiner Gedichte mit einem ähnlichen Thema, nämlich wie fremd sind wir in uns. Bauer versteht seine Lyrik als den Versuch des Weiterschreibens vorgegebener Traditionen und bezeichnet sich selbst als poeta legens. 2002 gewann er den erstmals vergebenen Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Im September 2008 erschien sein Roman „Graubart Boulevard“ im Haymon Verlag.
Der Text der 1962 geborenen Südtirolerin Maria E. Brunner, die seit 2000 als Professorin für deutsche Literatur an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd lehrt, fällt etwas aus der Reihe, weil es sich um den einzigen Sachtext handelt, der den Realismus in Fontanes Werken thematisiert. Da hätte ein wachsames Auge der Herausgeber gut getan, um den wirklich lesenswerten Text nicht in Geschichten und Gedichten untergehen zu lassen.
Sabine Eschgfäller, Jahrgang 1976, seit 2008 Universitätsassistentin für deutsche Literatur an der Palacky-Universität in Olomouc in Tschechien, spielt in ihren Gedichten mit der Auflösung der Sprache, um Atmosphäre zu erzeugen.
Um die folgende Autorin ist es in den letzten Jahren still geworden. Die 1976 in Südtirol geborene Bettina Galvagni wurde in den 1990er-Jahren als „Wunderkind der österreichischen Literatur“ gefeiert und kam dann nach ihrem zweiten Buch „Melancholia“ 2002 unter die Räder des erbarmungslosen Literaturbetriebs. In ihrem Text „Die Schwäne aus Straßburg“ changiert sie zwischen Traum, Wunsch und Wirklichkeit, wodurch ihre beiden Protagonisten dem Leser unfassbar bleiben.
Die 1963 in Meran geborene, vielfach ausgezeichnete Sabine Gruber schreibt über lieb gewonnene Gewohnheiten, über die man sich oft aufregt, ohne die man aber nicht mehr leben kann.
Barbara Hundegger, Jahrgang 1963, nähert sich in einem ihrer Gedichte auf ihre ganz persönliche Weise der von Zaha Hadid gestalteten Bergisel Sprungschanze. Ihr Stück „kein Schluss bleibt auf der andern. Nutte, Nonne, Lesbe – drei mal raten zählen bis drei“ wurde 2003 in Innsbruck uraufgeführt.
„Der Untergang der Romanshorn“, der Text von Ulrike Längle, seit 1984 Leiterin des Franz-Michael Felder Archivs, erzählt vom Untergang der Fähre nach Romanshorn in einer sehr realistischen Erzählweise, die den Leser bis zum Höhepunkt in seinen Bann zieht, um ihn dann wie die Protagonisten am Ende stranden zu lassen.
Eines der Gedichte von Sepp Mall, Schriftsteller und Lehrer, hat dem Bändchen seinen Titel „Wechselnde Anschriften“ gegeben. Der Autor versteht es gekonnt, den Leser mit wenigen Zeilen auf eine Reise der „Sprachmusik“ mitzunehmen.
„Kopfkino“ oder wie heißt es so schön, Lesen ist Abenteuer im Kopf, das lässt Kerstin Mayr, von ihrer Ausbildung her auch Lehrerin, in ihren Texten entstehen, Figuren, die durch wenige Andeutungen und Gesprächsfetzen plastisch werden.
Über 80 Werke sind es, die Friederike Mayröcker bisher veröffentlicht hat. Die 84-jährige Schriftstellerin hat an der Universität Innsbruck eine Poetikvorlesung gehalten. Daher die Aufnahme in diese Anthologie, die hoffentlich nicht nur den Kennern, sondern auch Lesern, denen der Mayröcker-Kosmos bisher noch verschlossen blieb, einen Einblick in die Sprachexperimente der besessenen Vielschreiberin gibt.
Josef Oberhollenzer entnimmt klassischen Gedichten wie zum Beispiel der „Mondnacht“ von Joseph von Eichendorff einzelne Textzeilen und vermengt sie mit eigenen Gedanken. Billig? Mit Nichten. Gekonnt spielt der Autor mit bekannten Gedichtzeilen, denen er seine eigene Schriftstellerseele einzuhauchen versteht, um daraus eigenständige Werke zu machen.
Die Sachbuchautorin und freie Journalistin Claudia Paganini nimmt den Leser mit in die ländlichen Unbilden von Berghütten, in denen eigene Gesetze regieren.
„Wohnen am Mittelmeer“, ein tragik-komischer Text des 1956 geborenen Georg Payr, Lehrer in Innsbruck,  lässt den Leser eher ratlos zurück.
Martin Pichler, Lehrer und Schriftsteller, versöhnt den Leser wieder. Sein Protagonist kann nach dem Tod seiner Frau seine zwänglerischen Anwandlungen ausleben.
Die Physik hat es Raoul Schrott diesmal angetan. Die Physikalische Optik, Isaac Newton und Albert Einstein finden Eingang in seine Lyrik.
Die 1976 geborene Carolina Schutti erzählt über zwei gescheiterte Existenzen, die in das normale gesellschaftliche Leben nicht mehr zurückfinden.
Eine Frau und ein Stelzengeher, das sind die Protagonisten von Birgit Unterholzners Erzählung „Die Schnabelfrau“, die eine seltsame Begegnung zweier Menschen schildert. Die Autorin lebt in Bozen als Fachberaterin für Theaterpädagogik.
Der Sessel in der gleichnamigen Erzählung von Roger Vorderegger wird zum Inbegriff der Erinnerungen einer älteren Dame, die darin aus dem Leben zu entfliehen scheint.
Erika Wimmers Protagonist in der Erzählung „Tschechien“ befindet sich auf der Reise im Zug nach Prag, eine Reise die für ihn Folgen haben soll.
Die Anthologie zeigt, was Innsbruck an unterschiedlichsten literarischen Leistungen hervorzubringen hat. Eine Mischung der verschiedenen Genres, die einen Überblick über das literarische Schaffen zeitgenössischer Autorinnen und Autoren gibt.
  

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Alois Schöpf,
 Heimatzauber
Roman
Innsbruck – Hohenems: Limbus 2007, 178 Seiten

Man nehme - etwas spitz formuliert - einen großspurigen, gerade von der Ausbildung kommenden, hoch motivierten, von unbändigem Reformwillen getriebenen jungen Spund, vier bis fünf alteingesessene Dorfoberste und ein Dorfpolitikum, wie zum Beispiel die Besetzung der örtlichen Blasmusikkapelle. Ein spannendes Match ist garantiert, der Ausgang vorprogrammiert. 5 : 0 für die Dorfobersten, damals wie heute.
Der nach zwanzig Jahren neu aufgelegte Roman „Heimatzauber“ des Schriftstellers und Journalisten Alois Schöpf, eine satirische Bestandsaufnahme des ganz normalen alpenländischen Wahnsinns, hat an Brisanz nicht verloren. Glaubt der Leser aus der Stadt die Szenen und Menschenportraits auch auf den ersten Blick antiquiert und längst dem fossilen Dorfkauztum angehörend, so wird er bei näherer Betrachtung des dörflichen Lebens sei es nur ein paar Kilometer von der mondänen Hauptstadt Wien entfernt – doch eines Besseren belehrt.
Das Dorfleben mit seinen ureigenen Strukturen, Hierarchien und Regeln ist ein komplexes Gesellschaftsgebilde, dessen Unterlaufen gnadenlos sanktioniert wird. Das erfährt auch der Protagonist des Romans, der Kapellmeister Josef Ambach, schmerzlich am eigenen Leib. Einst in die Metropole Wien ausgezogen, „um auf der Universität Relevantes zu leisten“ und das „wahre Leben“ zu finden, denn nur in den Metropolen „ruht die Wahrheit“, kehrt er, von der Stadt enttäuscht und um seine Erwartungen betrogen, in den Schoß der vermeintlichen Provinzidylle, nach Maria Berg, einen Tiroler Wintersportort, zurück, wie so viele seiner Bekannten, die zu jener Zeit ihr Heil auf dem Lande suchen. Und so wird aus dem Kulturberichterstatter und PR-Texter innerhalb weniger Monate ein Lehrer eines städtischen Gymnasiums, aus dem Single ein Ehemann und Vater und aus dem Wohnungsbesitzer ein Häuselbauer. Doch das Dorf fordert seinen Tribut. Um akzeptiert zu werden, muss man sich in der dörflichen Gemeinschaft engagieren, entweder bei der Feuerwehr, der Kirche, dem Dorfheurigen oder bei der Dorfkapelle, wofür sich Josef Ambach entscheidet.
Lange kann ihn jedoch das Untertauchen in der Menge der „Gleichgesinnten“, kostümiert mit der gleichen Tracht, im immer gleichen Takt spielend, nicht befriedigen. Er absolviert eine Kapellmeisterausbildung, im besten Wissen und Gewissen, damit nicht nur sich, sondern auch der Dorfkapelle etwas Gutes zu tun. Sein Verbesserungswille wird ihm jedoch zum Verhängnis. Im „Glauben an die Möglichkeit, die kleinräumige Welt des dörflichen, sozial und ökologisch befriedigenden Lebens mit der Großräumigkeit geistigen Vollkommenheitsstrebens, Dorfbürgertum und Weltbürgertum zugleich, zu verbinden“ und eine Blasmusik entstehen zu lassen, „die nicht mehr mühselig getarnte Militär- und Staatsmusik ist, sondern aus der die Weltmusik derer wird, die auf dem Lande leben“, entwirft Ambach eine brennende Festrede zum 75. Geburtstag der Musikkapelle Maria Berg. Seine bis ins Kleinste inszenierte Rede wird zum Desaster, statt Lohn und Dank erntet er Hohn und Spott. Von da an geht es steil bergab. Seine Ambition, Dorfmusikkapellmeister zu werden, wird jäh zu verhindern gewusst. Mitwirken ist erlaubt, hinterfragen verboten. Bei der Generalversammlung der örtlichen Kapelle kommt es zum Eklat. Der selbst ernannte Erneuerer muss einsehen, dass er gegen durch Jahrzehnte festgefahrene Traditionen keine Chance hat.
Unschwer lässt sich hinter Josef Ambach der 57-jährige Autor selbst entdecken. Alois Schöpf, in Lans bei Innsbruck geboren, hat einen ähnlichen Leidensweg hinter sich, jedoch mit Happy End. Nach acht Jahren Mitgliedschaft bei der Musikkapelle in Lans wurde Schöpf langweilig, viel zu schlecht komponierte Werke würden gespielt. Daraufhin lernte er Klarinette und Saxophon und entwarf eine kritische Blasmusiksendung, die er dem ORF vorschlug. Mit mäßigem Interesse von Seiten des ORF, immerhin gab es regelmäßig ausgestrahlte Blasmusiksendungen, die Konkurrenz nicht duldeten. Alois Schöpf, ein Tiroler Stehaufmandl, gab sich jedoch nicht so leicht geschlagen. Er besuchte das Konservatorium und wurde nach zwei Jahren staatlich geprüfter Blasorchesterleiter. Doch auch diesem Weg war kein Glück beschert. Aus der Zusage der Lanser, ihm den Posten des Kapellmeisters zu übertragen, wurde nichts, da sich der alte Kapellmeister im letzten Moment doch für eine weitere Amtszeit entschied. [Aus diesen Erfahrungen heraus entstand das Werk „Heimatzauber“.]
Während jedoch der Roman mit dem Austritt Ambachs aus der örtlichen Blasmusikkapelle endet, geht für Schöpf die Suche nach der Verwirklichung seiner Ideale weiter. Ein Jahr später übernimmt er die neu gegründete Stadtmusikkapelle Innsbruck-Saggen, die er 14 Jahre lang leitet und in die höchste Leistungsklasse führt.
Alois Schöpf gelingt mit „Heimatzauber“ ein kluges Porträt einer dörflichen Gemeinschaft, in dem die einzelnen Charaktere vom Obmann bis zum Schriftführer zum Leben erwachen. Und das funktioniert durch die Form eines Theaterstücks im Roman. Kein Wunder, dass daraus unter anderem unter der Mitwirkung von Otto Gründmandl und Kurt Weinzierl ein Hörspiel im ORF wurde und sich an diesen Erfolg auch eine Theaterinszenierung am Innsbrucker Kellertheater anschloss. Nur Film und Fernsehen trauen sich nicht über die Umsetzung von „Heimatzauber“, was Alois Schöpf im rund 25-seitigen Nachwort, dessentwegen die Neuauflage schon lesenswert ist, nicht müde wird, den „quotengeilen Filmproduzenten und Fernsehredakteuren“ vorzuwerfen.
Das als kulturkritischer Essay über Film und Fernsehen mit besonderem Bezug auf die ländliche Blasmusikszene angelegte Nachwort verkommt an manchen Stellen zur wehleidigen Raunzerei, die das Übergangenwerden durch Film und Fernsehen bejammert. Zu tief gekränkt scheint der Autor noch zu sein, sodass eine Aufarbeitung mit der notwendigen Distanz noch nicht möglich ist. Schade. Abgesehen davon verspricht das Nachwort aber einen unterhaltsamen Galopp durch die die Heimat repräsentierenden Fernsehserien von „Mundl“ bis zur „Alpensaga“, zu deren beider Entstehen Alois Schöpf beigetragen hat. Alles in allem eine Neuauflage, die sich gelohnt hat.  

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Anne Marie Pircher, Rosenquarz
Erzählungen
Innsbruck: Skarabaeus 2007, 126 Seiten

„Der Traum vom Bergwerk fällt ihr ein. Wie sie nackt, mit einer Lampe auf der Stirn, nach einem ganz bestimmten fleischfarbenen Stein sucht, dessen Name ihr entfallen ist.“ Ein Traum, der Paula, die Protagonistin der längsten Geschichte in Anne Marie Pirchers neuestem Erzählband, in den langen, einsamen Nächten verfolgt. Der Titel der ersten Geschichte, die gleichzeitig für das Bändchen namensgebend war, verrät die Lösung. Rosenquarz ist das gesuchte Mineral, um das sich herum die Geschichte der jungen, dynamischen Friseurin, rankt. Die Ereignisse weniger Tage im Leben Paulas, in denen diese von der Vergangenheit, die sie schon in ihrem Inneren gut verschlossen zu haben glaubt, wieder heimgesucht wird, bilden die Grundlage der ersten Erzählung. Amir, eine Zufallsbekanntschaft vom Gemüsemarkt, bringt das beschauliche, ruhige Leben der 33-jährigen Paula für ein paar Tage durcheinander. Nicht nur, dass er ihr ohne ersichtlichen Grund mit zehn Euro am Gemüsestand aus der Patsche hilft, erinnert er sie auch noch an jemanden, der schon vor Jahren ihr Leben aus der Bahn geworfen hat. Ihr Campus-Kollege in Kalifornien, der „Schah“, wie sie ihn alle nannten, hatte sie damals unter dem Vorwand ihr einen Job verschaffen zu wollen, zu sich nach Hause eingeladen, bekocht und dann brutal vergewaltigt und sadistisch gequält. „Zum Abschied“ hat er ihr ein Armband aus Rosenquarz über das Handgelenk geschoben. Der charmante iranische Geschäftsmann Amir weckt in ihr die Erinnerung wach. Er fasziniert sie und stößt sie ab zugleich, bis sie sich dennoch dem Abenteuer hingibt und eine Nacht mit ihm verbringt.
Die Autorin versteht es hervorragend, die Geschichte in ruhigen Bildern aufzubauen, um sie dann in einem spannungsgeladenen Gipfel, an dem die Sätze Momentaufnahmen des Geschehens lebendig werden lassen, zu entladen. Wie in Zeitlupe werden die Ereignisse vor den Augen des Lesers seziert, in Taten und in Gefühlen. Anne Marie Pircher macht nicht nur die Oberfläche sichtbar, sondern schaut hinter die Fassade des Realen. Sie scheut sich dabei auch nicht, manchmal sehr schwülstige Bilder zu bedienen und Kitsch aus ihren Sätzen träufeln zu lassen. So fliegt Paula mit der Straßenbahn über Stadtbuckel wie über Wellen oder ihr Haar löst sich im Nacken und fällt über ihre Schultern, als Amir sie heftig gegen seinen Körper drückt. Nur zwei Stellen, an denen die Autorin anscheinend gewaltsam versucht, auch belehrend zu wirken, bereichern die Geschichte nicht, sondern sind dem ansonsten leicht dahin gleitenden Erzählfluss hinderlich. Wenn Anne Marie Pircher sich einerseits über Genazinos „Liebesblödigkeit“ auslässt, der sie wohl nichts Gutes abgewinnen kann und wenn über die Weisheit des Ostens und des Westens philosophiert wird.
Die Protagonisten der anderen vier Geschichten, die bis auf Louis namenlos sind, bleiben dem Leser verborgen. Jeweils eine richtungsweisende Episode aus deren Leben wird in klaren Bildern geschildert. Sei es ein tödlich endendes Schwimmabenteuer, der Mann im Bus oder die schüchterne Frau in der Buchhandlung. Anne Marie Pircher weiß oft alltägliche Situationen in ihre Details zu zerlegen und dem Leser zu präsentieren, wie er sie noch nie in solcher Klarheit in der Hektik des Alltags wahrgenommen hat. Vielleicht erkennt man sich ja wieder als Frau, die einen Mann in einem Bus beobachtet oder als Kunde in einem Geschäft, als man von einem exaltierten Zeitgenossen verdrängt wurde. Szenen, die wir alle kennen, aber noch nie bewusst in dieser Intensität wahrgenommen haben. „Rosenquarz“ ist ihr drittes Buch und ihr zweites beim Skarabaeus Verlag, bei dem schon der Erzählband „Kopfüber an einem Baum“ erschien. Die Autorin wurde 1964 geboren und wuchs in Schema in Südtirol auf. Heute lebt sie mit ihrer Familie auf einem Bauernhof in Kuens bei Meran. 2002 wurde sie zum österreichischen Literaturwettbewerb „Floriana“ eingeladen. Mit den Erzählungen „Rosenquarz“ hat sie ihren Erfolg fortgesetzt. Eine Autorin, von der wir auch in Zukunft noch einiges erwarten dürfen. 
 

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