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Bernard Madoff – charmant, intelligent und eiskalt

| Lesedauer: 7 Minuten
Seit fast 50 Jahren liebt Bernard Madoff dieselbe Frau, gab sich bescheiden, hoch anständig, bürgerlich. Doch das war nur die Fassade. Viele sehen in ihm einen Kriminellen in derselben Klasse wie schlimme Serienmörder. Er beging das wohl größte Finanzverbrechen unserer Epoche.

Manche sehen Bernard Madoff in derselben kriminellen Klasse wie Ted Bundy, den Serienmörder. Madoff (70) habe mit Charme, Intelligenz, narzisstischer Kälte, von Grandiositätsgewissheit berauscht, Vermögen vernichtet, Existenzen vergewaltigt, Vertrauen gemordet - wie Bundy, der mindestens 35 Menschen tötete und nekrophil schändete. Dem Killer gleich habe Madoff geglaubt, dass er allen überlegen sei und nie entdeckt würde. Wie Bundy habe er nach seiner Festnahme nie Reue gezeigt. Nur ein sanftes, wahnhaftes Grinsen - als werde er von allen gefeiert, nicht in die Hölle gewünscht. Unter Madoffs mehr als 8000 Opfern häufen sich Selbstmorde und Morddrohungen gegen den Peiniger. Menschen, die um alles gebracht wurden, gestehen Folterfantasien.

Andere können nicht vergessen, wie tief sie diesem Mann vertraut haben. Sie hoffen noch immer, wider alle Vernunft, auf das Erwachen aus einem Albtraum. Ein so liebenswürdiger Herr, der "an Familie, Loyalität und Ehrlichkeit glaubte", so schwärmte ein ehemaliger Angestellter von Madoff Securities. Er habe seine Mitarbeiter wie Familienangehörige behandelt.

Der einstige Nasdaq-Chef trug seine Millionen - bedenkt man die Klientel - unaufdringlich zur Schau. Davidoff-Zigarren, Maßanzüge aus der Saville Row, Häuser in Palm Beach und Long Island, eine Yacht an der französischen Riviera, Anteile an zwei Privatjets, in seinen Kreisen nichts Extravagantes. Wie soll ein so netter Mann, der seit beinahe 50 Jahren dieselbe Frau liebte und zwei Söhne in der Firma reich werden ließ, seine Kunden, nach eigenem protzendem Geständnis, mit einem Schneeballsystem um 50 Milliarden Dollar betrogen haben?

Die dritte Gruppe gehört weder zu den Sachverständigen noch zu den Opfern. Seit Bernhard Madoff am 12. Dezember festgenommen wurde, zelebrieren die Zuschauer eine halb gelangweilte Fassungslosigkeit und können sich dennoch nicht sattsehen. Sie begreifen nicht, wie der Investmentmanager womöglich über Jahrzehnte Privatanleger, Banken, Stiftungen täuschen konnte, gewiefte Finanzfachleute in London ebenso wie naive Hollywood-Stars in Los Angeles. Wie kann es sein, dass sein Fonds wohl niemals nur eine einzige Investition getätigt hat? Dass niemand je etwas bemerkte, nicht einmal seine Söhne und die Händler, die für Madoff arbeiteten und zum Teil ihr eigenes Geld verzockten? War Madoff irgendwann einmal ehrlich oder ein Betrüger von Anfang an? Ist er ein marbusehaftes Genie? Oder machte Habgier seine Opfer so blind und so dumm, dass sie dem Guru Unmögliches glaubten: Jahr um Jahr fette Gewinne zu machen, wenn andere verloren oder nur bescheiden zulegten?

Zu den Unzähligen, die von Bernard Madoff betrogen wurden und nun nur hoffen können, wenigstens ihren guten Namen anonym zu halten, kamen namhafte Stiftungen, die alles verloren. Jene von Eli Wiesel etwa, dem Nobelpreisträger, Schriftsteller und Holocaust-Überlebenden, ebenso wie eine andere von Steven Spielberg und Jeffrey Katzenberg. Die 91 Jahre alte Schauspielerin Zsa Zsa Gabor will um 4,5 Millionen Dollar und dazu um ihr "Glück" gebracht worden sein. Ihr jüngerer Kollege Kevin Bacon hat mit Madoff soviel Vermögen verzockt, dass er, nur halb im Scherz, um Rollen bittet. Es eile, er müsse einfach sofort arbeiten.

Und dann sind da Millionär-zum-Tellerwäscher-Storys wie der Absturz von Maureen Ebel. Bis zum Abend des 11. Dezember lebte die 60 Jahre alte Medizinerwitwe bequem nahe New York in West Chester und im Winter in West Palm Beach in Florida. Ebel hatte 7,3 Millionen Dollar bei Madoff angelegt und sich daran gewöhnt, die vierteljährlich eintreffenden Auszüge mit Vergnügen zu studieren. Sechs Tage nach Madoffs Festnahme nahm sie einen Haushälterinnenjob bei der 93 Jahre alten Mutter einer Freundin an. Ihre Wohnung in West Palm Beach liegt wie Blei auf dem Markt, der miserabel für Verkäufer ist. Die frühere Krankenschwester bügelt und putzt sechs Tage in der Woche in der Hoffnung, ihr Haus halten zu können. Was sie mit Bernard Madoff machen würde, wenn sie mit ihm allein wäre, wurde sie gefragt. "Das könnten Sie nicht drucken", antwortete sie.

Seit Wochen ist Madoff nicht mehr gesehen worden

Am 14. Januar wurde der Schurke zuletzt gesichtet. Hubschrauber und Pressewagenkolonnen verfolgten ihn auf dem Weg zum Haftrichter, der darüber befinden sollte, ob Madoff in seinem bequemen Penthouse-Arrest in Manhattan bleiben dürfe. Für die zehn Millionen Dollar Kaution bürgt seine Frau Ruth mit zwei auf sie überschriebenen Immobilien. Madoff stand in kugelsicherer Weste und barhäuptig, wie es sich gehört, vor seinem Richter und hörte, dass noch immer keine Flucht- und Verdunkelungsgefahr von ihm ausgehe. Das sahen die Staatsanwälte anders.

Madoff hatte Ende Dezember Geschenke im Wert von einer Million Dollar an Freunde und Familie geschickt, Schmuck, Uhren, das Übliche eben. Eine Verletzung seiner Auflagen, kein Vermögen dem Zugriff des Staates zu entziehen? Nicht doch. "Eine verzweifelte und müßige Geste, sich mit der Familie zu versöhnen", erklärte sein Anwalt, Lee Sorkin, "ein unschuldiger, irrender, sogar dummer Fehler". Nun wird seine Post geöffnet und das Appartement noch etwas strenger überwacht. Madoff und Gattin, die sich frei bewegen kann, sehen fern und harren der Dinge.

Die Leute sind sauer, dass Madoff nicht einsitzt

Das Volk ist erbost. Die Leute denken daran, dass jeder Ladendieb für zehn Dollar Schaden in U-Haft landet. Manchmal hat der Zorn einen vernehmlich antisemitischen Ton. Er klingt an in der Schadenfreude, mit der bemerkt wird, ein jüdischer Gauner habe diesmal bevorzugt Juden bestohlen. Die Juden verstünden sich auf Finanzgeschäfte, höhnen andere, legale wie kriminelle, und beten eine Litanei jüdischer Namen von Madoff-Opfern wie von gefallenen Wallstreet-Bossen herunter. Martin Peretz, dem Chefredakteur des Magazins "New Republic", kam das alles so bekannt vor, dass er Mitte Januar eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Madoff: Eine jüdische Abrechnung" einberief.

Es ging laut und streitbar her im Yivo Institut für jüdische Forschung zu Manhattan. Mort Zuckerman, der bei Madoff viel Geld verlor, war gekommen, um sich gegen die Verbindung von Madoffs "Ponzi scheme" mit dem Judentum zu verwahren: "Ponzi war Italiener, nicht Jude." Und Kenneth Lay, der Großbetrüger vom Energiekonzern Enron sei nicht als protestantischer Energie-Zar berüchtigt geworden. Andere Teilnehmer der Debatte bekannten jedoch Scham, dass der Jude Madoff die Seinen bestehlen könne. Der Talmud unterscheide zwischen einem Dieb und einem Gauner, beharrte ein Rabbiner. Der Dieb sei verabscheuungswürdiger, "denn er arbeitet im Verborgenen und glaubt, Gott hinters Licht führen zu können". Mort Zuckerman räumte ein, dass seit der Hinrichtung von Julius Rosenberg als Hochverräter 1953, "niemand das Ansehen und das Selbstwertgefühl so verletzt hat" wie Bernard Madoff.

Die Schulkameraden erinnern sich kaum an Madoff

Der aber schweigt. Wie seine Söhne, die ihn nach seinem Geständnis den Behörden übergaben. Nur einmal bemerkten Reporter Gefühle an Madoff. Es war ein Erröten und ein gesenkter Blick, als ein Staatsanwalt dem Haftrichter erläuterte, Madoffs Söhne hätten die teuren Geschenke im Dezember sofort abgegeben. Wer aber ist der Mann, an den sich Schulkameraden und Kommilitonen kaum erinnern?

Bernard Madoff sei weder sportlich noch intellektuell oder als Mädchenschwarm brillant gewesen. Nicht einmal den Beruf der Eltern weiß man. Bernard Madoff, der Junge aus Queens, brach sein Jurastudium ab, baute Sprinkleranlagen in Geschäfte ein und wartete sie, bevor er 1960 sein Broker-Büro eröffnete.

Ruth Madoff, wohlerzogen, eine hübsche Blondine, war von Anfang an im Geschäft und im Heim dabei. "Bernie-and-Ruth" seien bis zuletzt unzertrennlich gewesen, sagen die Leute ("22 Jahre lang gingen sie zum selben Italiener, allein!"). Sie machte ihn vertrauenswürdiger. 2007 leitete die brave Ruth die Familienstiftung mit einem Vermögen von 17 Millionen Dollar. Dass sie von dem Schneeballsystem nicht gewusst haben soll, glauben wenige. Die Staatsanwaltschaft droht mit ihrer Verhaftung, um Bernard Madoff zu einem Gegengeschäft zu zwingen.

Oh gewiss, Madoff hat seine Macken. Einen furiosen Sauberkeits- und Ordnungswahn, der Angestellte bei kleinen Verfehlungen mit Wucht traf. Fieberhafte Eitelkeit, mit der er Eheringe in verschiedenen Edelmetallen täglich passend zu seinen übrigen Accessoires auswählte. Die eisige Verachtung, die einen treffen konnte, wenn man sein Mantra "Kiss" ("Keep It Simple Stupid") verletzte. Was aber bedeutet Madoffs Serienverbrechen wirklich noch in Zeiten, in denen die Regierung mit Amerikas Steuergeldern bankrotte Banken freikauft? Der Late-Night-Komödiant Jay Leno brachte es am 10. Januar auf den Punkt: "Der Kongress will sich mit dem Bernie-Madoff-Skandal befassen: Also der Typ, der 50 Milliarden verschwinden ließ, soll von den Typen untersucht werden, die 750 Milliarden verschwinden ließen?"

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