Rezensionen von Irene Prugger
- Maria Elisabeth Brunner,
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Waltraud Mittich, ]
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Walter Groschup,
Birgit Unterholzner, Die Blechbüchse Die Menschen in Birgit Unterholzners Erzählband „Die Blechbüchse“ sind ständig in Bewegung: sie ahnen, sobald sie verweilen, holt die Vergangenheit sie ein. Aber wie ihr entkommen? Die Erinnerung springt auch auf einen fahrenden Zug und es braucht nicht unbedingt einen Stau im morgendlichen Berufsverkehr, wie in der Titelerzählung die „Blechbüchse“ damit die Bilder Zeit haben, sich zu formieren. Die Ich-Erzählerin ist sich bewusst, dass die Vergangenheit entweder als blinder Passagier oder als gestrenge Kontrollorin überall hin mitfährt und stellt sich ihr: Nein, es ist Birgit Unterholzners Protagonistinnen nicht gegeben, die Augen vor den Grauzonen der Erinnerung zu verschließen und sich gemütlich in einem unreflektierten Leben einzurichten. So treten sie auch als Reisende keine gut organisierten, detailliert geplanten Pauschalreisen an, sondern lassen sich mutig auf neue Erfahrungen ein, selbst auf die Gefahr hin, dass die Reise zu einer Irrfahrt werden könnte.
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Anna Stecher, zŏuba! Sanwen-Prosa „Gehen Wir“, so lautet der Titel von Anna Stechers druckfrischem Prosaband. Ein schöner Titel. Eigentlich ist es jene Aufforderung, die am Beginn eines jeden Buches, jeder Erzählung, jeder Kurzgeschichte, jeder dramatischen Arbeit und jedes Gedichtes stehen müsste oder tatsächlich steht: „Gehen wir, komm mit, ich zeige dir etwas, das dich staunen lässt, das dich zum Lachen oder zum Nachdenken bringt, das dir gefallen wird oder das dir möglicherweise auch ganz und gar nicht gefallen wird. Die Reise beginnt in der Stadt der Katzen, wo gerade die Katzenseuche wütet und sich die Menschen in ihren vier Wänden verschanzen, um das Risiko der Ansteckung so gering wie möglich zu halten. Längst angesteckt vom Virus der Poesie erkundet man das Yin und Yang der Schmetterlinge in Peking, wo man schnell merkt, dass das Parfüm von Chanel zu schwach ist für diese Stadt, denn Pekings Luft ist dicht angefüllt mit den stärksten Gerüchen. Eine andere Stadt ist voll von dicken, großen, frechen Hunden, die am liebsten Sachertorte essen, was ihrem Gebell nicht gut bekommt. Man besucht u.a das „Land der zeitlosen Uhren“, begibt sich zwischendurch mit Fräulein Coco ohne Visum auf Europareise, wohnt der Geburt eines Clowns bei und bekommt es mit dem „Gesetz der Esel“ zu tun, welches einen nicht weiter beunruhigen muss, insofern man weder eine chinesische Dichterin noch ein chinesischer Dichter ist, denn nur diese werden als Esel ins Grasland der Inneren Mongolei geschickt, weil der Staat sich die Dichter nicht mehr leisten kann oder leisten möchte:
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Maria Elisabeth Brunner, Berge Meere Menschen. Maria Elisabeth Brunners neues, im Folio-Verlag erschienenes Buch „Berge, Meere, Menschen“ beschreibt das Schicksal einer Pflegetochter auf der Flucht und deren schonungslose Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft und der Enge einer bäuerlichen Welt, die geprägt ist von einem gnadenlosen Patriarchat, das allem Fremden feindlich gegenüber steht. |
Waltraud Mittich, berühren sie jedes. Waltraud Mittich, eine Verlagskollegin von mir, hat vor zwei Jahren mit ihrem bei Skarabäus erschienenen Roman „Mannsbilder“ die Wogen vor allem in ihrer Heimat Südtirol hoch gehen lassen. Sie hat viele LeserInnen begeistert und etliche Leser mit ihren einfühlsamen aber doch schonungslosen Männerporträts, die gleichzeitig ein aussagekräftiges Bild der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Südtirol zeichnen, ganz gewiss auch zutiefst verunsichert. Einige fühlten mit diesen Porträts sogar ganz Südtirol bloßgestellt. Das Buch wurde schon allein deshalb viel gelesen, viel diskutiert, angefeindet und beklatscht, darüber hinaus wurde es von der Literaturkritik hoch gelobt. Waltraud Mittich, so darf man behaupten, hat jedenfalls ein für hiesige Verhältnisse sehr erfolgreiches Buch geschrieben. Aber den skeptischen Blick, den ich an Waltraud Mittichs Literatur so schätze, den stellt sie auch im Leben unter Beweis und so hat sie mir einmal bei einer unserer ersten Begegnungen, als von an die Tausend verkauften Exemplaren ihres Buches die Rede war - entgegengehalten: „Das soll ein Erfolg sein?“ |
Georg Engl, Besetzte Landschaft. Selten gehen Engagement und Poesie in der Literatur eine derart überzeugende und sich gegenseitig inspirierende Partnerschaft ein wie in den Gedichten und Prosatexten von Georg Engl. Eine Partnerschaft, die auch über die Jahre hinweg nichts an Schönheit und Brisanz verloren hat, wie die bei Skarabaeus erschienene Textsammlung „Besetzte Landschaft“ beweist. Obwohl die Texte bereits von den späten siebziger bis zu den frühen neunziger Jahren entstanden sind, befinden sie sich – fast möchte man einfügen „leider“ – noch immer auf der Höhe der Zeit. Engls vorrangiges Thema, wie die „Besetzung“ der Heimat durch anbiedernden Tourismuskult, seine geschäftstüchtigen Zuträger und jenen, die im Fremdenverkehr auf der Strecke bleiben, mögen in der öffentlichen Diskussion inzwischen erfolgreich zurückgedrängt worden sein, sind es aber gerade deswegen wert, sich darüber Gedanken zu machen und nochmals genau hinzusehen:
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Waltraud Mittich, Mannsbilder. |
Walter Groschup, Lang lebe Valentins Hut. Wenn der Karl Valentin des Walter Groschup seinem Hut nachläuft, ahnt man schon, woher der Wind weht: immer aus der anderen Richtung - was durchwegs für Verwirrung sorgt. Gemäß dem großen Vorbild lässt Walter Groschup die Protagonisten in seinen neun Dramoletten der Bedeutung der gesprochenen Wörter nachrennen wie einem Hut im Wirbel eines Föhnsturmes. Der Hut ist natürlich meistens schneller als der Mensch, der ihn einfangen will. Denn die Sprache bewegt sich leider nicht zielstrebig durch eine Einbahnstraße, die in die einzig richtige Bedeutung mündet, sondern sie trudelt von Missverständnis zu Missverständnis, dreht sich hilflos im Kreis, bleibt kraftlos am Boden liegen und schwingt sich dann wieder zu überraschend bedeutungsvollen Höhenflügen auf. Aus Angst, es könnte ihm auch noch Jacke, Hemd und Hose davon wehen, zieht sich Groschups Valentin bei einem seiner Föhnspaziergänge mit Liesl Karlstadt bis auf die Unterhose aus, klammert sich die Kleidung unter die Arme und steht somit da wie der Mensch, der die Sprache rein in ihrer einfältigsten Form (die mitunter ja auch die raffinierteste sein kann) begreift und gebraucht: nämlich peinlichst entblößt. KARL VALENTIN: ....was machen sie so. im leben! Das sind eben solche Stellen, da Valentins Hut kraftlos am Boden liegen bleibt, aber wenn man dann geduldig noch ein bisschen zuwartet mit dem Begreifen und Zugreifen, dann schwingt er sich plötzlich auf und trudelt schwungvoll dahin, sodass es wieder großen Spaß macht, ihm nachzulaufen und ihn einfangen zu wollen. |