1. Home
  2. Kultur
  3. Grüne Revolution im Iran: Ihr habt Waffen, aber wir haben Handys

Kultur Grüne Revolution im Iran

Ihr habt Waffen, aber wir haben Handys

| Lesedauer: 5 Minuten
Überall auf der Welt demonstrieren Exil-Iraner für die "Grüne Revolution" – wie hier in Japan Überall auf der Welt demonstrieren Exil-Iraner für die "Grüne Revolution" – wie hier in Japan
Überall auf der Welt demonstrieren Exil-Iraner für die "Grüne Revolution" – wie hier in Japan
Quelle: AFP/KAZUHIRO NOGI
Auch ein Jahr nach der Grünen Revolution bilden Blogger und Journalisten die Avantgarde des Widerstands im Iran. Eine Medienrevolte.

Die Szene mutet fast schon literarisch an. Der Gefangene tritt einem Verhörbeamten gegenüber, und es entwickelt sich ein Dialog mit subtilen Botschaften und Angeboten, Zurückweisungen und Drohungen.

„Warum müssen sie hier sein“, fragt der Verhörbeamte, „ich sehe sie nicht gerne im Gefängnis.“ Der Häftling beharrt darauf, nur deshalb hier zu sein, weil er die Wahrheit ausgesprochen habe. Der Beamte antwortet, die Haltung des Häftlings erinnere ihn an Descartes: „Ich protestiere, also bin ich!“ Und er schlägt beharrlich vor, der Häftling möge doch einen Brief an den „Vater“ schreiben und um Gnade bitten.

Der Chefverfolger der Blogger

Der Vater, das ist Ali Khamenei, Revolutionsführer und iranisches Staatsoberhaupt. Der Häftling ist der iranische Filmemacher und Journalist Mohammad Nourizad, der uns dieses Verhör aus dem berüchtigten Teheraner Gefängnis von Evin in seinem mittlerweile fünften offenen Brief an den „Revolutionsführer“ Chamenei schildert. Zugleich gab Nourizad, der seit Dezember in Haft sitzt, davon zwei Monate in Einzelhaft verbracht hat und wegen seiner kritischen Äußerungen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden ist, in einem Schreiben bekannt, dass er nicht mehr länger an seine „physische Sicherheit“ glauben könne. Was er im Gefängnis erlebt und gehört habe, lasse ihn davon ausgehen, dass ihm oder seiner Familie etwas Unvorhergesehenes zustoßen könnte.

In dem Verhörbeamten, der ihm gegenübersaß, erkannte Nourizad den derzeitigen Oberstaatsanwalt von Teheran. Ein zentraler Posten, von dem aus die Verfolgung der Opposition im Iran organisiert wird. Saeed Mortazavi, der Amtsvorgänger des derzeitigen Chefanklägers, der im Herbst letzten Jahres versetzt und damit aus dem Rampenlicht genommen wurde, machte sich vor allem einen Namen mit der Verfolgung von Journalisten und Bloggern. Die Schließung von mehr als zweihundert Zeitungen und Zeitschriften geht auf sein Konto.

Auch der Tod der iranisch-kanadischen Fotojournalistin Zahra Kazemi, die 2003 aufgrund von Gewaltanwendung in Untersuchungshaft starb und mutmaßlich vorher noch vergewaltigt worden war, wies auf den Chefverfolger, der sie persönlich verhört hatte. Ein anderer ungeklärter Todesfall im Gefängnis von Evin vom März 2009 betraf den Blogger Omidreza Mirsayafi. Der junge Iraner schrieb vor seiner Verhaftung noch einer befreundeten amerikanischen Journalistin, wie froh er sei, dass man international über die Situation der iranischen Blogger und Journalisten berichte und über ihre Lage besorgt sei.

Hinrichtungen im Iran

Die jüngste bekannt gewordene Verurteilung einer Journalistin im Iran betrifft Zhila Bani Yaghoub, die zu einem Jahr Haft und dreißig Jahren Schreibverbot verurteilt wurde. Ihr Ehemann, Bahman Amoui, ebenfalls Journalist, verbüßt eine fünfjährige Haftstrafe im Evin-Gefängnis. Ob via Blogs, Twitter, oder in Zeitungen, wer es wagt, im Iran die herrschenden Zustände zu kritisieren, lebt gefährlich – und mutig.

Nach der Zahl der Hinrichtungen rangiert das iranische Regime längst an zweiter Stelle weltweit hinter China. Was die Beschränkungen der Pressefreiheit angeht, so steht Teheran nach Einschätzung der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ kurz davor, zu den Spitzenreitern in diesem Feld aufzuschließen: Eritrea, Nordkorea, Turkmenistan und Kuba. Nirgendwo im Nahen Osten sitzen so viele Journalisten und Blogger in Haft wie im Iran, 37 sind es derzeit, 85 warten auf ihr Verfahren, und 170 wurden insgesamt im letzten Jahr seit den Wahlen verhaftet. Mehr als hundert Journalisten sind seitdem ins Exil getrieben worden.

Nach einer Phase der Entspannung während der Präsidentschaft Khatamis in den Neunzigerjahren verschärfte sich der Kurs gegen kritische Berichterstattung und die Opposition seit der Jahrtausendwende. Die wenigen reformerisch orientierten Publikationen, die die erste Amtszeit Ahmadinedschads überlebt haben, sind seit den Wahlen vom 12. Juni vergangenen Jahres und den folgenden Protesten unter noch stärkeren Druck geraten. Über zwanzig Zeitungen wurden am Erscheinen gehindert oder ganz verboten, Redakteure bedroht, die Zensoren überprüfen die Zeitungen mittlerweile vor dem Druck.

Subversiv gegen das Regime

Auch den internationalen Journalisten sollte eine freie Berichterstattung aus dem Iran mit Bewegungsbeschränkungen, Ausweisungen und zeitweisen Arbeitsverboten unmöglich gemacht werden. Ob bei ausländischen Reportern oder inländischen Bloggern, das Regime wittert angesichts der Berichterstattung über die Proteste der Bevölkerung überall Verschwörungen und den geheimen Einfluss dunkler ausländischer – notabene zionistischer – Mächte. Was hier Kalkül und Propaganda und was hier schon echte Paranoia der Herrschenden ist, vermag man nicht zu unterscheiden. Vielleicht kann man das auch gar nicht mehr.

Angesichts der noch einmal verschärften Angriffe und Beschränkungen für Journalisten nach den Wahlen rückte der Informationsfluss über das Internet schnell ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Ein Informationsfluss, den das Regime trotz aller Zensurbemühungen und Verfolgungen zwar verlangsamen, jedoch niemals stoppen konnte. Nach jeder der wenigen öffentlichen Reden Ahmadinedschads in den letzten Monaten zeigten kurz darauf wacklige Filme im Netz die jeweils nur sehr spärlich besetzten Reihen seiner Anhänger. Beigeisterte Fans findet der iranische Präsident mittlerweile nur noch im Ausland, wie zuletzt in Istanbul, unter den örtlichen Islamisten.

Auch diese Form der täglichen, oft ganz unspektakulären Berichterstattung, in der Iraner allgegenwärtig der Aufforderung der Galionsfigur der Opposition, Moussawi, nachkommen, selbst „die Medien“ zu sein, unterhöhlt sehr subversiv den Anspruch des Regimes, immer noch begeisterte „Massen“ zu vertreten. Im Iran herrscht so auch ein Kampf der Propaganda um die Deutung der Geschehnisse im Ausland.

Die Ansprache des Auslands

Die oft auf Englisch formulierten Plakate oder Sprechchöre der Demonstranten des vergangenen Jahres haben sich bewusst nach außen gewandt. Die iranischen Aktivisten und Demonstranten mit ihren Netzbotschaften fordern die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und ihrer Medien ein und erinnern zumal das westliche Ausland daran, dass Werte wie Freiheit, Demokratie und unabhängige Berichterstattung keine Selbstverständlichkeiten sind – wenn man sich nicht immer wieder für sie einsetzt.

Medial haben die Iraner mit ihrem Bekenntnis zur Freiheit das Regime längst in die Defensive gedrängt – ein Regime zumal, das seine Herrschaftslegitimation früher vor allem mit Massenveranstaltungen und Massenmobilisierungen zu zeigen suchte. Die von regierungsnahen Medien mehr pflichtschuldig verbreitete Meldung, Millionen von Iranern hätten wegen der Vorgänge vor der Küste von Gaza gegen Israel demonstriert, wurde so wohlweislich nicht einmal mehr von einem einzigen Foto begleitet.

Dagegen wird das Regime wohl wissen, warum es in den letzten zwei Wochen vor dem Jahrestag der iranischen Wahlen Zeitungsredaktionen und Journalisten verwarnte, nicht über Proteste zu berichten oder überhaupt an die Vorgänge vom letzten Jahr zu erinnern. Ruhe vor dem Sturm? Die Weltöffentlichkeit wird auch das erpresste Schweigen als Botschaft lesen.

KOMMENTARE WERDEN GELADEN