Rezensionen von Anna Rottensteiner
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Andreas Maier,
- Joseph Zoderer,
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Blick ins Nachbarland. Eine Familie in Mitteleuropa |
Der Mohorjeva-Hermagoras Verlag gibt seit 2010 die Reihe „kleine literaturen europas“ heraus. Das Motto der Herausgeber Karl Hren, Reinhard Kacianka und Johann Strutz ist Franz Kafkas Diktum „Das Gedächtnis einer kleinen Nation ist nicht kleiner als das Gedächtnis einer großen, es verarbeitet daher den vorhandenen Stoff gründlicher.“ Nun handelt es sich zwar nicht um die Literatur kleiner Nationen, die in den bisher drei erschienenen Büchern im Zentrum stehen, sondern vielmehr um die Literatur von Sprachgruppen und Sprachinseln Europas. So begann die Reihe 2010 mit der Publikation von Werken des walisischen Autors Emyr Humphreys (2010), der in der „großen“ Landessprache, dem Englischen, und auf Walisisch schreibt; 2011 folgte der Band „Resia. Der Gesang der Erde“ mit Gedichten von Rino Chinese, Silvana Paletti und Renato Quaglia aus dem Resiatal, einem Seitental des friulianischen Kanaltals, in dem sich eine eigenständige slowenische kulturelle Tradition bewahrt hat. Ebenso 2011 erschien „Lyrik und Prosa kreuz und quer / Lirica y prosa da piz a cianton“, in dem ein Großteil der bisher erschienenen Werke der ladinischen Autorin Rut Bernardi versammelt sind. Der Band enthält neben ihrem ersten Roman „Briefe ins Nichts“, der 1996 auf ladinisch mit dem Titel „Lëtres en te fol“ und 2003 zweisprachig erschienen ist sowie ihren „Gherlanda de sunëc: Antenates – Sonettenkranz der Ahnen“ weitere Gedichte, Erzählungen und Essays. Die Lyrik ist im vorliegenden Buch auf deutsch und ladinisch abgedruckt, wohingegen die Prosatexte sowie das Theaterstück „Abgesang für die Letzte ihrer Art – Romana Sellana ist nicht mehr“ ausschließlich auf deutsch wiedergegeben sind. Als Übersetzer scheinen Rut Bernardi sowie Hans-Georg Grüning auf, der auch der Verfasser des sehr aufschlussreichen Nachworts ist. Auch dies ist ein Anspruch der Reihe: die Texte von AutorInnen, die in einer kleinen Sprache schreiben, in die „große“ Sprache zu holen, um sie so einem größeren Publikum erschließ- und lesbar zu machen. Rut Bernardi nimmt in einem Beitrag des Bandes selbst fundiert Stellung dazu; so meint sie, es sei für in einer Kleinsprache Schreibende meistens nötig, selbst ÜbersetzerInnen der eigenen Texte zu sein, einerseits aus rein pragmatischen Gründen, um größerer Publikationsmöglichkeiten willen, zum anderen, um nicht in der „Geheimschrift“, die nur von wenigen rezipiert werden kann, gefangen zu bleiben.
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Barbara Hundegger, schreibennichtschreiben. Lyrik |
„Ich bin nicht die Erzählerin. Ich bin nur die, welcher erzählt worden ist. Oder ich bin eine, die dabei war, als alles geschah. Oder ich bin jene, der es widerfuhr.“ So beginnt Waltraud Mittichs erste Publikation „Mannsbilder“ aus dem Jahr 2002, in der sie die Vielschichtigkeit der Erzählhaltungen und –perspektiven literarisch zum Ausdruck bringt. Ein Entreé, das auch auf die soeben erschienene Erzählung „Grandhotel“ übertragen werden könnte. Und wir begegnen auch einer Figur wieder, Moia. War sie die dunkle Erzählerin damals? Moia, so jedenfalls heißt nun die Erzählerin. Sie sammelt die Geschichten, die ihr in Tagebüchern, Begegnungen, Gesprächen zugetragen werden. Doch sie ist auch Involvierte, taucht immer wieder auf, bevor sie dem Strom der Geschichte ihren Lauf lässt und wieder untertaucht. Kein Erzählband, sondern eine Erzählung ist es, deren Skelett die „mondän-melancholischen“ Kulissen der Grandhotels von Palermo über Opatija bis zum Pragser Wildsee darstellen. Die Häuser selbst sind dabei Protagonisten und Träger der Sehnsüchte jener, die sie aufsuchen – und die sich selbst aufsuchen. Dem Topos des „Hotels“ als Ort der Durchreise, des Ankommens im Zwischenreich, im Land der eigenen Sehnsüchte, Hoffnungen, in dem ein Rückblick auf Erreichtes und Verabsäumtes, Erhofftes und Erwunschenes möglich zu sein scheint, vermag Mittich mit ihrem Erzählstil dabei durchwegs neue und überzeugende Facetten entgegenzusetzen. |
Bernd Schuchters Erzählung „Jene Dinge“ könnte man als eine literarische Studie über Herkunft und Milieu lesen. Aus der Perspektive eines Ich-Erzählers, dem die Eltern, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, Bildung und Weiterkommen ermöglicht haben. Was dieser seinerseits als Zumutung empfindet, entfernt es ihn doch naturgemäß von einer reibungslosen Identifikation und einer friktionsfreien Identitätsbildung (sofern es eine solche überhaupt gibt). |
Magdalena Kauz’ Erzählung lässt sich als zeitgenössische und literarische Annäherung an das Thema „Paare“ lesen. Als moderne Variante der märchen-haften Suche nach dem Glück. Selbstverwirklichung, Rebirthing, Kinderwunsch, Berufstätigkeit, Liebe, Single-Dasein – alles scheint möglich zu sein, irgendwie, und gerade deshalb: Wenn alles möglich ist, was will man wirklich? |
Thomas Schafferer, Gabi Wild (Hg.), Cognac & Biskotten – Female lyrics. Eine literarische Dorferkundung. „Um von Villgraten zu erzählen, müsste man von den Menschen hier erzählen, ihre Namen nennen.“ So lesen wir im Text „Schwere Schuhe, keinen Namen“, den Anita Pichler 1994 als Dorfschreiberin im Rahmen der Villgrater Kulturwiese über eben jenes Dorf geschrieben hat. Sie wählt dafür einen sachlichen Ton, stellt sich damit in die Tradition des historischen Dorfschreibers, bringt aber auch ihre persönlichen Eindrücke und die versteckten Dorf-Realitäten von Frauen ein. Man könnte nun sagen, dass Cognac & Biskotten mit ihrem Projekt „female lyrics“ diese – literarische – Tradition wieder aufgenommen haben, indem sie 3 junge Autorinnen über eine Ausschreibung auswählten, die dann jeweils eine Woche in den Gemeinden Galtür, Hopfgarten und Lienz verbrachten. Die Ergebnisse dieser „Landwoche“ liegen nun in Buchform vor: 12 Texte von Barbara Aschenwald, Petra Maria Kraxner und Esther Strauß, mit einem Vorwort von Barbara Hundegger, die das Projekt begleitet hat, sowie mit Fotoarbeiten des Mit-Initiatiors Thomas Schafferer. Und es sind beachtliche Ergebnisse. Barbara Aschenwald verbrachte eine Woche in Galtür; Ergebnis sind „Die Geschichten von den Lebenden und den Toten“, Geschichten abseits von der „großen Geschichte“ der Lawine. Die Ich-Erzählerin orientiert sich an den Erzählungen der jungen und alten Frauen im Dorf - „ich rutsche entlang dieses schmalen Weges“. Skepsis wird ihr am Anfang entgegengebracht: „Was willst du in einer Woche schon wissen, wir kennen uns doch erst so kurz.“ Und doch spricht aus diesem Text viel Wissen, erfahrenes und intuitives, und dies in einer Sprache, die Mythisches von Dorf und Tal zusammenzubringen vermag mit den gelebten Realitäten der Gegenwart: uralte Wesen wie die Fangga mit ihrer Schürze aus Baumrinde, Mira, die Frau, die an Engel glaubt, die Toten auf dem Friedhof, die Lebenden und ihre Realität und ihre Träume: „Das weiße Mädchen sagt, Fotografin wäre ich halt so gerne geworden, aber ich habe nichts gefunden.“ Drei junge Autorinnen also, die stilsicher und die verschiedensten Klaviaturen literarischen Schreibens ausprobierend, eine neue Selbstverständlichkeit im Schreiben ausstrahlen. Ist es nun Zufall, dass sie in ihren Texten über drei Tiroler Gemeinden vor allem Geschichten von und über die unterschiedlichsten Frauen in Worte und Bilder fassen? Sicher ist jedenfalls, dass der Name des Projekts – „female lyrics“ – um einen wesentlichen inhaltlichen Aspekt erweitert und vertieft wurde. |
Barbara Hundegger, rom sehen und. ein gedicht-bericht „rom sehen und“ – der Titel eine Zeile, die mit „und“ aufhört, ausspart, was danach kommt, und, wenn man von der Anspielung auf „Rom sehen und sterben“ ausgehen kann, genau jenes Wort auslässt, von dem im Buch, auch, viel die Rede ist, es aber nicht benennt, benennen will; vielleicht folgt ja auch ein ganz anderes Verb, eine ganz andere Konsequenz aus diesem „rom sehen“. „sehen“ - das Auge spielt in den Gedichten eine große Rolle, das beobachtende Auge, das Kamerauge, das subjektive Auge, auch das „göttliche“ Auge. Die atmosphärische Dichte von „rom sehen und“ ergibt sich nun aus dem Nebeneinander und Hintereinander der unterschiedlichen Welten und Gedanken, die im Kopf der Leserin, und wahrscheinlich auch der Schreibenden, sich zu einem großen, pulsierenden und lebendigen Ganzen verdichten und ineinanderfließen. Während beim Zyklus „zeitungsluft“ Montage und damit Demontage die wichtigste Verfahrensweise darstellt, durchquert die Schreibende den kirchlich-katholischen Diskurs auf ihre ganz eigene Weise, indem sie assoziativ reich widerhallende Worte wie „schöpfung“, „ewig“, „waschung“, „engel“ und viele andere, in mitunter sehr persönliche, dem Ursprungskontext entgegenlaufende Kontexte setzt. Die Ursprungsassoziationen schwingen zwar unweigerlich mit, doch ist ihnen das Hehre, Heilige entzogen. Damit wird der in diesem Fall „katholische“ Ausschließlichkeitsanspruch auf bestimmte sprachliche Ausdrucksformen nicht nur radikal in Frage gestellt, sondern schlichtweg nicht akzeptiert und mit Eigenem aufgefüllt. Dies geht, würde ich meinen, viel weiter als „Kritik“ an der Sprache und der Sprachverwendung innerhalb einzelner sprachlicher Soziotope, es ist vielmehr eine poetische Aneignung, die enorme Sprengkraft besitzt. |
Maria E. Brunner, Was wissen die Katzen von Pantelleria. Maria E. Brunners neues im Folio Verlag erschienenes Buch könnte denselben Titel tragen wie das vorhergehende, 2004 im selben Verlag erschienene: „Berge Meere Menschen“. Dieses beginnt in einem abgelegenen Gebirgsort in einem Tal in Südtirol und erzählt die Geschichte eines weiblichen Findelkindes, Kostkind genannt. Sie ist die Protagonistin des Romans, der eindringlich, verhalten und sprachlich präzise die Enge und Grausamkeiten dieser Welt schildert. Es ist die Geschichte eines permanenten Unbehaustseins, einer Fluchtbewegung, die die Protagonistin wegführt von diesem Ort, sie UNTERWEGS sein lässt: „Heimliche kleine Fluchtversuche oder gestohlene Augenblicke des Alleinseins. Aber alle großen Wege durch ein vertraut gewordenes Land schienen bereits verbaut. Weit weg mussten die Reisen führen und das Meer vor den Fenstern grenzenlos sein.“ Maria E. Brunner vereint in ihrem bisherigen Werk die verschiedensten Facetten der sprachlichen Annäherung an Nähe und Ferne, an das „Eigene“ und das „Fremde“. Wobei – und das möchte ich betonen – hinterfragt oder verschoben wird, was denn nun das „Fremde“ sei – das, was eigentlich als das Eigene gelten sollte? Und das Eigene demzufolge: das, was gemeinhin als „fremd“, als das „andere“ gesehen wird? Und genau diese Hinterfragung und Verschiebung der Perspektiven, die aus einem genauen, starken gleichwie fragilen Blick ersteht, macht die Spreng-Kraft sichtbar, die von der literarischen Reflexion ausgehen kann. |
Hans Salcher, Himmelschauen. |
Andreas Maier, KLAUSEN. Seine Bücher entstehen in der Stille - die kleine Ortschaft Elvas oberhalb von Brixen hat Andreas Maier zu seinem Domizil erkoren. Und sie handeln von der Geschwätzigkeit, vom vielen Lärm um nichts, vom undurchdringlichen Gestrüpp der Gerüchte und Halbwahrheiten. In seinem Debütroman "Wäldchestag", für den er mit dem Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung, dem Ernst-Willner-Preis der Klagenfurter Literaturtage und dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, lässt er die Gerüchteküche in der tiefsten hessischen Provinz brodeln, für seinen zweiten, mit Spannung erwarteten Roman wählt er als Ort und Titel die Stadt Klausen im Eisacktal. An einer relativ engen Talstelle zwischen Autobahn und Bundesstraße eingezwängt, das Kloster Säben als markantes Kennzeichen immer vor Augen - oder im Rücken, bietet sich diese Kleinstadt geradezu an, Austragungsort für verbale Kämpfe und, als Konsequenz daraus, "Tatort" zu werden. Was "Klausen" aber vor allem zu einem Lesevergnügen macht, ist die Art, wie das "Sprechen" zum Inhalt gemacht wird, ein Sprechen, das überbordet, ein Dschungel aus Stimmen und Meinungen, in dem letztendlich auch Erkenntnis auf der Strecke bleibt. Doch scheint dies die Beteiligten nicht zu stören - die Rednertribüne der Selbstdarstellung steht fernab der Agora einer gemeinschaftlichen Kommunikation. |
Annäherungen an eine intensive Geschichte. Das Eigene - das Fremde - wo beginnt der Reiz, wo fühlt man sich bedroht? Identität - Heimat - was kann das sein? Wer kann sich wo wie zuhause fühlen? Mara in einem Land, das sie von ihrer Kindheit auf kennt, dessen Sprache sie aber nicht - perfekt - spricht? Jul, der nicht hier aufgewachsen ist, aber immer noch meint, ihr das Land zeigen und erklären zu müssen - eine Arroganz, die übersieht, daß es nicht ihm, dem Deutschsprechenden, gehört? Gehört es überhaupt jemandem? Ist Convivenza, friedliches Zusammenleben zwischen einstigen Unterdrückern und ebensolchen Unterdrückten möglich? Oder interessiert das alles niemanden mehr? |