Rezensionen von Sylvia Tschörner
Zwei Kapitel lang sieht es fast so aus, als ob Durnitalien wirklich ein Roman sei - ein satirischer Roman, wie der Untertitel suggeriert, und wie man es sich von Helmuth Schönauer erwartet. |
Geiger ist nach Rand der Berge (1990), Die Begegnung (2003) und Zuagroaste (2005) das vierte Buch von Otto Licha, der in seinen diversen früheren Leben auch ein brillanter Physiker, Computer-Fachmann, exzellenter Musiker, Liedermacher und Autor etlicher ebenso engagierter wie sehenswerter Dokumentarfilme war und – akzentfrei (versichern Muttersprachler) - mindestens vier Fremdsprachen spricht. Ein barockes Universalgenie sozusagen. |
Anlässlich der Übersetzung von Manfred Schilds Abgetaucht (Fischer Bühnenverlag) ins Tschechische Am 18.4.2008 wurde Manfred Schilds Theaterstück Abgetaucht in tschechischer Übersetzung in Bratislava vorgestellt – ein guter Anlass für eine Besprechung und eine kleine Werkschau des Dramatikers. Das Bühnenstück Abgetaucht (1 D, 2 H) basiert auf dem 2001 im Innsbrucker Treibhaus vorgestellten Drama Zweifelhaft. Es wurde in seiner endgültigen Fassung 2003 in Bielefeld uraufgeführt. Abgetaucht spielt in der Herrentoilette eines großen Industrieunternehmens, in der ein Mann und eine Frau aufeinandertreffen. Beide befinden sich in einer existentiellen Krisensituation. Er ist der Chef der Firma, die er selbst aufgebaut hat, (57) und leidet offensichtlich unter Burn-Out; sie ist eine Blumenverkäuferin, eine grundsätzlich vernünftige, pragmatische Person, der soeben das Pech widerfahren ist, ihren Ehemann in flagranti mit einer anderen zu ertappen. Die dritte Figur ist der Wachmann Otto, ein Boxer, der seine Lizenz verloren, aber dann ein bürgerliches Auskommen gefunden hat, und insgeheim davon träumt, die Rolle eines Retters der Welt zu spielen. Die Titelmelodie des US-Agententhrillers Mission Impossible (Brian de Palma, nach der Fernseh-Krimi-Serie Kobra übernehmen Sie), die er mehrmals pfeift, hat die Funktion eines Leitmotivs.
Das ist, philosophisch gesehen, ebenso unhaltbar, wie in der Praxis richtig. Und: Weisheit klingt immer etwas banal. |
Die silberne Gasse ist die erste Buchveröffentlichung des bekannten Tiroler Regisseurs, Schauspielers und Theaterleiters Elmar Drexel, der sein literarisches Talent schon verschiedentlich unter Beweis gestellt hat. Man denke an seine Bühnenadaptation von Mitterers Piefke-Saga für zwei Schauspielerinnen (UA Innsbruck, Bierstindl 2002), das Libretto zu einem Musical gleichen Namens (Musik Gregor Marini, UA 2005 Schwaz) und den 2004 an eben diesem Ort präsentierten Text Kellertheater. |
Der vierte Sammelband von dramatischen Werken des Tiroler Autors Felix Mitterer enthält sechs Theaterstücke und zwei Libretti aus den Jahren 1999 bis 2006, eine Einführung des Dramatikers zu jedem Werk und einen Bildteil mit Photos von den Aufführungen. Einige der Texte (Tödliche Sünden, Mein Ungeheuer, Gaismair, Johanna oder die Erfindung der Nation, Die Beichte sind bereits früher in Buchform beim Haymon-Verlag erschienen. Erzbischof: Du bist zu Pferd gekommen? Die Johanna-Handlung ist außerdem verflochten mit der Geschichte von Gilles de Rais, des historischen Vorbilds von Ritter Blaubart. Das Stück ist ein politisches Schlüsseldrama - Mitterers Frankreich hat große Ähnlichkeit mit dem Österreich der blau-schwarzen Koalition von 2000. Faschistisches Denken, Extremismus, Unmenschlichkeit und die Ausgrenzung von Menschen auf Grund ihrer Hautfarbe, Nationalität, ihres Geschlechts oder einer Krankheit werden verurteilt. |
Die Welt im Kopf des Tintenmanns Mit Als ich Lord Winter war legt der bekannte Tiroler Kinder- und Jugendbuchautor, Dramatiker, Journalist und Zeichner Hubert Flattinger sein zweites Buch für Erwachsene vor. (Das erste war Das Lied vom Pferdestehlen, Innsbruck: Berenkamp, 2000.) |
Erika Wimmer, Schund. Farce in 8 Szenen mit einem Epilog. Die Uraufführung des Wimmer-Stücks Schund ging mit einem Protest der Autorin gegen massive Regie-Eingriffe in ihr Werk und mit einigem Presse-Echo einher. Nun ist es nicht die Aufgabe dieses Forums für oder gegen Gebräuche des Regietheaters Stellung zu nehmen. Hingewiesen sollte jedoch vielleicht im Rahmen der Besprechung eines Dramas, das vor allem durch Unstimmigkeiten wegen seiner Umsetzung Schlagzeilen gemacht hat, auf den Umstand, daß die Copyright-Frage von Theaterstücken in Österreich ungenügend geregelt ist. Wimmers Farce Schund handelt von zwei Pensionisten. Herta hat nach dem Tod von Maxens Frau Hella, die Rolle einer Hausangestellten übernommen. Dafür wird sie bezahlt, sie steht aber auch für gelegentlichen Sex zur Verfügung. Die beiden erinnern ein wenig an Werner Schwabs grausliche Kleinbürger: sie sprechen wie dessen Figuren eine Kunstsprache – ein Hochdeutsch, das mit dialektalen Wendungen, Sprichwörtern und Versatzstücken aus der Mediensprache durchsetzt ist. Auch der Racheplan, den Herta mit Maxens verstorbener Frau ausgeheckt hat, entspricht der Boshaftigkeit der Figuren dieses Dramatikers: Hella hat Herta vor ihrem Tod ihre Wohnung überschrieben; ihr Ehemann wird zehn Jahre lang im Glauben gehalten, sie gehöre ihm, und an seinem 70sten Geburtstag, als er erwartungsgemäß so hinfällig ist, daß kein massiver Widerstand mehr von ihm zu erwarten ist, ins Altersheim abgeschoben. |
„kein schluss bleibt auf der andern“ ist der erste Theatertext der Tiroler Dichterin Barbara Hundegger, die vor allem durch ihre Lyrikbände „und in den schwestern schlafen vergessene dinge“ (1998) und „desto leichter die mädchen und alles andre als das“ (2002) auffiel und (nach einer Reihe anderer Auszeichnungen) 2003 den Christine-Lavant-Preis erhielt. Das Stück war eine Auftragsarbeit für die Frauentheaterprojektgruppe coop.fem.art, deren Leiterin Margit Drexel auch Produktion und Regie der Uraufführung im Mai 2003 im ORF-Kulturhaus Innsbruck übernahm.
Auffallend bei einer Autorin, die als Lyrikerin eingestuft wird, ist die Absenz jeglicher Sentimentalität und ein ausgeprägter Sinn für Komik:
Die handelnden Personen – wenn man das bei einem Stück ohne Plot sagen kann – sind nicht als Typen oder Charaktere konzipiert. Sie tragen uniforme Kleidung; erst bei ihren „Abtritten“ erscheinen sie „in hochgradig den jeweiligen klischees entsprechendem outfit“ (S. 107). Sie sind gleichermaßen intellektuell, diszipliniert, „gesellig“ (S. 21, 30, 39), haben vage anarchistische Tendenzen, neigen zu milder Provokation und kommunizieren in der gleichen Umgangssprache. Gloria, die Hure, verabscheut Alkohol und wählt ihren Beruf ganz bewusst, nachdem sie sich gründlich eingelesen und informiert hat (S. 20). Gestützt wird die Annahme, dass es solche respektablen Dirnen tatsächlich gibt, durch das vorangehende Chorlied, das das ganze mögliche Betätigungsfeld zwischen Straßenstrich und einem Platz an der Seite des Perikles evoziert. Die Autorin übersetzt die Perzeptionsraster ihrer Protagonistinnen in jene ihres Publikums und erzeugt planmäßig den Eindruck, von der heterosexuellen „Norm“ abweichende Modelle, Liebe und Sexualität zu leben, hätte – abgesehen von den realen Diskriminierungen – nicht so viel schwerer wiegende Bedeutung als die Vorliebe für Schnitzel mit Mayo-Salat. |
Felix Mitterers Stück Die Beichte basiert auf einem gleichnamigen Hörspiel, das im Oktober 2003 vom ORF produziert und vom Publikum zum „Hörspiel des Jahres“ gewählt wurde. Den Anstoß dazu gab eine 1999 im irischen Fernsehen gesendete Dokumentarfilmserie über jugendliche Mißbrauchsopfer in kirchlich geführten Waisen-, Erziehungs und Schülerheimen in Irland, und nicht die skandalösen Zustände im Priesterseminar Sankt Pölten, die erst im November 2003 bekannt wurden und den traurigen Beweis lieferten, daß das Thema leider auch in Österreich aktuell ist. |
Wundränder ist der erste Roman des mehrfach ausgezeichneten Südtiroler Autors Sepp Mall. Veröffentlicht wurden bisher seine Gedichtbände Läufer im Park (1992) und Landschaft mit Tieren unter Sträuchern hingeduckt (1998), die Erzählungen Verwachsene Wege (1993) und Brüder (1996, alle bei Haymon) und diverse dramatische Werke unter dem Titel Inferno solitario (Skarabäus, 2002). |
In dieser Konstellation wurden die drei Einakter erstmals im Stadttheater Bruneck und im Innsbrucker Kellertheater im Rahmen des 2. Dramatikerfestival des Tiroler Landestheaters 2004 gezeigt. Regie: Margareth Obexer, Mitwirkende Thordis König, Irmgard Sohm und Lars Studer. Unbekümmert um die viel beschworene Krise des Dramas in der Postmoderne liefert die Südtirolerin Margareth Obexer seit einigen Jahren gescheite, menschlich berührende und sprachlich ausgefeilte Texte - Texte, über die sich der Literaturfreund, der Theaterbesucher und auch der Schauspieler, der sich dankbare Rollen wünscht, gleichermaßen freuen. So ist es nicht verwunderlich, dass die junge Autorin einen Preis nach dem anderen einheimst und im Sturm die deutschen Bühnen erobert. |
Claudia Paganini, Panopticon. Hall: Berenkamp, 2003, 112 Seiten. Panopticon ist das fünfte Buch von Claudia Paganini. Unter ihrem Mädchennamen Claudia Mathis veröffentlichte die Theologin und Schriftstellerin die Erzählung Wie ich aufgestanden bin (Berenkamp, 2001), ein Sachbuch über Gipfelkreuze (Dem Himmel nah, Berenkamp, 2002) und den Lyrik- und Kurzprosaband Schwarzer Schnee (Mathis, 2001). Nach ihrer Heirat folgte Froh gelebt und leicht gestorben (Berenkamp, 2003), ein weiteres Sachbuch über Marterln und Grabinschriften. |
Raoul Schrott, Gilgamesh. Epos. Mit einem wissenschaftlichen Anhang von Robert Rollinger und Manfred Schretter. Uraufführung der Spielfassung: Akademietheater 2002. Regie Theu Boermans. München: Hanser, 2002, 343. Abkürzungen: Übersetzung (=Ü), Nachdichtung (=ND) und Spielfassung (=SF). Römische Zahlen bezeichnen die Tafeln/Gesänge/Szenen, arabische die Seiten, wo dies sinnvoller erscheint. "Das Theater", sagt der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Raoul Schrott, habe "eine ganz andere Denkweise [...] als Lyrik oder Prosa." (Profil 25.2.2002, 190) Da die Burgtheater-Dramaturgie mir erlaubt hat, einen Blick auf die Spielfassung des „Gilgamesh“ zu werfen, möchte ich eine vergleichende Besprechung von Schrotts Übersetzung des zugrundeliegenden Epos, seiner Nachdichtung und der Bühnen-Version versuchen. Erwähnt sollte werden, daß der Dichter selbst sein bester Kommentator ist, und daß ich, wie die meisten seiner Rezensenten, mein Wissen über seine Quellen und Absichten aus den Einführungskapiteln des Buches bzw. Interviews beziehe. „Gilgamesh“ war, nach einer Neufassung von Euripides' „Bakchen“, Schrotts zweite Auftragsarbeit für das Burgtheater. Als Basis für seine Nachdichtung des oft als "ältestes Epos" der Literatur bezeichneten Werks dient ihm die ninivitische Zwölf-Tafel-Fassung aus der Bibliothek des assyrischen Königs Assurbanipal. Diese wird einem gewissen Sin-leqe-unninni zugeschrieben, der irgendwann gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. lebte. (16, 171) In Zusammenarbeit mit den Innsbrucker Altorientalisten Robert Rollinger und Manfred Schretter stellte Schrott eine neue, dem aktuellen Stand der Forschung entsprechende Übersetzung her. Das fehlende Fünftel des Texts wurde mit Hilfe von an anderen Orten aufgefundenen Tafelfragmenten derselben Version rekonstruiert. (171) In seine Nachdichtung bezog der Dichter zusätzliche literarische Quellen ein, u.a. (ältere) sumerische Kurzepen, die um die Figur des Gilgamesh kreisen, das Sintflut-Epos um „Atrahasis“ und die Schöpfungsgeschichte „Enuma Elish“. (26) Gilgamesh ist König des Stadtstaats Uruk (und hat möglicherweise ein historisches Vorbild, das um 2650 v. u. Z. im Zweistromland lebte.) Um seine Gewaltherrschaft zu mildern, erschaffen ihm die Götter einen Widerpart - Enkidu. Die beiden Männer werden Freunde und Liebhaber, töten den Dämon Humumba und den Himmelsstier (=das Sternbild). Der Verlust Enkidus, der zur Strafe für diese Vergehen sterben muß, bewirkt, daß Gigameshs weiteres Leben unter dem Zeichen seiner Auseinandersetzung mit dem Tod und der Suche nach Möglichkeiten, ihm zu entgehen, steht. Das Epos verbindet Erzählweisen, die für orale Kulturen (direkte Rede, Perspektivenwechsel), und solche, die für Schriftkulturen typisch sind (komplexe Wortspiele und Intertextualität). Schrott spricht deshalb von einem "epischen Oratorium", dessen auffallende Theatralik er mit der Aufführungspraxis (Vortrag durch Rhapsoden oder rituelles Spiel, vielleicht sogar mit Masken) in Zusammenhang bringt. (31) In seiner Nachdichtung bzw. der Spielfassung wird der dramatische Charakter des „Gilgamesh“ noch augenfälliger, weil er die Ereignisse des Epos in eine Rahmenhandlung stellt. Als Quellen für diese nennt Schrott das Kurzepos „Tod des Gilgamesh“, die Hymne „Urnammuns Tod“ und einen Massenselbstmord im Grab der Königin Pu-abi in Ur. (26) Die Führung durch die Unterwelt benutzt den zweiten Teil des sumerischen Kurzepos „Gilgamesh“, „Enkidu und die Unterwelt“, der sich, ins Akkadische übertragen, auf der 12. Tafel der ninivitischen Fassung findet. Im Rahmen geht es um die Frage, ob die Götter dem Protagonisten Unsterblichkeit verleihen. Als Entscheidungshilfe wird seine Geschichte erzählt bzw. vorgeführt. Der Kunstgriff des Spiels im Spiel schafft die Voraussetzung für ein minimalistisches Bühnenbild und den Mehrfacheinsatz der Schauspieler. (So wird z.B. der Ältestenrat vom Fährmann der Schatten Ur-shanabi und dem Totenstadt-Wächter Neti vertreten. ND X, S IX). Abgesehen vom Spannungsbogen, den der Rahmen erzeugt, liefert er auf Fragen, die im Epos gestellt werden, Antworten, wie sie heutige Philosophen geben würden, etwa daß man von Offenbarungen keine Wahrheit erwarten solle ("glaubst du wirklich die götter würden dir über sich selbst/rede und antwort stehen?" Epilog ND 166, SF 84), daß die „conditio humana“ Allwissenheit, Unsterblichkeit ausschließt und die postmoderne (in Wirklichkeit gar nicht so moderne) Ansicht (Vgl. Ariost: „Orlando furioso“ XXXV, v. 22-30), daß nur Erinnerung bzw. Literatur eine Form von Weiterleben ermögliche. Weiters ergänzt der Rahmen das im Basistext vermittelte Jenseitsbild durch Material aus anderen Texten. Dasselbe gilt für Enkidus Todestraum (Ü VII 232, ND XX, SF XVIII 52), dessen 40 fehlende Zeilen durch eine Führung durch die Unterwelt ersetzt wurden, wie sie der Leser von anderen Epen kennt. In der Spielfassung werden allerdings nur zwei Beispiele von Schicksal nach dem Tod erwähnt, (S XVIII 52) die nicht zu sehr von christlichen Vorstellungen abweichen, wohl, um den Zuschauer nicht vom Fortgang der Handlung abzulenken. Auch sonst ist in der Bühnenversion manch Reizvolles Strichen zum Opfer gefallen: mythologische Hintergründe, Kulturgeschichtliches, Epistemologisches – und auch Figuren, wie die Ishtar-Verkörperung Siduri oder die Skorpionsmenschen. (ND XXIII) Schrott macht dem Theaterpublikum sprachliche Zugeständnisse (z.B. „Grabhügel statt tumulus“ (ND 43, SF 6) oder „Staken“ statt der rätselhaften „Steinernen“ (ND 139, SF 60)) und eliminiert politisch Inkorrektes (Enkidu wird zwar als „Söldling“ bezeichnet, aber nicht als schwul. (ND 96, S 39) Lange Berichte werden durch knappe Einwürfe eines Zuhörers dramatisiert, der Inhalt manchmal dargestellt, z.B. die Erschaffung Enkidus (ND II, S II) oder der Ringkampf der beiden Helden (ND X, S VIII). Der Diebstahl der Anti-Aging-Pflanze - nicht durch die Schlange, die sich seitdem häutet, sondern durch die alternde Liebesgöttin Ishtar - der angesichts moderner Peeling-Präparate ein echter Gag ist, dürfte wohl eher auf das Konto der Regie gehen. Das führt zu den Fragen Psychologie und Humor. "Mir ging es darum, diese Reliefs mit Fleisch und Blut auszufüllen. Die Erzählweise von damals kennt ja unser Psychologisieren nicht," wird Schrott im Pressedossier des Burgtheaters zitiert. Dieses Vorhaben geht im Großen und Ganzen auf. Dem mesopotamischen Noah Ut-napishti (ND XXVI) gesteht man das auch zu, weil er es auf lustige Weise tut. Etwas irritierend wirkt es hingegen, wenn Gilgameshs Mutter Ninsun – die göttliche Wildkuh - in der Art besserer Hälften besserer Herren die Prahlerei der beiden aventiure-geilen Machos Gilgamesh und Enkidu kommentiert (ND XI 72, SF X 28, detto SF 43), weil man doch mit einer gewissen Erwartungshaltung an die Lektüre herangeht. In der Spielfassung hingegen, die episches Theater ist, nimmt man dergleichen als Verfremdung hin. In seinem Vorwort zur Übersetzung spricht Schrott über Satire und Humor im „Gilgamesh“ und bringt auch Beispiele für Parodie wie den hohen Stil der Hure, den vergleichsweise niederen der Göttin Ishtar und sprachliche Eigenheiten wie Ut-napishtis Aussprache von Konsonanten. (174-175). So liest er auch die im Epos wohl eher ernst gemeinte Episode vom Himmelsstier, der von Ishtar losgelassen, den Euphrat aussäuft, mit seinem Schnauben Grabenbrüche verursacht, in denen ganze Hundertschaften umkommen, während der 12 Meter große Enkidu nur bis zum Bauch darin versinkt und den nachfolgenden Kampf, bei dem Enkidu das Tier am Schwanz hält, während der Protagonist es wie ein Torero absticht, mit den Augen eines heutigen Lesers. (Ü VI 223-224, ND XVII 107-108) Die Schilderung ist dem entsprechend ur-komisch. Die ironische Distanz funktioniert aber nur in der Erzählung. Eine Inszenierung müßte wohl von der realen, lebensgefährlichen Situation ausgehend eine völlig andersgeartete Komik für die Szene finden. So erstaunt es nicht, wenn die Spielfassung auf den Stierkampf verzichtet und auf Ishtars Rachemonolog abrupt Gottvater Anus Meldung folgt, die Protagonisten hätten den Stier getötet. (S XV 46) Nicht ganz glücklich ist auch das folgende Beispiel von Aktualisierung: Gilgamesh gehört einer Kultur an, die in starkem Maße von der Natur abhängig ist. Er denkt wie ein Mensch, der auf dem Land aufgewachsen ist. Deshalb schlägt er vor, Enkidu eine Hure zu schicken, denn wenn er nach dem Kontakt mit ihr nach Mensch riecht, wird ihn die Herde nicht mehr annehmen und er wird kein Motiv mehr haben, die Fallen und Netze des Jägers zu zerstören. (Ü I 182) Diese Lösung zeigt die gerühmte Weisheit des Protagonisten, die doch – Konvention hin Konvention her – auch in einem Epos irgendwann unter Beweis gestellt werden muß. Wenn nun Schrott Gilgamesh in den Mund legt, daß der "hinterwäldler" Enkidu auf den "breitesten arsch" der Dame hereinfallen und "auf die Balz gehn" (ND V 58, S V 16-17) werde, zieht er ihn (ähnlich wie Peter Sellars seinen Don Giovanni) auf das Niveau eines simplen Ganoven herunter. In der dramatisierten Version geht dies wiederum hin. (Mit der wunderschönen Szene von Enkidus Mensch-Werdung und Spracherwerb unmittelbar danach, macht Schrott das allerdings wieder gut. Trotzdem:) die Beispiele zeigen, wie schwierig das Unterfangen einer Nachdichtung ist und daß die Bühne wirklich ihre eigenen Gesetze hat. Insgesamt – trotz der genannten Kritikpunkte (einem Großen gegenüber hat man naturgemäß weniger Hemmungen ) ein wunderschönes Buch und ein sehr interessantes Stück. |
Franz Haas, derzeit professore associato an der Universität Mailand, und Klaus Zeyringer, z.Z. Vorstand des Deutsch-Départements an der Université Catholique de L'Ouest in Angers, diskutierten mit dem Leiter des Innsbrucker Zeitungsarchivs, Ao.Univ.-Prof Michael Klein. Besprechung von Sylvia Tschörner anlässlich der Buchpräsentation und Diskussion im Literaturhaus am Inn, Freitag, 4. April 2003 Das vorgestellte Werk ist das Ergebnis einer Debatte, die Zeyringers 1999 bei Haymon publiziertes Buch Österreichische Literatur 1945-1998. Überblicke, Einschnitte, Wegmarken (2001 neu aufgelegt unter dem Titel Österreichische Literatur seit 1945) zwischen den drei Autoren ausgelöst hatte. |
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Egon A. Prantl, Hirntod: Ein Stück in vier Bildern. Innsbruck: Skarabaeus, 2001, 92 Seiten. Uraufführung: Dezember 2000 im Schauspielhaus Wien, Regie: Fishy Wurm. Dem Duden (1996) zufolge bezeichnet der Begriff „Hirntod“ den "Zeitpunkt endgültigen und vollständigen Erlöschens der lebensnotwendigen Gehirnfunktionen". Egon A. Prantl verwendet das Titelwort seines Stück in vier Bildern jedoch ausschließlich in der Bedeutung „verrückt und verbohrt“, (18, 42) als Steigerung von „hirnkrank“. So übersetzte Dorothea Tieck „brainsickly“ in „Macbeth“ II, 2. Wir werden auf Shakespeares Tragödie zurückkommen. Der Plot von „Hirntod“ benutzt die Handlung von Goethes Faust als Folie: Das erste Bild zeigt den Protagonisten Bürger in seiner Studierstube über philosophischen Problemen brütend. Wie Faust unterbricht er seine Arbeit an einem „Opus magnum“ - in seinem Fall, einem Werk über die Gewalt - um sich ins Leben zu stürzen: Hubsls Kneipe, in der er landet, entspricht Auerbachs Keller; die philosophierende Nutte Krista korrespondiert mit den Walpurgisnacht-Hexen, Margarethe (deren Begegnung mit Faust in Bild 2 (S. 47) verfremdet zitiert wird) und Helena; Bürgers Versäumnis, Krista gegen ihre Vergewaltiger beizustehen, spiegelt Fausts Unterlassungssünde in der Gretchentragödie, die Ermordung von Tom & Jerry jene Valentins. Anlässe zur Entstehung des Dramas waren die Erfahrung, was eine Waffe in der eigenen Hand bewirkt, die der Dramatiker 1967 während seines Präsenzdiensts an der Brennergrenze machte, (Internet) und wohl auch die regelmäßig aufflammende Diskussion um privaten Waffenbesitz. Der Name des Protagonisten – Bürger - kann angesichts der Selbst-Inszenierung des Autors als Bürger-Schreck nur negativ belegt sein. Prantl beschreibt ihn mit einem Nietzsche Assoziationen beschwörenden Oxymoron: "Philosoph; wahnsinnig", folgert widersprüchlich: "und deshalb normal" und stellt die Aussage insgesamt durch ein "oder?" (S. 3) in Frage. Kristas Berufsbezeichnung, "Schöne der Nacht", wandelt den Filmtitel „Belle du jour“ teilweise ab. Tom & Jerry sind Gewalttäter und keine Antagonisten und Komplementärfiguren wie im Comic. All das zeigt Prantls Vergnügen an logischen Spielereien und rhetorischen Figuren (siehe auch die Lehrveranstaltung über Lewis Carroll's „Alice“-Erzählungen in seinem Curriculum) und legt nahe, daß das Drama in keiner konsequent verkehrten Gegenwelt spielt, sondern in einer, in der Aussagen generell zu hinterfragen sind. Sicherlich deckt sich vieles in den bernhard-artigen Tiraden von Prantls Antihelden mit Meinungen des Autors, ebenso wie sein Kulturpessimismus, der in der Dichotomie „Zivilisation“ (oft in der US Bedeutung des Wortes) – „Wildnis“ fußt, wobei der Autor diesen Begriff synonym für ein geographisches Outback, die Welt der Gesetzlosen, des Wahnsinns und des kreativen furor verwendet. Auch sind offenbar beide "wollüstig entsetzt über diese Seltsamkeit der Faszination / welche die Angst und die Gewalt einerseits / und diese Macht welche nur die Waffe verleiht / andererseits / auf [sie] ausüben". (S. 76. Siehe auch 67, 79, 80) Reduktionistisch erscheint Bürgers Deutung des Phänomens der Gewalt als alleinige Ursache und Folge der genannten Missstände. Der Zusammenhang zwischen Aggression und Gewalt ist in „Hirntod“ kein Thema. Das Wort Aggression kommt im Stück ein einziges Mal, und zwar in der Bedeutung „Aggressionsakt“ vor: "Die Waffe [...] [e]ine [...] Verstärkung [...] und Absicherung seiner Aggression" (S. 41). Der vernachlässigten anthropologischen Sichtweise kommt zwar die in der Tradition von Thomas Hobbes' "homo homini lupus" stehende Feststellung: "Der menschlichste Mensch ist die Brutalität an sich / Die wahre Bestie". (S. 8) nahe. Ein solcher Pessimismus erscheint jedoch im Licht moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht gerechtfertigt: Aggressivität ist angeboren, weil sie im Lauf der Stammesgeschichte einen Selektionsvorteil bedeutete. Die Bereitschaft zur Verteidigung des Territoriums, des Sexualpartners, der Brut und des eigenen Ranges, in Kombination mit ebenfalls angeborenen moralanalogen Verhaltensweisen (Beschwichtigungs-Mechanismen, Ritualen), erwiesen sich als arterhaltend, was sich in unserer positiven Bewertung solchen Verhaltens niederschlägt: Wir können nicht billigen, daß Bürger weder seinen Platz an der Theke, seine Zigaretten und sein Glas, noch Krista, noch seine Würde gegen die Aggressoren verteidigt. (S. 59- 73) Die heute viel beklagte Zunahme der Gewaltbereitschaft ist eine Folge davon, daß die genannten aggressionsabbauenden Verhaltensweisen in unserer multikulturellen, multimedialen Gesellschaft außer Kraft gesetzt werden, in der sich unser Herdentrieb, die Bereitschaft, uns charismatischen Führern zu unterwerfen, unsere Anfälligkeit für "Werte" und Feindbilder, Demagogie, mitreißende Musik, Rhythmus etc. verhängnisvoll auswirken. Ebenso setzen Schusswaffen - um auf „Hirntod“ zurückzukommen – die dem Menschen angeborene Tötungshemmung herab. Es ist leichter, jemand zu erschießen, als zu erschlagen oder gar zu erwürgen. (Lorenz 1963) Dass Bürger, ungeachtet seiner ähnlichen ideologischen Ausrichtung, nicht einfach als Sprachrohr des Autors betrachtet werden darf, legen seine sprachlichen Manierismen nahe. Sein unsäglicher Fachjargon, seine Phrasendrescherei ("Der reine Geist mein Freund / Er ist nicht fähig zu morden". S. 36), sein philosophischer Synkretismus im schlimmsten Sinn des Wortes, seine Eitelkeit (" Ich weiß viel über die Gewalt meine Herren / Das kann ich ohne Übertreibung behaupten". S. 59), sein Mangel an Authentizität (Der Erwerb einer Waffe erscheint ihm "notwendig für ein Mehrwissen über die Gewalt". S. 21) und Zivilcourage machen aus ihm eine Intellektuellenkarikatur in der Art des Dottore der Commedia dell'arte, mit dem er die Loghorrhöe und den Hang zu Syllogismen teilt, die dem modus ponens Hohn sprechen: Er dreht die Kausalität um: "die Unabänderlichkeit der Entscheidung [Entscheidung wird "als Aufhebung des Problems" (S. 54) definiert] / hängt nicht vom Willen ab / [...] / Sie wird Dir aufgezwungen" (S. 53) und verletzt das Identitätsprinzip (A=A), jenes der Nichtwidersprüchlichkeit (A ist nicht ungleich A) und das des ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) mit unzulässigen Gleichsetzungen ("Und Spiel ist Kampf / und Kampf ist Krieg / Und Krieg ist Mord". S. 40) – die allerdings ästhetisch ansprechen. Problematisch wird Bürgers Anti-Logik jedoch, wenn er sagt: "Von diesen Genoziden will ich nicht reden / Nicht das Denken belasten im Mich mich nicht verrennen / durch MillionenMorde" und im Umkehrschluß - wie Rudi Dutschke, Jürgen Habermas (Mitt. eap) oder Bruno Bettelheim folgert: "Es gibt keinen Unschuldigen im Sinne der GewaltsThese im Heute im Rund-um-Uns / [...] / Im Mich ist genauso viel Schuld wie im Dir". (S. 52, siehe auch 51) Bürger kantet und schopenhauert ("an sich"), hegelt ("Es ist unmöglich von draußen die Situation der Gewalt im Herinnen zu bekämpfen" (S. 44). Schlußsatz „Philosophie des Rechts“. Mitt. eap) und heideggert ("Sprich nicht die Rede im Augenblick" (S. 33) Siehe „Sein und Zeit“). Er zitiert Nietzsche (S. 78-79) und Trotzki (S. 48. Mitt. eap) und wärmt philosophische Probleme wie die Willensfreiheit (S. 52, 53), Gottesbeweise (S. 53,55) und die Trinität (S. 85) auf. Er verschränkt pervertierten Gödel und verdrehten Archimedes: "Wir wissen allerdings auch / daß in jedem System / und die jetztzeitige Gewalt ist ein solches / es den einen Punkt gibt der sich aus diesem Gewaltsystem nicht erklären läßt / Die Konsequenz wäre also die Erkundung dieses Punktes / einerseits / sowie die Eliminierung des Systems durch diesen Punkt / andrerseits" (S. 31) und badet in den Leiden der Hypothesen-Falsifikation: "Bis dann ein DenkProzeß oder eben ein völlig neuer Gedanke / unsere Arbeit von Jahren sozusagen über den Haufen wirft / schweigt / Dann gilt es unseren Schmerz / unseren Gehirnschmerz insofern zu bekämpfen / indem wir eine neue dem Gedanken vorgegebene Richtung einschlagen / und alles bisher Gedachte hinter uns lassen / trinkt / Es ist das bittere Los von uns Gedankenmenschen / die Niederlage nicht einfach zu akzeptieren / Nein wir müssen sie leben". (S. 38) Man könnte es schließlich auch so sehen, daß es "für den Forscher ein guter Morgensport [sei], täglich vor dem Frühstück eine Lieblingshypothese einzustampfen". (Lorenz 1963, 20) Dass der Autor nicht hinter diesem zum Selbstzweck verkommenen Philosophieren steht, zeigen amüsante Repliken, wie z.B. auf den folgenden Syllogismus, dessen erste Prämisse Mensch=Gewalttäter ist, was nicht unbedingt für Bürgers sprachkritische Haltung spricht: Bürger: Denn wenn der Mensch [...] ein Unmensch also ein NichtMensch wäre Dann wäre er nicht zur Gewalt fähig [...] Krista: Der Umtrunk hat uns in seiner Gewalt Hubsl: Eine Form der Gewalt die mir das Überleben sichert (S. 29) Die idealistische Tendenz, das Geistige für wirklicher zu halten als die reale Wirklichkeit – Bürger erklärt die Waffe zu einer "Nur-Manifestation des Geistes" (S. 20) und meint: "Für unsereinen [...] ist die Waffe der verlängerte Gedanke" (S. 42) - steigert sich im Lauf des Stücks zu einem Wahn, der die Katastrophe herbeiführt. Er erklärt Kristas Vergewaltigung, die er mit angesehen hat, ebenso für "nicht wahr" (S. 73) wie den an diesem Punkt des Geschehens sinnlos gewordenen Mord. Im Schlussmonolog, in den Textpassagen der Lady Macbeth eingearbeitet sind, unterscheidet er sich dadurch von dieser, daß er, der Philosoph behauptet, daß "nichts passiert" sei, (S. 82) während die Wahnsinnige zu einer vergleichsweise existentialistisch anmutenden Akzeptanz der eigenen Schuld gelangt: "Was geschehn ist, kann man nicht ungeschehn machen." (Macbeth V, 1) "Die Lösung der Frage der Gewalt ist Widerlegung der Gewalt in ihrer Nichtexistenz / [...] / wenn ich die Gewalt leugne / kann ich auch nicht durch Gewalt umkommen" (S. 88) bestreitet Bürger, in seinem Solipsismis befangen, die Existenz einer Realität jenseits der eigenen Vorstellung und "drückt ab". (S. 89) Die "Ursachenforschung" (S. 78) und philosophische "AntiaggressionsArbeit" (S. 32) haben sich ad absurdum geführt. Fazit: Das sprachlich brillante und zweifellos sehr bühnenwirksame Stück „Hirntod“ entlarvt das Nichtengagement der postmodernen Intelligenzia als eine Form von Flucht und liefert damit einen wichtigen gesellschaftskritischen Beitrag. Quellen: |
Walt ist ein Stück für zwei reifere männliche Schauspieler, das sich ohne gewaltigen technischen Aufwand aufführen läßt. Der kurz zuvor verstorbene Walt Disney erscheint im Traum seinem ältesten Mitarbeiter, einem der Starzeichner des Unternehmens und Erfinder der Mickey Mouse, Ubbe Iwerks. Das sich entspinnende Gespräch dreht sich um die Disney Erfolgsstory und Walts wenig aufrichtiges Verhalten im Umgang mit seinen Untergebenen, die er zielsicher auszuwählen verstand und schamlos ausbeutete. Dennoch klagt das Stück nicht an, sondern bemüht sich um die sensible Darstellung eines Phänomens, das weder durch Genialität noch durch Skrupellosigkeit erklärt werden kann, und viel mit Selbstvermarktung und den Bedürfnissen einer Gesellschaft zu tun hat, die anachronistischen Idealen wie dem American Dream und einer konstitutionell abgesegneten Gleichmacherei zu tun hat. Thematisiert wird weiters die Relativität der Macht, die vor so trivialen Dingen wie Zahnweh oder lästigen Fliegen ihre Grenzen hat und die bedauerliche Verflechtung von Kunst und Kommerz, die besonders im Zusammenhang mit Fantasia deutlich wurde. Dieses vielleicht anspruchsvollste Walt Disney Projekt entwickelte sich im Anschluß an The Sorcerer's Apprentice, einen Mickey Mouse Film, dem der Inhalt der Goethe-Ballade und Paul Dukas' Zauberlehrlingsmusik zugrunde lagen. Da über Tausend Menschen an dem Film arbeiteten, Künstler wie der Dirigent des Philadelphia Orchestra, Leopold Stokowski, der Komponist Deems Taylor und Salvador Dalì mitwirkten und ein völlig neues ein neues Klangsystem (Fantasound) geschaffen wurde, explodierten die Kosten. Die Synthese Trickfilm ohne Dialoge und unterlegt mit klassischer Musik von Bach, Tschaikowskij, Dukas, Strawinskij (der sich von dem Werk distanzierte), Beethoven, Ponchielli, Mussorgski, Schubert wurde von der Kritik unterschiedlich aufgenommen und erst ihm Lauf der Zeit ein Kultfilm.) Iwerks, der der genialere Künstler und "bessere Walt" ist, (32) und auch nicht von ungefähr das problematische Verhältnis von Kunstwerk und Künstler anspricht, (24) empfindet Walts Entscheidung, nach Fantasia nur mehr auf Nummer sicher zu gehen und das "Mickey Mouse Publikum" zufriedenzustellen, als Verrat am künstlerischen Ideal. Zu einer wirklichen Abrechnung zwischen den beiden Männern kommt es jedoch nicht, weil der Zeichner sich selbst treu bleibt und Walt unvermindert Wertschätzung und Loyalität entgegenbringt. Zahlreiche Zitate aus Disney-Filmen, Songs, eine Steppeinlage und am Ende ein Gag, der nicht verraten werden soll, ermöglichen den Schauspielern ihr Imitationstalent und ihre Virtuosität unter Beweis zu stellen. Ein berührendes Stück, das Kindheitserinnerungen auslöst und sich eventuell auch für ein Schultheater-Programm eignen würde. |
In den letzten Jahren – das gilt für neue Dramen ebenso wie für die Inszenierung älterer Werke - werden Theaterstücke auffallend oft in ungewöhnlichen Räumen verortet: in Transportmitteln (Schiff, Flugzeug, Bus), an Orten, die einen Übergang von A nach B darstellen (Straßen, Brücken, Flugplätzen) oder in Gebäuden, in denen flüchtige Begegnungen stattfinden (in Hotels, Diskotheken, Wartesälen, Bahnhofshallen, Ämtern). Solche Räume nennt der französische Ethnologe Marc Augé (der Vater des Begriffs der Surmodernité, die angeblich die Postmoderne abgelöst hat) in seinem Bestseller Non-lieux: Introduction a une anthropologie de la surmodernité (Paris: Seuil, 1992) Nicht-Orte - zum Unterschied von Orten, die dem Individuum, das sich dort befindet, Identität vermitteln und es an die Geschichte oder Tradition anbinden. Flattingers Höhenangst spielt an so einem Nicht-Ort, in einer Gondel der Ischgler Bergbahnen, in der Bob Dylan zu einem Konzert auf der Idalpe befördert wird (wo der Tourismusverband häufig Massenspektakel veranstaltet.) Da Bob Dylan die Berge verabscheut und unter Höhenangst leidet, hat der Liftangestellte und Karaoke-Sänger Alfred, der ihn begleitet, die Fenster sinnigerweise mit Tirolwerbungsposters verklebt. Dylan (trägt eine Bob-Dylan-Maske und) sagt während der ganzen Bergfahrt ein einziges Wort – No – als sein Begleiter fragt, ob er rauchen könne - aber das wird geflissentlich ignoriert. Alfred monologisiert. Halb auf Deutsch, halb in fehlerstrotzendem Schilehrer-Englisch gibt er jene Mischung an Plattitüden, Unsäglichkeiten und vernünftigen Ansichten von sich, die dem Schauspieler die Möglichkeit offen läßt, die Figur noch menschlich anzulegen oder aber satirisch zu überzeichnen. Es zeigt sich, daß dieser joviale, unverwüstliche Urtiroler mit seiner Herablassung dem Fremden gegenüber und mit seiner Verachtung für die Phobie des Musikers keinen richtigen Kontakt zu seiner Umgebung hat und seine Bedürfnisse nach menschlicher Nähe mit Hilfe von Substituten aus der Medienwelt auslebt, wie z.B. Lady Di, über deren Schicksal er Tränen vergossen hat. Er definiert sich ausschließlich über Photos und Scheinkontakte mit den Prominenten ("Ja, die Tina." "Ja, der Bobby und ich..." 19), die er auf die Idalpe begleiten darf, und stellt in Wirklichkeit eine existentielle Nullstelle dar, analog zur Gondel, die auch kein richtiger Ort ist. Ein interessantes Stück. Man freut sich schon auf Flattingers nächstes. |
Egon A. Prantl, Obduktion: Titus A: GehirnMassenhaß: (Blut): (shakespeare fanatsies [sic] III). Stück in drei Akten. Innsbrucker Fassung. Wien: Thomas Sessler Verlag, [o.D.], 165 Seiten. Die Leiche, deren Obduktion Egon Prantl vorgenommen und der Regisseur Thomas Niehaus (im Rahmen des 1. Tiroler Dramatikerfestivals des Tiroler Landestheaters im Juni 2002 : http://www.landestheater.at/obduktion.html ) zum Leben erweckt hat, ist „Titus Andronicus“, ein Jugendwerk Shakespeares, auf den ersten Blick eine blutrünstige elisabethanische Rachetragödie. Nach zehn Jahren Krieg gegen die Goten, in dem 21 seiner 25 Söhne gefallen sind, gelingt es dem siegreichen Feldherrn Titus nicht, sich auf den Frieden umzustellen. Starrsinnig hält er an den Tugenden Ehre, Pflichterfüllung, Treue zu Herrscherhaus und Vaterland fest und begeht so eine Reihe politischer Fehler und Grausamkeiten: Er läßt den ältesten Sohn der Gotenkönigin Tamora als Totenopfer hinrichten, verzichtet zugunsten des Saturninus auf die ihm angebotene Kaiserwürde, verspricht ihm seine schon mit Bassianus verlobte Tochter Lavinia und tötet seinen Sohn Mucius, als dieser der Schwester zur Flucht verhilft. Als der von Lavinia zurückgewiesene Herrscher die Gotenkönigin ehelicht, schlägt für diese die Stunde der Rache: Ihre Söhne töten Lavinias Gatten, vergewaltigen sie und schneiden ihr Zunge und Hände ab, damit sie die Tat nicht verraten kann. Tamoras schwarzer Geliebter Aaron bezichtigt zwei Andronicus-Söhne des Mordes. Die beiden werden hingerichtet, obwohl der Vater sich zu ihrer Rettung eine Hand abhauen läßt. Sein letzter Sohn, Lucius, wird verbannt. Titus wird - oder stellt sich – wahnsinnig, tötet, zerstückelt und kocht die Söhne der Gotenkönigin und setzt sie dem Kaiserpaar zum Essen vor. Dann ersticht er Lavinia und Tamora, wird selbst von Saturninus und dieser von Lucius ermordet. Der überlebende Lucius bekommt die Kaiserwürde und befiehlt, den Mohren lebendig zu begraben.
Außerdem gibt es mittelhochdeutsche Passagen aus dem Nibelungenlied, die von Kriemhild, dem Clown und Etzel vorgetragen werden, und - ebenfalls durch Schreibfehler, Einschübe und Substitution - verfremdete Texte aus Ovids Metamorphosen:
Andere Textstellen werden deutsch paraphrasiert, z.B. der Beginn der Geschichte von Philomela und Procne, (Met VI, 428-466) die (PT, S. 48-49) als Kriemhilds Falkentraum (Nib I, 13-14) verkauft wird. Prantl gibt selbst Georg Danzers „[Ruhe]Vor dem Sturm“ als Quelle für den Clown/Vojeur in I, 6 an, (PT, S. 165) die Stelle befindet sich aber in I, 7 (PT, S. 50-51). Bibliographie: Zitiert wird aus Gründen leichterer Auffindbarkeit der Textstellen uneinheitlich: bei Prantl (PT + Seite), bei Shakespeare (ShT +Akt, Szene), beim Nibelungenlied (Nib + Strophe), bei den Metamorphosen (Met + Gesang, Verse) Shakespeare, William. Shakespeares Werke VII. Übers. von Ludwig Tieck. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart: Bong & Co, [o.D.]. |
Sepp Mall, Inferno solitario. Drei Hörstücke und ein Theatertext Innsbruck: Skarabaeus, 2002, 96 Seiten. "Ombre dolenti nella ghiaccia" - Im Eise leidende Schatten. (Inferno XXXII, 35)". [Der Schnitter] Nur das Wort "zwischen Lidstrich und Liebermann", (S. 11) also "Liebe", ordnet sich dem Buchstaben-Raster nicht unter, sondern gebiert ein Gedicht im Gedicht (zwei Vierzeiler am Anfang und am Ende und dazwischen vier gleichgebaute Fünfzeiler) in dem eine ganze Reihe von Aspekten der Zeit erwähnt werden, darunter die Ewigkeit. Dreh dich doch um / sieh Schuld daran ist die Eigenverantwortlichkeits-Ideologie des modernen Menschen. Sie bewirkt unseren Rückzug in uns selbst und die Ablehnung von Solidarität mit Leidenden und Hilfsbedürftigen (psychisch Kranken, Katastrophenopfern, Immigranten etc.) Die erzählte Begegnung der beiden Sprecher in Bild 2 findet auf der Folie jener von Dante und Beatrice in der "Vita nuova" (II) statt. Wie dort wird beschrieben, wie die Liebe sich zunächst in körperlichen Reaktionen bemerkbar macht (der Wirkung des "spirito della vita" entspricht bei Mall Blutdruckanstieg), Emotionen auslöst ("spirito animale" - Liebesgefühle etc.), dann in aufsteigender Hierarchie alle Sinne erfaßt, wobei sogar die Wechselreden der "spiriti" eine moderne Übersetzung finden. (Dante läßt sozusagen Nicolai Hartmanns Persönlichkeits-Schichten diskutieren wie Otto Waalkes die Organe.) Bei Mall sprechen ein männliches, draufgängerisches und ein weibliches, Widerstand leistendes Über-Ich. Tu's doch / sagte eine unbekannte Baßstimme in mir Unnötig zu sagen, daß der moderne, junge Mann grapscht und sich ein kurzes Glück nach Menschenmaß einhandelt, anstatt sich vom ewig Weiblichen hinanheben zu lassen zu platonischen Ekstasen wie die Dichter des "dolce stil nuovo". Malls Liebende grenzen sich gegeneinander ab (S. 38), genügen und "richten" sich selbst (S. 20, 21, 22, 38) - was sowohl heißen kann, daß sie über sich selbst urteilen als auch, daß sie sich selbst wieder gesund/funktionsfähig machen - und verdammen sich so zu einsamem Nebeneinander. Malls Ironie geißelt das anything goes und den Individualitätskult der Postmoderne, (S. 34) aber auch aufklärerisches Gedankengut. Die "simple[] Bestrafung", der "grausame [] Gott", die christliche Sicht des Erdenlebens als Passion (S. 35) wird in seiner Darstellung zu einer Art von verlorenem Paradies. Widerspruch regt sich, denn läßt sich nicht gerade am Beispiel Alighieris zeigen, wie grausam geschlossene Denksysteme mit dem Anderen umgehen? (Dante verbrachte 20 Jahre im politischen Exil und verbannte in der "Commedia" seine besten Freunde, seinen verehrten Lehrer Brunetto Latini und seine Kreatur Odysseus, den neuen, freien Menschen, dessen Sünde nichts anderes ist als Wissensdurst, in die Hölle, um den herrschenden Dogmen gerecht zu werden.) und Unruh überall Als Schauspielerin möchte ich noch hinzufügen: Es wäre sehr schön, wenn Mall weiter auf diesem Kurs bliebe und sich jenen Tendenzen widersetzte, die auf ein entmenschlichtes Theater der bloßen Präsenz des Schauspielers abzielen, und in dem Sprache zunehmend nicht mehr Sinn- sondern bloßer Ton- und Rhythmusträger ist. |
Manfred Schild & Thomas Gassner, Schrott & Korn: sunny-side up. Innsbruck: Skarabäus, 2002, 140 Seiten. "Carpe diem" mit Spiegeleiern. Ich arbeitete seit vier Jahren, drei Monaten und 22 Tagen in der selben Firma. (S. 7. "Es regnete vier Jahre, elf Monate und zwei Tage." "Hundert Jahre Einsamkeit", García Márquez) Die Stationen dieser Reise in einen "Parallelkosmos" (S. 234) entsprechen typischen Episoden von Jenseits-Reisen bzw. Fahrten in andere/verzauberte Welten in Mythen bzw. in der epischen Literatur: Die Protagonisten überqueren ein wildes Wasser, ersteigen steile Klippen, begegnen furchterregenden Menschen, befreien liebliche Frauen aus der Gewalt von Monstern/Bösewichten, entdecken im richtigen Moment ein Gefährt, das hilft, der Schwerkraft zu trotzen, werden beschützt und geleitet von einem überirdischen Wesen und haben eine Hilti, die Durendal/Balmung, Olifant und den Spruch Sesam-öffne-Dich aufwiegt. Dass Korn etliche Kapitel in einer Rüstung herumläuft, fördert dergleichen Assoziationen. Nun ist zwar anzunehmen, daß sich die Parodie im Fall von Schild und Gassner eher pauschal gegen die schulvermittelte "alte Literatur" und Fantasy richtet, die sie verkitscht wiederaufbereitet, und als unmittelbares Vorbild eher Monicellis "Brancaleone"- oder Monty Python-Filme dienen als Folengo, Pulci, Ariost, Rabelais, Cervantes etc. Um so auffallender ist es, daß die beiden Autoren sprachliche Lösungen finden, wie sie die karnevaleske (Gegen-) Literatur seit jeher benutzt hat. Ungeachtet dessen, daß Schild sagt, ihrer beider "Schreibe" sei "gänzlich unterschiedlich" (TT 29.11.01, 8) bedienen sich die Autoren einer sehr ähnlichen Kunst-Sprache, die zwar Fremdwörter, Regionalismen, Jargon, Neologismen enthält und gewisse grammatikalische Normen ignoriert, sich aber durch den Gebrauch literarischer Ausdrücke und eigener Wortbildungen von der Alltagssprache unterscheidet: "So wurden wir binnen kürzester Zeit zu den "GoGo-Boys" des "El Cielo Azul". Ich fühlte mich nicht schlecht als Meister dieser ganzheitlich-lasziven Bewegung. Was allerdings Schrott mit seinen Gelenken aufführte, passte unumwunden und auf den Punkt gebracht in die Kategorie: Sex pur! So wellten wir uns in die Herzen der hiesigen Damenwelt. Und ich kann nur sagen , die litauische Damenwelt ist es unbestritten wert , geherzwellt zu werden. Der stampfende Sound beamte mich in Regionen in die B.K. bisher noch nie vorgedrungen war. Es war idiotisch. Eine Träne des Dankes vertschüsste sich als Wasserdämpfchen in die Sphäre [...]" (S. 119) Insgesamt eine aus literaturwissenschaftlicher Sicht sehr interessante Neuerscheinung, die eigentlich alle Ingredienzien hätte, um ein Kultbuch zu werden. *Für technisch Unbedarfte: eine Hilti ist ein potenter Bohrhammer. [April, 2002] |
Der Untertitel des Dramas Die Erfindung der Nation bezieht sich darauf, daß der mittelalterliche Vasall sich nur seinem unmittelbaren Lehensherrn verpflichtet fühlte, und daß sich erst im Lauf des Hundertjährigen Krieges (1337-1453) nationale Gefühle ausbildeten. Mitterers Frankreich hat große Ähnlichkeit mit dem Österreich der blau-schwarzen Koalition von 2000. Fiktionale Basis des Stückes sind die Unrechtmäßigkeit der Forderungen des Dauphins und die Rechtmäßigkeit des Vertrags von Troyes (1420), in dem Charles VI und Isabeau de Bavière, die Eltern des Dauphins, Henry V, Lancaster, den Gemahl ihrer Tochter Catherine zum Thronfolger bestimmten. Infolgedessen halten sich die "Ausländer" zu Recht in "Frankreich" auf. Sie werden unterstützt durch den Herzog von Burgund, einen rechtschaffenen, etwas langweiligen Politiker, während der stets süffisant lächelnde, wortgewaltige Bastard Charles mithilfe des Fernsehens aus seinem Exil im Süden des Landes Ausländerhetze betreibt. Ein ehrgeiziger Erzbischof, arbeitet zunächst mit ihm zusammen, weil er unbedingt Kanzler werden will, sagt sich aber von ihm los, als der an die Macht gelangte Dauphin größenwahnsinnig wird, Proskriptionslisten anlegen und seine Steigbügelhalter ermorden läßt und Fernsehansprachen hält, (Bild 11) die an Charlie Chaplins Great Dictator erinnern. "Es war mein Blick auf eine Männergesellschaft," sagt Mitterer ohne auf den Schlüsseldramen-Charakter seines Stückes einzugehen, "in der ein Mädchen am Beispiel der mythischen Figur der Johanna benutzt wird." (Brigitte Warenski in: Tiroler Tageszeitung, 11. 1. 2002, S. 6). |
Claudia Mathis, Wie ich aufgestanden bin. Hall:Berenkamp Verlag, 2001, 112 Seiten. Innsbruckerin, Studium der Theologie und christlichen Philosophie, ehrenamtliche Blindenbegleiterin, Arbeit mit schwerbehinderten Kindern... Wer auf Grund dieser Kurzbiographie von Claudia Mathis erwartet, daß die Erzählung Wie ich aufgestanden bin ein braves, engagiertes Buch ist, wird überrascht sein, einer Kosmopolitin zu begegnen, die in Innsbruck, Dakar, Montréal und dem Jerusalem des König David gleichermaßen zu Hause ist, den literarischen Kanon kennt und rhetorische Mittel mit sicherer Hand einzusetzen weiß. Wenn ihre Protagonisten nicht ernsthaften bzw. prestigeträchtigen Tätigkeiten nachgingen, würden sie an die jeunesse dorée der Romane von Arbasino erinnern: Man hat sein eigenes Pferd, verbringt mit fünfzehn Sprachferien in Frankreich, hat keine Hemmungen, sich im Club Med zum Segeln einzuschleichen und bucht, etwas älter, Langstrecken-Flüge wie Gleichaltrige Busfahrscheine. So scheint der Konflikt, in den sich die Heldin verstrickt, u.a. auch dem Bedürfnis zu entspringen, in einer Welt, in der alles erlaubt und möglich ist, Grenzen zu überschreiten. Das heißt nicht, daß uns die Probleme ihrer Figuren nicht berühren. Mathis sorgt dafür, daß sie es tun. Schauspieler ist David natürlich auch in der fiktionalen Realität des Dramas, denn die Figur David spielt eine Rolle (die des unfehlbaren Königs - 52, 101), und dadurch entsteht eine Verbindung zu der anderen Dreiecksgeschichte, weil auch Jeanne eine Rolle spielt. (37, 68, 103) Daß die Figur Theater- und Film-Metaphern verwendet (Szene 74, Drehbuch 53, Seifenoper 68), wird durch ihre Mitarbeit in einer deutschsprachigen Laienschauspielgruppe in Dakar begründet. (27, 76) Die andere Verbindung zwischen Schauspiel und Erzählung ist, daß Jeanne und David ihre Mitmenschen wie Marionetten behandeln: Wie David meint, er könne Uria übertölpeln und ihm das Kind unterschieben, das er mit Batseba gezeugt hat, (39, 44, 50-51) oder ihre Liebe erzwingen, (81) so denkt Jeanne: "Ich werde dich besitzen, beschließe ich, jede Bewegung deiner Hände, jede Regung deiner Gedanken. Dann werde ich mich abwenden." (23) Und ein paar Seiten später: "Bei keiner meiner Berührungen hab' ich dich geliebt. Womit kann ich sie abhängig machen, dachte ich, und so habe ich mit dir gespielt." (27) Deshalb wird sie auch aggressiv, als "[ihre] Puppen selbständig zu spielen beginnen und auch [sie] die Rolle des Regisseurs immer mehr aufg[ibt]."(64) Wie ich aufgestanden bin ist eine Zauberlehrlingsgeschichte, in der das Experiment wichtiger ist als die Personenkonstellation und das Ergebnis, zu dem es führt - Straffreiheit -, und man fragt sich, ob nicht gerade darin das eigentliche Drama liegt. |