Rezensionen von Erika Wimmer
- Sabine Gruber,
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Andreas Erb (Hg.),
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Gerald Kurdoglu Nitsche,
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Alois Schöpf,
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Felix Mitterer,
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Otto Grünmandl,
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C.H. Huber,
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Konstantin Kaiser,
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Christoph W. Bauer,
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Bernhard Kathan,
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Sepp Mall (Hg.),
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Bernhard Kathan,
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Klaus Händl,
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Alois Hotschnig,
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Heinz D. Heisl,
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Elias Schneitter,
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Joseph Zoderer,
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Gotthard Bonell,
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Japanische Impressionen – bei Toni Kleinlercher werden sie Takes genannt. Einmal abgesehen von den jüngsten Eindrücken eines zerstörten rauchenden Reaktors am Meeresstrand von Fukushima hat fast jeder westliche Mensch ein paar Japanbilder in sich gespeichert: eine traditionelle Robe oder das schwarze hochgesteckte Haar einer Geisha, bunte, mit schönen Schriftzeichen gezierte Lampions, ein gepudertes Gesicht, ein Shinto-Schrein, kleinschrittiges Laufen in Holzpantinen oder die höfliche Verneigung eines Geschäftsmannes. Andererseits ganz zeitgenössisch: Hochbahnen und überfüllte U-Bahnen, das der Stadt übergestülpte grelle Reklamegewand, die gebleichten und anschließend hennagefärbten Haare junger Leute, in den Konsumtempeln Sony, Honda, Toyota usw. Nicht scharf ins Gericht, milde durch den Tag gehen, tingeln. Laufen lassen. Hat das Gestern kein Gewicht. In diesem Land. Geschichte ist Geschichte ist vorbei. Die Leute haben das Zen im Blut. […] (S. 28) Heute treffen sich die Sterne zu einem Tète-à-Tète. Tanabata! Das Fest der Liebe, der Himmelsprinzen. Oriheme und Hikoboshi dürfen sich in die Arme nehmen, heute dürfen sie sich küssen. Hat jeder einen Wunsch frei heute, schreibt man auf kleine Zettelchen und hängt diesen auf einen Zweig. Es ist ein rituelles Leben, das man führt in diesem Land. […] (S. 30) Doch neben Passagen wie diesen, in denen das Fremde dokumentiert und zugleich mit einem Hauch von Faszination umgeben wird (was die zwischen den Texten eingestreuten Kalligrafien noch unterstreichen), finden sich auch solche, die auf einen recht kritischen Blick des Autors schließen lassen. Auf Reflexion folgt da und dort auch Dekonstruktion, etwa dann, wenn kurze fragmentierte Sätze einen Sachverhalt behutsam an den Rand des Fassbaren, ins Unlogische ziehen. Es ist der Versuch, allzu Glattes aufzurauen, der Wunsch, die Sprache in ihre Teile zu zerlegen. uguisu in den bueschen im landeanflug traumfragmente verschwendungen Man sieht, der Singvogel dieser Lyrik preist keine romantischen Vorstellungen über dies Land im fernen Osten und keine heile Welt. Er besingt reklamefluten, erbrochenes auf allen wegen, das tagtaegliche menschenbad von shinjuku, den metropolensand… typische Auswüchse einer in Ausdehnung und Population riesigen Stadt. Doch ist es vielleicht weniger die Irritation als das einfache Hinschauen, also die Realität, um die es Kleinlercher geht. Dass die Wirklichkeit von Tokio und Umgebung weder schön noch hässlich, sondern beides zugleich, also zu einer neuen Qualität verquirlt ist (auf fensterbalken bluemchen, auf feuerwaenden woerter, S. 97) machen diese Texte in wundersamer Manier deutlich. In ihrer experimentellen Verspieltheit geben sie sich luftig und manchmal auch ein wenig holprig, ganz leicht zu lesen sind sie jedenfalls nicht. |
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Roberta Dapunts erste ladinische Lyrikveröffentlichung mit deutscher Übersetzung (auf Italienisch sind bereits mehrere Lyrikbände erschienen) richtet das Augenmerk auf den Vorgang des Schlachtens, und zwar in seiner ursprünglichen Form, also auf einem Bauernhof. Nachdenklichkeit, doch auch das Bewusstsein vom Nutzen, der aus der Tötung des Tieres, in unserem Fall eines Schweines, entsteht, durchziehen den kleinen Band. In den Blick genommen wird „die hiesige Wahrheit, die der Nase für wenige Minuten im Jahr den Geruch eines entlassenen Herzens gewährt. Üppig gedeckt ist unsere Tafel, wiederkäuen werden wir das unbestattete Tier.“ (S. 6) Während die abgebildeten schwarz-weiß-Fotografien die reine Schlachtung und anschließende Fleisch-Verarbeitung dokumentieren, betten die Texte den Vorgang in eine Umgebung, örtlich wie kulturell. Die 30 Bilder illustrieren nicht, sie geben den 18 zum Teil sehr kurzen lyrischen Texten erst die Kontur. Sie proklamieren deutlich, was sprachlich zwar nicht evident gemacht wird, worauf die Texte offenbar aber doch auch abzielen: die Notwendigkeit des klaren Blicks auf das Geschehen – ein Blick, der trotz der Alltäglichkeit des Schlachtens vom Menschen immer wieder aufs Neue geleistet werden muss. Töten und dabei wegschauen, so scheint die Autorin sagen zu wollen, ist nicht fair. Die Aufmerksamkeit, die hier dem Vorgang geschenkt wird, könnte als eine Art Dank-Geschenk an das durch und für den Menschen zu Fall gebrachte Tier gedeutet werden. Obwohl die bildlichen Darstellungen den einen oder anderen Betrachter grausam erscheinen mögen, ist es aus meiner Sicht gerade dieser klar eingenommene Standpunkt, der das Buch zu einer überzeugenden Auseinandersetzung mit einem wesentlichen Teil des traditionellen bäuerlichen Lebens, der Tierschlachtung, macht. Die dabei verwendeten Stilmittel könnten schlichter nicht sein, auf Dramatik wird verzichtet. Die Umgebung, skizziert durch die Texte, ist konkret festzumachen: Das Dorf Abtei, ein Bauernhof, der Stall, der Hof vor dem Stall als Schlachtort, die Küche, das Haus. Dann die umgebende Natur, vor allem das Wetter: die winterliche Jahreszeit, in der auf den Höfen geschlachtet wird, der Schnee, die Kälte. Das Bild des Blutes auf dem Schnee ein wieder kehrendes archaisches Bild, Blut auf Schnee, frischer Schnee auf Blut. Die Zugaben: Schüssel, Trog, Haken, Spreu, aber auch die durch das Haus wehenden Essensgerüche, der Duft von Fett, von Kräutern. Die Wahrnehmung dieser Umgebung ist angenehm frei von Romantisierung, es wird gesagt und gezeigt, wie es ist. Ähnlich die Menschen, alle nur angedeutet: ein gewisser Lois, vielleicht der Bauer, eine Nachbarin, die beobachtende Frau, die Arbeit der Menschen, die alltäglichen Verrichtungen, die Mühen und nicht zuletzt auch die Ausbeutung. Eine wichtige Rolle spielt auch die Ausübung der Religion, die Feste und kirchlichen Rituale sind Bezugspunkte. Den menschlichen Sinnen, allem voran der Geruchsinn, kommt Bedeutung zu, man spürt auch als Leser die Kälte draußen, man nimmt den Dampf der Küchen und die durchs Haus wehenden Düfte wahr. All das wird nicht gerade auf nüchterne Weise, doch jedenfalls wie beiläufig aufgegriffen. Trotz ihrer Schlichtheit ist die Sprache nicht unpoetisch, die Autorin findet zahlreiche eindrückliche Bilder und sie schafft Atmosphäre. Hier kommt die Zweisprachigkeit des Bändchens ins Spiel. Die ladinischen Originaltexte Dapunts wurden von Alma Vallazza ins Deutsche übertragen. Die Übersetzungen scheinen im Großen und Ganzen gelungen zu sein, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass die Texte im Original (bei jenen Leserinnen und Lesern, die des Ladinischen mächtig sind) eine wesentlich stärkere Wirkung zu erzeugen vermögen. Allein der Klang des Ladinischen passt wohl besser zur Ursprünglichkeit der hier geschilderten Welt als das hochsprachlich Deutsche. Das einzige Foto, das nicht direkt die Schlachtung betrifft, ist die Darstellung von Jesus am Kreuz (S. 21), und das ist wohl gewiss kein Zufall. Die Beobachtungen und Reflexionen des lyrischen Ichs stehen in Zusammenhang mit einem religiösen Denken und Empfinden, die Zwiesprache mit Gott ist der durchgehende Bezugsrahmen, das Gebet die vorgegebene Form des Sprechens mit dem Göttlichen. In diesem Sinn könnten einige der Gedichte ganz direkt als Gebete bezeichnet werden, auch dann, wenn es heißt „kein Gebet“: „Und du, Beharrlicher, suchst für mich nach einer Sprache zum Beten, / wo ich doch frei bin von jeder Vertraulichkeit. / Für mich bleibst du eine Nebelbank hoch oben / in einem Himmel, der mehr ist als sein strahlendes Blau.“ (S. 56) Vom „Kreislauf der Natur“ ist im Klappentext die Rede: Das Schlachten und Verwerten eines Schweines wird nicht in Frage gestellt, doch der Zugang ist gekennzeichnet durch eine besondere Achtung für das Tier. Trotzdem wird der Vorgang nicht als ein „völlig natürlicher“ legitimiert. Bei Roberta Dapunt wird die Gewaltsamkeit des jährlichen Tötungsrituals, gewissermaßen die Herrschaft des Menschen über das Tier, keineswegs verschleiert, sie wird sogar betont – gerade eben durch die bildliche Dokumentation vom Moment des Tötens bis hin zum Daliegen eines Haufens von dampfenden (also noch warmen) Fleisches. Doch über all dem scheint Jesus zu wachen, Jesus im Himmel, Jesus am Kreuz. Kann sein, dass es die Religiosität des lyrischen Ichs/der Autorin ist, die Mensch und Tier letztlich nicht als Gegner begreifen, die die Täter und das Opfer zusammen rücken lässt. |
Sabine Gruber, Stillbach oder Die Sehnsucht. Non gridate piú / Schreit nicht mehr Eine Frau entdeckt in der Wohnung ihrer plötzlich verstorbenen Freundin Ines ein Roman-Manuskript, das die Geschichte eines ehemaligen Südtiroler Dienstmädchens in Italien, später durch Heirat Chefin eines römischen Hotels geworden, erzählt und zugleich im Rom des Jahres 1978, dem Jahr der Entführung und Ermordung Aldo Moros, spielt. Die Frau, Clara Burger, selbst auch Autorin, soll die Hinterlassenschaft ihrer Freundin regeln, sie trifft dabei Paul, der die Tote gekannt hat: Mit ihm, dem Zeithistoriker, teilt sie das Interesse für die politische Gegenwart, für Faschismus und NS-Zeit in Italien, mit ihm lässt sie eine in die Sackgasse geratene Ehe zurück, um – vielleicht – eine neue Liebe zu beginnen. Zwei ineinander verzahnte, jedoch parallel erzählte Geschichten werden allmählich entfaltet. Ein Netz von Bezügen und Beziehungen wird gewoben, Spannung aufgebaut und wieder gebrochen. Konventionell erzählt, doch da und dort ungemein poetisch, aufgeladen mit zahlreichen zeithistorischen Informationen wird in diesem Roman von Faschismus und Verbrechen, von Verrat und Liebe, vom Leiden an den Bedingungen und vom Besonderen im ganz normalen Leben erzählt. Jede Figur erhält ihre spezifische Schattierung, von der Autorin sensibel aufgespürt und präzise komponiert, sodass der stark zeithistorisch angelegte Roman doch in erster Linie menschliche Schicksale aufwirft – sie allerdings konsequent im Licht der historischen Ereignisse deutet. Die Autorin hat in römischen Archiven, in der Presse von damals, im Gespräch mit Zeitzeugen genau recherchiert, um ein Stück Geschichte auch ganz präzise erzählen zu können. Stillbach, ein fiktiver Ort in Südtirol, wahrscheinlich im Burggrafenamt, gerinnt dabei zur Metapher für Widersprüche, zu einem Ort also, den man gern hinter sich lässt, mit dem man sich aber dennoch zeitlebens auseinandersetzt, nach dem man sich letztlich sehnt. Die Grundstruktur des Romans, das erzählte Manuskript einer anderen Person, die Aufarbeitung nach einem rätselhaft bleibenden Tod, das Erinnern und langsame Enthüllen, ist klassisch, jedenfalls hat man solche Sujets schon kennen gelernt. Doch es gelingt Sabine Gruber, die ausgelegten Schablonen mit Leben zu füllen, einem Leben, das nach Wirklichkeit schmeckt, überzeugend ist und doch neue Sichtweisen auf schon Gehörtes anbietet. Die Figuren sind spannend, sensibel und mehrschichtig, gezeichnet, besonders Paul, aber auch Nebenfiguren wie die Köchin des Hotel Manente, eine Faschistin, oder ein italienisches Dienstmädchen, das aus den urbanen Randgebieten stammt und in den späten 1970ern der gewaltbereiten Linken in Italien angehört. Der Hauptfigur Emma Manente, das zur Hoteliersgattin und Chefin gewachsene Dienstmädchen aus Stillbach, glaubt man nicht immer die breiten Reflexionen über historische Ereignisse, ihr Nachdenken ist wohl eher eine literarische Strategie, damit diese Ereignisse erzählt werden und die Leser erreichen können. Emma bleibt über weite Strecken merkwürdig blass. Doch am Ende, als Clara Burger das Manuskript ihrer Freundin Ines an der Wirklichkeit überprüft und die real existente Frau im römischen Altersheim besucht, wird plötzlich etwas lebendig, entsteht mit einem Mal ein scharfes Charakterbild dieser Frau: Sie eine starke, selbstbewusste und interessante Person, deren altersbedingte Schrulligkeit zu berühren vermag. Die Begegnung zwischen Emma und Clara ist kurz, jedoch meisterhaft erzählt. Und so gibt es in dem Buch viele Passagen, die nicht nur Sabine Grubers politisches Engagement erkennen lassen, sondern sie auch als großartige Erzählerin ausweisen. Stillbach oder Die Sehrnsucht ist ein Buch, das man mit Vergnügen liest und das einem dennoch, zumal als Tiroler oder Südtirolerin, zahlreiche Facetten der eigenen Geschichte oder Landesidentität eröffnet, ja begreifbar macht. Mit diesem detailreichen und poetischen Roman könnte Sabine Gruber Joseph Zoderer die Rolle des ‚Südtiroler Platzhirschen‘ in der deutschsprachigen literarischen Szene abspenstig machen. Das voran gestellte Gedicht von Giuseppe Ungaretti Non gridate piú, dargeboten im Original wie auch in einer Übersetzung von Ingeborg Bachmann, verweist zudem auf eine literarische Tradition, der sich die Autorin offenbar verpflichtet fühlt: zu Recht. |
Andreas Erb (Hg.), HändlKlaus: Auf Umwegen
Die Herausgabe von Büchern, die sowohl Primär- als auch Sekundärtexte enthalten, ist meist nicht ganz unproblematisch, finden solche Publikationen doch nicht ohne weiteres das „richtige“ Leserpublikum. Die einen wollen nur belletristische Texte lesen. Andere befassen sich beruflich mit Literatur, sie suchen nach dem für die eigene Arbeit passenden „Stoff“, ihnen ist ein literarisch-essayistischer Band womöglich zu wenig stringent. Auch bei dem hier zu besprechenden Buch stellt sich die Frage: Für wen ist es gedacht? Werden Händl-Leser, Händl-Kenner oder allgemein an neuer Dramatik Interessierte angesprochen – und ist es überhaupt das Drama, das Bühnenstück, das in diesem Band im Vordergrund steht oder geht es ganz allgemein um ungewöhnliche literarische Verfahrensweisen, exemplarisch vorgeführt anhand eines sprachreflektierenden Autors? Der Tiroler Händl Klaus ist zwar vorwiegend als Dramatiker bekannt geworden, schreibt aber auch Prosa, die ihrerseits etwas mit Lyrik zu tun hat, außerdem verhält er sich auch in seinen Stücken nicht herkömmlich dramatisch… Wie auch immer: Der im Universitätsverlag Rhein-Ruhr erschienene Band würdigt ganz einfach einen Autor, er würdigt Händl als „Poet in residence“ an der Universität Duisburg-Essen im WS 2009/10 und als Träger des „Kunstsalon-Autorenpreises 2011 für das Schauspiel Köln“, er tut dies anhand von Händl-Texten wie auch anhand von acht Essays und einer Laudatio. Das ist so nachvollziehbar wie legitim, die Frage nach dem Zielpublikum mag zweitrangig gewesen sein. Trotzdem: Will man ganz einfach Händls Schreibweise kennen lernen, wird man wohl enttäuscht sein – nicht eigentlich von den Texten selbst, obwohl diese nur in Ausschnitten gedruckt sind, die Bühnenstücke zumal, daneben finden sich noch einige bisher unveröffentlichte Prosatexte. Enttäuscht ist man wohl aber vom Stellenwert, der den Primär-Texten in dem Buch unausgesprochen zukommt: Sie wirken wie „Proben“ aus der Werkstatt, wie Beispieltexte, und das ist eigentlich schade. Als Literaturwissenschaftlerin durchforstet man jedoch mit Interesse die im zweiten und etwas umfangreicheren Teil gereihten Essays über Händls Literatur, verfasst von Theater- und Universitätsleuten. Mag man Händls Prosa und Dramatik, so liest man gespannt nach, was andere davon halten und wie sie ihre Einschätzungen begründen. Man lässt sich gern von den dargebotenen Textauslegungen, von Thesen und interpretatorischen Ergebnissen wie auch von literaturwissenschaftlichen Thesen anregen, bringt das Gelesene in Verbindung mit bereits gefassten Eindrücken und freut sich über die eine oder andere neue Sichtweise. Interessante Einblicke ergeben sich bereits dann, wenn die Literaturwissenschaftlerin einige Tage lang den Band auf dem Nachtkasten liegen hat und jeweils vor dem Einschlafen ein wenig darin liest. Wirklich Feuer fangen wird man aber wohl erst dann, wenn man zielgerichtet nach diesem Buch greift, etwa weil man als Literaturforscher gerade an einem verwandten Thema, über einen vergleichbaren Autor oder eine ähnlich gelagerte literarische Situation arbeitet. Vor allem, wenn man sich textkritisch und ganz konkret mit Händl Klaus beschäftigt, wird man sehr angetan sein. In einem solchen Fall ist die Lektüre des Bandes Auf Umwegen unbedingt zu empfehlen: Die Essays zeigen, dass ein Diskurs über Texte und deren Ästhetik, dass also Literaturwissenschaft angenehm ungezwungen betrieben werden kann und ohne allzu viel hochgestochene Diktion auskommt, ohne dabei ins Seichte abzurutschen. Die publizierten Essays – besonders erwähnt sei jener des Herausgebers Andreas Erb und ein Aufsatz über Händls Poetik von Fabian Lettow – zeugen in Summe von beachtlicher Kompetenz und vor allem auch von Zuneigung für den Autor und seine Texte. Es sind Essays, die der Eigenart, dem nicht leicht zu Fassenden, Bruchstückhaften und Zerfallenden (siehe Prolog von Händl Klaus), zugleich scheinbar Unbekümmerten, darin aber durchaus Heimtückischen (siehe Andreas Erb, S. 78) in Händls Schreiben gerecht werden. Abgesehen von seinen Qualitäten steht der Band aus Duisburg ohnehin ziemlich einzigartig da, literatur- und theaterwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Händl sind bislang nicht eben zahlreich und insofern steht das Buch am Anfang einer längeren Entwicklung, in der hoffentlich viele weitere literaturwissenschaftliche Auseinandersetzungen folgen werden. Denn Händls Poetik ist für die Gegenwart relevant und wird dies wohl bis auf Weiteres auch bleiben: „Dramenpoetik – in meinem Fall ist das Zerfall, mir zerfällt alles, und am Ende ist es ‚in sich zerfallen‘, und das ist auch schon alles. Ich muß dauernd Umwege gehen, weil mir, wovon ich ausgehe, als ginge einem die Sonne auf – so sonnenklar, so stark steht es doch vor mir –, zerfällt, sobald ich es hinsetzen will.“ Er, so Händl, gehe Umwege und umkreise nur, er mache eine Art Gipsabdruck, den Schauspieler und Regisseur aufsprengten, und ihm sei schließlich, „als hätte sich das Eigentliche doch noch sagen oder sonstwie mitteilen lassen…“ (Prolog). Eine ähnliche Arbeit, wie sie die Theaterleute, die Händls Texte aufsprengen müssen, leisten, haben auch die Literaturwissenschaftler auf sich zu nehmen, auch sie müssen diese Texte erst aufschlüsseln. Und letztlich gilt dasselbe auch für alle anderen Leser (und Theaterbesucher), denn Händl bedient auch sie nicht mit Bekanntem oder Gewohntem, er überrascht, er irritiert, er bleibt stets sperrig, oftmals rätselhaft und in jedem Fall absolut offen. Andreas Erb formuliert es treffend: „Händl Klaus lesen heißt, beunruhigt sein.“ Im Kern der Sache treffen sich also alle Rezipienten – Wissenschaftler, Leser und Theatermenschen – auf einer Ebene. Womit die eingangs gestellten Fragen nach dem Zielpublikum eines solchen Bandes vielleicht doch überflüssig sind… |
Wie ein (im Bereich der fiktionalen Literatur anzusiedelndes) Buch über ‚das Klima’ geschrieben werden kann, zeigt auch der unlängst in Tirol erschienene Text „2084“ mit dem Untertitel „Protokoll der laufenden Ereignisse“ – kein Roman also, sondern ein fiktiver Tatsachenbericht, also ganz konkret ein „Requiem der Zukunft“. In Anlehnung an George Orwells berühmten Roman „1984“ ‚tarnt’ sich der Autor Gerald Kurdoglu Nitsche mit dem Pseudonym Orge (Orsche) Georwell, damit auch jeder sofort weiß, was hier gespielt wird: Die literarische Herangehensweise ist eine groteske, passagenweise satirische, das Genre allerdings, wie schon bei Orwell, keineswegs Science Fiction. Die Realität hat fictions dieser Art schon öfters bei weitem überholt, was in diesem Buch ‚protokolliert‘ ist, könnte demnach von der Wirklichkeit in etwa 70 Jahren deutlich übertroffen werden. Gerald Kurdoglu Nitsche, bildender Künstler aus Landeck mit einem ausgeprägtem Nahverhältnis zu Sprache und Literatur, Herausgeber mit dem Schwerpunkt Literatur der "Wenigerheiten", Galerist, ehemaliger Lehrer, als Künstler in zahlreichen Ausstellungen gestern und heute vertreten, weiß, was er tut: Er erzählt unsere Geschichte der Zukunft, eine Geschichte, die nur scheinbar ‚humorig‘ ist: Das Lachen und ‚Witzeln’, mit dem wir üblicherweise unser Unbehagen vertreiben, soll uns im Hals stecken bleiben. Wie Trojanow geht es auch Nitsche darum, dass die Leser sehend und damit endlich handlungsfähig werden. Diese Art von ‚Lebenshilfe‘ ist (auch in der Literatur) legitim, denn, so heißt es im Buch, die Zeit drängt, „höhere Ambitionen, literarisches Herumschwefeln, -schwafeln, –schwadronieren“ sind fehl am Platz, die geforderte „Position ist die eines Beobachters, Zeitzeugen und sachlichen Chronisten“. Und weiter: „Ab heute wird nur noch Tacheles geredet, geschrieben“ (vgl. Vorwort, S. 10). Der Anspruch, Tatsachen der Zukunft zu berichten, ist, nimmt man Nitsches Ansatz ernst, keineswegs Widerspruch, keineswegs Mumpitz. Denn der Autor geht davon aus, dass die Zeichen, die in der Gegenwart zu beobachten sind, klare Aussagen über die Zukunft möglich machen. Nun denn, wie sieht sie also aus, unsere Zukunft? Wir leben noch, wenngleich deutlich dezimiert. Unser Lebensstil hat mit dem heute noch gewohnten nur mehr wenig zu tun. Stürme und Überflutungen haben mit sich gebracht, dass das, was oben war, sich nach unten verkehrt hat, da ist kein Stein mehr auf dem anderen, doch der Grundinstinkt ist nach wie vor aktiv, wir kämpfen uns weiter. Wir strampeln allerdings nicht mehr um Luxusgüter, nicht um Fortschritt im heutigen Sinn und nicht um die Kontrolle einer Wirtschaftskrise, wir haben mit dem reinen Überleben genug zu tun. H2O ist die magische Formel, die das Buch, welches als Tagebuch, als Tagesprotokoll geschrieben ist, durchzieht: Wasser ist, das wissen wir schon im Jahr 2010, Leben und Tod in einem. Wasser, das ist unsere Natur, auch die unseres Körpers, es bestimmt unser Dasein, aber es muss sich in der richtigen Balance mit den anderen Elemente befinden. 2084 haben wir noch einen Wein und ein gelegentliches Schnapserl, sogar das. Wir haben sie immer noch, die Glücksmomente. Doch abgesehen davon haben wir zu viel Wasser. Doch auch anderes gibt es zu Hauf: Müll, zum Beispiel. Wieder anderes ist abhanden gekommen: Land und Nahrung etwa. Doch obwohl uns gar viele Sorgen drücken, klingt das eine und andere sogar tröstlich: Mit der Zeit finden sich einige „Wasservögel“ und auch ehemalige Landratten über dem durch die Überflutung verlorenen Land zu geradezu heimeligen Ensembles, gemütlichen Dörfchen zusammen. Zug- und Hängebrücken, vergleichbar mit den Baumhäusern, ermöglichen geselliges Beisammensein, sodass den alten Zeiten nicht mehr nachgetrauert werden muss. Orge Georwells Buch ist eines, das man am besten langsam liest, sich Abschnitt für Abschnitt zu Gemüte führt wie eine Medizin in Tropfenportionen. Man mag es sich auf das Nachtkästchen legen, doch sollte man tunlichst vermeiden, vor dem Einschlafen darin zu lesen. Es ist ein Buch zum AUFWACHEN, ein Buch für den Morgen, das Morgen. Was wir als mit Intelligenz und Vorstellungskraft reichlich ausgestattete Wesen durchaus zu wissen in der Lage wären, was wir aber gerne verdrängen, wird uns hier erzählt, und zwar so, dass wir es noch verdauen können. Weniger verdaulich und gedeihlich werden die Erfahrungen unserer Kinder sein, jedenfalls dann, wenn wir so weitermachen wie bisher. Was wir neben dem Wissen über die Zukunft vom Autor noch, quasi als Zugabe, geschenkt bekommen, sind unzählige literarische Einfälle, Gedanken-Ausschweifungen, Sprachspiele und Text-Zauberhaftigkeiten. Denn, so scheint uns der Dichter sagen zu wollen, auf dem Weg zur Wirklichkeit soll uns: wird uns bei Gott nicht langweilig werden. |
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Mit dem Stück „Der Patriot“ hat sich Felix Mitterer eines Themas angenommen, das für die politische Gegenwart in Österreich allergrößte Brisanz besitzt. Zwar ist der Briefbomben-Attentäter Franz Fuchs, dessen Fall Gegenstand des Stückes ist, tot und die reale Kriminalgeschichte abgeschlossen, die ideologischen (und wohl auch psychopathologischen) Komponenten des Falles aber sind in einer Zeit, in der die Freiheitliche Partei und das BZÖ großen Zulauf bekommen, keineswegs ad acta zu legen. Mitterers vorrangiges Anliegen ist es denn auch, Einblick in die fanatisch-paranoide Weltanschauung seiner Figur wie auch in zugrunde liegende Gefühle wie Hass, Rache, Versagen und Verzweiflung zu geben. |
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Wenn C.H. Huber (um nicht mit ihrer Wiener Kollegin Christine Huber verwechselt zu werden, führt sie das Kürzel C.H. und wird unter Kolleginnen liebevoll Ceha genannt) ihre Gedichte öffentlich vorliest, so klingen sie genau kalkuliert und im Ton (mitunter wohlig-, oft auch bedrohlich-) dunkel. Das im Text meist mitschwingende Augenzwinkern - mal etwas versteckt, mal sehr offensichtlich - kann der Vorleserin Huber förmlich vom Gesicht gepflückt werden, es gibt der dunklen Leseart den rechten Stellenwert, verrät das Spiel hinter der Pose. |
Eines der jüngsten jener liebenswerten schmalen Lyrikbändchen des Hannes Vyoral – „Podium Porträts“ – ist dem in Wien lebenden Innsbrucker Dichter Konstantin Kaiser gewidmet. Man freut sich, wieder einmal Lyrisches von Kaiser in Händen zu halten, hat er doch nach seiner Publikation im TAK-Verlag – „Durchs Hinterland“ 1993 – keine Gedichtsammlung mehr veröffentlicht. |
Roman einer Stadt oder nicht Die Idee des aus Kärnten stammenden, in Innsbruck lebenden Lyrikers C.W. Bauer, die Stadt seiner Wahl durch einen historischen Roman der anderen Art zu „ehren“, wirkt aufs erste faszinierend, eigentlich genial: Ausgehend von den Häusern in der Alt- und Innenstadt Innsbrucks erzählt Bauer, in einem großen zeitlichen Bogen vom Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Geschichten einzelner Menschen und ganzer Familien, die hier wohnten. Es ist klar, die Menschen sind verschwunden, die Häuser aber existieren noch und speichern die wechselhafte Historie, die, Bauers Konzept gemäß, eine Geschichte „von unten“ ist. Über die in die Historiographie eingegangenen Größen – Kaiser, Aristokraten, Helden – erfährt man in diesem Buch nur wenig, die übliche Rangordnung dreht sich bei Bauer um. So hören wir, um nur ein Beispiel zu nennen, dass Kaiser Maximilian sein Gesinde in jenem Haus dort untergebracht hat, wir hören, dass und wie sich die Leute nach der Arbeit im Tanzsaal amüsiert haben. Der Kaiser aber ist aus der Sicht der Häuser nicht wichtig. |
Seit vierzig Jahren steht die Radierung, besonders die Kaltnadeltechnik, im Zentrum von Markus Vallazzas Schaffen: „Er ist ein großer Erzähler in radierten Bildern“, „es sind die Figuren der Weltliteratur, die ihn interessieren, ihre Schöpfer wie deren Figuren selbst sind seine Wahlverwandten“, schreibt Peter Weiermair im Vorwort zum ersten vorliegenden Band. Vallazza gilt gemeinhin als grafischer Kommentator literarischer Werke der Weltliteratur: Von Oswald von Wolkensteins Liedern bis zu Dantes Göttlicher Komödie erzählt er mit kraftvoller, kreativer Geste seine Version der „menschlichen Komödie“, in Bildern von hohem emotionalem und künstlerischem Wert. |
Starke Bilder vom Fortleben Nahezu zeitgleich hat Bernhard Kathan im Jahr 2006 eine kulturhistorische Studie „Strick – Badeanzug – Besamungsset. Nachruf auf die bäuerliche Kultur“ (StudienVerlag) und die Erzählung „Nichts geht verloren“ (Libelle) herausgebracht. Man spürt gleich, dass diese beiden Texte aus einem Geist heraus geschrieben wurden, dass sie einander ergänzen. In „Nichts geht verloren“ folgt Kathan der Spur eines einzelnen Bauern, wirft – von dessen Tod aus betrachtet – Schlaglichter auf sein Leben, seine Arbeit, sein Denken und auf die Menschen um ihn. Jodok tritt dem Leser als starke, autonome Figur entgegen und doch ist sein, wie unser aller Leben, zerbrechlich. |
Mit dem Gehör sehen Höchst löblich war bereits die Initiative der Kulturämter Nord- und Südtirols, einen Hörspielwettbewerb für Jugendliche zu veranstalten. Erfreulich ist nun, dass die besten Texte in einem ansprechenden Buch nachgelesen werden können. So kann man sich ein Bild dessen machen, was die Jugendlichen des Landes derzeit so sehr beschäftigt, dass sie es sogar literarisch verewigen wollen (das Thema konnte frei gewählt werden). Und man kann sicher auch das eine oder andere literarische Talent entdecken. Die Themen der Stücke reichen von Beziehungskonflikt, Scheidung und Schulalltag über Umweltzerstörung und Tourismus bis hin zu Ausländerpolitik und Asylantenproblematik. Die unmittelbare Lebenswelt der Jugendlichen kommt zum Ausdruck, verfließt mit dem Konzept, dem Thema und macht das Unternehmen erst richtig stimmig. Zum Schmunzeln gibt es beim Lesen viel, aber auch zum Fürchten, hat doch der Hörspielkrimi hier wie auch andernorts seine Anhänger gefunden. |
gebürstet 100 Bürstenstriche pro Tag bringen ausgelaugtes Haar wieder zum Glänzen. Dabei empfiehlt es sich, die Arbeit bei herab fallendem Kopf vom Nacken aus zu beginnen, die Bürste in alle möglichen Richtungen zu führen, den dicht an der Haut liegenden Strähnen Luft zuzuführen und das natürliche Fett ordentlich zu verteilen. Schaut man dann in den Spiegel, so hat man den Eindruck, das Haar falle anders, läge neu, gesunde. Es kann einem passieren, dass man plötzlich selbst an der Kreissäge steht oder in der Stube sitzt. Man hört und spürt, wie es dort ist. Als Leserin war ich ein paar Mal in den Händen der Bäuerin, in den Schuhen des Bauern. Ich war das Kind dieser Leute. Ich war für Momente deren Nachbarin, deren Seelsorger. Sogar ein Traktor war ich, spürte die spezielle Vibration des Fahrzeugs. Kathan fängt mitunter das Spektrum der Gerüche und Klänge ein, auch die Beschwerden des Körpers beim Arbeiten, die Kälte, die Hitze. Das Sinnliche spielt eine wichtige Rolle, aber hier wird nicht schwadroniert. Weil der Autor über diese Kultur genau Bescheid weiß, kann er sich Ausflüge in die Imagination leisten. Als Leserin und Leser glaubt man den Klängen, Gerüchen, Sensationen. |
Wo alles schon besser gesagt ist, möchte man schweigen und kann es nicht. Selten hat mich ein Buch in so gute Stimmung versetzt wie dieses. Trotzdem erübrigt sich eine konventionelle BeSprechung desselben dadurch, dass Helmut Schödel in seinem Nachwort über Händls Stücke alles schon besser gesagt hat als ich es zu sagen vermöchte. Geradezu ein Glücksgriff des Droschl-Verlags, allerdings könnte ein derart stichfestes Wort zur Literatur engagierten Rezensenten die Motivation nehmen, dem noch etwas hinzuzufügen. Womit die publicity ausbliebe, die dem Werk jedoch zustünde. Was einer begeisterten Rezensentin also bleibt, ist eine Empfehlung, mehr noch ein Appell: Man muss das Buch unbedingt haben und lesen! So könnte ich meine Besprechung auch schon enden lassen. Oder noch klarer zum Ausdruck bringen: Der Händl Klaus ist wirklich saugut! Und Punkt. |
Alois Hotschnig, Die Kinder beruhigte das nicht. Erzählungen Köln: Kiepenheuer & Witsch 2006 Beginnt man, über Alois Hotschnigs neues Buch zu schreiben, so drängt sich dessen Rhythmus beinahe auf. Oder: Vielleicht sucht man unwillkürlich nach dem Ton dieser Geschichten, um sie annähernd erfassen zu können, liegt doch in der Sprache - in Rhythmus und Tonfall eben - die nachhaltige Wirkung der Texte. Freilich wird auch Außergewöhnliches erzählt, in dem Sinne, dass Hotschnig das vordergründig Gewöhnliche in genau bemessenen Schritten auf seine tiefere Dimension hin untersucht und vor dem Leser ausbreitet. Darin liegt die Spannung der Geschichten, von denen Peter Bichsel im Klappentext sagt, sie seien „in die alltägliche Langeweile eingebettet“. Und, so Bichsel: „Hotschnigs Geschichten werden mir beim Lesen zu meiner eigenen Erinnerung.“ |
Ganz schön skurril! Heinz D. Heisl ist ein Magier und Tricktaschenspieler, ein verwegener Kundschafter und Reisebegleiter (oder Reiseführer?) in fremde Welten, die so fremd eigentlich gar nicht sind. Die Geschichten in dem neu erschienenen kleinen Band fließen aus einer Quelle, die man nicht genau anzusiedeln weiß – sie befindet sich irgendwo zwischen Himmel und Erde, nur das ist gewiss. Diese Texte sind durch und durch luftig und haben doch auch etwas Bodenständiges an sich. |
Elias Schneitter, Zirler Autor kabarettistischer, jedenfalls humorvoll-satirischer Texte, hat jüngst einen kleinen Schelmenroman vorgelegt, der an einem langen und gemütlichen Abend ausgelesen werden kann und der ein inneres Nicken oder Schmunzeln zurücklässt. Jaja, so ist es: Wenn man sich mit Sonnenbrille zum Frühstückstisch setzt, zumal in einem geschlossenen Raum, so hat das gewiss mit einem ‚Kater’ zu tun. Entweder hat das Baby wieder durch geschrieen oder man hat die Nacht durch gezecht. Auch ein blaues Auge könnte der Grund für die Tarnung sein. Oder was sonst? Ausgestattet mit einer gewissen Neugierde macht sich die durch den Titel angezogene Leserin an die Geschichte von „Roby und seinen Freunden“ (man beachte das Augenzwinkern, nämlich die Anspielung ans Kinderbuch) und wird nicht enttäuscht. Tatsächlich gibt es in dem Roman nicht nur eine durchzechte Nacht und auch nicht nur ein blaues Auge. Tatsächlich wird in dem Text geschluchzt, wenngleich bloß wegen des Films „Doktor Schiwago“. Und auch an anderen Katastrophen fehlt es durchaus nicht, es sind die typischen Katastrophen des ‚kleinen Mannes’. Nur, sie kommen bei Schneitter so unernst, häufig auch torkelnd daher, dass einem gar nicht bang wird dabei. Roby, die Hauptfigur, lebt - aus bürgerlichem bzw. kleinbürgerlichem Blickwinkel betrachtet - eine randständige Existenz auf dem Dorf: Er geht kaum einer Arbeit nach, wohnt in einer Garage, repariert dann und wann Autos oder Motorräder und widmet sich hauptsächlich den täglichen Trinkgelagen mit seinen Kollegen aus der „Kugellagerbar“ oder mit seiner Freundin Rosy, einer ehemaligen Fernfahrerin. Aus der Sicht des Protagonisten selbst aber stellt sich die Sache etwas anders dar: Er sieht sich auf sympathische Weise als Nabel der Welt, er erfreut sich seines Lebens von der Hand in den Mund, gibt sich unbekümmert und widersteht jeder Reglementierung von außen. Sein einziges Problem ist seine ledige Tochter, für die er nicht Alimente zahlen konnte und kann, da er sonst seinen Lebensstil ändern müsste. Diese Tatsache, anzusiedeln zwischen Unfähigkeit und Unwillen, bringt ihn immer wieder für einige Monate in die „Völserstraße“ (= Adresse des Innsbrucker Gefängnisses). Die Geschichte beginnt damit, dass Roby wieder für ein halbes Jahr einsitzen soll, durch die Intervention eines Freundes aber einen Sommer lang Haftaufschub bekommt. Roby will sich in dieser Zeit aus dem Staub machen, was ihm nicht gelingt, weil er an Geldmangel und Alkohol scheitert. Am Ende bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich vor dem Staat zu beugen. Der Taxilenker aber, ein Student, der ihn in der Völserstraße abliefert, geht noch in derselben Nacht mit Rosy auf Zechtour, was eine Parallelhandlung ergibt. Das Buch erhebt, so versteht man bald, nicht den Anspruch, ein Werk von ausgeprägter literarischer Qualität abzugeben. Vielmehr entzieht es sich geradezu dem Etikett ‚Werk’, veräppelt derartige Kategorien sogar ganz gehörig. Denn obwohl der Roman hauptsächlich von Säufern, Häfnbrüdern und quasi jenseits der dörflichen Idylle lebenden Individuen bevölkert wird, kommt unversehens doch auch ein Schriftsteller ins Spiel, zumindest ein Möchte-gern-Schriftsteller. Der Mann ist ein zunächst etwas kummervoller und zum Alkohol neigender Schulprofessor, der sich vornimmt, das Leben des von ihm bewunderten Lebenskünstlers Roby aufzuzeichnen, nicht zuletzt um dessen (von Roby tunlichst nie gezeigte) verletzliche Seite literarisch herauszuarbeiten. Man ahnt, dass das Vorhaben unerfüllt bleiben, dass der Professor, der sich in erster Linie nur von seiner gescheiterten Ehe ablenken will, die Geschichte nimmer beenden wird. Tatsächlich gibt es am Ende kein Buch im Buch, Robys Geschichte kann dennoch gelesen werden. Ein reizvoller Kunstgriff des Autors, der den Drang nach literarischer Verarbeitung auf die Schippe nimmt? Ein Kunstgriff, der den Protagonisten vor der beabsichtigten ‚Seelenenthüllung’ des Professors in Schutz nimmt? Oder einfach nur das Spiel mit der Möglichkeit / Unmöglichkeit, eine fremde Wirklichkeit nachzuzeichnen? Letzteres ist wahrscheinlich, denn das Buch beginnt mit einer Zirler Weisheit, die da lautet: „Alles erstunken und erlogen!“ Doch genau dagegen wird mit dieser Geschichte im Grunde angeschrieben, und das macht sie auch so lesbar und unterhaltsam. Sie ist nämlich (trotz der einen oder anderen Übertreibung) treffend, wahrer als so manches nach Wahrheit suchende Buch. Schneitter erzählt geradeheraus, mit einer Sprache, die manchmal etwas zu wünschen übrig lässt und doch eigentlich passt, mit einer Haltung, die naiv erscheint und doch eigentlich nur zeigt, wie sehr der Erzähler seine Figuren mag. Er mag sie in ihrem Schillern zwischen Lebenskunst, Beschränktheit, Selbstzerstörung und Heiterkeit. Er mag sie in ihrer Uneindeutigkeit. Er zollt ihnen Respekt. Die vorrangige Qualität dieses Textes ist, dass der Autor, neben all dem Unernst, seine außerhalb bürgerlicher Normen lebenden Typen ernst nimmt. Als unbedarfte Leserin greift man sich an den Kopf darüber, dass in einem Text von kaum hundert Seiten derart viel gesoffen und so viel Unsinn geredet werden kann, spürt aber zugleich die unbändige Herzlichkeit des erzählenden Ichs. Die Klischees, die Schneitter bemüht, liegen am Ende alle platt und man freut sich darüber, eine leichte Lektüre nicht ohne jeden Tiefgang und einigen Lachern genossen zu haben. |
„Ich habe einen Bock geschossen!“ Diesen Satz, dessen Bedeutung er zuerst gar nicht gekannt habe, habe er mit sich durch das Leben getragen, berichtet der Erzähler zu Beginn. Er sei 4 Jahre alt gewesen, als sein Vater diesen Satz aus sich herausbrüllte, und lange Zeit habe er nicht nach seinem Sinn gefragt. Die Worte hätten ihn nicht beschwert, vergessen habe er sie aber nie. |
Durch das gesamte Schaffen des Südtiroler Künstlers Gotthard Bonell (Jg. 1953) hindurch zieht sich die Auseinandersetzung mit organischen und anorganischen Strukturen, mit dem Thema Existenz & Verfall. Der zwischen 2000 und 2003 entstandene und in dem vorliegenden Buch präsentierte (außerdem durch Textbeiträge von Kunstexperten kommentierte)Bilderzyklus stellt in dieser Hinsicht den bisher zentralsten Werkblock dar (Knofler). Beeindruckend und berührend, mitunter aber auch abstoßend treten dem Betrachter seltsame Geschöpfe in meist extremer Nahsicht entgegen: menschliche Körperteile, deren Hautstruktur oder Fleisch überdeutlich festgehalten wird, inszeniert durch ihre Position, da und dort wie Pakete verschnürt; oder Früchte bzw. an Früchte erinnernde menschliche Körperformen; pelzige, haarige oder glatt glänzende Oberflächen, deren Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen ahnbar ist, deren Herkunft und Bedeutung aber letztlich rätselhaft bleiben. Die erotische Komponente und deren Verknüpfung mit einer Atmosphäre von Vergänglichkeit und Verfall, also die unentwegt sich vollziehende Auflösung der organischen Struktur und die darin verborgene Schönheit, treten in den Mittelpunkt des Interesses. Der Titel des Buches – „Hautgrenze“ – signalisiert jene Grenze, welche das Innen und Außen entweder verbindet oder gegeneinander verschließt, womit weniger ein psychologischer Aspekt als eine leibliche Realität angesprochen, womit auch an eine Tradition angeknüpft wird. „Die Spannweite der hervorgerufenen Gefühle zieht sich von verwundbar, schützend, sinnlich, vergänglich, verbergend, spannend bis zu fast abstoßend. Bonell nennt diese Arbeiten ‚inszenierte Haut-Stilleben-Landschaften’. Es werden dabei die großen Themen der Malerei – Landschaft, Akt Portrait, Stilleben – überprüft, neu ausgelotet, miteinander verbunden oder in Ausschnitten neu definiert.“ (Knofler) Es handelt sich um eine klassisch orientierte Konzeption, die das menschliche Dasein umkreist, dabei aber den exhibitionistischen Blick nicht scheut und auch den animalischen Kampf nicht ausklammert. „In Bonells neuen Bildern haben die Erotik und der Tod ein dauerhaftes Lager nebeneinander aufgeschlagen.“ (Schwazer) |
Sprachskulpturen
Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Direktor des Museions in Bozen, Andreas Hapkemeyer, mit einem Gebiet der Kunst, das nach der Aufbruchstimmung der sechziger und siebziger Jahre wieder mehr in den Hintergrund gerückt ist: mit der visuellen oder optischen Poesie und mit der Konzeptkunst. Nun hat er ein Buch vorgelegt, das anspruchsvolle und hochinteressante Ansätze wichtiger Exponenten dieser Kunst vorstellt, wobei sich auch auf dem Gebiet wenig bewanderte Leser angesprochen fühlen dürfen. Hapkemeyer geht in angenehmer, weil zurückhaltend persönlicher Weise an seine Sache heran und läßt die komplexe Materie plastisch und lebendig werden. Das Buch ist auch für Nicht-Experten leicht lesbar und durch Abbildungen anschaulich gestaltet. Die meisten der behandelten künstlerischen Arbeiten waren im Bozner Museion zu sehen, einige davon wurden für das Haus, das sich auf „sprachliche Strukturen in der Gegenwartskunst“ spezialisiert hat, angekauft. Die Tatsache, dass Hapkemeyer manche Künstler zum Teil seit vielen Jahren persönlich kennt und begleitet, gibt den Lesern immer wieder Einblick in den Prozeß der Entstehung eines konzeptuellen Kunstwerkes. Für Literaturinteressierte können sich anhand der versammelten Aufsätze grundsätzliche Fragen einer Textproduktion klären, die jenseits traditioneller Erzählweisen angesiedelt ist. Freilich steht, wie der Autor im seinem ausführlichen Vorwort schreibt, die bildende Kunst, stehen nicht Sprache und Literatur im Mittelpunkt des Buches. Das Experiment aber ist ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil auch der Literatur und speziell der Lyrik, vieles von dem, was Hapkemeyer über die bildende Kunst zu sagen hat, öffnet den Blick für die Intentionen der modernen, vom Konzept geleiteten Textproduktion. Abgesehen davon ist gerade das Fallen der Grenzen zwischen künstlerischen Disziplinen ein Wesensmerkmal der zeitgenössischen Kunst generell, die Auseinandersetzung mit prinzipiellen Fragen und strukturellen Prozessen in der Kunst jenseits von Gattungen erhellend. |
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