Bernhard Aichner, Schnee kommt
Innsbruck: Skarabaeus 2009
Schnee kommt. Um eine Ankündigung handelt es sich im neuen Roman von Bernhard Aichner nicht. Schon nach einem kurzen Auftakt beginnt es unentwegt – und bis über den Buchrand hinaus - zu schneien. Der Schneefall tritt unerwartet ein und bringt einen der zahlreichen Unfälle mit sich: Valentin würde die herumtanzenden Flocken am liebsten mit seinem LKW überrollen und kaputtmachen, weil ihr Glücksversprechen für ihn nach dem Tod seiner Freundin unglaubwürdig geworden ist. Ihr makabrer Unfall erinnert an so manche Anekdote über den tödlichen Überschwang kindlicher Umarmungen, denen ein geliebtes Haustier zum Opfer fällt. Diese Bilder beständig vor Augen kommt Valentin unmittelbar vor einem Tunnel ins Schleudern. Dadurch kann sich das nächste Glied zu einer fortlaufenden Verkettung von Unglücksfällen fügen und ein Spiel mit Versatzstücken bekannter Episodenfilme und filmischer und literarischer Unfälle in Gang bringen.
Der Ausnahmezustand, in den sich die paarweise gruppierten Figuren versetzt sehen, spitzt folglich auch in diesem Episodenroman Situationen zu und bietet schnelle Lösungen an, sodass Illusionen, abgelebte Lebensmuster und -gewohnheiten oder unbequem gewordene Liebhaber beinahe mühelos abgestreift oder zurückgelassen werden. Daneben wimmelt es nur so von Hilfsunwilligen - tatkräftige Hilfe findet sich nur, wenn es um Spurenverwischung beziehungsweise die Tarnung einer Gewalttat als Unfall geht. Der Schnee tut das Übrige. Mit ihm stellen sich schließlich auch wieder Assoziationen ein, die – wie es scheint, beinahe ohne ihre symbolische Macht einzubüßen - insbesondere in den Momentaufnahmen der neu gruppierten Pärchen Neuanfang, Geborgenheit, Spiel und Spaß versprechen.
Beim Lesen dagegen vermag nicht allein der symbolträchtige Schnee in all seiner Plastizität Spuren zu hinterlassen und zu sichern. Eines der besonders eindrücklichen, auf die visuelle Vorstellungskraft wirkenden Bilder bietet Bertram, den die Nichtauffindbarkeit seiner Prothese nicht davon abhalten kann, mit Uschi zu verreisen: „Er spielte die Hauptrolle in diesem Horrorfilm, er war der mit dem Loch im Gesicht. Der Mann ohne Nase.“
Eine wiederkehrende, mitunter irritierende, das Tempo herunterschraubende und die Konturen fast ein wenig ausfransende stilistische Eigenheit Aichners könnte bei näherer Betrachtung ein viel versprechender Ansatz sein: Wirkt doch so manche Passage, als wenn sie sich aus unmittelbar aufeinander folgenden Einzelaufnahmen zusammensetzen würde, deren minimale Unterschiede feine Abweichungen und einen leichten Verzerrungseffekt ergeben. „Die Fahrbahn wurde weiß, alles war still, nur das Surren der Neonröhren. Er öffnete das Fenster und hörte zu, wie sie fielen, lautlos fast, nur ein leises, dumpfes Geräusch, wenn sie im Weiß eintauchen. Kaum hörbar, wie Bewegungen in Watte. Flocken, die ankamen mitten in der Nacht. Nur er und der Schnee. [...] Nur diese Flocken im Scheinwerferlicht, wie sie durch die Luft wirbelten, so viele, unkontrolliert, unzählbar.“ Permanente Annäherungen anstelle eines fertigen Bildes.
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