Rezensionen von Sylvia Tschörner
- Otto Licha, Geiger [Nov. 2008]
- Egon A. Prantl, Hirntod: Ein Stück in vier Bildern [Jan. 2003]
- Hubert Flattinger, Walt [Dez. 2002]
- Hubert Flattinger, Höhenangst [Dez. 2002]
Erika Wimmer, Schund. Farce in 8 Szenen mit einem Epilog. Die Uraufführung des Wimmer-Stücks Schund ging mit einem Protest der Autorin gegen massive Regie-Eingriffe in ihr Werk und mit einigem Presse-Echo einher. Nun ist es nicht die Aufgabe dieses Forums für oder gegen Gebräuche des Regietheaters Stellung zu nehmen. Hingewiesen sollte jedoch vielleicht im Rahmen der Besprechung eines Dramas, das vor allem durch Unstimmigkeiten wegen seiner Umsetzung Schlagzeilen gemacht hat, auf den Umstand, daß die Copyright-Frage von Theaterstücken in Österreich ungenügend geregelt ist. Wimmers Farce Schund handelt von zwei Pensionisten. Herta hat nach dem Tod von Maxens Frau Hella, die Rolle einer Hausangestellten übernommen. Dafür wird sie bezahlt, sie steht aber auch für gelegentlichen Sex zur Verfügung. Die beiden erinnern ein wenig an Werner Schwabs grausliche Kleinbürger: sie sprechen wie dessen Figuren eine Kunstsprache – ein Hochdeutsch, das mit dialektalen Wendungen, Sprichwörtern und Versatzstücken aus der Mediensprache durchsetzt ist. Auch der Racheplan, den Herta mit Maxens verstorbener Frau ausgeheckt hat, entspricht der Boshaftigkeit der Figuren dieses Dramatikers: Hella hat Herta vor ihrem Tod ihre Wohnung überschrieben; ihr Ehemann wird zehn Jahre lang im Glauben gehalten, sie gehöre ihm, und an seinem 70sten Geburtstag, als er erwartungsgemäß so hinfällig ist, daß kein massiver Widerstand mehr von ihm zu erwarten ist, ins Altersheim abgeschoben. |
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Egon A. Prantl, Hirntod: Ein Stück in vier Bildern. Innsbruck: Skarabaeus, 2001, 92 Seiten. Uraufführung: Dezember 2000 im Schauspielhaus Wien, Regie: Fishy Wurm. Dem Duden (1996) zufolge bezeichnet der Begriff „Hirntod“ den "Zeitpunkt endgültigen und vollständigen Erlöschens der lebensnotwendigen Gehirnfunktionen". Egon A. Prantl verwendet das Titelwort seines Stück in vier Bildern jedoch ausschließlich in der Bedeutung „verrückt und verbohrt“, (18, 42) als Steigerung von „hirnkrank“. So übersetzte Dorothea Tieck „brainsickly“ in „Macbeth“ II, 2. Wir werden auf Shakespeares Tragödie zurückkommen. Der Plot von „Hirntod“ benutzt die Handlung von Goethes Faust als Folie: Das erste Bild zeigt den Protagonisten Bürger in seiner Studierstube über philosophischen Problemen brütend. Wie Faust unterbricht er seine Arbeit an einem „Opus magnum“ - in seinem Fall, einem Werk über die Gewalt - um sich ins Leben zu stürzen: Hubsls Kneipe, in der er landet, entspricht Auerbachs Keller; die philosophierende Nutte Krista korrespondiert mit den Walpurgisnacht-Hexen, Margarethe (deren Begegnung mit Faust in Bild 2 (S. 47) verfremdet zitiert wird) und Helena; Bürgers Versäumnis, Krista gegen ihre Vergewaltiger beizustehen, spiegelt Fausts Unterlassungssünde in der Gretchentragödie, die Ermordung von Tom & Jerry jene Valentins. Anlässe zur Entstehung des Dramas waren die Erfahrung, was eine Waffe in der eigenen Hand bewirkt, die der Dramatiker 1967 während seines Präsenzdiensts an der Brennergrenze machte, (Internet) und wohl auch die regelmäßig aufflammende Diskussion um privaten Waffenbesitz. Der Name des Protagonisten – Bürger - kann angesichts der Selbst-Inszenierung des Autors als Bürger-Schreck nur negativ belegt sein. Prantl beschreibt ihn mit einem Nietzsche Assoziationen beschwörenden Oxymoron: "Philosoph; wahnsinnig", folgert widersprüchlich: "und deshalb normal" und stellt die Aussage insgesamt durch ein "oder?" (S. 3) in Frage. Kristas Berufsbezeichnung, "Schöne der Nacht", wandelt den Filmtitel „Belle du jour“ teilweise ab. Tom & Jerry sind Gewalttäter und keine Antagonisten und Komplementärfiguren wie im Comic. All das zeigt Prantls Vergnügen an logischen Spielereien und rhetorischen Figuren (siehe auch die Lehrveranstaltung über Lewis Carroll's „Alice“-Erzählungen in seinem Curriculum) und legt nahe, daß das Drama in keiner konsequent verkehrten Gegenwelt spielt, sondern in einer, in der Aussagen generell zu hinterfragen sind. Sicherlich deckt sich vieles in den bernhard-artigen Tiraden von Prantls Antihelden mit Meinungen des Autors, ebenso wie sein Kulturpessimismus, der in der Dichotomie „Zivilisation“ (oft in der US Bedeutung des Wortes) – „Wildnis“ fußt, wobei der Autor diesen Begriff synonym für ein geographisches Outback, die Welt der Gesetzlosen, des Wahnsinns und des kreativen furor verwendet. Auch sind offenbar beide "wollüstig entsetzt über diese Seltsamkeit der Faszination / welche die Angst und die Gewalt einerseits / und diese Macht welche nur die Waffe verleiht / andererseits / auf [sie] ausüben". (S. 76. Siehe auch 67, 79, 80) Reduktionistisch erscheint Bürgers Deutung des Phänomens der Gewalt als alleinige Ursache und Folge der genannten Missstände. Der Zusammenhang zwischen Aggression und Gewalt ist in „Hirntod“ kein Thema. Das Wort Aggression kommt im Stück ein einziges Mal, und zwar in der Bedeutung „Aggressionsakt“ vor: "Die Waffe [...] [e]ine [...] Verstärkung [...] und Absicherung seiner Aggression" (S. 41). Der vernachlässigten anthropologischen Sichtweise kommt zwar die in der Tradition von Thomas Hobbes' "homo homini lupus" stehende Feststellung: "Der menschlichste Mensch ist die Brutalität an sich / Die wahre Bestie". (S. 8) nahe. Ein solcher Pessimismus erscheint jedoch im Licht moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht gerechtfertigt: Aggressivität ist angeboren, weil sie im Lauf der Stammesgeschichte einen Selektionsvorteil bedeutete. Die Bereitschaft zur Verteidigung des Territoriums, des Sexualpartners, der Brut und des eigenen Ranges, in Kombination mit ebenfalls angeborenen moralanalogen Verhaltensweisen (Beschwichtigungs-Mechanismen, Ritualen), erwiesen sich als arterhaltend, was sich in unserer positiven Bewertung solchen Verhaltens niederschlägt: Wir können nicht billigen, daß Bürger weder seinen Platz an der Theke, seine Zigaretten und sein Glas, noch Krista, noch seine Würde gegen die Aggressoren verteidigt. (S. 59- 73) Die heute viel beklagte Zunahme der Gewaltbereitschaft ist eine Folge davon, daß die genannten aggressionsabbauenden Verhaltensweisen in unserer multikulturellen, multimedialen Gesellschaft außer Kraft gesetzt werden, in der sich unser Herdentrieb, die Bereitschaft, uns charismatischen Führern zu unterwerfen, unsere Anfälligkeit für "Werte" und Feindbilder, Demagogie, mitreißende Musik, Rhythmus etc. verhängnisvoll auswirken. Ebenso setzen Schusswaffen - um auf „Hirntod“ zurückzukommen – die dem Menschen angeborene Tötungshemmung herab. Es ist leichter, jemand zu erschießen, als zu erschlagen oder gar zu erwürgen. (Lorenz 1963) Dass Bürger, ungeachtet seiner ähnlichen ideologischen Ausrichtung, nicht einfach als Sprachrohr des Autors betrachtet werden darf, legen seine sprachlichen Manierismen nahe. Sein unsäglicher Fachjargon, seine Phrasendrescherei ("Der reine Geist mein Freund / Er ist nicht fähig zu morden". S. 36), sein philosophischer Synkretismus im schlimmsten Sinn des Wortes, seine Eitelkeit (" Ich weiß viel über die Gewalt meine Herren / Das kann ich ohne Übertreibung behaupten". S. 59), sein Mangel an Authentizität (Der Erwerb einer Waffe erscheint ihm "notwendig für ein Mehrwissen über die Gewalt". S. 21) und Zivilcourage machen aus ihm eine Intellektuellenkarikatur in der Art des Dottore der Commedia dell'arte, mit dem er die Loghorrhöe und den Hang zu Syllogismen teilt, die dem modus ponens Hohn sprechen: Er dreht die Kausalität um: "die Unabänderlichkeit der Entscheidung [Entscheidung wird "als Aufhebung des Problems" (S. 54) definiert] / hängt nicht vom Willen ab / [...] / Sie wird Dir aufgezwungen" (S. 53) und verletzt das Identitätsprinzip (A=A), jenes der Nichtwidersprüchlichkeit (A ist nicht ungleich A) und das des ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) mit unzulässigen Gleichsetzungen ("Und Spiel ist Kampf / und Kampf ist Krieg / Und Krieg ist Mord". S. 40) – die allerdings ästhetisch ansprechen. Problematisch wird Bürgers Anti-Logik jedoch, wenn er sagt: "Von diesen Genoziden will ich nicht reden / Nicht das Denken belasten im Mich mich nicht verrennen / durch MillionenMorde" und im Umkehrschluß - wie Rudi Dutschke, Jürgen Habermas (Mitt. eap) oder Bruno Bettelheim folgert: "Es gibt keinen Unschuldigen im Sinne der GewaltsThese im Heute im Rund-um-Uns / [...] / Im Mich ist genauso viel Schuld wie im Dir". (S. 52, siehe auch 51) Bürger kantet und schopenhauert ("an sich"), hegelt ("Es ist unmöglich von draußen die Situation der Gewalt im Herinnen zu bekämpfen" (S. 44). Schlußsatz „Philosophie des Rechts“. Mitt. eap) und heideggert ("Sprich nicht die Rede im Augenblick" (S. 33) Siehe „Sein und Zeit“). Er zitiert Nietzsche (S. 78-79) und Trotzki (S. 48. Mitt. eap) und wärmt philosophische Probleme wie die Willensfreiheit (S. 52, 53), Gottesbeweise (S. 53,55) und die Trinität (S. 85) auf. Er verschränkt pervertierten Gödel und verdrehten Archimedes: "Wir wissen allerdings auch / daß in jedem System / und die jetztzeitige Gewalt ist ein solches / es den einen Punkt gibt der sich aus diesem Gewaltsystem nicht erklären läßt / Die Konsequenz wäre also die Erkundung dieses Punktes / einerseits / sowie die Eliminierung des Systems durch diesen Punkt / andrerseits" (S. 31) und badet in den Leiden der Hypothesen-Falsifikation: "Bis dann ein DenkProzeß oder eben ein völlig neuer Gedanke / unsere Arbeit von Jahren sozusagen über den Haufen wirft / schweigt / Dann gilt es unseren Schmerz / unseren Gehirnschmerz insofern zu bekämpfen / indem wir eine neue dem Gedanken vorgegebene Richtung einschlagen / und alles bisher Gedachte hinter uns lassen / trinkt / Es ist das bittere Los von uns Gedankenmenschen / die Niederlage nicht einfach zu akzeptieren / Nein wir müssen sie leben". (S. 38) Man könnte es schließlich auch so sehen, daß es "für den Forscher ein guter Morgensport [sei], täglich vor dem Frühstück eine Lieblingshypothese einzustampfen". (Lorenz 1963, 20) Dass der Autor nicht hinter diesem zum Selbstzweck verkommenen Philosophieren steht, zeigen amüsante Repliken, wie z.B. auf den folgenden Syllogismus, dessen erste Prämisse Mensch=Gewalttäter ist, was nicht unbedingt für Bürgers sprachkritische Haltung spricht: Bürger: Denn wenn der Mensch [...] ein Unmensch also ein NichtMensch wäre Dann wäre er nicht zur Gewalt fähig [...] Krista: Der Umtrunk hat uns in seiner Gewalt Hubsl: Eine Form der Gewalt die mir das Überleben sichert (S. 29) Die idealistische Tendenz, das Geistige für wirklicher zu halten als die reale Wirklichkeit – Bürger erklärt die Waffe zu einer "Nur-Manifestation des Geistes" (S. 20) und meint: "Für unsereinen [...] ist die Waffe der verlängerte Gedanke" (S. 42) - steigert sich im Lauf des Stücks zu einem Wahn, der die Katastrophe herbeiführt. Er erklärt Kristas Vergewaltigung, die er mit angesehen hat, ebenso für "nicht wahr" (S. 73) wie den an diesem Punkt des Geschehens sinnlos gewordenen Mord. Im Schlussmonolog, in den Textpassagen der Lady Macbeth eingearbeitet sind, unterscheidet er sich dadurch von dieser, daß er, der Philosoph behauptet, daß "nichts passiert" sei, (S. 82) während die Wahnsinnige zu einer vergleichsweise existentialistisch anmutenden Akzeptanz der eigenen Schuld gelangt: "Was geschehn ist, kann man nicht ungeschehn machen." (Macbeth V, 1) "Die Lösung der Frage der Gewalt ist Widerlegung der Gewalt in ihrer Nichtexistenz / [...] / wenn ich die Gewalt leugne / kann ich auch nicht durch Gewalt umkommen" (S. 88) bestreitet Bürger, in seinem Solipsismis befangen, die Existenz einer Realität jenseits der eigenen Vorstellung und "drückt ab". (S. 89) Die "Ursachenforschung" (S. 78) und philosophische "AntiaggressionsArbeit" (S. 32) haben sich ad absurdum geführt. Fazit: Das sprachlich brillante und zweifellos sehr bühnenwirksame Stück „Hirntod“ entlarvt das Nichtengagement der postmodernen Intelligenzia als eine Form von Flucht und liefert damit einen wichtigen gesellschaftskritischen Beitrag. Quellen: |
Egon A. Prantl, Obduktion: Titus A: GehirnMassenhaß: (Blut): (shakespeare fanatsies [sic] III). Stück in drei Akten. Innsbrucker Fassung. Wien: Thomas Sessler Verlag, [o.D.], 165 Seiten. Die Leiche, deren Obduktion Egon Prantl vorgenommen und der Regisseur Thomas Niehaus (im Rahmen des 1. Tiroler Dramatikerfestivals des Tiroler Landestheaters im Juni 2002 : http://www.landestheater.at/obduktion.html ) zum Leben erweckt hat, ist „Titus Andronicus“, ein Jugendwerk Shakespeares, auf den ersten Blick eine blutrünstige elisabethanische Rachetragödie. Nach zehn Jahren Krieg gegen die Goten, in dem 21 seiner 25 Söhne gefallen sind, gelingt es dem siegreichen Feldherrn Titus nicht, sich auf den Frieden umzustellen. Starrsinnig hält er an den Tugenden Ehre, Pflichterfüllung, Treue zu Herrscherhaus und Vaterland fest und begeht so eine Reihe politischer Fehler und Grausamkeiten: Er läßt den ältesten Sohn der Gotenkönigin Tamora als Totenopfer hinrichten, verzichtet zugunsten des Saturninus auf die ihm angebotene Kaiserwürde, verspricht ihm seine schon mit Bassianus verlobte Tochter Lavinia und tötet seinen Sohn Mucius, als dieser der Schwester zur Flucht verhilft. Als der von Lavinia zurückgewiesene Herrscher die Gotenkönigin ehelicht, schlägt für diese die Stunde der Rache: Ihre Söhne töten Lavinias Gatten, vergewaltigen sie und schneiden ihr Zunge und Hände ab, damit sie die Tat nicht verraten kann. Tamoras schwarzer Geliebter Aaron bezichtigt zwei Andronicus-Söhne des Mordes. Die beiden werden hingerichtet, obwohl der Vater sich zu ihrer Rettung eine Hand abhauen läßt. Sein letzter Sohn, Lucius, wird verbannt. Titus wird - oder stellt sich – wahnsinnig, tötet, zerstückelt und kocht die Söhne der Gotenkönigin und setzt sie dem Kaiserpaar zum Essen vor. Dann ersticht er Lavinia und Tamora, wird selbst von Saturninus und dieser von Lucius ermordet. Der überlebende Lucius bekommt die Kaiserwürde und befiehlt, den Mohren lebendig zu begraben.
Außerdem gibt es mittelhochdeutsche Passagen aus dem Nibelungenlied, die von Kriemhild, dem Clown und Etzel vorgetragen werden, und - ebenfalls durch Schreibfehler, Einschübe und Substitution - verfremdete Texte aus Ovids Metamorphosen:
Andere Textstellen werden deutsch paraphrasiert, z.B. der Beginn der Geschichte von Philomela und Procne, (Met VI, 428-466) die (PT, S. 48-49) als Kriemhilds Falkentraum (Nib I, 13-14) verkauft wird. Prantl gibt selbst Georg Danzers „[Ruhe]Vor dem Sturm“ als Quelle für den Clown/Vojeur in I, 6 an, (PT, S. 165) die Stelle befindet sich aber in I, 7 (PT, S. 50-51). Bibliographie: Zitiert wird aus Gründen leichterer Auffindbarkeit der Textstellen uneinheitlich: bei Prantl (PT + Seite), bei Shakespeare (ShT +Akt, Szene), beim Nibelungenlied (Nib + Strophe), bei den Metamorphosen (Met + Gesang, Verse) Shakespeare, William. Shakespeares Werke VII. Übers. von Ludwig Tieck. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart: Bong & Co, [o.D.]. |
Der Untertitel des Dramas Die Erfindung der Nation bezieht sich darauf, daß der mittelalterliche Vasall sich nur seinem unmittelbaren Lehensherrn verpflichtet fühlte, und daß sich erst im Lauf des Hundertjährigen Krieges (1337-1453) nationale Gefühle ausbildeten. Mitterers Frankreich hat große Ähnlichkeit mit dem Österreich der blau-schwarzen Koalition von 2000. Fiktionale Basis des Stückes sind die Unrechtmäßigkeit der Forderungen des Dauphins und die Rechtmäßigkeit des Vertrags von Troyes (1420), in dem Charles VI und Isabeau de Bavière, die Eltern des Dauphins, Henry V, Lancaster, den Gemahl ihrer Tochter Catherine zum Thronfolger bestimmten. Infolgedessen halten sich die "Ausländer" zu Recht in "Frankreich" auf. Sie werden unterstützt durch den Herzog von Burgund, einen rechtschaffenen, etwas langweiligen Politiker, während der stets süffisant lächelnde, wortgewaltige Bastard Charles mithilfe des Fernsehens aus seinem Exil im Süden des Landes Ausländerhetze betreibt. Ein ehrgeiziger Erzbischof, arbeitet zunächst mit ihm zusammen, weil er unbedingt Kanzler werden will, sagt sich aber von ihm los, als der an die Macht gelangte Dauphin größenwahnsinnig wird, Proskriptionslisten anlegen und seine Steigbügelhalter ermorden läßt und Fernsehansprachen hält, (Bild 11) die an Charlie Chaplins Great Dictator erinnern. "Es war mein Blick auf eine Männergesellschaft," sagt Mitterer ohne auf den Schlüsseldramen-Charakter seines Stückes einzugehen, "in der ein Mädchen am Beispiel der mythischen Figur der Johanna benutzt wird." (Brigitte Warenski in: Tiroler Tageszeitung, 11. 1. 2002, S. 6). |
Claudia Mathis, Wie ich aufgestanden bin. Hall:Berenkamp Verlag, 2001, 112 Seiten. Innsbruckerin, Studium der Theologie und christlichen Philosophie, ehrenamtliche Blindenbegleiterin, Arbeit mit schwerbehinderten Kindern... Wer auf Grund dieser Kurzbiographie von Claudia Mathis erwartet, daß die Erzählung Wie ich aufgestanden bin ein braves, engagiertes Buch ist, wird überrascht sein, einer Kosmopolitin zu begegnen, die in Innsbruck, Dakar, Montréal und dem Jerusalem des König David gleichermaßen zu Hause ist, den literarischen Kanon kennt und rhetorische Mittel mit sicherer Hand einzusetzen weiß. Wenn ihre Protagonisten nicht ernsthaften bzw. prestigeträchtigen Tätigkeiten nachgingen, würden sie an die jeunesse dorée der Romane von Arbasino erinnern: Man hat sein eigenes Pferd, verbringt mit fünfzehn Sprachferien in Frankreich, hat keine Hemmungen, sich im Club Med zum Segeln einzuschleichen und bucht, etwas älter, Langstrecken-Flüge wie Gleichaltrige Busfahrscheine. So scheint der Konflikt, in den sich die Heldin verstrickt, u.a. auch dem Bedürfnis zu entspringen, in einer Welt, in der alles erlaubt und möglich ist, Grenzen zu überschreiten. Das heißt nicht, daß uns die Probleme ihrer Figuren nicht berühren. Mathis sorgt dafür, daß sie es tun. Schauspieler ist David natürlich auch in der fiktionalen Realität des Dramas, denn die Figur David spielt eine Rolle (die des unfehlbaren Königs - 52, 101), und dadurch entsteht eine Verbindung zu der anderen Dreiecksgeschichte, weil auch Jeanne eine Rolle spielt. (37, 68, 103) Daß die Figur Theater- und Film-Metaphern verwendet (Szene 74, Drehbuch 53, Seifenoper 68), wird durch ihre Mitarbeit in einer deutschsprachigen Laienschauspielgruppe in Dakar begründet. (27, 76) Die andere Verbindung zwischen Schauspiel und Erzählung ist, daß Jeanne und David ihre Mitmenschen wie Marionetten behandeln: Wie David meint, er könne Uria übertölpeln und ihm das Kind unterschieben, das er mit Batseba gezeugt hat, (39, 44, 50-51) oder ihre Liebe erzwingen, (81) so denkt Jeanne: "Ich werde dich besitzen, beschließe ich, jede Bewegung deiner Hände, jede Regung deiner Gedanken. Dann werde ich mich abwenden." (23) Und ein paar Seiten später: "Bei keiner meiner Berührungen hab' ich dich geliebt. Womit kann ich sie abhängig machen, dachte ich, und so habe ich mit dir gespielt." (27) Deshalb wird sie auch aggressiv, als "[ihre] Puppen selbständig zu spielen beginnen und auch [sie] die Rolle des Regisseurs immer mehr aufg[ibt]."(64) Wie ich aufgestanden bin ist eine Zauberlehrlingsgeschichte, in der das Experiment wichtiger ist als die Personenkonstellation und das Ergebnis, zu dem es führt - Straffreiheit -, und man fragt sich, ob nicht gerade darin das eigentliche Drama liegt. |