Rezensionen von Carolina Schutti
Sabine Eschgfäller, Versuche die Worte zu wiegen Die junge Lyrikerin Sabine Eschgfäller beeindruckte schon vor Erscheinen ihres ersten Gedichtbandes mit Einzelpublikationen und Lesungen: Ihre Gedichte bleiben hängen, möchten wiedergelesen werden, erforscht und durchleuchtet in ihren Worten und den Räumen, die zwischen den Worten entstehen und stehenbleiben. Sabine Eschgfäller beherrscht die Kunst des Stehenlassens, kein Wort zuviel verwendet sie, sie fordert ihre Leser auf, von vorne anzufangen, wenn sie meinen, am Schluss angelangt zu sein. Hinter den komplexen Gebilden liegt jeweils eine klare Idee, eine Geschichte, ein Erfahrungsausschnitt: Keine reine Sprachkunst also betreibt die Dichterin, sie komponiert keine Assoziationsketten, sondern vielmehr kunstvolle Wortbögen, die sich um ein Stückchen Wirklichkeit legen. ich ringe dich ein |
Quart Heft für Kultur Tirol. Nr. 10/2007 |
Maria Koch und Annemarie Regensburger, Tiroler Adventkalenderbuch. Heitere und besinnliche Gedichte und Geschichten zur Advent- und Weihnachtszeit. Nina Schröder (Hg.), weißt du was schnee ist / frisch gefallener? Weihnachstsgeschichten von Südtiroler Autorinnen und Autoren. Päckchen, aufgehängt wie auf einer Wäscheleine, aus einem fällt gerade ein Stern heraus, gelb auf gelbem Hintergrund, auf der Rückseite schwindelt sich ein „Thomasradle“ zwischen die Geschenke. Ein weißer Umschlag, der im Licht glänzt wie Weihnachtspapier, in der Mitte prangt ein biederes Duftbäumchen. Beide Cover spielen mit Erwartungshaltungen, greifen die Spannung zwischen Weihnachten-Feiern-Müssen und Weihnachten-Feiern-Dürfen auf, zwischen Kommerz und echtem Fest, zwischen Enttäuschung und Freude, zwischen künstlichem Weihnachtsmannbart und selbstgebackenen Keksen. Auch die Geschichten und Gedichte handeln sowohl von unweihnachtlichen Ereignissen am Heiligen Abend als auch von tiefer Sehnsucht nach dem ,echten’ Weihnachtsfest. Ob man das Fest nun feiert oder nicht, ob man sich darauf freut oder es möglichst schnell hinter sich zu bringen versucht – Weihnachten zu ignorieren fällt schwer. Das sorgfältig konzipierte „Tiroler Adventkalenderbuch“ von Maria Koch und Annemarie Regensburger lässt einen schon beim Aufschlagen innehalten. Adventzeit, besinnliche Zeit, Zeit zum langsamer werden, zum langsamer lesen... Die ungewohnte Orthographie der Dialektgedichte, der Geschichten und der Kurztheaterstücke zwingt den Leser geradezu, das Tempo zu drosseln, genau hinzusehen, sich Zeit zu nehmen dafür, von der Augen- in die Ohrensprache zu über-setzen. „Tiefer eiche lousnen. nächner zommruckn. des wünsch mir zwoa für die Advent- und Weihnachtszeit“, so die Widmung der Autorinnen für ihre Leserschaft. Hören und Fühlen, Beobachten und in Ruhe einem einzelnen Gedanken nachhängen – für jeden Tag im Adventkalender gibt es Anleitungen bzw. Anstöße in Form von Texten und auch einigen Rezepten. Weniger beschaulich, aber umso vielseitiger präsentiert sich die Südtiroler Weihnachtsanthologie. Ein Kaser-Zitat dient als Aufputz, den dieser Sammelband gar nicht nötig hätte, der die Aufmerksamkeit der Leser aber gleich auf die vielen Fragen und Leerstellen lenkt, die die Texte aufwerfen: „weißt du was schnee ist / frisch gefallener?“ Was ist eigentlich die Bescherung, wird in der Anthologie gefragt, was der Sinn des Weihnachtsbaums, warum darf an Weihnachten kein Theater gemacht werden, warum wird ein Kind geboren, warum stirbt es gleich wieder, das andere eben später? Weihnachten hat viele Gesichter: Ob nun die Sehnsucht nach ursprünglichem Weihnachten im Vordergrund steht oder der Festtag nicht viel mehr als eine Kulisse für menschliche Tragödien ist – emotionslos zu bleiben ist schwer. Sich auf die Feiertage einzustimmen fällt schon leichter, vor allem mit den beiden hier vorgestellten Büchern, die sich übrigens hervorragend als Geschenke eignen... |
Quart Heft für Kultur Tirol. Nr. 7 und 8/2006. Seit mittlerweile drei Jahren gibt die Kulturabteilung des Landes Tirol halbjährlich die Kulturzeitschrift Quart Heft für Kultur Tirol unter der Chefredaktion von Heidi Hackl und Andreas Schett heraus. Die Liste der Mitarbeiter jeder Ausgabe ist lang und durchaus prominent besetzt, selbiges gilt für die Kuratoren, die namentlich erwähnt sind. Eine der Intentionen der Quart Hefte besteht offenkundig darin, zum Dialog anzuregen – einen Anfang machen die linken Seiten der Hefte, auf denen die Inhalte der rechten Seiten reflektiert, kommentiert, interpretiert werden. Zu Heft 7/06: Zu Heft 8/06: Die durchdachte und sorgfältige Gestaltung, die Vielfalt der Beiträge, das Einbeziehen unterschiedlicher Kunstsparten, das Ansprechen wissenschaftlicher Konzepte und Diskurse und nicht zuletzt die lange Liste namhafter Künstler, Kulturschaffender, Intellektueller tragen dazu bei, dass Quart zurecht die Bezeichnung „Heft für Kultur Tirol“ trägt.
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Egon A. Prantl, Hellfart .2 Eines gleich vorweg: Ich bin eine Anhängerin kryptischer Literatur. Es bereitet mir Freude, ,Leerstellen’ aufzufüllen, in verwirrenden Satzkonstruktionen nach Ordnungen zu suchen, abstrusen Geschichten zu folgen und Bedeutungen in scheinbar Bedeutungslosem, Chaotischem zu entdecken. Insofern kommt mir Hellfart .2 sehr gelegen. „Hellfart .2 sind die fiktiven Tagebücher des F. Fart, der rauschhafte Bewusstseinsstrom eines Wahnsinnigen, der atemlos und anspielungsreich um Sex, Drogen, Musik und Gewalt kreist“. Dieser Satz ist auf dem Buchdeckel zu lesen, und er drückt im Wesentlichen den Inhalt aus. Ein Lob an denjenigen, der die 132 Seiten dermaßen auf den Punkt gebracht hat. „Rauschhaft“ ist der Text allemal. Das Verfahren des ,stream of consciousness’ wird hier auf die Spitze getrieben, ein Wort ergibt das andere, Assoziationen reihen sich wie Glieder einer Kette nahtlos aneinander, das dadurch entstehende Tempo ist tatsächlich ,atemlos’. Wie wahnsinnig F. Fart nun tatsächlich ist, kann so einfach nicht beantwortet werden. Unlogisch ist das Chaos paradoxerweise nicht. Aufgrund des Anspielungsreichtums kann man auf einen relativ hohen Bildungsgrad F. Farts schließen, der die antike Mythologie, allem voran Ödipus, sowie Historisches und breit gefächertes Allgemeinwissen in seinen Bewusstseinsstrom einflicht. Müde nach „FUN & RAVE & DRUGS“ geht F. Fart den Fluss (Inn) entlang und verliert sich in ausschweifenden Gedanken und Halluzinationen. Die „Festung Europa“ bereitet ihm Angst, er fühlt sich blind, wettert gegen die Schuldhaftigkeit der Kirche, unterhält sich mit Hofer und Ödipus, riskiert mit Medea eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, fällt trunken ins Gras, versucht, nicht vorzeitig in selbiges zu beißen. Von dieser Eröffnungsszene aus ergeht sich F. Fart in zahlreichen Anspielungen und Anschuldigungen, sein Denken ist geballte Wut, manchmal wohl auch Verzweiflung. Er fragt sich, was aus dem Zorn der 68er Generation geworden sei, ob die Revolution der politischen Korrektheit weichen musste. Trotz der bestsellerverdächtigen Themen (Sex, Drogen, Musik, Gewalt) bleibt sich Prantl treu. Gabriele Crepaz hat ihn einmal als „Nischenschreiber“ bezeichnet – auch Hellfart .2 ist ,Nischenliteratur’ für ,Nischenleser’, denn letztere werden sehr gefordert. Prantl tut (fast) alles, um es ihnen schwer zu machen: Satzzeichen (ergänzt durch Pfeile und verschiedenartige Klammern) stehen hinter den Leerzeichen, die Schriftarten wechseln; zu den optischen Erschwernissen kommt auch der Umstand, dass es so gut wie keine vollständigen Sätze gibt. Auch einen durchgehenden Text sucht man vergeblich: ,Haupttext’ und Einschübe bzw. Fragmente wechseln wild durcheinander. Doch das vermeintliche Chaos ist in einen Rhythmus gebettet, der sich bei lautem Lesen offenbart, der trägt, der dem Ganzen Zusammenhalt und Logik verleiht. Zudem zeigt sich eine wohl durchdachte Konstruktion, indem Prantl den antiken Stoffen Personen aus der Popkultur und Anspielungen auf typische Merkmale unserer Gesellschaft gegenüberstellt: Coca-Cola-Kultur, Aids, Zigarrenwerbung, MP3-Player usw. stehen wie in einer Collage, in der Zeit naturgemäß keine Rolle spielt, neben Odysseus, Medea, Hofer, Jesus. Die Ideen kreisen, Motive werden entwickelt, variiert, es gibt Spannungsbögen, die Gespräche von F. Fart, Ödipus und Hofer verschmelzen zu einer dramaturgischen Einheit. Der sprachliche Variantenreichtum sei anhand des schon im ersten Absatz auftretenden Leitgedankens dargestellt: „das Kind ,das ich war ,denkt F.“ - „UND DAS KIND ,DAS ICH WAR ,DENKT F.“ - „F. ,denkt der Mann in F. ,der F. heute ist ?wie aber war das damals ,denkt F. ,als er noch das Kind war ,das in mir ist ,oder der Junge ?“ -„30.06.01 22:08 !sagt der Mann in F. ,der ich bin“ usw. Thomas Oliver Niehaus, der Bühnenwerke von Prantl inszeniert hat, bezeichnet diese Art des Schreibens in seinem Nachwort als „wahnsinn mit methode“. Alles in diesem Buch werde „lustvoll miteinander verquirlt, hochkultur und trash, mythos und moderne“, bei Prantl stapelten sich bedeutungslos die „bildungsschrotthaufen“. Ob ich das Buch gern gelesen habe? Nein. Aber ich muss zugeben: Über diesen (gelungenen) Text nachzudenken, Verweisen nachzugehen, Zusammenhänge zu suchen und schlussendlich einige Zeilen darüber zu schreiben hatte einen Reiz – einen Reiz, der anhält, obwohl ich mich dagegen sträube. In einem Interview (TT vom 9.6.2004) sagte Prantl: „Ich bin zufrieden, wenn jemand Dinge in Frage stellt. Wenn er sagt: Ich will wissen, ob der Wahnsinnige, der das geschrieben hat, Recht hat. Ob Godot wirklich ein Radfahrer war, auf den Beckett gewartet hat. Oder wenn er nachschaut, ob Heidegger auf der Krim war, dann hab ich gewonnen.“ In diesem Sinne gönne ich Prantl seinen Sieg (über mich) aus vollem Herzen. |
Hans Haid, töet vöer dr töet keemen ischt. Mitte Dezember des vergangenen Jahres stand im Internet auf Tirol.com zu lesen: „Hans Haid hat die Nase vom Ötztal voll – präziser gesagt: von den Protagonisten des Tales. Der Literat und Rebell zieht sich zurück – und rechnet ab.“ Zurückziehen wolle er sich zwar aus seinen „öffentlichen Funktionen“, nicht aber vom Schreiben. Mit töet vöer dr töet keemen ischt tritt der Volkskundler, Dichter und Bergbauer wieder mit einem Lyrikband in Erscheinung, schöpft dabei die Bandbreite ,seiner’ Themen aus, rechnet ab – beleuchtet die Befindlichkeit des Menschen aber auch von unpolitischer, dafür umso poetischerer Seite. Tot, bevor der Tod gekommen ist. Will man den Ötztaler, genauer gesagt, den Längenfelder Dialekt ins Schriftdeutsche übersetzen, wird man sich sofort der Unzulänglichkeit der Übersetzung bewusst – um so mehr, wenn es sich beim zu Übertragenden um Lyrik handelt. Denn speziell der Ötztaler Dialekt hat eine musikalische Qualität, die noch die einfachsten Wörter zum Klingen bringt. Hans Haids Lyrik lebt von diesen einfachen Wörtern, oder besser, vom Zusammenklang des Einfachen. Was schriftsprachlich fast unmöglich wäre, nämlich ein Gedicht mit den Worten/ Versen „wieder/ wieder/ eisplatte/ eis/ sachen/ sternlein“ beginnen zu lassen, hört sich im Dialekt ganz wunderbar an: „wiidr/ wiidr/ schlenz/ golla/ eis/ sachelen/ schtearnlen“. Über das Gehör Zugang zu Hans Haids Lyrik zu bekommen ermöglicht die vom Verlag beigelegte CD. Gut dreizehn Minuten lag kann man eintauchen in den besonderen Dialekt, etwa gleich lang ist ein anschließendes Gespräch mit Martin Sailer (beides Ausschnitte aus einer Rundfunksendung des ORF-Radio Tirol vom 14.4.2005). Im Interview bezeichnet Haid seine Lyrik unter anderem als „Litanei“, „Predigt“, „Psalm“, aber auch als „Apokalypse“. In diese Formen gießt er die Themen, für die man ihn kennt: Lawinen, Tourismus, erstarrten Katholizismus, Gletscher, das harte Leben in den Bergen. Doch Lyrik, sagt er, soll auch „Poesie im reinsten Sinn“ sein. Und die findet sich im vorliegenden Band. Der promovierte Volkskundler, der naturgemäß auch im Schriftdeutschen zuhause ist, dichtet fast ausschließlich im Dialekt, seiner „Herzenssprache“. Einer Herzenssprache, die freilich von Außenstehenden nur schwer zu verstehen ist. Aus diesem Grund findet sich eine optisch zurückhaltende, Fußnoten gleiche Übertragung ins Schriftdeutsche unter jedem Gedicht, einiges wurde auch kommentiert. Nur „lagebericht alpen I“, „sklavenjäger“ (mit Ausnahme der letzten beiden Verse) und „grausamer sonnenuntergang“ sind bereits im Schriftdeutschen entstanden – gemeinsam ist diesen Gedichten die Intention: Hier tritt Haid ganz deutlich für die „gemolkenen Dreitausender“ ein, verteidigt die Berge, die Gletscher, das Tal. Auch Mischformen gibt es, beispielsweise „gletscherwelt & eis in porno alpin“ oder „sieben mal sieben...“, wo sich sich die ,Sprachen’ strophenweise abwechseln, wenn Hans Haid die Ausbrüche des Venagtfernersees und deren Deutung als Strafe für die Sünden ver-dichtet. Als „klangvolle Poesie vom Leben und Sterben in den Bergen“ bezeichnet der Verlag diesen Lyrikband – dem ist nichts hinzuzufügen. |
C. H. Huber, Kurze Schnitte. Eine Schere als ambivalentes Symbol für kreative Gestaltung und Verletzung – beides klingt im gelungenen Titelbild an, auf dem die Spitze einer Schere in glänzenden Gitterstoff sticht. Kurze Schnitte heißt die Sammlung von 29 Texten: Ausschnitte aus dem Alltag, Teile von Gesprächen, Einschnitte im Leben werden aus verschiedenen Perspektiven, in verschiedenen Tonfällen und mit variierenden sprachlichen Mitteln eingefangen und den Lesern präsentiert. Die Innsbruckerin C. H. Huber erprobt in ihrem nunmehr dritten Buch nach dem Erzählband unter tag (1999) und der Lyriksammlung gedankenhorden (2000) ganz verschiedenartige Möglichkeiten des Schreibens: „Nicht zu Unrecht mit Kurze Schnitte betitelt“, schreibt Christoph W. Bauer auf der Rückseite dieses schön gestalteten Buches, „führt einen diese Prosa, voll mit überraschenden Wendungen, lesend durch die vielen inhaltlichen und sprachlichen Register einer Autorin, die bei aller Spracharbeit nie auf das zweite Standbein eines gelungenen Textes verzichtet: Emotionalität.“ Emotional sind die Texte in der Tat: Wut auf plakatierte Schönheiten, Kritik an „rücksichtsloser Gewinnmaximierung“, aber auch Freude über einen blauen Himmel und ein wogendes Meer in der Bauchhöhle sind Themen der Kurzen Schnitte. Besonders schön ist die Geschichte „Laura liest“, denn hier wird ohne Anflug von Kitsch ein Bild der Idylle gemalt, einer Idylle allerdings, die hart erkämpft ist. Auf ihrer Terrasse findet Laura ihr Paradies, stellt sich den Himmel als Bibliothek und ihren Körper als Bienenstock vor, hört Chris Rea und liest Marlen Haushofer. Das alles unter einem blauen Himmel, vom warmen Föhn umspielt. Kleines, gemütliches Glück – das sich auch nicht von missgünstigen Bekannten stören lässt. Scheinbar Unbedeutendes schätzen zu können ist auch Thema des viel leichtfüßigeren Textes „Die Wunderbaren“, eine Liebeserklärung an Erdäpfel: „Ich liebe diese Damen. Diese unterschiedlich geformten mit den schönen Namen. Die ich sträflicherweise immer wieder vergesse.“ In manchen Passagen dieser ,kritischen’ Texte wie auch in einigen Dialogen stellt sich freilich die Frage der Glaubwürdigkeit. Einiges wirkt ziemlich aufgesetzt, manchmal wird eine erzwungen wirkende aufklärerische Haltung über das Aufnahmevermögen eines Textes gestellt (was sich beispielsweise in inhaltlich überladenen Dialogen widerspiegelt, vgl. „Zwischen Tür und Angel“). Den erhobenen Zeigefinger hat die Autorin eigentlich nicht nötig – gerade die versteckten, ,stillen’ Botschaften sind es, die letztendlich hängen bleiben. Zwei große Themen, die C. H. Huber immer wieder aufgreift, sind die Liebe (ihr Aufblühen, ihr Vorhandensein, aber auch der Mangel daran) und der Unterschied zwischen Mann und Frau, der häufig (noch) zum Nachteil der Frauen ist. Trotz scheinbarer Überwindung von Oberflächlichkeiten und der Emanzipation im 21. Jahrhundert fixiert der Mann im Text „Sonntagsmesse“ entgegen seinen verbalen Beteuerungen letztendlich doch die hübschen Formen einer Zeitschriftenschönheit und wird der oben erwähnten lesenden Laura „mindestens“ ein Liebhaber unterstellt – anders scheint ihr familienloser Aufenthalt im einsamen Atelier nicht erklärbar. „Traurig, die mangelnde Solidarität unter den Frauen!“ – eine seufzende Feststellung, die sich durch mehrere Texte zieht. Auch Enttäuschung und Schmerz spart Huber in ihren Kurzen Schnitten nicht aus. Statt Zuneigung Entfremdung, statt Liebe Verletzung, statt Offenheit Hintergehung: Ganz harmlos beginnt etwa der gelungene Text „Handschriften“: „Papier färbt sich. Ein kleiner See entsteht. Seine unregelmäßigen Ufer verlaufen, wenn er das Blatt schräg hält. Finger, eine dunkle Hand bildet die verschüttete Tusche.“ Nicht aus Tusche sind die Abdrücke, die sich auf der Haut der jungen Frau finden. Und die Mutter meint nur lapidar, dass jeder seine Fehler habe ... Mit Überlegungen zum „Gegenwind“, der in der heutigen Zeit weht, schließt der Band. Gemütlich im Gras liegt ein Freizeitläufer und schaut in den blauen Himmel. Aber es ziehen Wölkchen auf und mit ihnen Bilder von Arbeitslosigkeit, Autoabgasen, und ihn beschleicht die Angst, dass vielleicht „die Zeichen bald wieder auf Sturm stehen“. Noch kann er laufen, in teurer Bekleidung und mit kräftigen Muskeln – und darauf hoffen, dass sein Leben keinen Schnitt erfährt...
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Beatrice Simonsen (Hg.), Grenzräume. Eine literarische Landkarte Südtirols. „Hier stoßen zwei Kulturen aufeinander, die sich an ihrer Vergangenheit abarbeiten“, heißt es im Klappentext. Ist ,Südtiroler Literatur’ Literatur, die Südtiroler Geschichte und Politik thematisiert? Oft hat man den Eindruck, als gelte nur das als südtirolerisch, was sich mit der konfliktträchtigen Vergangenheit des Landes beschäftigt. Doch häufig wird übersehen, dass nicht nur die neue Autorengeneration (die in dieser Anthologie auch berücksichtigt wird) mit Themen aufwartet, die sich völlig losgelöst haben aus dem regionalen Kontext, sondern dass sich auch ein Joseph Zoderer mit überregionalen Themen beschäftigt hat und dass es einen Oswald Egger gibt, der unbegreiflicherweise in dieser Anthologie fehlt. Obwohl, dazu später mehr, in einigen Beiträgen auf die Themenvielfalt der Südtiroler Literatur verwiesen wird, hinterlässt dieses Buch einen schalen Nachgeschmack: „Für alle gemeinsam liegen die Wurzeln ihres Schreibens in dieser Heimat, mit der man sich kritisch auseinander setzt“, schreibt die Herausgeberin ziemlich unkritisch in ihrem Nachwort. Zweifelsohne ist ein großer Teil der Südtiroler Literatur exemplarisch für eine Art des Schreibens, die sich aus der speziellen Geschichte des Landes speist. Politische und historische Ereignisse dringen vielleicht mehr als anderswo, vor allem aber besonders hartnäckig und mit weit reichender Konsequenz, ins private Umfeld ein. Die Folgen des Ersten Weltkriegs, die Option, die Attentate der sechziger Jahre sind explizite Themen vieler Texte. Aber vor allem indirekt, auf dem Weg über private, familiäre Schicksale stoßen Autorinnen und Autoren immer wieder auf die problematische Geschichte Südtirols. Letztendlich manifestiert sich das Politische in der wiederkehrenden, weil immer noch aktuellen Frage nach Heimat und Identität – und diese Frage lässt sich ablösen als etwas, das auch außerhalb der Region von Interesse ist. Insofern hat Beatrice Simonsen gut gewählt, als sie nach einem Beispiel für die Literatur eines „Grenzraums“ suchte. Sehr forciert hingegen ist die Herstellung eines Europabezugs: „Politische Grenzen werden aufgelöst“, schreibt sie. „Durch die Erweiterung Europas in Richtung Osten kommt den veränderten Grenzräumen neue Bedeutung zu.“ Simonsen räumt zwar selbst ein, dass ein „direkter Vergleich nicht möglich“ sei – doch würde ich meinen, dass die Situation in Südtirol bei allem Bemühen nun wirklich nichts mit der EU-Osterweiterung zu tun hat... In dieser Anthologie sind sowohl literarische Texte als auch literaturwissenschaftliche Analysen und allgemein-theoretische Überlegungen zur Sprache und Literatur Südtirols versammelt (wobei der Untertitel eine rein literarische Anthologie suggeriert). Das Nebeneinander verschiedener Textsorten ist etwas ungewöhnlich, aber schlüssig – dem Buch als Ganzem jedoch fehlt es an einem Fokus. Das Konzept, die Intention bleiben vage, nicht zuletzt deswegen, weil eine fundierte Einleitung fehlt und Beatrice Simonsens „Ausblicke“ ein Fazit vermissen lassen. „Aus dem Blickwinkel aller hier zusammenlebenden Sprachgruppen“, so ihr Schlusssatz, „erfährt man von der Wirklichkeit eines vielschichtigen Grenzraumes, eingeschrieben auf einer differenzierten literarischen Landkarte.“ Stellt sich die Frage: Was ist die „Wirklichkeit“? Wie sieht es nun tatsächlich aus mit der Entwicklung, mit Tendenzen in der Südtiroler Literatur? Die einzelnen Beiträge hingegen erlauben tatsächlich „Einblicke“ und „Ausblicke“. Die interne Ordnung, will heißen, die Gegenüberstellung von literarischen Texten und literaturwissenschaftlichen Analysen bzw. essayistischen und literaturgeschichtlichen Betrachtungen, geht auf. Der zweite Block ist Herbert Rosendorfer und Joseph Zoderer gewidmet. Leider fehlt hier ein analytischer Text, was die Ausgewogenheit des Konzepts beeinträchtigt und den Eindruck einer recht willkürlichen Zusammenstellung der Texte verstärkt. Während Rosendorfers Originalbeitrag „Bekenntnisse eines Angekommenen“ rein in der Erinnerung an die familiäre Situation zur Zeit der Option verharrt, wird am Ausschnitt aus Wir gingen deutlich, welche literarische Qualität Zoderers hohen Bekanntheitsgrad auch über die Grenzen hinaus begründet. Mit Helene Flöss und Sepp Mall folgen zwei jüngere Autoren, die in Löwen im Holz (2004) und Wundränder (2004) anhand persönlicher Schicksale, zerbrochener Familien, traumatisierter Menschen die Auswirkungen der Geschichte auf die Südtiroler Bevölkerung aufgreifen. Diese Texte spielen in der ,Provinz’ – dass ein Schauplatz in der Provinz nichts mit provinzieller Literatur zu tun haben muss, legt die vielseitig gebildete Journalistin Nina Schröder in ihrem Beitrag „Nichts Neues im Land der ,Walschen’“ eindrucksvoll dar. „Je kleiner die Region, umso stärker die Sehnsucht nach Aufbruch“, schreibt Wendelin Schmidt-Dengler in seiner Betrachtung über eine lyrische Gegenüberstellung der besonderen Art: Norbert C. Kaser und Gerhard Kofler teilen sich eine „fruchtbare Ausgangssituation“, die sich in der Unmöglichkeit äußert, „[i]hre Pointe, die das Fragile und Bizarre dieses Schreibens in einem zweisprachigen Gebiet umfasst“, auf Deutsch wiederzugeben. Er konstatiert den Gedichten der beiden Autoren ein von der Literaturkritik und Vergleichenden Literaturwissenschaft erst zu entdeckendes Potential und sieht in der poetischen Umsetzung der Zweisprachigkeit die Möglichkeit einer endgültigen Überwindung „nationalliterarischer Enge“. Anita Pichler (hier mit Haga Zussa. Die Zaunreiterin, 1986 bzw. 2004), Sabine Gruber (mit Aushäusige, 1996) und Maria Elisabeth Brunner (mit Berge Meere Menschen, 2004) sind für Karin Dalla Torre, Publizistin und Leiterin der Dokumentationsstelle für neuere Südtiroler Literatur, drei Autorinnen, in deren Erstlingswerken das Sehnsuchtsmoment bestimmend ist und die sich über das „sperrige Erbstück“ ihrer Heimat hinwegsetzen, indem sie nach neuen Perspektiven und neuen Orten suchen. Dalla Torre setzt die Texte in Beziehung zur Lyrik Maria Ditha Santifallers, die 1904 in Kastelruth geboren wurde, in Weltstädten wie u.a. London, Paris, Wien und Buenos Aires lebte und anhand derer Gedichte „erste Konturen des Sehnsuchtmotivs“ nachgezeichnet werden können. Um eine Sehnsucht der anderen Art geht es im Text von Rut Bernardi und im Reise-Essay von Karl-Markus Gauß. Letzterer passt thematisch zwar höchstens am Rande zu dieser Anthologie (es geht um den Untergang der zimbrischen Sprache), doch er besticht durch interessante Fakten und die gewohnt hohe sprachliche Qualität. Rut Bernardi schreibt über das Ladinische, in einer leider weniger gelungenen Mischung aus Erfahrungsbericht und (wissenschaftlichem) Aufsatz. In beiden Fällen geht es um aussterbende Sprachen, wobei das Zimbrische bereits in Wörterbüchern ,konserviert’ wurde, das Ladinische noch ums Überleben kämpft. Mit einer Verbreitung von ca. 26% (Ladinisch etwa 4%) macht die italienische Sprachgruppe immerhin ein Viertel der Bevölkerung aus. Dem trägt die Anthologie Rechnung, indem auch italienische Beiträge aufgenommen wurden (die ins Deutsche übersetzt sind – allerdings gibt es keine italienische Übersetzung der deutschen Texte ...). Der skurrile Text von Alessandro Banda, „I treni da e per Meridiano“/ „Die Züge von und nach Meridiano“ ist seinem 2005 erschienen Buch La città dove le donne dicono di no entnommen und steht stellvertretend für die italienische Literatur aus Südtirol. Es folgen ein literaturgeschichtlicher Überblick von Carlo Romeo und ein Essay über die Situation des Schreibens von Paolo Valente. Man müsste viel weiter ausholen, um italienisch- und deutschsprachige Literatur aus Südtirol einigermaßen umfassend zueinander in Beziehung setzen zu können. Doch wird auf den wenigen Seiten klar, dass Begriffe wie ,Minderheit’, ,Heimat’ und ,Identität’ auch für italienischsprechende Autorinnen und Autoren von Bedeutung sind. Der letzte Block dieses Buches ist der jungen Schriftstellergeneration gewidmet, die hier von Bettina Galvagni und Martin Pichler vertreten wird. Beide Texte verschließen sich einer historisch-politischen Deutung. Sie haben ihren Ursprung, wie Johann Holzner in seinen „Notizen“ darlegt, in der Autobiografie und führen von der persönlichen Erfahrung geradewegs ins Fiktionale: „Texte, die aus der Autobiografie heraus in die Fiktion hinein führen und also ein weites Feld von Beobachtungsmöglichkeiten öffnen, sträuben sich gegen jede Festlegung, die sie rigoros einzuengen, zum Beispiel auch zurückzufinden versucht an den Raum ihrer Herkunft.“ Losgelöst vom heimatlichen Raum, sich die Freiheit nehmend, über die Heimat zu schreiben oder auch nicht, in der Tradition zu bleiben, gegen sie anzuschreiben oder sie gar nicht erst zu beachten ... eine neue, vielleicht freiere Autorengeneration ist da, zweifelsohne. Was empfiehlt man in diesem Fall nun als Rezensentin? Ich würde sagen, dass sich das Lesen dieses Buches trotz der unübersehbaren konzeptuellen Schwäche lohnt. Man wird Ausschnitte guter bereits publizierter Texte und interessante Originalbeiträge finden – doch sollte man das Buch keinesfalls unreflektiert lesen oder gar als objektiven und repräsentativen Querschnitt durch die Südtiroler Literatur ansehen. Denn bei all den interessanten Einblicken, die diese Anthologie gewährt, bei allem Bemühen um die Gegenüberstellung verschiedener Perspektiven gelingt es hier nicht, eine „Landkarte“ zu zeichnen – dazu ist der Blick zu unscharf, der auf die Literatur dieses „Grenzraums“ geworfen wird.
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Raoul Schrott, Handbuch der Wolkenputzerei. Ein Buch, unverzichtbar für Schrott-Leser: anregend, erhellend, originell sind die hier versammelten "Schriften, Reden und Pamphlete" (S. 13). Gewusstes und Erdachtes können getrost nebeneinander stehen und miteinander verbunden werden, die ganze Palette seiner Interessen kann Schrott ausbreiten, ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, er vermische Fakten und Fiktion auf undurchsichtige und ungehörige Weise, wie es in Kritiken vor allem zu seinem großen Roman Tristan da Cunha" der Fall war.
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Martin Pichler, Nachtreise. Schon in Pichlers Erstlingsroman Lunaspina waren autobiographische Bezüge klar erkenntlich, blieben jedoch stets dem literarischen Konstrukt untergeordnet. Der nun erschienene autobiographische Text Nachtreise, dessen zentrales Thema der Krebstod der Mutter des Autors ist, beginnt da, wo der Roman aufgehört hat, die autobiographischen Schatten aus Lunaspina treten gleichsam hinter den Romanfiguren hervor und werden beim Namen genannt - und doch ist der Text mehr als ein bloßes Nacherzählen der eigenen Vergangenheit. Er ist immer wieder an den Roman zurückgebunden, sei es durch Themen, durch einzelne Wörter oder durch ganze Formulierungen. An dieser Stelle sei auch die Umschlaggestaltung von Benno Peter erwähnt: kein Bild könnte die Essenz des Buches besser zum Ausdruck bringen als die zu einem Zopf geflochtenen Stränge frischen und getrockneten Grases. |