• The Wall Street Journal

Noch ein Schritt in Richtung Transferunion

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben bei ihren Gesprächen in Brüssel einen weiteren Schritt in Richtung einer gemeinsamen Haftung der Staatsschulden getan. Der ultimative Ausdruck einer echten Gemeinschaftshaftung, gemeinsam begebene Staatsanleihen, sind aber noch weit entfernt. Immerhin soll der auch aus deutschen Krediten gespeiste Euro-Rettungsfonds ESM künftig südeuropäischen Banken direkte Kredite geben und am Sekundärmarkt für Staatsanleihen intervenieren. Vielleicht ist das ESM-Geld dann bald alle. Und dann? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Freitagabend im Bundestag einige Fragen zu beantworten haben.

Der Zugang südeuropäischer Staaten zu den Euro-Rettungsgeldern wird nach den Gipfelbeschlüssen erleichtert. Spanische oder italienische Banken müssen nicht mehr von ihren eigenen Staaten mit neuem Eigenkapital ausgestattet werden. Sie können Geld direkt beim EFSF oder ESM beantragen. Vorteil: Die Rekapitalisierung erhöht nicht mehr die Staatsschuld. Davon profitieren die Banken, weil die Ratings der Staatspapiere in der Bilanz stabilisiert werden. Der Teufelskreis aus steigender Staatsschuld und schwächeren Bankbilanzen wäre an diesem Punkt unterbrochen. Vor Beginn der Beratungen am zweiten Gipfeltag deutete die Kanzlerin allerdings an, dass direkte Bankhilfen vom ESM-Entscheidungsgremium einstimmig genehmigt werden müssten.

dapd

Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag vor dem EU-Ratsgebäude in Brüssel.

Ökonomen sehen die Gefahr, dass die ESM-Mittel wegen des unkomplizierteren Zugangs bald erschöpft sein könnten. Commerzbank-Volkswirt Christoph Weil beschreibt ein Szenario, bei dem Spanien zunächst bis zu 100 Milliarden Euro erhält, Zypern 10 Milliarden und Griechenland in einem neu ausgehandelten Rettungspaket noch mal zusätzlich 15 Milliarden. Für denkbar hält er zudem einen Hilfsantrag Sloweniens (5 Milliarden Euro), Portugals (35 Milliarden Euro) und Irlands (18 Milliarden Euro).

Rechnet man dann noch den Refinanzierungsbedarf Spaniens (300 Milliarden Euro) und Italiens (470 Milliarden Euro) für die nächsten drei Jahre hinzu, kommt man auf einen Mittelbedarf von 948 Milliarden Euro. „Im Notfall könnte sein Darlehensvolumen wohl über die beschlossenen 500 Milliarden Euro erweitert werden. Eine Verdoppelung dieser Summe wäre aber schwierig", sagte Weil. Es zeichne sich außerdem ab, dass die Geberländer bei ihren Krediten ein stärkeres Risiko eingehen müssten. So sind EFSF oder ESM bei den Krediten für spanische Banken nicht mehr bevorrechtigter Gläubiger, was „normale Investoren" zu Käufen ermuntern soll.

Und auch das ist noch nicht alles. Der ESM soll ermächtigt werden, Staatsanleihen am Sekundärmarkt zu kaufen. Volkswirte sehen die Gefahr, dass das Geld auf diese Weise schnell verbrannt wird. Schließlich hat die EZB über 200 Milliarden Euro Staatsanleihen gekauft, ohne den Anstieg der Renditen letztlich verhindern zu können.

EZB sperrt sich gegen Ansinnen

„Der Schuss könnte nach hinten losgehen", warnte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Offizielle Marktinterventionen wirken nach seiner Einschätzung nur, wenn sie die Märkte beeindruckten. „Wenn die Europäische Zentralbank die EFSF/ESM-Interventionen massiv unterstützen würde, dann könnten sie sehr erfolgreich sein - übernehmen Sie, Herr Draghi", forderte Schmieding. Die EZB sperrt sich bisher gegen solche Ansinnen, vor allem wegen des Widerstandes stabilitätsorientierter Länder wie Deutschland.

Mehr Haftung nur gegen mehr Kontrolle - diese Maxime deutscher Europapolitik hat beim Brüsseler Gipfel einen Rückschlag erlitten. Am zweiten Gipfeltag dürften die Teilnehmer immerhin über Vorschläge und vielleicht auch einen groben Zeitplan für ein stärker integriertes Europa diskutieren. Ein Durchbruch in dieser Richtung ist nicht zu erwarten und damit auch kein neuer Schritt hin zu Euro-Bonds.

Die Commerzbank ist aber überzeugt davon, dass Deutschland auch in diesem Punkt irgendwann den Widerstand aufgeben wird. Wenn es vor die Wahl gestellt wäre, eine Vergemeinschaftung der Haftung zu akzeptieren oder die Währungsunion zerbrechen zu lassen, würde Deutschland Euro-Bonds akzeptieren, prophezeite ihr Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Zunächst wird Bundeskanzlerin Merkel jedoch in Bundestag und Bundesrat am Freitagabend erklären müssen, wie sich die Gipfelbeschlüsse zum ESM mit der deutschen Beschlusslage vertragen. Die Ratifizierung wird sich ohnehin verzögern, weil Bundestagsabgeordnete dem Bundesverfassungsgericht Klagen avisiert haben.

—Mitarbeit: Susann Kreutzmann

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