Bruno Traven: Das Totenschiff (1926)

Wer glaubt, dass sich hinter dem Titel Das Totenschiff eine Abenteuergeschichte im Stil von Robinson Crusoe verbirgt, hat sich kräftig getäuscht. „Die Romantik der Seegeschichten ist längst vorbei. Ich bin auch der Meinung, daß solche Romantik nie bestanden hat. Diese Romantik bestand lediglich in der Phantasie der Schreiber jener Seegeschichten. Jene verlogene Seegeschichten haben manchen braven Jungen hinweggelockt zu einem Leben und zu einer Umgebung, wo er körperlich und seelisch zugrunde gehen musste, weil er nichts sonst dafür mitbrachte als seinen Kinderglauben an die Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe der Geschichtsschreiber“, so Traven gleich auf der ersten Seite seines 1926 erschienen Romans Das Totenschiff.
Gleichwohl entbehrt der Roman keinesfalls jener risikoreichen Situationen, an denen der Held in herkömmlichen Seefahrergeschichten wächst – man denke an Die Abenteuer des Kapitän Hatteras von Jules Verne. Doch für Traven sind die Helden nicht die Kapitäne, sondern die einfachen Arbeiter, und „seine“ Arbeiter wachsen nicht an den Herausforderungen, sondern sie sind durch das Mühlwerk des Kapitalismus und durch die willkürliche Staatsmacht an den Rande der Gesellschaft gedrängt und zum Scheitern verurteilt. Traven verkehrt die Seefahrerromantik in ihr Gegenteil. Wie eine Odyssee beschreibt Traven die (Lebens-)Geschichte des einfachen amerikanischen Deckarbeiters Gale, der nach einer durchzechten Liebesnacht sein Schiff im Hafen von Antwerpen verpasst. Mit dem Schiff ist nun auch seine Seemannskarte dahin, die, wie sich herausstellt, der „Mittelpunkt des Universums“ zu sein scheint. Gale wird durch seinen Verlust zu einem Passlosen, Heimatlosen, Rechtlosen und Identitätslosen. Traven geht es hier um die staatliche Willkür und den Verlust der Freiheit des Individuums durch den Pass- und Visazwang. Traven endet in einem Rundumschlag gegen „das Zeitalter des Staates und seiner Lakaien“ (die Beamten) und seinen Bürokratismus: „Kein Wunder, dass Europa vor die Hunde geht“, heißt es im Roman. Der selbstreflexive Seemann wird zum Vagabund zwischen den Staatengrenzen und wird von hier nach dort abgeschoben und ausgewiesen, bis er schließlich auf einem Totenschiff strandet: Ein schrottreifes Schiff, aber hoch versichert, um beim nächsten Seegang versenkt zu werden. Was bleibt, ist die Versicherungsprämie. „Wer hier eingeht, dess‘ Nam‘ und Sein ist ausgelöscht. Er ist verweht.“ So beginnt Gales Abstieg zu den Toten. Auf den Totenschiffen herrscht die perfideste Form der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeiter vor.
Letztendlich ist das Totenschiff eine Metapher für den modernen Industriestaat. Gale wird Heizer in der höllischen Bauchhöhle des Schiffes, bis er nach dessen Untergang als Schiffbrüchiger auf einem Holzbrett auf dem offenen Ozean treibt. Das Ende bleibt offen.
Das Pseudonym B. Traven wurde mit dem Erscheinen des Romans Das Totenschiff in der Büchergilde Gutenberg berühmt, das Rätsel, wer sich hinter ihm verbarg, wurde allerdings nie gelöst. Traven gab sich die größte Mühe, seine Biographie geheim zu halten. Aus jahrelanger Traven-Forschung weiß man jedoch, dass Traven sich in Deutschland unter dem Namen Ret Marut aufhielt. Er war Mitherausgeber der radikal-anarchischen Zeitschrift Der Ziegelbrenner und war Hauptakteur bei der Errichtung der Räterepublik 1919 in München. Dort wurde er verhaftet, konnte aber vor dem Todesurteil fliehen und gelang über England 1925 schließlich nach Mexiko, wo er 1969 starb. Das Totenschiff wurde ein Erfolgsbuch in der Weimarer Republik. Es wurde in 30 Sprachen übersetzt, weltweit wurden über 20 Millionen Exemplare verkauft. 1959 wurde der Roman mit Mario Adorf in der Hauptrolle verfilmt. Im Exil schrieb Traven zahlreiche sozialkritische Romane, die weiterhin in der Büchergilde Gutenberg erschienen.
Im Mai 1933 wurden die Romane Regierung, Der Karren und Das Totenschiff verbrannt, dennoch gelang Traven nach 1945 das große Comeback.
Literatur
Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): B. Traven. Text und Kritik, Zeitschrift für Literatur, Heft 102, München, April 1989.
Beck, Johannes/ Bergmann, Klaus/ Boehncke, Heiner (Hrsg.): Das B. Traven Buch, Reinbek 1976.
Eigenheer, Markus: B. Travens Kulturkritik in den frühen Romanen: „Die Baumwollpflücker“, „Das Totenschiff“‘, „Die Brücke im Dschungel“, „Der Schatz der Sierra Madre“, „Die Weiße Rose“, Bern (u. a.) 1993.
Guthke, Karl: B. Traven. Biographie eines Rätsels, Frankfurt/M 1987.
Hetmann, Frederik: Der Mann der sich verbarg. Nachforschungen über B. Traven, Stuttgart 1983.
Keune, Manfred: Being as adventure. The Death Ship and The Treasure of the Sierra Madre as Novels of Adventure, aus: Schürer, Ernst/ Jenkins, Philip (Hrsg.): B. Traven. Life and work, Pennsylvania State University, 1987, S. 83-101.
Schürer, Ernst/ Jenkins, Philip (Hrsg.:): B. Traven. Life and work, Pennsylvania State University, 1987.
Recknagel, Rolf: B. Traven. Beiträge zur Biographie, Leipzig, 1982.