Waltraud Mittich, Mannsbilder Innsbruck: Skarabaeus, 2002, 117 Seiten
„Ich habe kein anderes Land/ als dieses/ ein Männerland/ sie halten die Hand auf/ sie scheffeln/ sie treten auf/ sie zertreten/ sie treten.“
Gleich vorneweg: Dies ist kein Buch von einer Frau für Frauen, auch wenn oder gerade weil in diesen Geschichten die Männer nicht gut wegkommen. Am besten tut man/frau daran, diesen Titel wörtlich zu verstehen: das Büchlein enthält also Bilder von Männern. Freilich nicht gestochen scharfe Porträts, sondern oftmals kaum in ihren Umrissen erkennbare, auch nur hie und da eine kaum angedeutete Kolorierung. Die Ich-Erzählerin steht mit allen diesen Männern in einer ferneren oder näheren Beziehung. Mindestens einen davon hat sie geliebt. Aus diesen Geschichten von unterschiedlichsten Männern setzt sich ein Bild der letzten 50 Jahre des 20. Jahrhunderts in Südtirol zusammen. Zugegebenermaßen ein düsteres, ein trauriges Bild, aber ein in sich stimmiges Bild. Nur einem Künstler kann das in so wenigen Pinselstrichen gelingen. Die verdienstvolle und sehr schöne Ausgabe „Das 20. Jahrhundert in Südtirol“ (Edtion Raetia) kann das nicht einmal in 5 Prachtbänden annähernd erreichen. Nur manchmal wirken die eingestreuten Kommentare der Erzählerin etwas zu direkt, dies haben die Geschichten aber nicht nötig. Die immer wieder eingefügten Meldungen aus dem „Tagblatt“ liefern hingegen wichtiges Zeitkolorit mit.
„Die Fünfziger“ werden mit der Geschichte von Paul erzählt, einem „Senkrechtstarter“, aber keinem „Sieger“, der, aus ärmlichen Verhältnissen kommend, den Tourismus im Tal mitaufbaut, Frauen, Autos und Geld anhäuft und mit 32 Jahren bei einem Autounfall stirbt. „Heute denke ich, dass er war wie Steine und Holz. Er hätte damit arbeiten sollen. Langsam und ausdauernd, wie er es gekonnt hätte, wäre die Zeit ihm nicht in die Quere gekommen oder ihr Geist.“ „Alles hatte seinen Teil Schuld an seinem Tod. Dachte auch, dass ihm nicht zu helfen gewesen war, weil der Aufstieg zu rasch kam, während die Angst ihm noch im Nacken saß.“
Für „Die Sechziger“ steht die Geschichte von Andreas Tschurtschentaler, der schlussendlich zum einflussreichen Politiker aufsteigt: „Und es ist diese Mischung aus Sentimentalität und Draufgängertum, Kaltblütigkeit, Anfälligkeit für Marschmusik und Fahnen im Wind, Hingezogensein zur Macht, forsches Reden bei gleichzeitiger Schwerfälligkeit im Denken, die ihn gefährlich macht. Denn er ist heute einer der führenden Männer im Land.“ Eine Leiche, über die Andreas gegangen ist, ist Ida. Für sie war Andreas die große Liebe. Als er eine andere heiratet (mit der er auch nicht glücklich wird), wird sie zur Hure und Alkoholikerin (sie stirbt mit 35) „Andreas ist ihr Henker.“
Für „Die Siebziger“ steht Heiner, vom wohlhabenden Bürgertum kommend, der zu einem drittklassigen Schauspieler wird. Aber er ist einer, der sich, wie man damals sagte, engagiert, ist immer dabei, wenn es um irgendwelche Störaktionen geht. Viele Autoritäten gab es damals nicht, auf die sich die Jungen in ihrer Kritik am Land stützen konnten. Auch Franz Tumler enttäuschte mit seinem Buch „Das Land Südtirol“. Aber auch Heiner ist ein Verlierer: „Von seiner Angst vor der Zeit redet er, von seiner Angst zu versagen, von seiner Angst, nicht zu genügen, und auch immer wieder von der Angst vor der enteilenden Zeit. Ich spüre, dass die Angst auch mich betrifft, Angst, von mir vereinnahmt zu werden. Heiner fürchtet sich auch vor meiner Liebe.“ Auch hier wird, wie an manchen anderen Buchstellen auch, die Rolle der Mutter infragegestellt. Heiner sagt von seiner Mutter: „Sie hat mich kaputtgemacht, flüstert er, sie macht alles kaputt. Sie will alles für sich, sie war die Hölle für mich.“
„Die Achtziger“ werden so eingeleitet: „Die Zeiten sind eisig geworden. Kälte im Strahleland, Berechnung, Gier. Dieses Jahrzehnt hat uns das Rückgrat gebrochen. Es ist kein Zufall. Ich kenne zwei Mörder.“ Einer der Mörder ist Ilario, ein Metallarbeiter, von Süditalien zugezogen, findet er weder Anschluß bei den ansässigen Italienern noch bei den Deutschen. „Wir haben wohl gespürt, dass er allein war wie ein Hund, aber unternommen haben wir nichts.“ Diemut ist der andere, ihn interessiert nur mehr Geld, dafür tötet er auch.
„Bis ins neue Jahrtausend“ heißt das letzte Kapitel und beginnt mit der Überschrift „Viele Verlierer hat das Land“, einer ist Walfried, ein junger Conte kommt vor und Hans. Ein Mannsbild auf dieser Verliererliste erinnert sehr an Alexander Langer: „Da ist einer, der hat einen Glauben, gegen eine übermächtige Mehrheit. Er ist sein Leben lang im Widerstand.“
Norbert Conrad Kaser hat Ende der 60er und in den 70er Jahren mit Südtirol abgerechnet. Mittich (geb. 1946) – um ein Jahr älter als er – präsentiert erst jetzt ihre Abrechnung. Ihr Bucherstling wird dadurch zur Rückschau. Sie hat diese Zeit miterlebt, hat aber auch genügend Distanz, um mit analytischer Neugier nach Gründen der Zu- und Mißstände in diesem männerdominierten Land zu fragen. Und es ist ein bemerkenswertes Debüt, ein Buch, das Aufsehen erregen wird, auch wenn die Erzählerin das viel skeptischer sieht: „Und immer wieder macht sich einer auf den Weg, auch hier in diesem Land. Schreibt an gegen die Enge, die Lüge, die Übermacht. Aber hier werden noch immer Bücher totgeschwiegen, unter dem Ladentisch gehandelt, es läuft auf Bücherverbrennung hinaus.“ Denn dies ist ein Buch, in dem – vielleicht von einigen wenigen abgesehen – niemand direkt angegriffen wird, aber alle, die dieses halbe Jahrhundert in Südtirol zumindest teilweise miterlebt haben, sich betroffen und getroffen fühlen werden. Denn nicht der Hass, sondern die Liebe (auch zu den Männern) überwiegt, der Rückblick ist oft zwar bitter, aber ohne Verbitterung. „Fest steht, dass ich mich eingelassen habe auf die Geschichten. Ich habe nur einen einzigen vernünftigen Grund dafür. Ein Ventil gefunden zu haben für meinen Zorn, wenn ich nachdenke über das Land.“
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