Rezensionen von Gabriele Wild

  
 

 
C. H. Huber, FORT SCHREIBUNG
. Lyrik der Gegenwart
Edition Art Science 2013, 121 Seiten.

FORT SCHREIBUNG nennt Christine H. Huber ihren neuen Lyrikband und es geht darin nicht nur um das Weiterschreiben, um ein schreibendes Lebenszeichen, sondern es geht auch um den Wunsch sich wegzuschreiben, um die Flucht hinein in fremde Welten, um die Flucht ins Gedicht.
Aber die meiste Zeit bewegt sich C. H. Huber zwischen den Welten. Denn die Flucht in den Tagtraum, in die Fantasie, das ist die eine Sache, aber der Alltag mit all seinen kleinen Quälereien und Mühen, seiner Hitze und seiner Kälte, das ist die andere. So sind die Gedichte von C. H. Huber immer zweierlei:
Ein Weghören nicht ohne ein Hinhören, das intensive Gefühl des Moments und das Wissen um dessen Vergänglichkeit, leichtfüßig und schwer, erhaben und derb, Bilderwelt und Weltbild.
Das Konzept der Dichterin blieben nach wie vor die rechtsbündige Ausrichtung der Gedichte und die (Unter)titel am Ende des Texts. In dem sehr dichten Band streift der poetisch-sinnliche Blick von C. H. Huber immer wieder konkrete Orte, wie z.B. jene Stadt, der man vor einigen Jahren Weltstadtcharakter zuschrieb (diesem Zyklus gibt die Autorin den unrühmlichen Titel „Am A der Welt“), aber auch Unorte, wie das Internet werden ausgelotet und immer wieder Menschliches und Tierisches. Witz und Ironie sind dabei stets ihr Handwerkszeug: Lachen für das Leben und lachen gegen den Tod. Selten nur wird in den Gedichten auf den ständigen Begleiter vergessen. Seine Präsenz nagt an den Worten, an dem dichtenden Ich und erzeugt den bitteren Nachgeschmack des Zweifels.
Zweifellos ist C. H. Huber eine unermüdliche Dichterin, in deren Inneren schreiben und leben untrennbar miteinander verbunden zu sein scheinen. Seit langem kennt man sie hierzulande als Autorin, die – so steht es in ihrer Biografie – in ihrer Heimatstadt Innsbruck und in Griechenland lebt, liebt und arbeitet.
  

in reih und glied stehen sie
stehen beim gehen zu dick gerten
schlank oder keins von beiden
ihre arme
jahreszeitlich nackt
fassen sich freundschaftlich an
einer verlässt sich auf den anderen
so scheints
in wahrheit kämpfen sie ums licht
verschenken keinen zentimeter
jeder für sich ne ich ag

dichte r allee

 


   

 

 
Angelika Rainer, Odradek

Innsbruck: Haymon 2012 

„Ich will die Hilfe von Vordenkern annehmen“ (S. 8), schreibt Angelika Rainer im ersten lyrischen Stück ihres aktuellen Buches „Odradek“ (Haymon 2012). Odradek, so nennt sich das gesichtslose Zwirnspulenwesen, das Franz Kafka in der kurzen Erzählung „Die Sorge des Hausvaters“ beschreibt. Wie schon ihrem Debüt, der lyrischen Erzählung Luciferin (hier ging die Autorin von der Erzählung „Die drei Leben der Lucie Cabrol“ aus), legt Angelika Rainer auch ihrem zweiten Buch einen Referenztext zu Grunde. Als flinkes, außerordentlich bewegliches Wesen wird Odradek von Kafka beschrieben, das als Ganzes „zwar sinnlos“ erscheint, „aber in seiner Art abgeschlossen“ ist. Auf dem Dachboden, im Treppenhaus, auf den Gängen oder im Flur des Hausvaters, ist Odradek die meiste Zeit anzutreffen, wenn er sich nicht gerade in anderen Häusern herumtreibt. Manchmal, so heißt es bei Kafka, überkommt einen die Lust, das Wesen anzusprechen. Hier setzt Angelika Rainers Auseinandersetzung in Form lyrischer Prosaskizzen mit dem kafkaschen Geschöpf ein: „Unterredung (Der Hausvater spricht zu Odradek.)“ nennt sie den ersten Abschnitt ihres Bandes. Es folgen die Kapitel „Nachtstücke (Odradek erzählt.)“, „Von der Seele (ein Auge allein zu klein es zu fassen“ und „Coda“, die im Buch jeweils mit Zitaten aus Kafkas Erzählung versehen sind, mit Ausnahme des Abschnitts „Coda“, der von einem Ausschnitt aus dem Gedicht „Dunkles Aug im September“ von Paul Celan eingeleitet wird.
Mit den vorangestellten Zitaten legt die Autorin intertextuelle Fährten, denen man folgen könnte: Der Hausvater, der mit dem seltsamen Wesen Odradek in Kontakt treten möchte, Odradek, der sich zuweilen an anderen Orten herumtreibt und erst nach Monaten zurückkehrt, und die größte Sorge des Hausvaters, die schmerzliche Vorstellung, dass ihn Odradek wahrscheinlich überleben wird. Diese Aspekte der kafkaschen Erzählung spinnt Angelika Rainer weiter, nimmt sie zum Anlass für Erkundungen nach dem Älterwerden, dem Tod und der Seele. Dabei verwandelt Angelika Rainer den Hausvater und Odradek in zwei Figuren, die einander umkreisen und aufeinander reagieren, aber auch eigene Wege einschlagen: In Rainers Hausvater könnte man das Bild eines Menschen im fortgeschrittenen Alter sehen, der auf sein Leben zurückblickt, intensive Momente und Erinnerungen hervorholt; ein Mensch, der Antworten auf Fragen gefunden hat, aber dennoch nicht frei von Wünschen ist:

Herr über das Staunen will ich werden, Oden verfassen
die das ausufernde Gefühl zu läutern vermögen
Tage und Orte langsam belichten (welche Gesetze ich nach einer Zeit
            erkannte, welche Gesten ich verstand!)
Farbe, Form und Geruch will ich sammeln
Wolken- und Apfelstudien betreiben
für späteren Gebrauch und nachträglichen Sinn. (S. 17)

Rainers Odradek ist ein Freigeist, der sich in der Welt der Menschen, genauso wie in der Zwischenwelt der Träume und Fantasie aufhält und sich darin treiben lässt. Wenn „Odradek erzählt“, dann sind die (meisten) Texte im Blocksatz geschrieben, erhalten eine abgeschlossene Form. Odradek taucht in Mexiko oder in Finnland auf, begegnet Menschen, die ihm Rätselhaftes berichten:

Am Grunde flüsterte ein Bach, ein Mädchen mit weißen, fliegenden Haaren gestand:
Ich bin mit Farben allerart vertraut, für den Verrat hingegen sehr gefährdet. (S. 38)
[…]
Ein augenbrauenloser Mensch berichtete von Störzonen im Gesteinskern
und Rußfeldern in seinen wässrigen, zu nahe beieinander liegenden Augen. (S. 42)

Odradek hat verschiedene Stimmen, er tritt als lyrisches Ich, aber auch als „wir“ und als neutraler Erzähler in Erscheinung. Vielleicht ist er so etwas wie ein ständiger Begleiter, eine Art Seele, die in der Natur und in den Dingen wohnt oder ein Einflüsterer, der zuweilen auch lästig werden kann: „Sprechen Sie nicht mit mir, ich esse, immer sitzt mir ein Gebieter im Nacken.“ (S. 56)
Man sollte in Angelika Rainers Texten aber nicht ausschließlich nach den kafkaschen Figuren fahnden: Neben „Farbe, Form und Geruch“ versammelt die Autorin in ihrem Buch auch Klang, Rhythmus, (Natur)bilder, Vergleiche, Motive und Metaphern. Es kommt vor, dass einzelne Motive oder Bilder über mehrere Texte hinweggezogen werden, aber kaum, dass man sich an sie gewöhnt hat und nach ihnen zu suchen beginnt, auch schon wieder verschwinden und durch neue abgelöst werden. Das ist auf der einen Seite anregend und erstaunlich, denn die Kraft der Bilder ist bemerkenswert, auf der anderen Seite wird einem durch diese Vorgangsweise aber auch jeder noch so kleine Strohhalm verweigert, an dem man sich ab und zu gerne festhalten würde, um Anhaltspunkte für diese Texte zu finden. „Coda“, wie den zusammenfassenden Teil eines Musikstücks, nennt Angelika Rainer den letzten Abschnitt ihres Bandes. Darin begegnen einander immer wieder ein Ich und ein Du, etwas Tröstliches, liegt in den Texten, aber auch das Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit: „wie verschwiegen / wie still wir sind / über unser sicheres Ende.“ Je ruhiger die Texte werden, je näher Rainer mit ihrem Sprachwerkzeug bei einem Thema bleibt, desto dichter und eindrücklicher werden sie, desto mehr gewinnen sie an Stärke.
Allen Texten gemeinsam ist aber zweifellos eine spürbare Lust und Begeisterung daran, sich in der Sprache und ihrem Variantenreichtum zu verlieren: „Die Freude über den Duft von Kaffee und des Menschen Vermögen etwas aufzuschreiben war groß, die Verwechslung von Süden und Norden bedeutungslos geworden.“ (S. 47).

 


 


 
Kurt Lanthaler, Goldfishs reisen um die halbe Welt
. Gedichte
Innsbruck-Wien: Haymon, 2012

Mit dem Goldfish durch schillerndes Wortgewässer

Seinen aktuellen Lyrikband verdankt Kurt Lanthaler einem befreundeten Künstler. Tomaso Boniolo, so erfährt man im Nachwort des Bandes, reiste mit einem Goldfisch im Gepäck mit der Transsibirischen Eisenbahn an den Baikalsee. An die Glaskugel, in der sich der Goldfisch befand, brachte der Künstler einen Bleistift an und hängte sie ins Gepäcksnetz. Darunter legte er Papier und durch das Wackeln des Zuges entstanden Bleistiftskizzen. Kurt Lanthaler ging der reisende und zeichnende Goldfisch nicht mehr aus dem Kopf und während eines langen Winters formte sich dieses Bild zu Reimen und der Goldfish als literarische Figur ward geboren. Im nun vorliegenden Band sind 55 Reisen des Goldfishs auf seinem Weg „um die halbe Welt“ versammelt. Der Vorsatz zum Band lautet „Uebungen in tonaler Atemkontrolle“, womit nicht nur auf die zumeist gleich bleibende Form der Gedichte, was Reimschema und Versmaß betrifft angespielt wird, sondern auch auf die komplexe Unterwasseratmung von Buckelwalen, der seine Nahrung durch Blasen aufnimmt. Lanthalers Goldfish scheint sich dem Gemüt des Buckelwals nahe zu fühlen, heißt es doch in einer Art Kehrreim in einigen Gedichten: „Goldfish schwamm durch den ural / Goldfish war sich buckelwal.“ Der Volksmund sagt über den Goldfish, er habe eine Gedächtnisspanne von genau drei Sekunden. Kaum hat er seine kugelförmige Behausung einmal umrundet, hat er auch schon wieder vergessen, dass seine Welt nicht mehr ist als ein Goldfischglas. Neuen Erkenntnissen zufolge tut man dem Goldfisch mit dieser These allerdings unrecht. Mindestens drei Monate, so fand man heraus, kann ein Goldfischgedächtnis reichen. Lanthalers Goldfish zeigt zumindest 19 Reisen lang keine Anzeichen eines geistigen Verfalls, ab der „zawaventesigsten“ Reise zeigt er aber Verhaltensauffälligkeiten. Da schleicht sich das italienische „venti“ in das deutsche „zwanzig“ hinein und der Goldfish reist auf Italienisch (mit Verweis auf die deutsche Übersetzung im Anhang des Buches). Ab der „einunzawanzigsten“ Reise lernt man die Berliner Schnauze des Goldfishs kennen, die Lanthaler, der schon seit einigen Jahren die meiste Zeit des Jahres in Berlin lebt, mittlerweile gut bekannt sein dürfte. Dem geschäftstüchtigen Goldfish mit Ideen zur Selbstvermarktung begegnet man in der „neureichsten“ Reise (S. 45):

Goldfishs neureichste Reise um die halbe Welt

Golfdish sachte : hoernSe mal
Das waer doch eine sache

wenn ich, was unueblich is
mich blatt vergolden machte

Son leiser auftrag, hauch
duenn gepinselt auf mein bauch
Es waer ein ueberzuch, partu
mit dem waer ich auf du und du
und ich waer gold und blatt
und platt noch lang nich

Sowas, sacht goldfish
Das: waer ein gedicht

Im Großen und Ganzen ist der Goldfish ein feiner, kluger Zeitgenosse, der weiß, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Auf seinen Reisen reimt er sich allerlei Philosophisches über das Unterwegssein, die Liebe und das Leben zusammen. Bisweilen wird er sogar gesellschaftskritisch und nachdenklich, was im nächsten Moment aber auch schon wieder ironisch gebrochen wird.
Einige Gedichte in diesem Band wurden wohl schnell aus dem Ärmel des Dichters geschüttelt, zusammengereimt zum Zeitvertreib, lyrische Fingerübungen an Schlechtwettertagen. Ihr fröhliches Parlando unterhält in erster Linie; wurden die Gedichte doch auch, wie Lanthaler im Nachwort schreibt, zum Teil als Verschenkgedichte konzipiert.
Reizvoll an der Goldfish-Lyrik ist das sprachliche Spiel: Solange Form und Reimschema stimmen, ist alles erlaubt: Die Wörter verschieben sich phonetisch, ziehen sich zusammen, Wortneuschöpfungen werden kreiert. Es eröffnet sich einem eine riesige Spielwiese, ein farbenfrohes Wortgewässer, aus dem man schöpfen kann. Somit eignen sich diese Gedichte, wie im Nachwort nachzulesen ist, für Experimente verschiedenster Art: Die Goldfish-Lyrik wurde bereits von verschiedenen KünstlerInnen in „halbanderes transformiert“ (S.61). Die Texte wurden vertont, in Klangdateien verwandelt, in Partikel zerlegt auf kleine Karten geschrieben und zu einem Neutext zusammengelegt. Man darf also gespannt sein, an welchem Ort der Goldfish als nächstes auftaucht.

 


   


 
Martin Mandler,
23 Tage
Luftschacht Verlag. 2011

Auf 144 Seiten erzählt Martin Mandler, was sich vom 3. bis zum 25. November im Inneren seines Ich-Erzählers abspielt, während sich dessen Freundin Laura 23 Tage lang, getrennt von ihm, in London aufhält. Mandlers Debütroman hat einerseits etwas von einem Tagebuch, in dem der Ich-Erzähler, beginnend mit dem 3. November, Erinnerungen, innere Monologe und Gedankenschleifen festhält, die Einblick in sein tristes Leben vor Laura und in seine Sehnsucht nach Laura geben. Andererseits weisen die Erzählzeit, die überwiegend mit der erzählten Zeit übereinstimmt und die – immer wieder angeführten – genauen Angaben zur Uhrzeit, unentwegt auf die Unmittelbarkeit des Geschehens hin. Mandler will die Lesenden ganz nahe an den Ich-Erzähler heranholen, was ihm auch gelungen ist. Die Leserinnern und Leser werden zu Zeuginnen und Zeugen seine Liebes- und Lebenskummers. Die Direktheit mit der die Lesenden am Leben des Ich-Erzählers teilnehmen, ist genauso fesselnd wie entfremdend: Seite für Seite verbringt man mit einem Menschen, der zutiefst einsam ist, der – abgesehen von einigen irrationalen, verzweifelten Handlungsversuchen – weitgehend handlungsunfähig ist und dessen Gedanken bald nur noch von Laura oder Laura und Brad, bei dem der Ich-Erzähler seine Freundin in London vermutet, bestimmt werden. Was Martin Mandler, indem er sich ganz auf die Gefühlswelt und das Liebesleid seines Erzählers konzentriert, dabei aber leider – weil es den Lesenden nach und nach zu interessieren beginnt – ausspart, ist Laura selbst. Ihre Person bleibt vage, ihr Bild unscharf, fast als gäbe es sie gar nicht, obwohl ihr Name nahezu auf jeder Seite vorkommt. Kann sein, dass das von Mandler so gewollt war, aber auf diese Weise bleibt der Roman zuweilen ein wenig einseitig und etwas zu sehr im Ego des Erzählers verhaftet. Man wünscht sich manchmal, Mandler hätte den Ich-Erzähler etwas mehr aus seiner Innenwelt herausgelassen und dadurch den Blick auf die Außenwelt freier gemacht. Auch wenn sich nach einigen Seiten herausstellt, dass sich die Begegnung mit einer jungen Frau in einem Vorort von London nur in der Phantasie des Erzählers abgespielt hat, so sind es kurze Szenen wie diese, die zur Dynamik des Romans beitragen und die man gerne öfters gelesen hätte.
„Unterlebensgroß“, so wird der Erzähler im Klappentext bezeichnet, in dem es weiter heißt, er sei Teil einer Generation, „die in das Bewusstsein hineinerzogen worden [sei], Großes und Außergewöhnliches leisten zu können“,aber dennoch daran scheitert. „Wir merken alle, wie klein wir sind.“ – diesen etwas mutlosen Satz stellt Martin Mandler seinem Roman voran. „23 Tage“, das ist nicht nur ein Roman über das Festhalten und Loslassen, sondern auch ein zutiefst beunruhigendes Portrait, eines Endzwanzigers oder Mittdreißigers, der mit seinem Leben nicht zurechtkommt, von Ängsten geplagt wird, der seinem Glück nicht trauen kann und daher immer nahe daran ist, sich aufzugeben.

 


 


 
C. H. Huber, die poesie der waschstraße
. Gedichte
Skarabaeus Verlag 2011

anderswie, so lautet das erste der sechs Teilkapitel von C. H. Hubers neuem Gedichtband die poesie der waschstraße. anderswie – auf verschiedene Weise streift C. H. Hubers Blick durch ihre Umgebung, durch den Tag, durch die Zeit, in der wir leben.
Die Gedichte sind rechtsbündig platziert, die Titel sind, wie auch im letzten Gedichtband von C. H. Huber, unter die Gedichte gesetzt. In den „Untertiteln“ kann man vielleicht das fehlende Puzzlestück finden, das einem bei der Erschließung des Gedichts helfen kann (wie z.B. bei orgelprobe, S. 11). Nicht immer gelingt das Spiel der Autorin, beispielsweise, wenn sich die nachgestellten Titel wie Zusammenfassungen der Gedichte lesen und den – im vorhergehenden Text aufgebauten – Fluss der Worte stören. Durchaus gelungen zeigt sich diese Form aber beispielsweise im Gedicht weitersagen (S. 36), in dem der unten angeführte Titel eine ironische Wendung des Gelesenen herbeiruft, da es zunächst im Text darum geht, etwas eben nicht weitersagen zu wollen.
In ihrer Lyrik zeigt sich C. H. Huber immer wieder als genaue Spracharbeiterin. Sie spürt den Worten nach, zerlegt sie, arbeitet mit Zeilensprüngen und bringt auf diese Weise ihre Gedichte in eine passende Form. Das Gedicht aushäusig kann als Beispiel für ein gelungenes Zusammenspiel von Form, Sprache und Inhalt gesehen werden: Es stellt den im Gedicht erwähnten Vogelschwarm auch formal dar.
Will man C. H. Hubers Gedichte einordnen, so kommt man vielleicht auf die Begriffe Alltagslyrik, Naturlyrik oder Gedankenlyrik. Mit C. H. Hubers Gedichten kann man buchstäblich in den Tag hinein leben: hundstag, fabelhafter tag, sautage, diagnosetag oder indian summer´s day, so untertitelt die Autorin.
Es sind Momentaufnahmen der Natur (häufig die Übergangszeiten, in denen man z.B. den Sommer noch erahnen kann, bevor es Herbst wird), Stimmungen und Gemütszustände die C. H. Huber in diesen Gedichten einfängt. Der/die Leser/in begleitet ein sich immer wieder infrage stellendes lyrisches Ich oder ein lyrisches Wir, das sich meist über Infinitivkonstruktionen äußert. Es geht um das Gefühl, sich vielleicht doch im falschen Leben zu befinden, oder um den Wunsch, etwas an sich zu ändern, wenn man eben nur wüsste wie.

manchmal perlen
unter säue werfen
ohne möglichkeit
das zu ändern in
bezug auf sich selbst
und die verbleibende zeit
[…]
sautage (S. 10)

Vielleicht steckt hier auch ein bewusstes Innehalten dahinter, ein Bilanz Ziehen und Nachdenken über die verbleibende zeit (S. 10). Aber es ist nicht ausschließlich ein Reflektieren, dem C. H. Huber in ihren Gedichten nachgeht, es ist auch ein Zelebrieren der freudigen Momente im Leben, wie die letzten Sonnenstrahlen im Herbst oder das Gefühl, einfach nur den Wellen des griechischen Meeres zu lauschen.
Ihrer zweiten Heimat Griechenland widmet sich die Autorin auch in diesem Band wieder ausführlich, und zwar unter dem Teilkapitel anderswo. Da folgt C. H. Huber mit ihrer Sprache der Brandung oder findet Metaphern für die schäumenden Wellen:

[…] blaue pferde
mit weißen mähnen

galoppieren zum strand
verlieren sich

linaria/kalymnos I (S. 20)

In diesen Gedichten kann man sich einerseits von pinienduft (S. 20) umfangen oder von Frühlingsstürmen treiben lassen andererseits gibt es aber auch den kritischen Blick auf den Urlaubsort, der für gestrandete Flüchtlinge zum Albtraum werden kann (afrikanischer regen oder lentas XV, S. 29).
In den Kapiteln die späte oder in ständiger begleiter macht sich wiederum jene Ernüchterung breit, wie man sie schon aus dem ersten Kapitel kennt. Hier kommt man dem lyrischen Ich näher, Personalpronomen werden eingesetzt.

[…]
auch du
an vielen tagen
gekühlt
an freundschaft
getröstet
geklammert
[…]
diese eine (S. 33)

C. H. Huber begibt sich auf die Spuren der Angst, sei es jener vor dem Alleinsein, vor dem Älterwerden oder jener nie wirklich wegzudenkenden vor dem Tod. Zur Überwindung der Angst bietet die Autorin eine Zwischenlösung an, die Melancholie. In die ergeht sich das lyrische Ich, wenn es eine späte Liebe erfährt, auf die es nicht weiß wie reagieren.
Liebe und Sehnsucht – auch das sind Themen in C. H. Hubers Gedichten; besonders stimmig umgesetzt im Gedicht ufos (S. 37):

jedes mal verliert ihr
euch ein stück an die abwesenheit
an deine und seine welten
dabei wart ihr euch so nah gewesen
geöffnet waren euren
raumschiffen rampen zum flug
auf bewohnbare planeten
wo werdet ihr nun wieder landen
ufos ihr zwei

ufos

Untrennbar mit C. H. Hubers Gedichten verbunden ist ein Augenzwinkern oder ein Aufblitzen der Ironie. Dem Tod, dem ständigen begleiter (S. 75) hat die Autorin Lebenslust und vor allem Humor entgegenzusetzen. Wenn die Lyrikerin von den großen Fragen ablässt, entstehen Gedichte von besonderer Unbeschwertheit, wie z.B. im titelgebenden Gedicht poesie der waschstraße (S. 47) nachzulesen, in dem der schaum/feuchte Weg der rotierenden Bürsten der Waschanlage poetisch in Szene gesetzt wird.
Die Natur – ein immer wiederkehrendes Thema in C. H. Hubers Lyrik; der Abschnitt mit munde, in dem die Hohe Munde, ein Berg am Ostende der Mieminger Kette in Tirol, aus verschiedenen Blickwinkeln beschrieben wird, unterscheidet sich von den übrigen Naturgedichten, in denen die Veränderungen z.B. der Jahreszeiten in subtilen Bildern dargestellt werden. Die Bilder der Munde-Gedichte hingegen erscheinen manchmal sehr massiv, der gewohnt reflexive Blick der Beobachterin verliert sich.
fehlende spielanleitung (S. 3), so lautet das erste Gedicht des Bandes. Um C. H. Hubers Gedichten nachzugehen kann man auf eine Spielanleitung gerne verzichten. Folgt man nämlich ihrem Spiel der Worte, dem Fluss und der Bewegung ihrer Gedichte, fühlt man sich mitgenommen und aufgehoben. C. H. Huber legt einen abwechslungsreichen Band vor, der die Balance hält zwischen Leichtigkeit und Schwere und in den man sich immer wieder neu vertiefen kann.

 


 


 
Stefan Abermann, Hundestaffel.
Roman. Skarabaeus 2011
Robert Prosser, Feuerwerk. Prosa. Klever Verlag 2011

Die ersten Texte von Robert Prosser und Stefan Abermann, beide Jahrgang 1983, konnten nicht in Zeitschriften oder Anthologien nachgelesen werden, wie das bei jungen Autorinnen und Autoren häufig der Fall ist. Der literarische Werdegang dieser beiden Autoren begann auf der Bühne des Bierstindl Poetry Slams, im mittlerweile der Vergangenheit angehörenden Innsbrucker Kulturgasthaus am Fuße des Berg Isels. Beim Poetry Slam, übersetzt „Dichterwettstreit“ oder auch „Dichterschlacht“, geht es darum in einer begrenzten Zeitspanne mit einem literarischen Text um die Gunst des Publikums zu werben, denn es sind die Zuschauerinnen und Zuschauer, die letztlich entscheiden, wer den Slam gewinnt. Die vortragenden Autorinnen und Autoren sind daher bemüht, mit der Kraft ihrer Worte möglichst schnell die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Besondere Wirkung bei der Zuhörerschaft erzielen meist jene Texte, die einen witzigen oder skurrilen Inhalt haben und zur Unterhaltung beitragen, aber immer wieder reüssieren auch sprachspielerische, rhythmische und lautmalerische Textexperimente. Denn für einen Slam-Text ist nicht nur ein gelungener Inhalt ausschlaggebend für den Erfolg, wesentlich ist die Performance, die Art und Weise wie der Text vorgetragen wird und somit auch sein Ton oder sein Klang. Auf der Bühne eines Poetry Slams ist das einzige Instrument, das der Autor/die Autorin benützen darf um das Publikum zu beeindrucken, die Stimme. Bei Stefan Abermann beispielsweise, ist jedes Wort, jeder Satz, jede Pause und jede Geste auf den Vortrag abgestimmt. Abermann schreit und flüstert auf der Bühne, je nachdem, welche Stimmung er erzeugen möchte. Das Publikum dankte ihm dafür, indem es ihn 2008, beim sogenannten Ö-Slam, zum besten Slammer Österreichs kürte. Robert Prosser lernte man auf den Bühnen der Poetry Slams als sehr schnellen, sich beinahe überschlagenden Vortragenden kennen, dessen sehr rhythmischer Vortrag bald zu seinem Charakteristikum wurde. Später, auf der von Stefan Abermann gegründeten Innsbrucker Lesebühne „Text ohne Reiter“, bekam man Prossers audiovisuelle Arbeit zu sehen, die er parallel zu seinem Textvortag mitlaufen ließ.
Die Bühne war Stefan Abermann und Robert Prosser also schnell vertraut und sie stellte für die beiden Autoren sicherlich einige Jahre eine Art Experimentierfeld dar, auf dem sie ihre Texte vor Publikum ausprobieren konnten. Mit ihren beiden Büchern begeben sich die Autoren nun einen Schritt weiter, verlassen die gemeinschaftliche Bühne und schlagen neue Wege, auch abseits der Lesebühnen und Slams ein, was aber nicht heißen soll, dass Abermann und Prosser nicht weiterhin in der Szene aktiv sind.
Mit „Strom. Ausufernde Prosa“ (Klever Verlag) legte Robert Prosser bereits 2009 sein erstes Buch vor. Nun ist sein zweites Buch mit dem ähnlich elektrisierenden Titel „Feuerwerk“ (Klever Verlag) erschienen. Stefan Abermann debütierte dieses Jahr mit seinem Roman „Hundestaffel“ (erschienen bei Skarabaeus). Beide Bücher enthalten Elemente, die aus der Tradition des Poetry-Slams stammen – es geht um Schnelligkeit, um den Effekt und um Rhythmus – auch ihre von Slam und Lesebühne gewohnte Vortragsweise behalten die beiden Autoren bei Lesungen bei. Beide Autoren lesen stehend, der Text liegt auf einem schlichten Notenständer auf. Prosser präsentiert seinen Text über weite Passagen auswendig und präsentiert, mit Labtop ausgerüstet, eine perfekt abgestimmte Performance aus Musik, Video und Stimme.
In „Feuerwerk“ zeigt sich Robert Prosser, als Spracharbeiter mit scharfem Blick, der die Möglichkeiten der Sprache so weit ausreizt, dass sich irgendwann sogar der Kommentar oder der Fluch im Buch findet: „Ärgerliche Selbstreflexion. Vermaledeites Schreiben über das Schreiben.“ (S. 46). Stefan Abermann, der sich in seinen Texten immer wieder mit der dunklen Seite der menschlichen Psyche auseinandergesetzt hat, wagt sich nun in seinem Debüt, in tiefe Abgründe hinein. In Abermanns Buch zeichnet der Ich-Erzähler Thomas das Psychogramm von Hannes nach, einem kompromisslosen Egoisten, der seine Freunde nur für seine eigenen Zwecke missbraucht. Hannes ist, so heißt es im Klappentext, ein moderner Don Juan. Die Charakterzüge von Don Juan sind auch in der Gruppe junger Leute rund um Hannes zu finden, die ein Leben führen, das aus Rauschzuständen, Musik und Maßlosigkeit besteht, aber auch vom Gruppenzwang von Unterdrückung und Machtausübung beherrscht wird. Der Ich-Erzähler und seine Freunde scheinen einer verlorenen Generation anzugehören. Ihre Eltern sind zwar vorhanden, doch treten sie immer nur schemenhaft auf, mischen sich nie ein, lassen ihre Kinder gewähren und sind durch ihr permanentes Desinteresse an ihrem Nachwuchs eigentlich letztendlich Schuld an dem Desaster, in das die Clique nach und nach hineingerät. Abermann lässt seine Figuren eine Woche durchlaufen, in der sich ein Konglomerat aus Macht, Spiel und Rache zusammenbraut, das in einem grande finale, im bitteren Ernst endet. Geschrieben ist das Buch nahezu atemlos, wie ein lange anhaltender Partyrausch:

Doch was soll´s. Everything falls apart und es pumpt, es pumpt, es pum-pumpt, wie in einem Club, bei lauter Musik. Schlägt sich einem um die Ohren wie die Nacht, die Musik. Denn wahrscheinlich hast du nur zu viel getrunken – you, the perfect drug –, suchst kurz Halt an der Wand, während eine bunte Masse an dir vorbeischwimmt – you disappear – in der Masse, die nur noch aus farbigen Flecken besteht – lose control – in der Masse aus Musik, die dich stützt, die dir Halt gibt, dich trägt. (S.7/8)

Manchmal hätte man sich von Abermann etwas mehr Zurückhaltung gewünscht, ein paar leisere, dichtere Töne vielleicht, damit das eine oder andere schiefe Bild, wie z.B. „Aus dessen Nase schoss das Blut wie eine Stichflamme“ (S. 60/61), vielleicht hätte vermieden werden können.
Robert Prossers Prosa, so auch die Genre-Bezeichnung seines Buchs, ist formal durch einen Countdown von 10 bis 0 strukturiert. Prosser wirft innerhalb dieses Countdowns Schlaglichter auf eine Reise durch Venezuela, auf die Natur, auf die Provinz und die Großstadt, auf Mann und Frau. Prossers Prosa bestimmt eine verspielte und bildreiche Sprache. Dabei ist es nicht nur die pure Lust am Schreiben oder auch am Leben, um die es geht, es ist auch das Reflektieren, das zur Seite Treten und der Hand beim Schreiben zusehen und die Überlegung wer eigentlich Macht über wen hat: Der Autor über die Sprache oder die Sprache über den Autor? Prosser erfreut den Leser/die Leserin mit Wortneuschöpfungen und irisierender Bildsprache wie „Irisschillern“ (S. 5) oder „Flockenflirren in Spiralenform“ (S. 14). Ein Prosser-Leser bzw. eine Prosser-Leserin braucht Geduld, braucht Muße, sich einzufühlen in diese Welt aus langen Sätzen, aus einer Sprache, die reich an Impressionen und Geheimnissen ist. Prosser bleibt in seinem Schreiben aber immer konsequent und lässt einen nicht, in Assoziationen verstrickt, hängen. Denn der Autor setzt seine Worte und Bilder genau ein. Er spielt mit Wiederholungen, Sprachvariationen und Wortfeldern und gibt so immer wieder eine Struktur vor, die als Anhaltspunkt beim Lesen dienen kann:

Erst im Nachhinein ist es Schrift wie Körper anzusehen, dass ich vielleicht zum ersten Mal wirklich bewusst zurückkomme, hoch in den Talkessel trampe und entlang der Straße, bis quer darüber hinweg zieht sich das Nebelfeld, als Wegelagerer, beide eilen wir die Schlucht herauf, deren weißliche Schwebe von Autoscheinwerfern belebt wird und ich gehe, den Reflektionen der Leitschienen entkommen, das letzte Wegstück zu Fuß den Atemwolken hinterher, punktiert als Morsezeichen ist da wer? (S. 5/6).

Stefan Abermann und Robert Prosser – zwei junge Autoren auf deren weitere Entwicklung man noch gespannt sein darf.

 


 


 
Barbara Aschenwald, Leichten Herzens.
Erzählungen
Innsbruck: Skarabaeus 2010, 124 Seiten

13 Erzählungen umfasst Barbara Aschenwalds Debüt. „Fürchtet euch nicht“, lautet der Titel der ersten Erzählung; und diese biblische Verkündigung kann als immer wiederkehrendes Motto dieses Bandes gelesen werden. Gründe sich zur fürchten gibt es heutzutage wohl genug, meint Barbara Aschenwald und schreibt über Konsumrausch, soziale Ungerechtigkeit, Hunger, Tod und Elend: „Kometen, Atome, radioaktive[n] Strahlen, Grippevieren, Weltkrieg, Privatkonkurs, Weltkonkurs, Weltwirtschaftskrise, Weltuntergang, Armageddon.“ (S. 5) – der Mensch lebt scheinbar in einer unheilbringenden Umgebung, aber, so schreibt Barbara Aschenwald: „Wir sind noch da.“ (S. 5), was, einem Mantra gleich, in der ersten Erzählung ständig wiederholt wird. Der selbstzerstörerische – aber auch der um seine Existenz kämpfende – Mensch und das Paradox, dass es immer welche geben wird, die alles haben und welche, die nichts haben, die Zerstörung der Natur, die Suche nach einem Ort, an dem man sich zurückziehen kann – das sind Themen, die Barbara Aschenwald in ihren Erzählungen mehrfach aufgreift, sie hin- und herwälzt und befragt. Sie tut dies in der ihr eigenen poetischen Sprache und mithilfe einer Textkomposition, die immer wieder Absätze enthält, die einen Freiraum für ein Zwischen-den-Zeilen-lesen schaffen. Immer wieder enthalten die Erzählungen Sätze, die von außerordentlicher atmosphärischer Dichte sind, wie z.B. „Die Welt ist zwei Hände voll Erde.“ (S. 46). Barbara Aschenwald lässt ihre LeserInnen bei derartigen Sätzen kurz verweilen, lässt ihnen eine Verschnaufpause, denn meist folgt darauf so etwas wie eine Litanei, die sie in eine Realität zurückholt, in der es Selbstmordattentate und Brandstifter gibt und in denen die Werbung den Menschen Sätze wie „Weil Sie es sich wert sind“ (S. 16) vorsagen muss. Zurück zum Ursprung – diesen Werbespruch für Bio-Produkte möchte man auf den ersten Blick Barbara Aschenwalds Erzählband zuschreiben. Doch die Erzählstimme fordert uns keineswegs auf, das Produkt guten Gewissens zu genießen, sondern vor allem dazu, tiefer zu graben, sich zu konfrontieren, zu hinterfragen und sich nicht zufrieden zu geben damit, dass Menschen sterben, „weil sie nichts zu essen haben, aber wenn wir kein Bild haben, denken wir nicht daran“. Manchmal meint sich der/die LeserIn in einem unendlichen Lamento wiederzufinden, in dem, auf vielleicht etwas naive Weise, über etwas geklagt wird, das man als „normaler“ Erdenbürger nicht so schnell ändern wird können und dem man in gewisser Weise hilflos gegenübersteht. Das mag die eine Seite dieser Texte sein, die andere Seite ist wohl, dass sie eine unbequeme Wahrheit aussprechen, die einen nicht so schnell loslassen soll.
Es scheint, als bekäme man als LeserIn immer wieder ein uraltes Heilmittel verschrieben, nämlich die Natur. Barbara Aschenwalds Naturbeschreibungen gehören zu den besonders gelungenen Passagen dieser Erzählungen. In der Natur entdeckt die Autorin vieles, seien es alte Mythen, ihre Vergänglichkeit oder in Vergessenheit geratenes Wissen über Heilpflanzen. Mit der Natur stehen bei Aschenwald auch die ganz großen Themen, wie Liebe, Tod, aber auch Hoffnung, Wahrheit oder Macht in Zusammenhang. „Wem gehört die Welt, wem der Boden?“ – vielleicht jenen, die, wie Barbara Aschenwald, die richtigen Worte finden und fähig sind, die Welt für andere darstellen und beschreiben zu können.

 


 


 
Wer getragen wird braucht keine Schuhe
. Carolina Schuttis bemerkenswertes Roman Debüt
Otto Müller Verlag, 2010

„Wer getragen wird braucht keine Schuhe“, denn „[w]er getragen wird“, so heißt es weiter bei Carolina Schutti, „hat einen Träger.“ Die junge Protagonistin von Schuttis Debüt Anna zieht sich immer wieder die Schuhe aus, geht barfuß, auch im Winter. Sie scheint die Kälte nicht richtig zu spüren, so wie Anna überhaupt Probleme hat, irgendetwas zu spüren. Denn sie trägt eine riesige Last mit sich herum. Anna hat durch Unachtsamkeit den Tod ihrer Schwester verschuldetet. Die Schuld wiegt schwer auf ihr. Einen Träger hätte Anna dringend notwendig. Dann trifft sie Harald, einen, der das Leben leicht zu nehmen scheint. In Harald meint Anna jemanden gefunden zu haben, der ihr etwas von ihrer Bürde abnehmen kann, der ihr tragen helfen kann. Doch die introvertierte und schwer traumatisierte Anna braucht lange, um sich ihm anzuvertrauen. Bis es dazu kommt machen die Leserinnen und Leser Bekanntschaft mit einer in sich zurückgezogenen, jungen Frau, die gerade beginnt sich in ein neues Leben einzunisten und versucht ein altes Leben hinter sich zu lassen. Doch genau das will ihr nicht recht gelingen. Sie scheint festzustecken, irgendwo zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die 18jährige Anna arbeitet als Kellnerin und in ihrer Freizeit steht sie meistens am Fenster ihrer Wohnung und beobachtet das Leben der anderen Menschen in den gegenüberliegenden Häusern. Es scheint als wäre Anna ausgeschlossen von dem, was um sie herum passiert, als sehne sie sich nach Ruhe, nach einem Ort ohne Menschen. Die Bilder in ihrer Wohnung zeigen nur Landschaften, in die sich Anna abends, wenn sie heimkommt, hinein fühlt, damit sie einschlafen kann. Tagsüber streift sie durch die Stadt: spielende Kinder, Rosen und immer wieder Wasser („Das Flusswasser ist hellgrau, es hat sich weit ins Flussbett zurückgezogen, man riecht den schlammigen Algenüberzug der freiliegenden Steine.“ (S.19)) begleiten ihre Wege. Carolina Schutti spielt mit diesen Motiven, setzt sie von Anfang an wie beiläufig ein, bis sie sich am Ende zu einem furchtbaren Ganzen zusammenfügen.
Die Autorin hat ihren Roman in drei Teile gegliedert. Prosaminiaturen leiten die jeweiligen Teile ein. Es sind sehr atmosphärische und poetische Skizzen, die Schutti hier voran stellt. Sie könnten auch für sich stehen, ein Stück Poesie – doch Schutti setzt auf diese Weise feine Akzente, die im Laufe des Romans wiederholt oder vertieft werden:

I.a.: Wenn man mit einem harten Absatz auf eine Glasmurmel tritt, die Ferse dabei hin und her dreht, erwartet, das geheime bunte Innenleben der Murmel untersuchen zu können, wird man enttäuscht. Es bleiben nichts als feine Splitter, die man besser nicht in die Hand nimmt. Keine blauen und roten Wellen, die sich in die Luft pusten oder wie Schiffchen auf eine Pfütze setzen lassen. (S. 5.)

Später wird Anna durch ein Geräusch an das Spielen mit Murmeln erinnert werden und sich fragen, ob Kinder eigentlich noch damit spielen.
Mit jedem Teil des Romans rückt man ein Stück näher an Anna heran. Im zweiten Teil wird aus Haralds Perspektive erzählt und schließlich taucht man – im dritten Teil – ganz in Annas Gedanken und Gefühlswelt ein. Und gerade dieser letzte Teil geht an die Substanz und zwar nicht nur an die des Lesers, sondern auch an die der Sprache. Wenn man Carolina Schuttis Erzählungen kennt, weiß man, dass sie es versteht mit Sprache umzugehen, dass sie die Kunst der Verdichtung beherrscht und die Wörter genau wählt und einsetzt. Nun ist der Autorin auf diese Weise ein erster Roman gelungen, der in sich stimmig ist und in dem immer wieder Bilder von außerordentlicher Intensität zu finden sind: Beispielsweise, wenn Harald und Anna während einer Wanderung vor der herannahenden Dunkelheit in einer Kapelle Unterschlupf suchen und Harald, umgeben von den Schutzheiligen der Bergsteiger, einer von flackerndem Kerzenlicht beleuchteten Teufelsfigur und den Namen von Verunglückten, von Annas Unglück erfährt. Nach dem Geständnis, das beklemmend zwischen Anna und Harald stehen bleibt, schläft Anna unter der Figur des Heiligen Bernhards ein. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass diese Heiligenfigur gegen Besessenheit angerufen wird. Hier legt Schutti wohl schon eine Spur in den dritten Teil des Romans. Über den dritten Teil sei aber nicht zu viel verraten, nur so viel, dass darin Carolina Schuttis ganze erzählerische Stärke zum Ausdruck kommt. Ob Anna einen Weg zurück in ein richtiges Leben finden wird? Nur so viel sei gesagt: Carolina Schutti hinterlässt den Leser nicht ohne einen Funken Hoffnung. Und auch wir hoffen: Auf weitere Romane dieser Autorin!

 


 


 
Selma Mahlknecht
, Es ist nichts geschehen. Roman
Bozen: Raetia 2009

„Es ist nichts geschehen“ – dieser Titel erinnert an Alois Hotschnigs Erzählband, der den ähnlich verstörenden Titel „Die Kinder beruhigte das nicht“ trägt. „Es ist nichts“, denkt Bess in Selma Mahlknechts neuem Roman, als sie das Krankenzimmer betritt, in dem ihre Schwester Sandy sich gerade von einem Selbstmordversuch erholt. „Es ist nichts geschehen“, beteuert Bess noch einmal, als sie bei ihrer Großmutter sitzt und ihr von Sandy berichtet.
Mahlknecht erzählt die Geschichte von den zwei jungen Frauen Bess und Sandy und ihrer Großmutter. Doch welche Geschichte wird wirklich erzählt? Zum einen geht es um die Lebensgeschichte der Großmutter, der sich der Leser und die Leserin in Sequenzen annähern. Dazwischen lernt man die Geschwister Bess und Sandy kennen. Im Gegensatz zur linear erzählten Lebensgeschichte der Großmutter, die von ihr selbst als Ich-Erzählerin berichtet wird, werden Bess und Sandy über Dialoge und Monologe oder über Briefe charakterisiert. Im Leben der Geschwister gibt es keinen Erzähler, der sie führt, es dominieren die kursiv gesetzten Gedanken Sandys oder die Briefe von Bess, die sie nie abschickt. Die einzige Geschichte, die so etwas wie einen Anfang und ein Ende hat, ist die der Großmutter. In ihrer Geschichte laufen letztlich auch alle Fäden zusammen. Doch diese Geschichte werden am Ende nur der Leser und die Leserin wissen. Bis dahin kann man nur ‚tatenlos’ weiterverfolgen, wie Sandy und Bess verzweifelt versuchen in der Geschichte ihrer Großmutter einen Platz zu finden.
Wer ist diese Großmutter eigentlich wirklich, die ihre Enkel bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit heißer Schokolade und Kuchen verwöhnt und damit meint alles wieder gut zu machen, so wie es vielleicht noch funktioniert hat, als Sandy und Bess noch klein waren. „Warum sagst du eigentlich immer ‚Großmutter’ und nicht ‚Oma’ oder so?“, wird Sandy einmal gefragt. „Weiß nicht“, antwortet Sandy, „Sie ist keine Oma, vielleicht deshalb. Sie ist eine Großmutter. Wörtlich irgendwie. Eine große Mutter, verstehst du?“ Nach dem Tod ihrer leiblichen Mutter bei Sandys Geburt, Bess war damals drei Jahre alt, kümmert sich die Großmutter um die Geschwister. Sie erzählt ihnen oft ihre Lebensgeschichte, von der harten Arbeit am Bauernhof, von Vigo, ihrem späteren Mann, in den sie sich verliebte und der sie von der Arbeit und dem verhassten Vater wegholte. So kennen und lieben die beiden jungen Frauen die Geschichte ihrer Großmutter von Kindheit an. Doch warum hat Bess dann ständig diese Albträume und warum versucht Sandy sich umbringen? Was hat es mit den Briefen auf sich, die Bess ihrer Schwester schreibt und nie abschickt? Eine unausgesprochene Wahrheit liegt zwischen den beiden Frauen, die so ganz und gar nichts mit der „Heile-Welt-Geschichte“ der Großmutter zu tun hat. Etwas muss geschehen sein, denn welche Rolle spielt Rudolf, der pflegebedürftige Bruder der Großmutter, und wer ist dieser unsichere Mann, der ab und zu bei Sandy und Bess auftaucht und der Vater der beiden Mädchen sein soll?
Statt einer Konfrontation gibt es Kuchen und heiße Schokolade und eine Mappe, die Bess Sandy an ihr Krankenhausbett legt. In der Mappe sind verschiedene Dokumente und Zeugnisse aus dem kurzen Leben der leiblichen Mutter der beiden Mädchen. Vor allem Bess, und unausgesprochen wohl auch die Großmutter, verlangen von der schreibbegabten Sandy eine Geschichte, an die sie glauben können; eine Geschichte die Bess’ Monster vertreibt, die sie in ihren Albträumen verfolgen. Denn, wenn nichts geschehen ist, kann ja vielleicht doch noch alles gut werden. Nach langem Zögern gelingt es Sandy irgendwann ein Märchen zu schreiben und kurz ist man geblendet von der Schönheit dieses Märchens und ist geneigt, zu glauben, dass vielleicht wirklich nichts geschehen sei, doch noch ist das Buch nicht zu Ende.
Mahlknecht gelingt ein packender Roman, der durch eine geschickte Konstruktion und durch fein gezeichnete Charaktere besticht. Alle Teile des Romans, sei es nun die Lebensgeschichte der Großmutter oder ein Brief von Bess an Sandy, bekommen eine eigene Seite, was zur Folge hat, dass der Leser und die Leserin immer wieder halb leere weiße Seiten zu sehen bekommen. So hält Mahlknecht ihre Figuren auch optisch gefangen, sie sind isoliert, eingeschlossen in ihre Innenwelt mit ihren Geschichten, Gedanken und Gefühlen. „Verstehe. Ihr bleibt lieber unter euch, oder?“, sagt eine ehemalige Schulkollegin von Bess einmal zu Sandy.
Neben dem dichten Gebilde der drei Protagonistinnen haben nicht mehr viele Personen Platz, dennoch gibt es sie, vor allem in Sandys Leben. Durch die neugierige Anna öffnet sich Sandy nach und nach der Welt außerhalb des Familiengeflechts. Die Dialoge mit Anna wirken oft etwas holprig und weniger authentisch, im Gegensatz zu den eingespielten Dialogen der drei Hauptpersonen. Anna könnte vielleicht noch etwas farbiger gezeichnet sein, sie wirkt ab und zu wie eine gesichtslose Statistin, die die Handlung vorantreibt.
Sprachlich arbeitet Mahlknecht sehr präzise, sie spielt mit Wiederholungen und Motiven, die die Geschichten miteinander verknüpfen; vor allem die kursiven Monologe Sandys sind von hoher Intensität und gehen immer wieder unter die Haut. Etwas irritiert ist man vielleicht von manchen Bildern, wie zum Beispiel „Das Getöse des Aufbruchs wehte durchs Haus“ oder wenn es während einer Autofahrt heißt: „Im Vorbeiwehen ein Blütenzweig, rosarot.“ – aber das nur als Randnotiz.
Mahlknechts Roman ist ein lesenswertes Buch über Liebe und Hass, über das Schreiben und Überliefern von (Lebens)geschichten und über die Suche nach ein bisschen Trost.

 


 


 
Margit Oberhammer (Hrsg.), Wortkörper.
Prosa der Sinne
Raetia Verlag 2007


Herausgeberin Margit Oberhammer skizziert im Vorwort kurz die Geschichte des Körpers und beginnt beim mittelhochdeutschen lîp. Damals bedeutete „Körper“ noch „Leib und Leben“. Doch welche Bedeutung hat der Körper eigentlich im 21. Jahrhundert? Erweckt ein Bild eines weiblichen nackten Rückens (wie es am Buchcover zu sehen ist) überhaupt noch die Sinne? Wie viel Leben steckt heute noch im Leib?

„Römerquelle – erweckt die Sinne“: Schön längst hat die Werbung Körper und Sinne für sich entdeckt und schon oft wurde gefragt, was ein simples Mineralwasser eigentlich mit Erotik zu tun hat.

Der Körper, der uns heute auf Plakaten und in den Fernsehwerbungen präsentiert wird, hat wohl nicht mehr viel mit der Realität zu tun. Man hat es mehr mit einem ausgeschnittenen Bild zu tun, das von uns vielleicht ab und zu mit neidischen Blicken inspiziert wird, aber das uns auch sagt, dass es diesen wohlgeformten Körper mit der glänzenden Haut eigentlich gar nicht gibt.

Um einem solchen Körper wirklich Leben zu geben, um ihm fünf Sinne einzuhauchen, braucht es Menschen mit Einfühlungsvermögen und Wortgewandtheit. Es sind Schriftsteller und Schriftstellerinnen, von denen wir uns einen Blick abseits der Werbung und der Fernsehwelt erwarten können. In der Anthologie „Wortkörper“ sind 13 Autoren und Autorinnen aus Nord- und Südtirol mit ihrer „Prosa der Sinne“ vertreten. Es geht um körperliche Lust (z.B. Wolfgang Sebastian Baur), um Körperflüssigkeiten (Sabine Gruber, Bettina Galvagni) oder um Laute, die aus dem Körper kommen oder von ihm produziert werden (Selma Mahlknecht). Sinne werden aber genauso über kulinarische und landschaftliche Besonderheiten angeregt, über die Walter Klier sehr anschaulich schreibt.

Jede Erzählung birgt etwas Geheimnisvolles in sich; sie gibt einen kurzen Blick in verschiedene Lebensabschnitte der Protagonisten und Protagonistinnen frei und verlässt die Leser und Leserinnen ebenso schnell wieder. Viele Fragen bleiben offen: Was passiert zum Beispiel mit dem Bildhauer Roland, in dessen Körper sich die mysteriöse Lénore eingenistet hat? (Christoph Pichler) Ob Leos Freundin wohl irgendwann ein anderes Körpergefühl kennen lernen wird? (Stefanie Holzer) Wird Else es jemals wieder wagen, aus sich heraus zu gehen, um etwas Neues an sich zu entdecken? (Birgit Unterholzner) Wie so oft bei Erzählungen lassen einen die Charaktere nicht so schnell los, man möchte mehr erfahren.

Auffallend unter den vielen kurzen Erzählungen ist jene von Maria E. Brunner über den Schriftsteller Henrik Ibsen. Sie erzählt etwas langatmig auf 29 Seiten ein ganzes (sinnliches) Leben und bremst so ein bisschen den Fluss der übrigen Geschichten.

Meist sind es noch junge Menschen, die den Lesern und Leserinnen in den Geschichten präsentiert werden. Ihre Körper sind noch nicht verbraucht oder krank. Diese Menschen haben noch einiges zu geben und wollen ihre Sinne voll und ganz auskosten.
Svetla, aus der Erzählung von Selma Mahlknecht, ist eine Ausnahme. Sie spürt, dass sie immer älter wird, doch ihre körperlichen und seelischen Wünsche und Träume sind noch lange nicht erfüllt. Ihr Körper ist ihr im Weg, sie würde ihn ablegen, wenn sie könnte.
Margit von Elzenbaum setzt sich mit einem brisanten Thema auseinander: Die junge sehbehinderte Kim arbeitet als Praktikantin in einem Hospiz. In einer präzisen Sprache, in der der Körper auf vielfache Weise eingesetzt wird, zeichnet die Autorin ein einfühlsames Bild der jungen Frau und ihrer Arbeit:

Beim Eintreten hatte Kim immer den weißen Bettkörper erkennen können. Und sie wusste, dass der Stuhl für sie davor stand. Der weiße Stuhl. Kim hatte gedacht, das Zimmer ist von diesem weißen Bett- und Stuhlkörper bewohnt. Herr Rico ist in dieser Körperzelle der Kern.

Margit von Elzenbaum und Selma Mahlknecht setzen sich mit Themen auseinander, die man wohl auf den ersten Blick nicht so schnell als Prosa der Sinne bezeichnen würde. Sich von dem erotischen Bild am Buchcover der Anthologie blenden zu lassen und nur Geschichten über körperliche Leidenschaft zu erwarten, wäre also falsch. Es sind Geschichten, wie die erwähnten, die diese Anthologie zu einer vielseitigen und lesenswerten Auseinandersetzung mit dem Körper machen.

Natürlich kommt die Erotik in den Erzählungen nicht zu kurz. Meist beginnt sie dann, wenn die Begegnungen flüchtig sind und von vorne herein klar ist, dass es kein Wiedersehen geben wird. (z.B. Erika Wimmer)

Bleibt die Frage, warum eigentlich der weibliche Körper bei den meisten Erzählungen im Vordergrund steht und ob dieses „Körper-Thema“ wohl mehr Frauen- als Männersache ist. Das bereits erwähnte Buchcover sowie die Tatsache, dass unter den 13 Schreibenden 9 Autorinnen vertreten sind, scheint dieses Thema immer noch zu einer weiblichen Angelegenheit zu machen.

 


 


 
Markus Köhle, Mieze Medusa: Sprechknoten

Ein Ohr für den Takt im Textgepäck

Applaus ertönt und wenige Minuten später wird man hinein gezogen – hinein in den Sog der Wörter. Spoken Word, Performance & Slam poetry sind auf der CD „sprechknoten“ aus den Mündern von Mieze Medusa, alias Doris Mitterbacher, und Markus Köhle zu hören. Markus Köhle, Initiator des Bierstindl Poetry Slams sowie der Wiener Lesebühne „Dogma. Chronik. Arschtritt“, und Mieze Medusa, die außerdem als HipHop-Künstlerin Furore macht, geben auf der CD ein abwechslungsreiches Duo ab.

Textgepäck […] in handliche 5-Minuten-Portiönchen geschnürt z. B. gerappte Sozialkritik, Stabreimparaden aus dem Alltagsleben, Schnellsprechprosa aus der Magengrube, interaktives Hausbauen und HipHop affine- Liebeslyrik im Kampf gegen Windmühlen.

So schön beschreibt bereits der CD-Klappentext was die Hörer/innen erwartet.
Abwechselnd spricht sich einmal Medusa über Ungerechtigkeiten dieser Welt oder über Liebeswirren in Rage, einmal knotet Köhle sonor das Alphabet neu zusammen und unterhält mit witzigen, skurrilen Texten.
„[E]in Ohr für den Takt“, „eine eigene Sprache“ und „freie Sicht“, viel mehr braucht Mieze Medusa nicht um Texte wie „Ich spür mich“ oder „Don Quijote oder Was kann die Windmühle dafür“ entstehen zu lassen. Es sind Texte voller Rhythmus und Bildern, gemacht für den Vortrag. Sie kommen direkt aus dem Bauch heraus, aber ohne zu einem assoziativen Wirrwarr zu werden. Wie man die Textflut genießt bleibt den Hörer/innen selbst überlassen. Entweder man lässt sich vom Takt treiben und genießt einzelne Passagen oder man lässt sich wach rütteln, wenn es um Minister geht, die steuerfrei zur Wahl gehen oder um diskriminierte Frauen. „Ich will das anders haben“, sagt Mieze Medusa und spricht offen an, was auf die Nerven geht.
Auch Köhle rechnet ab, in „A-A-Austria“ lässt er hören, was er vom Jubiläumsjahr Österreich 2005 gehalten hat. Buchstabenakrobat Markus Köhle präsentiert sein Gespür für Sprache und Klang außerdem in Texten wie „Orgien-Ode“ oder „Dany & Danone“, in denen er die Buchstaben o, d und t beinahe bis zum Stimmknoten ausreizt.
Eine CD ist genau das richtige Medium für Texte dieser Art. Vor allem Mieze Medusa spricht das Publikum direkt an. Sie fordert auf und man möchte ihr glauben, dass es möglich ist, etwas zu bewirken. Vielleicht ändert sich ja tatsächlich einmal etwas zum Guten – man darf zumindest hoffen. Veranstaltungen, wie sie Köhle, Medusa oder die Organisatoren der neu gegründeten Innsbrucker Lesebühne „Text ohne Reiter“ durchführen, kommen vor allem bei jungen Leuten gut an und können vielleicht eine neue Kultur des Hörens und des Zuhörens bewirken, die immer mehr zu fehlen scheint.
„Ich weiß nicht, ob das was ich spür, Talent ist oder ein Magengeschwür“, fragt sich Mieze Medusa in einem Text. Wahrscheinlich ist es eine gesunde Mischung aus beidem, das Magengeschwür signalisiert, was ausgesprochen werden muss und das Talent ist für die Umsetzung zuständig.

 


 


 
Manfred Schullian, Die Essenz der getrockneten Tomate

Bozen: Raetia Verlag 2007

Trockenfrüchte und böse Weiber

Geschichten von Manfred Schullian

Schullians Buch beinhaltet drei Geschichten mit ähnlichen Themen. Es geht um Mann und Frau, um Neid und Eifersucht und um Einsamkeit. In der Titelgeschichte wird der Leser in das Selbstgespräch eines vereinsamten, mittelmäßigen Musikers verwickelt, in dem er Erlebnisse und Begegnungen in seinem Leben Revue passieren lässt. Immer wieder führt die Erzählung zu einer bestimmten Frau, die sein Leben hätte verändern können, wie der Protagonist meint, hätte er sich damals nur anders verhalten. Näheres erfährt man zu dieser Frau nicht, im Grunde dreht sich die Erzählung bald immer nur um dieselben Erlebnisse und rührt sich nicht vom Fleck, was jene Leser, die lange Sätze und Wiederholungen nicht schätzen, verstimmen könnte.
Mit „Der Fluch der Rosinen“ setzt Schullian fort, die getrocknete Tomate klingt einem noch im Ohr und man ist gespannt, wie es um diese Trockenfrüchte steht. In dieser Erzählung dreht Schullian die Zeit weit zurück und plötzlich gibt es wieder böse, hässliche Ehefrauen, die ihre Männer hassen und sie deshalb hinterlistig mit einer Rosine ihrer ewigen Jugend berauben und sie zugrunde gehen lassen. Man ist sich nicht ganz sicher, ob es sich hier um ein Märchen, um eine böse Satire oder um eine Horrorgeschichte handelt.
Auch die dritte Erzählung dreht sich um eine Frau mit „bitterbösen“ (S. 158) Zügen und ihren unterdrückten Ehemann. In „Des Küsters Schuppen“ braucht man sich, wie der Titel schon verrät, um den Tod des Genetivs keine Sorgen zu machen. Schullian verwendet ihn in dieser Geschichte so oft, dass man sie vielleicht in ein Schulbuch aufnehmen sollte, um den Schülern die Bedeutung und Funktion des Genetivs ein für alle mal einzubläuen.
Der Autor erklärt in dieser wohl stärksten Geschichte des Bandes in einem Kommentar so etwas wie ein Schreibkonzept, das auch auf die vorangegangenen Erzählungen passt.

Noch einige Figuren gibt es in dieser Geschichte, einige Charaktere, sie tauchen auf, unvermittelt, und verschwinden wieder im Nichts, je nach Bedarf und dem Fortgang der Geschichte dienend, ihrer Dynamik gehorchend und noch unbestimmt, so wie die Geschichte selbst unbestimmt ist und vage Konturen erst annehmen muss und Farben, sich erst füllen muss mit Rede und Gegenrede, mit Frage und Antwort, mit Blicken und Gesten. (S. 135)

Wie schon in „Der Fluch der Rosinen“ fragt man sich aber doch, in welcher Zeit diese Geschichte wohl spielen mag. Auf jeden Fall in einer Zeit, in der ältere Männer, junge hübsche Mädchen mit denen sie flirten wollen, mit „Mein Kind“ ansprechen und die jungen Fräulein daraufhin zu lispeln beginnen (S. 150).
Hat man diese Irritationen überwunden, steigt ganz unvermittelt die Spannung. Plötzlich fesselt einen diese Erzählung, die sich zu einer Kriminalgeschichte entwickelt hat. Am Ende gibt es sogar noch eine Leiche und keiner will es gewesen sein.

An Schullians Erzählungen verwundert manchmal die Klischeehaftigkeit, mit der er die boshaften Xanthippen, die unterdrückten, gutmütigen Ehemänner und die wunderschönen, jungen Frauen und Männer beschreibt. Als Leser fragt man sich auch, warum die Handlungen mittels Wiederholungen und langen Satzkonstruktionen oft derart in die Länge gezogen werden, was vielleicht nicht immer nötig ist.
Auf das nächste Buch Schullians darf man auf jeden Fall gespannt sein, erkennt man doch in den Geschichten die große Phantasie des Autors, die sich sicher auch für einen Roman eignet.