Helmuth Schönauer, Der eingecremte Blick auf Vilnius.
Roman.
Wien: edition selene, 2002, 181 Seiten.
Der eingecremte Blick auf Vilnius. Was bedeutet das? fragt sich der leicht irritierte Leser. Was verspricht der Titel und wo liegt eigentlich Vilnius? Gemeint ist Wilna, die Hauptstadt Litauens. Irgendwann hat man diesen Namen schon einmal gehört. Ist Vilnius Europa? Eine Hauptstadt des alten Europa? Oder doch nur eine neue Sonnencreme, wie uns der Titel des Buches ahnen lässt.
Helmuth Schönauer legt ein neues Buch vor, als Tiroler Autor versucht er, über den beschränkenden Horizont der Berge hinauszusehen, ein Blick hinein in das neue Europa, Vilnius als Symbol einer EU-Expansion.
Das Buch aber handelt vor allem von Tirol, denn schon nach zwanzig Seiten erkennt der Leser an den abrupten Gedankenwechseln, den ruhelosen und abgehackten, staccatoartigen Formulierungen, daß es sich hier um den Fön handelt. Der Fön als Natur bestimmt also den Tiroler und der Protagonist kann daher auch nur einen Namen haben, zwangsläufig heißt er Hofer.
Dieser Hofer ist Vertreter eines bekannten Tiroler Optikunternehmens, von Weltrang, wie der Leser hinzufügen will. Und wie jeder Tiroler, dem die Berge zu beengend sind und der daher die Weite sucht, will auch der Protagonist entkommen, fliehen, was ihm anfänglich nicht gelingt. Sein Flugzeug stürzt ab, aber Hofer gibt nicht auf, versucht es weiter. Er wird das gesamte Buch lang zu kämpfen haben, das Leben schenkt ihm nichts.
Das Leben, eben, das ist das Thema des Buches. Schönauer zeichnet das Bild einer Gesellschaft in Schlagzeilen. Wer lange keine Zeitung gelesen hat, der kann getrost auf „Der eingecremte Blick auf Vilnius“ zurückgreifen, denn alle Themen, die in den letzten Jahren die so genannte öffentliche Meinung erregt haben, sind in Schönauers Buch minutiös verzeichnet. Nicht umsonst handelt dieses Buch von Optik, von Sichtweisen also. Es ist ein Panoptikum der aktuellen Zeitgeschichte, pointiert und nicht ohne Hang zur Ironie. So spricht Schönauer, wenn er über die österreichische Literaturszene schreibt, über sich selbst. Und er lässt keine Gelegenheit zu einer fröhlichen Beschimpfung aus. Egal über welches Thema, sei es die Kirche, die Politik, die Kunst oder ganz allgemein, die Gesellschaft. Oder die Heimat:
„In seichten Städten, wie Innsbruck eine ist, tritt ziemlich schnell das Phänomen der optischen Sättigung auf. Das Auge weigert sich im Angesicht einer flächig konturlosen Stadt länger aus der Augenhöhle zu glotzen und ersinnt alles, um nicht mehr hinausschauen zu müssen ins Freie. Diese Verweigerung des Blicks kann von Juckreiz über Muskelkater im Sehnerv bis hin zu einer veritablen Meningitis führen, was Innsbruck so gefährlich macht.“ (S. 21) Nachdem der Protagonist Hofer alle Sichtweisen durchprobiert hat, ist er am Ende des Buches wieder am Anfang angelangt.
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