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Forschungsinstitut Brenner-Archiv

Rezensionen von Bernd Schuchter

 
 

Helmuth Schönauer, Die Vollbeschäftigung der Sinne.
Gefräste Gedichte.
Baden: Grasl 2003, 64 Seiten.


„Ein alter Mann trifft eine zeitlose Sie zum Spätwerk der Erotik.“ (S. 22)

So beginnt ein Gedicht in Helmuth Schönauers neuem Lyrikband ‚Die Vollbeschäftigung der Sinne’, der eben bei Grasl in der Reihe ‚Lyrik aus Österreich’ als Band 97 erschienen ist. Verdienstvoll wie diese kleine Reihe, die bald ihren Hunderter schaffen wird, sind auch die literarischen Ergüsse, die Helmuth Schönauer im Akkord unter die Leser wirft.
Knapp über 50 unbetitelte Gedichte lang findet der Leser nicht die heutzutage üblichen Kürzestgedichte, die schon fertig sind, ehe sie beginnen, sondern Schönauer erzählt seine Gedichte in einer Art – durch Gedankenstriche – abgehackter Prosa, als ob er einfach aus verschiedenen Kurzgeschichten einzelne Stücke herausgeschnitten hätte. Deshalb wohl auch der Untertitel ‚Gefräste Gedichte’, könnte man meinen, und als Zugabe zu diesem Sprachversuch erscheint Gedicht [42] als HTML-Gedicht, in dem das Experiment der filetierten Lyrik zur Spitze getrieben und zur Methode gemacht wird.
Der Inhalt wird da beim Lesen fast zur Nebensache, fast, denn hier schreibt ein Dichter über seine Gegenwart, seine Wahrnehmung der Provinz, in der er lebt.
„Immer in Wien / steigt der Dichter aus Katsdorf in die Hundescheiße / so sehr er auch aufpasst / die Welt macht keine Fortschritte / mir ist diese Stadt zu groß“
(S. 61)
Das Thema des Büchleins sind die Dichter, ihre Erfahrungen mit Literaturhäusern, ihrer Eitelkeit und Eifersüchteleien, aber auch, wie immer bei Helmuth Schönauer, der Mensch und seine Sexualität, sowie das Problem des Älterwerdens: „zwei Läuber pudern noch im Herbst“ (S. 48) ist keine Naturbeschreibung, aber „da ist es mit dem Petting schon vorbei.“ (S. 36).
Schönauers ‚Die Vollbeschäftigung der Sinne’ ist eine humorvolle Annäherung an sich selbst und in allen Dingen, die man nicht so genau nimmt, sind Erläuterungen sehr hilfreich. So ist das Glossar, das das Büchlein abschließt ein kleines Tirol-Lexikon, das bequem auf 1 ½ Seiten passt und jeden Laien in die Provinz einführt. Denn es „/ kann sein / dass jemand einen alten Strudel auspackt.“ (S. 22)

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Helmuth Schönauer, Der eingecremte Blick auf Vilnius.
Roman.
Wien: edition selene, 2002, 181 Seiten.

Der eingecremte Blick auf Vilnius. Was bedeutet das? fragt sich der leicht irritierte Leser. Was verspricht der Titel und wo liegt eigentlich Vilnius? Gemeint ist Wilna, die Hauptstadt Litauens. Irgendwann hat man diesen Namen schon einmal gehört. Ist Vilnius Europa? Eine Hauptstadt des alten Europa? Oder doch nur eine neue Sonnencreme, wie uns der Titel des Buches ahnen lässt.
Helmuth Schönauer legt ein neues Buch vor, als Tiroler Autor versucht er, über den beschränkenden Horizont der Berge hinauszusehen, ein Blick hinein in das neue Europa, Vilnius als Symbol einer EU-Expansion.
Das Buch aber handelt vor allem von Tirol, denn schon nach zwanzig Seiten erkennt der Leser an den abrupten Gedankenwechseln, den ruhelosen und abgehackten, staccatoartigen Formulierungen, daß es sich hier um den Fön handelt. Der Fön als Natur bestimmt also den Tiroler und der Protagonist kann daher auch nur einen Namen haben, zwangsläufig heißt er Hofer.
Dieser Hofer ist Vertreter eines bekannten Tiroler Optikunternehmens, von Weltrang, wie der Leser hinzufügen will. Und wie jeder Tiroler, dem die Berge zu beengend sind und der daher die Weite sucht, will auch der Protagonist entkommen, fliehen, was ihm anfänglich nicht gelingt. Sein Flugzeug stürzt ab, aber Hofer gibt nicht auf, versucht es weiter. Er wird das gesamte Buch lang zu kämpfen haben, das Leben schenkt ihm nichts.
Das Leben, eben, das ist das Thema des Buches. Schönauer zeichnet das Bild einer Gesellschaft in Schlagzeilen. Wer lange keine Zeitung gelesen hat, der kann getrost auf „Der eingecremte Blick auf Vilnius“ zurückgreifen, denn alle Themen, die in den letzten Jahren die so genannte öffentliche Meinung erregt haben, sind in Schönauers Buch minutiös verzeichnet. Nicht umsonst handelt dieses Buch von Optik, von Sichtweisen also. Es ist ein Panoptikum der aktuellen Zeitgeschichte, pointiert und nicht ohne Hang zur Ironie. So spricht Schönauer, wenn er über die österreichische Literaturszene schreibt, über sich selbst. Und er lässt keine Gelegenheit zu einer fröhlichen Beschimpfung aus. Egal über welches Thema, sei es die Kirche, die Politik, die Kunst oder ganz allgemein, die Gesellschaft. Oder die Heimat:
„In seichten Städten, wie Innsbruck eine ist, tritt ziemlich schnell das Phänomen der optischen Sättigung auf. Das Auge weigert sich im Angesicht einer flächig konturlosen Stadt länger aus der Augenhöhle zu glotzen und ersinnt alles, um nicht mehr hinausschauen zu müssen ins Freie. Diese Verweigerung des Blicks kann von Juckreiz über Muskelkater im Sehnerv bis hin zu einer veritablen Meningitis führen, was Innsbruck so gefährlich macht.“ (S. 21) Nachdem der Protagonist Hofer alle Sichtweisen durchprobiert hat, ist er am Ende des Buches wieder am Anfang angelangt.

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