Rezensionen von Christine Riccabona
- Siegfried Höllrigl,
- Maridl Innerhofer,
- Elfriede Kehrer, ]
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Norbert Lantschner,
- Hans Salcher,
- Karl Lubomirski,
- Bertrand Huber,
- Walter Klier,
- Quart. Heft für Kultur Nr. 12 [Sept. 2008]
- Thomas Schafferer,
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Sepp Mall,
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Gert Ammann,
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Josef Oberhollenzer,
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Oswald Egger,
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Der Turmbund (Hg.),
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Martin Pichler,
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Bernhard Aichner,
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Renate Scrinzi,
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Elfriede Kehrer,
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Hans Aschenwald,
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Anne Marie Pircher,
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Hans Salcher,
Sabine Gruber, Ein unerhörter Wunsch. 22 Kurztexte. Offsetfarblithographien: Anna Stangl Sabine Gruber und Anna Stangl veröffentlichten in der außergewöhnlich bibliophil gestalteten Reihe oxohyph in der Edition Thurnhof ein gemeinsames Werk, das Literatur und Grafik intermedial in Verbindung bringt. 22 Kurztexte von Sabine Gruber stehen 9 Offsetfarblithographien der Künstlerin Anna Stangl gegenüber oder nebeneinander, Bild und Wort begleiten, umrahmen, grundieren einander gleichermaßen. Das Titelbild des Bandes zeigt eine sitzende Frauengestalt, ein zauberisches filigranes Wesen, das – blättert man weiter - in immer wieder neu verwandelter Gestalt gleichsam durch das Buch wandert. Einmal ist sie ganz in sich versunken mit dunkelroter Blumenpracht auf ihrem Haar, in dem sie ein andermal eine Schlafende beherbergt; einmal kehrt sie einer männlichen Gestalt den Rücken zu; dann wieder trägt sie einen Oktopus am Herzen; einmal wächst ihr eine große rote Blume aus dem Leib; erscheint als Häsin oder als traumverlorenes Tier in Bärenkleid. Auch die Figuren der Kurzprosa-Texte, sind eigentlich ‚Gestalten‘, variieren Existenzen und Befindlichkeiten, die sich schon im titel andeuten: als die „Glückliche“, der „Undankbare“, die „Trauernde“, der „Schwimmer“, die „Undankbare“. Vor dem Hintergrund einer skizzierten Situation heben sich die Umrisslinien dieser Gestalten ab. Was sichtbar lesbar wird, sind die auf ihren innersten Kern reduzierten Themen und Motive. Die Figuren bleiben namenlos, sind von außen beobachtet und wahrgenommen: Sie sind Trägerinnen und Träger von Haltungen, Gesten, Gebärden und Handlungen, in denen sich das Konzentrat einer durchlebten Situation ausdrückt. Es scheint die Zeit still zu stehen, es ist, als würde der Text jenen Moment einfangen, den der Auslöser einer Kamera als Bild, als Szene festhält. Man kann die Texte, denen ein an Kafka geschulter Blick innewohnt, auch Prosaminiaturen nennen. Als modellhafte Verkleinerung enthalten sie verdichtete Erzählkerne, solche, die Romane als Handlungsfäden und Fasern eines erzählten Lebens entflechten und ausbreiten. Ein Beispiel: „Ein unerhörter Wunsch“ (S.19) ist der Titel des Bandes und auch der Titel eines der Kurztexte. Der Text liest sich zuerst wie eine filmische Miniatur. Die ersten Zeilen zeigen wie ein Filmset Menschen beim Verlassen einer Kirche. Ein Sargdeckel schließt sich, ein Begräbnis also, dann aber scheint sich die Trauer zu wandeln: „Die, die da knieten, werden bunt“, heißt es. Aus dem anonymen Plural der Begräbnisgemeinschaft hebt sich ‚eine‘ heraus, die als letzte die Kirche verlässt, die ihre Hände in den (Weihwasser)Brunnen taucht. Eine also, die sich Zeit lässt mit dem Zurückkehren und ihren Platz in der Trauergemeinde nicht finden kann. Dieser Szene folgt durch ein Perspektivenwechsel (wie durch einen Kameraschwenk) eine Sicht aus großer Distanz, und darin liegt vielleicht der unerhörte Wunsch (als gedachtes Bild im Innern der Figur): Aus zeitlich räumlicher Entfernung von oben gesehen verlieren sich die Gräber und Einfriedungen zu einem Muster aus Gittern und Kreuzen und „sie“ erscheint nun wieder als eine unter vielen, „die sich einhakt und lacht, bis das Haar aus der Ordnung fällt.“ Der elfzeilige Text ist bis aufs Äußerste verknappt und legt dadurch quasi die innere Struktur einer Szene frei. Kehrt in diesem Text die Gestalt der „Trauernden“? (S.17) wieder, die ihre Erinnerungen an die „Tote“ wie Blumen durch ihr Leben trägt? Die Leerstellen und Zwischenräume füllen sich durch die subjektive Optik des Lesens, durch ein freies Ineinanderfließen von Text- und Bildassoziationen. Dem Text „Ein unerhörter Wunsch“ folgt eine Doppelseite: Dort sitzt die Titelseitenfigur wieder auf rotem Grund in goldenem Kleid - wie in einem Nest. Geschützt vom runden Zaun eines liegenden Schlangenkörpers blickt sie zur Seite: zum Kopf der Schlange - diesen aufmerksam betrachtend und wie konzentriert in die Stille horchend. |
Siegfried Höllrigl, Was weiß der Reiter vom Gehen. Zu Fuß an den Bosporus Nachdenkliche Menschen sind meist einer Meinung: Die immer schneller werdende Mobilität gereicht der Menschheit nicht nur zum Nutzen, es geht dabei auch viel verloren, in dem Sinne des Indianers, der bei der Ankunft vom Pferd steigt und auf das langsame Nachkommen seiner Seele wartet. Kein Wunder, dass die Langsamkeit des Gehens wieder als Wert entdeckt und dass ‚Gehen‘ in letzter Zeit, besonders in der alternativen Tourismusbranche, ein wohlfeiler Begriff geworden ist. Pilgerwege und Fernwanderrouten bilden inzwischen ein wiedergefundenes Geh-Netzwerk, das sich über die zivilisierten Räume Mitteleuropas zieht und das nebenbei so manch ökonomischen Mehrwert einbringt. Auch der Buchmarkt bietet an: Wegweiser, Erfahrungsberichte, philosophische und spirituelle Texte über die ‚Kunst des Gehens‘, Geschichten vom Wandern, oft genug leichte Lesekost. Mit all dem hat Siegfried Höllrigl nichts am Hut. Sein Buch „Was weiß der Reiter vom Gehen“, in dem er seinen Fußmarsch über sechs Grenzen hinweg durch sechs Länder mehr protokollierend festhält denn beschreibt, ist anders. Nicht nur, dass er mit seinem Projekt „Zu Fuß an den Bosporus“ vorerst nichts weiter im Sinn hatte, als das Einlösen einer vor langer Zeit gefassten Idee (und das ist, wenn es ohne Halbheiten geschieht, reichlich genug), der Autor kommt auch in seinem Text ohne überhöhte Bedeutsamkeit aus. „Meine inneren Blicke gingen Richtung Süden. Ich zog eine Linie zwischen Basel und Istanbul, und ich stellte mir vor, (…) diese Strecke zu gehen“, erinnert sich der Autor. 2004 setzt er schließlich den Plan in die Tat um, bricht auf und geht los: „belastet und befreit“. Und er schreibt auf, als wäre die Sprache das Leitseil des Weges. Siegfried Höllrigl, der seit den 1970er Jahren Texte in Zeitschriften und Anthologien sowie einen Gedichtband publiziert hat, ist von Beruf und Passion Handpressendrucker, der in seiner eigenen Meraner Handdruckerei Offizin S. bibliophile Editionen, Kalender, Kunstdrucke und grafische Textblätter herstellt. Die Kunst in seiner Werkstatt ist eine der Hände und der Augen, eine Kunst, die sich in Langsamkeit und Leidenschaft gründet. Die Hände des Künstlers werden während der drei Reisemonate ruhen, (nicht ganz zwar, denn es entstehen immer wieder Skizzen und er nützt auch die Gelegenheit, in Handpressen am Weg Drucke von unterwegs geschnitzten Holzschnitten herzustellen). Das Sehen aber wird sich auf dem Weg mit dem Gehen verbinden, wird die Wörter und Erinnerungen in das Denken holen, wird Landschaften lesen, dem Erzählen seinen Rhythmus geben. Der Autor hat keine bereits vorgezeichneten, erprobten Wanderrouten zur Verfügung, die andernorts üblicherweise beschildert und in leicht zu verdauende Abschnitte zu portionieren sind. Er muss vielmehr ein ‚wilder‘ Geher sein - quer über den Balkan, auf Strecken, die für touristisches Wandern gar nicht gedacht sind, durch Städte und Dörfer Italiens, Kroatiens, Sloweniens, Bosniens, Serbiens und Bulgariens, bis er sich schließlich durch die Türkei seinem Ziel Istanbul nähert. Auf Überlandstraßen, Fahrbahnen ohne Gehsteige, auf Feldwegen, auf Um- und manchmal auch auf Abwegen erreicht er Städte und Orte, kommt an kleinen Gehöften und Behausungen vorbei, wandert durch Niemandsland, hybride Zwischenräume, in denen Spuren der Vergangenheit den Gehenden und Lesenden berühren. Nicht selten sind es Nachwirkungen des letzten Krieges der 1990er Jahre, sichtbar an Friedhöfen und beschädigten Gebäuden, die in der Armut und in den Erzählungen der Menschen noch immer deutlich spürbar sind. Jegliche Romantik des ‚Gehens‘ erstickt im Staub des Verkehrs der Verbindungsstraßen, verliert sich im lauten Getriebe der Städte, in mehr oder weniger komfortablen Nachtlagern, in manchmal heruntergekommenen Orten und Szenarien. Anstelle romantisierender ‚on-the-road‘-Philosophie aber entfaltet sich ein waches Schauen und Notieren, das Schönes und Hässliches im selben Bild erfasst, wie etwa das ‚verrückte‘ Neben– und Gegeneinander von unberührter Natur und von den Spuren des zwar langsamen, dennoch unaufhaltsamen technischen Fortschritts. Dabei entstehen Szenarien, denen die vorgefasste Optik abhanden gekommen ist und die auf stille unspektakuläre Weise überraschen und staunen machen. Der Text, ein Tagebuchbericht von 88 täglichen Einträgen, lebt von dieser Aufmerksamkeit im Sehen, von jener entschleunigten Form der genauen Wahrnehmung, in der sich wortwörtlich Schritt für Schritt die Details aneinanderreihen und zum Ganzen fügen. Im Text äußert sich dies in einem steten sprachlichen Fluten der Eindrücke, das manchmal von kleinen beiläufigen Alltagsreflexionen unterbrochen wird oder mitunter durch Erzählungen und Begegnungen mit Menschen einen anderen Rhythmus bekommt. Manchmal bewirkt dies ein wahrhaft kühnes Hintereinander der Sätze, das Unzusammenhängendes aneinanderreiht, weil es so doch auch in Wirklichkeit geschieht. Bauern bei der Ernte, Frauen in Muslimtracht, Eisverkäuferinnen, die Fußballübertragungen in Bars, malerische Plätze an der Drina, Friedhöfe, Strapazen im Regen, das gute Glas Wein, der gereichte Slivowitz, Gastfreundschaft, wortkarge Gespräche und Abgewiesen-werden, das Glück im Schatten von Bäumen zu sitzen, die Müdigkeit, die Ödnis der Stadtränder und Motels usw., all dies schachtelt sich ineinander wie in einem kubistischen Bild. Dergestalt wird die literarische, die ‚poetische‘ Form des Textes selbst zur Aussage. Scheinbar ungeordnet weben die Sätze einen Teppich, der in seinen Verknüpfungen nicht selten auch ein surreales Bild der Realität spiegelt. Durchgängig ist diesem Text die wohltuende Zurückhaltung des Autors anzumerken. Wiewohl hier ein Ich erzählt und berichtet, stülpt dieses Ich der Umwelt so wenig wie möglich seine Optik und seine Weltdeutung über. ‚Sehen was da ist‘, diese Art der Begegnung hat weniger mit misstrauischer Vorsicht oder mit scheuer Distanziertheit zu tun, als vielmehr mit Respekt und Offenheit. So erst kann ein Raum für das Andere, oft genug auch Fremde entstehen. In dem, was der Geher notiert und festhält ist viel Platz für das Besondere der Orte und die Geschicke der Menschen. Im genauen Niederschreiben des Erlebten, Beobachteten und Gehörten, das sich auch in der Verwendung original-sprachlicher Begriffe aus dem Alltagsleben zeigt, verändert sich wie von selbst, unmerklich und stetig, den Orten entsprechend die Atmosphäre der Lebensarten, der Lebensbedingungen, die manchmal auch nachdenklich stimmen. Was weiß der Reiter vom Gehen - die Titelfrage des Buches (eine Anspielung auf das chinesische Sprichwort „der auf dem Pferd Reitende kennt die Bitternis des Weges nicht“) lässt die Lesenden bis zuletzt nicht los. Siegfried Höllrigl hat mit seinem Buch, das ein wunderbares Nachwort von Ilma Rakusa enthält, eine bemerkenswerte Reiseliteratur verfasst, die für ein beschönigendes Imaginieren und romantisierendes Lesen nicht zu gebrauchen ist. Man wird nach der Lektüre zwar bestimmt behaupten, dass, um nach Istanbul zu kommen, der Flug in jedem Fall anzuraten sei. Dennoch, und das macht der Text sichtbar, was können wir schon erfahren aus der flüchtigen Vogelperspektive. Höllrigls Text vermittelt vielmehr das wahre Ineinander von den Mühen und der Bitterkeit des Wegs und dem Glück des Ankommens. |
Maridl Innerhofer, Zukunftserinnerungen. Gedichte in Mundart und Hochsprache Maridl Innerhofer zählt zu den beliebtesten und wohl auch angesehendsten Mundartdichterinnen Südtirols. Nun ist ihr 9. Gedichtband in ihrem 90. Lebensjahr erschienen. |
Elfriede Kehrer, schärfe die schatten. Gedichte „und misst die welt in den rahmen des fensters“( S. 68) Elfriede Kehrers neuer Gedichtband ist ein unplakativ, gleichwohl sorgfältig gestaltetes Buch: 85 Seiten schmal, ein Umschlagbild der Künstlerin Konstanze Rainer-Stocker und vier Zeilen am Buchrücken, die ein erstes Hängenbleiben, einen Eindruck der Lyrik intendieren. Auf den Innenseiten ist viel leerer weißer Raum zu finden, auf jedem Blatt eine, maximal zwei Textzeilen, eine Handvoll Worte, ohne Satzzeichen und konsequent klein geschrieben. Eine Meisterschaft der gründlichen Reduktion. Auch wenn man angesichts dieser zarten lyrischen Gebilde Kehrers augenblicklich an Haikus denken mag, (ohne deren Formstrenge einfordern zu wollen), solchermaßen reduzierte Gedichte gehen einen Schritt weiter. Man denkt an die Musik von John Cage oder man assoziiert eine Nähe zur „visuellen Poesie“, jene Sprach-Bildkunst, wie sie etwa von Heinz Gappmayr entwickelt worden ist. Allerdings, in seinen visuellen Texten beanspruchen die einzelnen Silben und Wörter nicht nur eigene Buchseiten, sondern mitunter ganze Wände im Raum, nicht zuletzt um Wahrnehmungs- und Verstehensmuster plakativ zu aktivieren, bewusst zu machen oder ironisch zu brechen. Dies jedoch haben die Gedichte Elfriede Kehrers nicht im Sinn. Sie beziehen sich nicht auf einen realen, sie umgebenden Außenraum, sie spielen auch nicht mit der Kombinatorik von Sprachzeichen und dessen Bedeutungen. Die Wörter in Kehrers Kürzestgedichten laufen vielmehr - wie die Tradition der Schriftlichkeit es uns vorgibt bzw. ‚vorschreibt’ - von links nach rechts, in Zeilen von oben nach unten, linear wie eine Partitur und wie diese eben auch polyphon. Selbst wenn nur zwei Wörter untereinander stehen, wie: „erschrecken / am hochblau“ (S. 9), verbleibt das Lesen im tradierten Verständnismuster, verknüpft sich das ‚erschrecken’ mit dem ‚hochblau’. Das Geheimnis verbirgt sich dahinter: weil sich diese und nur diese drei Worte anbieten, sich vor einem Hintergrund abheben, eine scharfe Grenze zum verschwiegenen Rest ziehen, beginnt das Interpretieren, Sinnieren, Assoziieren in die durch die Reduktion entstandenen Leere hinein. Wo ist die Sprache in diesen Gedichten hin verschwunden? Konzentration. Beim wiederholten Lesen bemerkt man immer mehr, dass diese ‚Gedichte’ wie Satzreste, wie Spuren sind, die von einem ‚Ganzen’, einem Gedanken, einem Bild herrühren, vielleicht verdichtete Hinweise darauf oder - wie der Titel nahe legt - „geschärfte Schatten“ davon sind. Es ist wie bei der Figur-Grund-Wahrnehmung, die Worte bilden die Umgrenzungen eines Raumes, den man ausfüllt der eigenen Sprache und sich ausmalt mit eigener Phantasie. Assoziationsketten ins Offene. Oder solche, die in einer sprichwörtlichen „Eindeutigkeit“ münden - immer dann, wenn etwas ist, was es ist: „an den bergen / spiegeln sich dächer // ein tag mit blauen tüchern“. |
Norbert Lantschner, Wie atmet Liebe Norbert Lantschners Band „Wie atmet Liebe“, bei Raetia erschienen, enthält eine Sammlung von Prosaminiaturen, Texte, die auf ein oder zwei Seiten erzählen, und solche, die wie lyrische Skizzen wirken, in denen Szenerien mit zarten Linien, oder je nach dem auch mit klaren harten Strichen ins Bild gesetzt sind. Manchmal scheinen sie wie mit der Kamera eingefangen, mitunter wie mit Herzfarben leicht aufs Papier getupft. Worte, die Lebensmomente und Traumszenen zwischen Schlaf und Wachen festhalten, Beobachtungen zwischen Realität und Täuschung, und die da und dort auch paradoxe Schnitte ins Alltagsmuster ziehen. Formal changieren die Texte zwischen schlichten Notaten und Gedichten, können vielleicht beides zugleich sein, je nachdem wie man sie liest. Der Band ist in vier Abschnitte gegliedert und beginnt mit einer Reihe von Liebes- und Beziehungsgedichten: „In der Mitte des Glücks“, dann folgt „Die heimliche Flucht“. Der dritte Abschnitt ist mit einer Gedichtzeile aus dem Gedicht „Raben“ übertitelt, ein Herbstgedicht, das in der Titelzeile endet:„Die Dunkelheit beginnt am Tag“. Der vierte Teil des Bandes, in dem es viele Winterbilder gibt, heißt schließlich “Wieviel wiegt eine Schneeflocke“. Die Texte sind in diese Einheiten gefügt, ohne dass sich dadurch eine zwingende Komposition ausdrückt. Zwar deutet sich subtil ein jahreszeitlicher Bogen an, dennoch überwiegt der Eindruck der losen Reihung und Offenheit der Texte. Und dies ist kein Nachteil, vielmehr spiegelt sich darin ein Gestaltungsprinzip der Texte selbst, die durch lose Aneinanderreihung der Bilder und Aussagen eine individuelle Kombinatorik und subjektive Sinnentschlüsselung ermöglichen. Es bildet sich auf den knapp 100 Seiten des Bandes ein poetisches Flechtwerk aus Szenen, die das Sichtbare, den Augenschein der Realität mit dem inneren subjektiven Erleben, mit dem Gedankenfluss verbindet. Der poetische Blick zieht sich durch die in den Texten gespiegelten Beobachtungen von einsamen Menschen, von Natur und „zerzausten“ Landschaften, stürzenden Bauwerken und merkwürdigen Räumen, die Gedanken kreisen vorrangig um Liebe, eigentlich um das ‚Dasein’. Im ‚anderen’ Sehen des Daseins - quasi von innen her - drückt sich die Freiheit des Schreibens aus: Da sprechen Bäume, sind in Mauern ‚Geschichten’ eingeschlossen, da liegt die Zeit „wie ein alter Pullover daneben“, es verdichtet sich das Unauffällige, wird zum Gedicht: „Vielleicht ist die eingerollte Katze in der warmen Abendsonne eine unbemerkte Liebe. / Vielleicht ist das fallende Rosenblatt ein / lautloses Umblättern im Buch der Fragen. / Vielleicht ist mein Suchen nach Worten ein Versuch, nach dem Licht im Nebel zu greifen. / Vielleicht ist mein Denken ein verlorener / Faden. Meine Augen ein geliehenes Fenster? / Die Hoffnung, vielleicht, ein gelber Krokus, / nass vom Reif einer fremden Nacht. / Vielleicht gibt es kein vielleicht, so wie es / kein Verstecken gibt.“ In den wie beiläufig festgehaltenen Bildern leuchtet eine Intensität auf, zeigt sich nicht zuletzt eine sensible Aufmerksamkeit für das Unspektakuläre und nur allzu leicht Übersehene. Gerade darin sind oft die Kristallisationspunkte der Verwandlung zu finden. Norbert Lantschner breitet in „Wie die Liebe atmet“ ein kleines Textpanorama aus, das Sehnsucht und Vergeblichkeit, die Einsamkeit, das Fremdsein, Leben und Abschiednehmen erkundet. |
Hans Salcher, Steinwurf „Im Augenblick / ist die Welt Bühne ohne Boden“ Steinwurf – eine neue Textsammlung des Ostiroler Malers und Dichters Hans Salcher ist erschienen und es ist typisches Salcher-Bändchen geworden. In ungewohntem Taschenkalenderformat ist es ein ‚Notizen- und Skizzenbuch’, das auch zahlreiche Pinselzeichnungen des Autors enthält und in dem seine sparsamen Wortnetze ausgelegt sind. Salchers kräftige Pinselzeichnungen lassen an japanische Holzschnitte denken und sind mit energischen Strichen ins Buch gezeichnet. Auf 121 Seiten sind einzelne Sätze ausgestreut, hineingeworfen ins beiläufige Sinnieren wie Steinwürfe, zielgenau. Manchmal treffen sie wie flache Kiesel auf einen Denk-Fluss und machen Sprünge – Salcher’sche Gedankensprünge. |
Karl Lubomirski, Palinuro „Im Bergwerk der Sprache“. Zum neuen Gedichtband von Karl Lubomirski. Im Bergwerk der Sprache, so hat es einmal Werner Kraft benannt, arbeiten auch jene Dichter, die abseits vom literarischen Mainstream nach dem Dauerhaften, dem ‚Wesentlichen’ schürfen. Karl Lubomirski zählt seit Jahren für Kenner zu diesen stillen, beharrlichen Autoren, die wenig am Gebäude der Sprache selbst verändern, wenig für das formale Experiment übrig haben, die vielmehr mit vorhandenen Mitteln die Tiefe der Existenz – der subjektiven wie der ins allgemein Menschliche gesteigerten - auszumessen trachten. Darin liegt nicht zuletzt ein traditioneller Kern des Poetischen, und so sind denn auch seine Lyrikpublikationen, inzwischen mehr als zehn Gedichtbände, in viele Sprachen übersetzt, u. a. ins Englische, Französische, Italienische, Polnische, Russische, Tschechische, Ukrainische, Bulgarische, Türkische, Hebräische, Georgische, Litauische, Aserbaidschanische, Chinesische, Arabische, Spanische. Christine Riccabona
Castrovillari Hier weh'n die Winde [aus: Palinuro. Hall: Berenkamp, 2009, S. 68.] |
Texte mit Gebrauchswert Wie man mit Literatur jugendliche Leser erreichen, über den Weg der Sprache aktuelle und spannende Fragestellungen erörtern kann, zeigt vorliegendes Bändchen von Bertrand Huber, erschienen in der Edition Raetia. Es ist nicht das erste Jugendstück, das Bertrand Huber, Gymnasiallehrer in Meran, verfasst hat. Dieses Theaterstück antwortet mit einer subtilen thematischen Bezugnahme auf das Andreas-Hofer-Jubiläumsjahr 1809/ 2009. Es ist von der Länge und Aufbau her bestens geeignet, von einer Schulklasse auch tatsächlich gespielt zu werden und es ist didaktisch geeignet, den Begriff des „Heldentums“ kritisch zu hinterfragen, mit Jugendlichen zu diskutieren und im „Auf-die-Bühne-bringen“ das Thema zu vertiefen. |
Alte Familienbriefe sind wie Flaschenpost, die aus den Tiefen des Ozeans der Jahre an den Strand der Gegenwart gespült wurde. Die Faszination, die von alten aufbewahrten Briefen ausgeht, ist leicht erklärbar, leicht, weil sie jeder kennt: Es beginnt beim Papier, bei der Handschrift der Briefschreiber, bei den alten Schriftzeichen, den Briefmarken, den Poststempeln, kurzum: es weht uns die Aura der Vergangenheit an. Und vielleicht suggeriert der eigentlich juridische Begriff „Briefgeheimnis“, dass man einen verborgenen Blick sowohl auf die Verfasser wie auf die Empfänger erhascht. Da nisten Familiengeschichten, werden Ereignisse festgehalten, da wird ein Blick in Beziehungen gewährt, vom Wetter erzählt oder von politischen Umstürzen. Durch die Briefe hindurch lassen sich, wenn die schreibende Hand geschickt war, Spuren von gelebtem Leben ganz unmittelbar nachziehen, weil der Brief ein Medium der Mitteilung ist: Erzähltes aus erster Hand, unmittelbar, persönlich, selektiv und sehr oft auch schonungslos offen. |
Quart Nummer 12 ist erschienen. Kenner wissen, dass man eigentlich die besondere Qualität und Bedeutung der Grafik von Quart nicht mehr eigens hervorheben und betonen muss, denn das Konzept der Kultur- und Kunstzeitschrift sieht es vor, dass die Gestaltung nicht bloß augenfälliges Beiwerk des Inhalts ist, sondern bewusst wahrgenommen werden will. Dazu gehört interessanterweise auch ein völlig anderer Umgang mit den für Zeitschriften gängigen Werbeeinschaltungen. In Quart erhalten sie großformatiges Gewicht und eine Nähe zu Kunst-Photografie, als solche nämlich können diese Einschaltungen bei näherem Hinsehen ohne weiteres auch betrachtet werden. Ganz besonders augenfällig ist in diesem Heft beispielsweise der Gewölbekeller der Weinkellerei St. Michael in Eppan, durch die Halotech Lichtfabrik ins Bild gesetzt - Werbung zwar, aber ein ästhetischer, kunstvoller Blickfang allemal. Aber auch das schon gewohnte, immer noch anregende Seitenspiel, das den Fließtext auf der rechten Seite hält und die linke Seite für den assoziativen Denkspielraum offen lässt, ist ein wichtiges Element, das diese Zeitschrift zu einem außergewöhnlichen ästhetischen wie intellektuellen Lesevergnügen macht. |
Mit dem Süden ist es so eine Sache, nur ganz individuell lässt sich sagen, was für jemand damit in Verbindung steht. Für Grönländer, die in den Sommerhäusern Jütlands die Ferien verbringen, ist schon Dänemark der ‚Süden’, für Sizilianer hingegen sind schon wir hier in Innsbruck im ziemlich hohen Norden angesiedelt, mit Geografie also ist der Süden kaum wirklich zu verorten. Die Magie des Wortes ‚Süden’ rührt vielmehr von woanders her, löst so manches Sehnsuchtsbild aus, belebt so manche Stimmungslage und ist Projektionsfläche für Imagination. Iso Camartin schreibt in Jeder braucht seinen Süden: „Als Befindlichkeitskategorie bedeutet Süden – jedenfalls in unserem europäischen Realitätsverständnis – etwas beinahe Absolutes. Dieser Süden hat wenig mit Längen- und Breitengraden zu tun. Er ist nur mit Licht- und Wärmegraden der Seele zu ermessen. Seine Dimensionen haben einen Maßstab: den der Begierde nach dem Hellen und nach dem Weiten.“ (Jeder braucht seinen Süden. Suhrkamp 2003) Die Gedichte in „suedesland“ folgen diesem inneren Kompass, schreiben nach den Wärmegraden der Seele. Sie sind keine Postkarten-Impressionen, dazu fehlt ihnen das oberflächlich Geglättete, die bewusste ästhetische Stilisierung. Vielmehr blättern die Gedichte in Gedanken- und Augenblicksprotokollen, die sich als Erinnerungen an die Inselaufenthalte aneinander gereiht haben, sie ähneln manchmal einfachen Notizen, wie sie am Wegesrand en passant aufgeschrieben werden, um Beobachtungen am Strand, in Cafes, Bars, in Gärten und an Straßen festzuhalten. Aber immer verfangen sich in diesen Texten die ganz persönlich erlebten Stimmungen zwischen den Beschreibungen der Kargheit, der Hitze, der Meeresfarben und Windströmungen. Das macht aus diesen „Impressionen“ wirkliche Gedichte, dass diese Sätze über Licht und Wetter, diese Wortkaskaden über das äußerlich Wahrgenommene in Beschreibungen des Glücks, der Liebe, der melancholischen Ernüchterung und der Traurigkeiten münden. So kann sich wer will von diesen Gedichten forttragen lassen in den eigenen Süden. Dem Gedichtband sind ein chronologisches Verzeichnis der genauen topografischen Entstehungsorte sowie ein sehr lesenswertes Vorwort von Kerstin I. Mayr beigegeben. |
Die Gedichte von Sepp Mall haben einen bemerkenswerten Entschleunigungsfaktor: Man liest und wird immer langsamer dabei, fängt wortgenau zu sehen an, folgt dem Satz- und Bildsinn, taucht ein in das Spiel der Assoziationen und lässt mehr und mehr den Gedankenfluss in den Zeilenlauf der Gedichte münden. So gesehen bleibt das Erörtern und Reden über die Gedichte hinter dem Ertrag der konzentrierten Lektüre zurück. Allerdings: „Der Interpret, die Interpretin muss reden“, hat Wulf Segebrecht einmal ganz einfach gesagt, „keine Machtworte über den Sinn des Gedichts, keine Ergriffenheitsbekundungen, sondern zustimmungsfähige, jedenfalls nachvollziehbare Beobachtungen.“ Nun denn. |
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Über den ver- / entrückten Ort der Poesie. Assoziative Bemerkungen zu den Vierzeilern von Oswald Egger „Worte, wie Zinkblumen“- heißt es in dem 1997 in der Edition Solitude erschienenen Band „Juli, September, August“ von Oswald Egger. Zinkblumen, lateinisch „nihilum album“ („weißes Nichts“), entstehen beim Schmelzen von Zink und bilden dabei als Ablagerungen blumenartige lichtflüchtige Wollflöckchen. Darin liegt für Oswald Egger ein Denkbild für seine 3650 Vierzeiler „Lieder & Gedichte“, soeben bei Suhrkamp erschienen unter dem Titel „nihilum album“: Worte wie ein weißes Nichts, aber eben nicht ganz „Nichts“, sondern ein solches, das über sich hinaus wächst, über sich hinausweist und einen Raum jenseits des Gegenständlichen hin öffnet, Denk- und Sprechlinien der Ratio hinter sich zurück lässt. |
„Der Turmbund“, Innsbrucks „Gesellschaft für Literatur und Kunst“, blickt auf eine mehr als fünfzigjährige Geschichte, die – wie könnte es anders sein – von vielerlei Phasen, von Höhen und Tiefen, von Entwicklungen und Sackgassen berichten könnte. Immerhin gehört sie zu den wenigen österreichischen Literaturvereinigungen, die mehrere Generationen überdauert haben. Und inzwischen nimmt sich die altmodisch anmutende Bezeichnung „Gesellschaft für Literatur und Kunst“ zwischen den vielen kurzlebigen ‚logos’ bereits wieder interessant aus – ein literarisches Fossil, wie auch immer, sympathisch, tatkräftig und lebendig. Über die Jahre haben sich die unterschiedlichsten Generationen im „Turmbund“ im kleinen Literatursalon in der Müllerstraße die Hand gereicht, haben Autorinnen und Autoren der unterschiedlichsten Herkunft und Richtungen dessen Räume bevölkert. Und es hat den Anschein, dass dabei etwas Wichtiges bis heute weitergegeben werden konnte: die zugeneigte, beharrliche Arbeit für die Sache der Literatur. Dazu gehört auch die Förderung unbekannter Talente jeden Alters, die Einrichtung von Publikationsmedien, eine Plattform für Lesungen und Begegnungen. All dies bewerkstelligt das Engagement des Vorstandsteams des „Turmbunds“ sowie der zahlreichen Freunde im Umkreis. In der neu erschienenen, nun schon sechsten Anthologie der Reihe „Texttürme“, ist es gelungen, 36 Beiträge von teils ganz jungen unbekannten Namen, (vielleicht also kleine Debüts), sowie von einigen der älteren Generation, deren Namen im näheren Umfeld seit langem geläufig sind, sowie Beiträge von manchen, die soeben im Begriff sind, etwas bekannter zu werden, zwischen zwei Buchdeckeln zu versammeln. Der Band enthält Beiträge von Hugo J. Bonatti, Dielinde Bonnlander, Malte Borsdorf, Martina Brauns, Urban Comploj, Dimitré Dinev, Sabine Eschgfäller, Dorothea Furch, Marianne Gradl-Grams, Christl Greller, Judith Gruber-Rizy, Christine Haidegger, Brigitte Hitzinger-Hecke, C.H. Huber, Evelin Juen, Oswald Köberl, Maria Koch, Kerstin I. Mayr, Elisabeth Mehlmann, Dorothea Merl, Karl Mussak, Claudia Paganini, Fritz Pechmann, Carolina Pietrowski, Christa H. Raich, Annemarie Regensburger, Stefan Rois, Ingeborg Rotach, Thomas Schafferer, Brigitta Scherleitner, Gregor Schürer, Aurelia Seidl-Todt, Bosko Tomasevic, Rainer Wedler, Laura Weidacher, Cenet Weisz. Es ist ganz und gar unmöglich, hier auf alle 36 Beiträge im Einzelnen zu sprechen zu kommen, es folgt daher ein spontaner, an einer Hand voll einzelner Texte gespiegelter Leseeindruck.
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Martin Pichler gehört seit dem Erscheinen seines ersten Romans Lunaspina 2001 zu den interessantesten überregional wahrgenommenen Autoren Südtirols. Er hat sich mit diesem Debüt, später 2005 mit seinem zweiten Roman Nachtreise einen Namen als ‚Südtiroler’ Erzähler in der zeitgenössischen Literatur gemacht. Nun ist sein dritter Roman Störgeräusch erschienen. Die drei Roman haben miteinander zu tun, es ist die Trilogie einer Familienchronik entstanden, eine Familiengeschichte, die vom Leben einer ganz gewöhnlichen Südtiroler Kleinfamilie handelt, keine außergewöhnliche Geschichte, denn: „Die Normalität“ - sagt der Autor – „ist oft tabubrechender als das Außergewöhnliche.“ (Skizze vom Sterben. Interview mit Martin Pichler. In: "Die Furche" Nr. 16/05 vom 21.04.2005) Spricht man von ‚Südtiroler Literatur’, so ist der Diskurs geradezu infiziert mit Begriffen wie Grenzraum, Mehrsprachigkeit und Interkulturalität. Dieser damit angedeutete oszillierende Klangraum an der Nahtstelle unterschiedlicher Kulturen, Volksgruppen und Sprachen und nicht zuletzt auch klimatischer Gegebenheiten ist in Martin Pichlers Texten wie selbstverständlich in seinem Schreiben anwesend. Das Bewusstsein des Herkunftsraumes ist als Subtext in seinen Texten zu verorten, als atmosphärische Färbung nistet es in den Zwischenräumen des Erzählten. Pichlers Erstling trägt beispielsweise schon im Titel das zweifache Gesicht der Muttersprache: ‚Lunaspina’ ist eine freie Wortschöpfung aus dem Italienischen, heißt wörtlich übersetzt ‚Mondstachel’ und ist eine Metapher, eine kreative Wortschöpfung aus der ‚anderen’ Sprachseite. Damit konnte der Autor nicht besser zeigen, wie selbstverständlich die Zweisprachigkeit in den Nischen des Wörtlichen zuhause ist. Entsprechend lebt die Sprache in Martin Pichlers Romanen auch von Italianismen, die weniger als Zitatinseln zu verstehen, sondern vom natürlichen Nebeneinander und Ineinander der beiden Sprachen und Kulturen hervorgerufen sind. Lunaspina trägt eine Widmung an die Mutter, der Roman ist die Suche nach dem Leben dieser Mutter, in der die Geschichte ihres Sterbens bereits mit hinein verwoben ist. Der Roman beschreibt aber auch die Selbstfindung der Figur des Sohnes, entfaltet die Bewusstheit seiner Homosexualität im Familien- und Freundeskreis . Im Zentrum des Erzählten steht die Figur der Mutter, auf die das Leben der Familie, alles, was sich in der Familie tut, bezogen scheint. Was die Familie zunächst nicht wissen will, ist der nahende Tod der Mutter, der dieses Leben unterspült wie das Hochwasser im Sommer, ist diese tödliche Krankheit, die fortan alles aus dem Gleichgewicht bringen wird. Und die mehr und mehr an die Oberfläche spült, wie sehr der Vater, der Sohn, die Schwester, wie alle Familienmitglieder mit unsichtbaren Fäden sprachlos aneinander gekettet sind. Martin Pichler zieht dabei vor allem das Unausgesprochene, Tabuisierte dieser Beziehungen ins Erzählen hinein: vor allem die Homosexualität des Sohnes, aber auch Körperlichkeit, Alter, Gebrechlichkeit. Lebenslügen sind die Themen, die im Untergrund schwelen und die die Grenze ins Sichtbare und Spürbare immer wieder, manchmal auch eruptiv durchstoßen. |
„Nur Blau“, das dritte Buch von Bernhard Aichner erzählt von einer intensiven Beziehung, der Liebe von Mosca zu Jo. Mosca ist ein Literaturkritiker, ein Ästhet, ein Kopfmensch, und - wie könnte es anders sein – er findet in Jo, dem Lebens-Künstler, der alles in eine Waagschale legt, das, was ihn nicht mehr los lässt. Es ist eine amour fou, die dem Roman Tempo, Tiefe und einen Hauch Melancholie gibt. Jo, der leidenschaftliche Augenmensch, begegnet eines Tages der Kunst Yves Kleins, taucht ein in dessen unvergleichliches Blau, das Kunstgeschichte geworden ist. Jo kopiert das Blau, findet heraus wie die Zusammensetzung der Pigmente beschaffen sein muss, damit es dieselbe unverkennbare Wirkung besitzt, wie die Farbe jener Monochrome aus den fünfziger Jahren, mit denen Yves Klein weltberühmt wurde. Dieses Blau ist für Jo jener ätherische Raum, den Klein mit seiner Kunstphilosophie aufgeladen hat, es ist wie die andere Seite des Himmels, wie der Traum der Schwerelosigkeit. Mosca hingegen bewegt sich im Denken, er hat eine Sprache für Jos Obsession, für seine Kunst. Lesend folgt man dem Sog dieser Liebe, deren Faszination auch in der geteilten Leidenschaft für den Prozess der Aneignung von Yves Kleins „Blau“ ist. |
„Vita Minima“ ist eine merkwürdige Geschichte, die Renate Scrinzi, bislang als Lyrikerin in einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Künstler Ivo Rossini in Erscheinung getreten, auf schmalen 76 Seiten erzählt. Es ist die Geschichte vom Tod einer Mutter, die mit ungewöhnlicher Lakonie aufgerollt wird. Nahezu minutiös den Ereignissen folgend erinnert die Erzählung an einen protokollartigen Bericht. Dennoch vermutet man von Beginn an, dass da etwas kommt, eine „unerhörte Begebenheit“, wie es einer Novelle gebühren würde. Und es sind denn auch novellenartige Züge in der Erzählung auszumachen, der Wendepunkt etwa am Ende des dritten Kapitels, oder das durchgängige Motiv des „minimalen Lebens“, das schon im Titel aufgenommen ist, und dessen rätselhafte Bedeutung erst nach und nach klar wird. „Vita Minima“ hat auch mit Erfrieren zu tun, bei dem der Körper mehr und mehr auf ein Minimalprogramm schaltet, bis der letzte Rest Wärme und Leben verbraucht sind. Die Geschichte eines Todes, eines tragischen Ereignisses also, eine Art Novelle - wäre da nicht die Sprache, die sich zuweilen nahe an der Lyrik bewegt, das Geschehen verdichtet und im Stil des inneren Monologs gehalten ist. Die Sprache der Figuren in dieser Erzählung deutet mehr an, als sie konkret in Worte fasst, sie spart mehr aus, als sie ausspricht, lässt vieles in Stimmungen und inneren Befindlichkeiten anklingen und nützt Bilder des Traums, um das Geschehen zu erklären. |
2001 erschien - etwas abseits vom lauten Strom der Neuerscheinungen - der erste Gedichtband von Elfriede Kehrer, ein bibliophiles Buch, gedruckt in der Handpresse der Edition Thanhäuser in einer Auflage von 99 Stück mit dem Titel „an den riffen des lichts“. Ludwig Hartinger schrieb am Ende des Bandes den Satz: „Elfriede Kehrers Dichtungen, subtile Wortgebilde, blättern eine kleine Licht-Kunde auf, im Jahres- & Tageszeiten-Kreis.“ Nun ist der zweite Lyrikband der Autorin, die an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Fritz Wotruba Bildhauerei und Kunsterziehung studierte, im Innsbrucker Verlag Skarabaeus erschienen. Er trägt den ungewöhnlichen, gleichwohl an den ersten Band erinnernden Titel „lichtschur“, eine Wortneuschöpfung, die vieles offen lässt, die dem manchmal arg strapazierten Wort Licht eine unentdeckte, neue erfundene Bedeutung unterlegt. Ein Wort als Richtungsweiser für das Lesen - wer tief hineinliest, nimmt die Erträge dieser „Schur“ ungewöhnlicher Naturbeobachtungen, ungeahnter Perspektiven des Sehens wie Empfindens mit. Wortneuschöpfungen kommen in den Gedichten im Übrigen eher selten vor, die Autorin findet mit dem vorhandenen Wortreichtum ihr Auslangen. Formal variieren die Texte freie Rhythmen, nützen Wortklang, Alliteration, beugen sich auch strengen Strukturen, beispielsweise dem japanischen Haiku. Wie programmatisch klingt dies: „im augenbogen / geboren / das wort“ (S. 37) Feinlinige Zeichnungen nach Motiven der Natur von Franz Kehrer begleiten die Texte des schmalen Bandes. |
Wo die wahre Heimat lauert Wurzellfieber ist als Quartbuch im renommierten Verlag Wagenbach in Berlin erschienen. Und das lässt aufhorchen, steht doch Klaus Wagenbach für ein eigenwilliges qualitativ bemerkenswertes Programm mit Tradition - die überregionale Wahrnehmung mag dem Autor auf diesem Publikationsweg garantiert, jedenfalls zu wünschen sein. Dass die Zusammenstellung einer Lyriksammlung ein kreativer und nicht weniger reflexiver Akt ist, dass also auch Aschenwalds Gedichtband bewusst durchkomponiert ist, das dokumentieren die Auszüge aus einem Werkstattgespräch der Lektorin Margit Knapp mit dem Verleger Klaus Wagenbach - nachzulesen im Artikel So hoch in den Wolken in der Kulturzeitschrift „Quart“ (Nr. 2 / 2003). Im Fieber III |
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Weißgekalkt - ein solches Wort als Titel ruft unweigerlich Bilder von weißen Mauern in Griechenland, von apulischen Trullis ins Gedächtnis oder vertrauter und näher: von Gemäuern und Wänden alter Bauernhöfe. "Weißgekalkt" hat etwas von stilisierten Kalendermotiven, klingt nach solidem Handwerk und nach Malerei und das ist gar nicht so weit hergeholt, denn der Osttiroler Dichter Hans Salcher ist auch ein Maler. So hat er die kleinen Texte seines neuen Buches mit wenigen Strichen und Linien illustriert, mit einfachen Zeichen wie in Höhlenmalereien oder auf Felsen - Wegmarken, die den Weg des literarischen Bergwanderers durch die 21 Prosaminiaturen des schmalen Bandes begleiten. "Mitten im Dorf", heißt es, steht ein Haus, das ist "weißgekalkt, hat achtzehn kleine Fenster. Der Blick daraus ist von einer Schönheit, den nur Kinder in ihren Augen tragen. Das Blau fließt ins Herz und in die Launen des Tages." (S. 10). |