Mein neuester Roman, „The Red Book“, wurde in die Longlist für den britischen Women’s Prize for Fiction, dem früheren Orange Prize, aufgenommen. Als ich das gehört habe, sind mir erst mal die Tränen gekommen. Dann habe ich den Preis gegoogelt und festgestellt: Er wurde 1991 gestiftet, als Reaktion auf den Booker Prize, bei dem nur Männer auf der Nominierungsliste standen. Er geht oft mit dem Adjektiv „renommiert“ einher. Und er ist umstritten.
Warum brauchen wir einen eigenen Preis für Frauen, fragen Jahr für Jahr Kolumnisten und Kritiker, sobald die Namen der Nominierten bekannt gegeben worden sind. „Der Orange Prize ist ein sexistischer Schwindel“, behauptete 2008 ein preisgekrönter Romanautor. „Die Vergangenheit ist vorbei“, schrieb er. Ist das so?
Die von der Vereinigung der Women in Literary Arts, genannt VIDA, erstellten Statistiken für 2012 liegen vor, sie sprechen eine andere Sprache: Die Ungleichheit ist eine erwiesene Tatsache, gestützt auf eine Rechnung, die sogar ein Erstklässler verstehen kann. Es werden mehr Bücher von Autoren als von Autorinnen rezensiert; es gibt mehr Rezensenten als Rezensentinnen. Männer sind also nach wie vor die Torwächter der Kultur (oder zumindest die Empfänger des Quäntchens an Aufmerksamkeit, das Büchern noch zukommt).
Das Persönliche ist politisch
Auch wenn mir davon abgeraten wurde: Ich werde mich jetzt persönlich äußern und von meinen Erfahrungen im Kulturbetrieb erzählen. Sich gegen das Establishment zu wenden sei beruflicher Selbstmord, sagen mir Kolleginnen; sie werden dich fertigmachen. Aber das ist mir egal. Für das Literatur-Establishment bin ich ohnehin zu alt und zu unsichtbar, als dass ich mir Gedanken machen müsste. Und ich glaube immer noch, dass das Persönliche politisch ist. Spulen wir zurück und schauen uns mein sogenanntes postfeministisches Leben einmal genauer an.
Ich wurde 1966 geboren und am Beginn einer feministischen Revolution erwachsen. Die Vergangenheit war vorbei; wir würden sie wegstecken. Nur dass es dafür mehr brauchte als verbrannte Büstenhalter und den freien Zugang zur Pille. Es brauchte Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, genau genommen mein ganzes Leben. Als Präsident Nixon 1972 „Title IX“, die Gesetzesnovelle gegen Geschlechtsdiskriminierung im Bildungssystem unterzeichnete, war ich sechs, aber die Früchte konnten erst die Mädchen ernten, die viele Jahre nach mir geboren wurden. Wer weiß? Statt einer Romanautorin wäre ich sonst vielleicht eine einigermaßen kleinwüchsige, unbedeutende Fußballspielerin geworden. Aber egal.
Schneller Vorlauf bis zum Jahr 1988: In der Nacht vor meinem College-Abschluss werde ich von einem Bekannten vergewaltigt. Am nächsten Morgen, noch ehe ich meine Robe und den Bachelor-Hut anlege, stolpere ich ins Büro des Uni-Gesundheitsdienstes, um das Verbrechen zu melden. Man rät mir, keine Anzeige zu erstatten. „Man wird Sie fertigmachen“, höre ich von der Psychologin, die mit meinem Fall betraut wurde. Ich will nicht fertiggemacht werden. Schließlich habe ich mein Leben noch vor mir.
Kriegsfotografin, eine Frau an der Front
Als ich 25 Jahre später höre, wie ein Bericht auf CNN über die Auswirkungen der Vergewaltigung von Steubenville auf zwei vielversprechende Leben, die der Vergewaltiger, nicht das des Opfers, lamentiert, kommen mir zwei Gedanken: Es hat sich nichts verändert; ich wünschte, ich wäre mutiger gewesen. Ich beschließe, den Namen meines Vergewaltigers zu googeln, etwas, was ich in dem Vierteljahrhundert seit dem Verbrechen nicht getan habe. Das Versprechen seines Lebens, stelle ich fest, hat sich erwartungsgemäß erfüllt. Er ist erfolgreich. Und verheiratet – mit einer Frau, die vor Kurzem in einer Talkrunde mit der Facebook-Chefin Sheryl Sandberg über deren feministisches Manifest „Lean In“ diskutiert hat.
Spulen wir etwas weiter, bis ins Jahr 1989. Ich bin eine 23-jährige Kriegsfotografin vor meiner ersten professionellen Ausstellung bei der Premiere des Fotofestivals Visa Pour l’Image im französischen Perpignan. Diese Ehre teile ich mit Schwergewichten des Fotojournalismus, Sebastião Salgado und Jim Nachtwey. Sie und fast alle anderen Männer bekommen Einzelausstellungen. Ich teile mir einen Raum mit Alexandra Avakian, einer anderen Frau, die in diesem Jahr dabei ist. Unsere Ausstellung trägt den Titel „Les deux femmes sur le front“, „Die zwei Frauen an der Front“. Von den 26 Fotografen, die an diesem Festival teilnehmen, sind wir die einzigen Frauen.
Jetzt schreiben wir 1998. Ich bin Mutter von zwei kleinen Kindern. Ich bin die Hauptverdienerin der Familie und arbeite Vollzeit als Produzentin beim Fernsehsender NBC. Ich habe einen Emmy gewonnen, aber das ist nichts Besonderes: Wer lange genug im Fernsehen ist, bekommt irgendwann einen. Als ich nach meinem zweiten Mutterschaftsurlaub (unbezahlt, daher für meine Familie ein finanzielles Desaster) wieder anfange zu arbeiten, werden mir trotz meiner Spezialisierung auf Nachrichten kurz hintereinander diese drei Themen zugeteilt: „So bringt man seine Kinder ins Bett“, „Wählerische Babys“, „Mäkelige Esser“.
Alles, nur kein Titel mit -babe
Unter uns Produzenten bin ich eine der wenigen arbeitenden Mütter, Väter mit kleinen Kindern gibt es dagegen eine Menge. Ich schmeiße die „Mäkelige Esser“-Story hin und lasse mich beurlauben, um es mit meiner Leidenschaft, der Schriftstellerei, zu probieren, ein Plan, den mein Professor mir im ersten Studienjahr ausgeredet hatte, obwohl ich schon vorher als Kolumnistin für das Magazin „Seventeen“ gearbeitet hatte.
Es ist 1999. Ich verkaufe mein erstes Buch, Erinnerungen aus meinen Jahren als Kriegsfotografin, an den Verlag Random House und bekomme das Doppelte meines NBC-Gehalts. Ich bin ganz aus dem Häuschen: ein neuer Job, Selbstständigkeit, Zeit für die Arbeit, von der ich seit meiner Kindheit geträumt habe. Verkauft wird das Buch auf der Grundlage eines ersten Kapitels unter dem Titel „Newswhore“ („Nachrichtenhure“), jener Beleidigung, die uns von außen als auch aus den eigenen Reihen oft entgegenschlägt.
Für mich ist es eine Art, in einer Mischung aus Scham und schwarzem Humor das geierartige Wesen unseres Betriebs zu verdeutlichen; außerdem ein Mittel, das Wort „Hure“, wie ich es sehe, zurückzuerobern, da ich ja auch über Geschlechter- und Sexualpolitik schreibe. Random House ändert den Titel des Buches in „Shutterbabe“ („Blendenbaby“). Ich beknie sie, stattdessen „Shuttergirl“ zu nehmen, um mir wenigstens das „Mädchen“ zurückzuholen. Alles, nur kein Titel mit „-babe“!
„Barbie der Schlachtfelder“?
Man sagt mir, ich hätte da nicht mitzureden. Das vom Verlag entworfene Cover zeigt vor pinkfarbenem Hintergrund einen cartoonartigen nackten Torso, dessen Genitalien von einer Kamera bedeckt werden. Ich erkläre ihnen, dass sich normalerweise mein Auge hinter der Kamera befindet, nicht meine Vagina. Gott sei Dank gewinne ich den Kampf ums Cover. Aber nur, indem ich einwillige, das Foto selbst zu machen. Umsonst.
Nun haben wir 2001. Nach zwei Jahren mühevoller Arbeit am Buch werde ich in Rezensionen als Vollzeitmutter bezeichnet. Artikel unter der Überschrift „Battlefield Barbie“ („Barbie der Schlachtfelder“) erscheinen, auch wenn ich kein bisschen nach Barbie aussehe. Man hält das Buch für gut, mich aber für eine Niete. „Talk“ fragt mich, ob ich Angst hätte, als Flittchen abgestempelt zu werden.
Ich verwahre mich gegen das Wort und gegen die Frage; gedruckt wird sie trotzdem. „The Women’s Review of Books“ deutet indirekt an, ich hätte mir meine Vergewaltigung selbst zuzuschreiben, das Magazin „Salon“ verlegt sich darauf, mich als Schlampe hinzustellen, „New York Magazine“ findet, ich sei eine Beleidigung für den Feminismus, weil ich eine vielversprechende Karriere aufgegeben habe.
„Wenn Autoren angreifen“
Mein Buch ist ein Bestseller, Journalistenschulen verwenden es als Lehrbuch. Ich habe nichts aufgegeben, finde ich; ich habe etwas Neues begonnen. Als eine, die nicht zurückschrecken will, sondern sich reinhängen (ich war Vertreterin von „Leaning In“ bevor es Thema für Talkrunden wurde), schreibe ich an die Publikationen, die mich nuttig oder barbiehaft genannt haben: nicht etwa, um eine öffentliche Entschuldigung zu erwirken, sondern um privat – Ich will ja nicht fertiggemacht werden! – darum zu bitten, dass sie die Art, wie sie Frauen rezensieren, noch einmal überdenken. „Würden Sie je einen Autor einen Vollzeitvater nennen?“, lautet eine meiner rhetorischen Fragen.
Da der Barbie-Kritiker Freiberufler war, empfiehlt sein Chefredakteur mir, ihn zu Hause anzurufen und um seine E-Mail-Adresse zu bitten. Ein paar Wochen später werde ich von diesem Mann bei der Verleihung des renommierten National Book Critics Circle Award öffentlich zum Gespött gemacht. In seiner Dankesrede erzählt er die Geschichte der verrückten Schriftstellerin, die ihn privat angerufen hat, um sich über die Rezension ihres Buches zu beschweren. In einem Magazin erscheint die Geschichte, in der ich namentlich genannt werde, unter dem Titel „When Authors Attack“, „Wenn Autoren angreifen.“ „Sie werden dich fertigmachen“, denke ich bei mir.
Jetzt schreiben wir 2006. Gerade habe ich meinen ersten Roman verkauft, „Suicide Wood“, eine moderne Allegorie auf Dantes „Inferno“ über eine Mutter, die sich selbst und ihre Kinder umbringt. Man gibt mir zu verstehen, dass Bücher mit dem Wort „Selbstmord“ im Titel sich niemals verkaufen und dass ich die Sache mit Dante vergessen sollte: Frauen – das unterstellte Lesepublikum meines Romans – würden bei Dante abschalten. Und bei Selbstmord auch.
Ab in die Ratgeber-Ecke
Ich erkläre, dass ich mir für meinen Roman nicht nur Leserinnen, sondern auch Leser wünsche, dass er tatsächlich von Selbstmord handelt und dass die Kenntnis des „Inferno“ keine Voraussetzung dafür ist, ihn zu verstehen. Ich erinnere an den Erfolg von Jeff Eugenides’ „Die Selbstmord-Schwestern“ („The Virgin Suicides“). Das hatte ich doch auch in die Hand genommen, denn ich habe, obwohl ich eine Frau bin, ein Faible für Romane über Selbstmorde. „Aber in seinem Titel kommt das Wort ,Jungfrau‘ vor“, erklärt man mir. Aha!
Aus meinem Titel wird „Between Here and April“ („Zwischen hier und April“). Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, bekomme aber wieder gesagt, ich hätte da nichts mitzureden. Bei meinem nächsten Buch, „Hell is Other Parents“ („Die Hölle sind die anderen Eltern“), das Gleiche: Die Sammlung persönlicher Essays wird mit einem rosafarbenen Cover gedruckt und in die Abteilung Erziehungsratgeber gesteckt. „Screwing in the Marital Bed“ („Vögeln im Ehebett“), der Titel eines der Essays, hätte besser gepasst, merke ich an. Wieder habe ich nichts zu sagen.
Nun schreiben wir 2012. Mein viertes Buch, „The Red Book“, das für den Women’s Prize for Fiction nominiert und auf der Bestsellerliste der „New York Times“ stehen wird, wird genau wie seine Vorgänger zur Rezension an die „Book Review“-Sektion der „New York Times“ geschickt. Eines Morgens suche ich ein paar unabhängige Buchläden auf, um den dortigen Bestand zu signieren. Unsere Verlage drängen uns, dies in den ersten Wochen nach Erscheinen eines Buchs zu tun. „Ist es in der ,Times‘ rezensiert worden?“, fragt mich ein Buchhändler, während er seinen Computer nach dem Roman durchsucht, den er in seinen Regalen nicht finden konnte. Nein? „Dann haben wir es vermutlich nicht auf Lager.“
Jahrhunderte des literarischen Sexismus
Dieselbe Geschichte höre ich von drei weiteren Buchhändlern, ehe ich mich mit meinem jungfräulich bleibenden Edding auf den Heimweg mache. Ich spiele mit dem Gedanken, das Handtuch zu werfen. Der Mangel an respektvoller Berichterstattung, die Titulierung als Schlampe und andere Beschimpfungen, die tussigen Buchcover und gegen meinen Willen durchgesetzte Titel, die meinem literarischen Anspruch zuwiderlaufen, haben mich zermürbt und mich alles hinterfragen lassen: meine Fähigkeiten, meine Zukunft, mein Leben. Das ist es, was der Sexismus am besten kann: Er sorgt dafür, dass man sich verrückt vorkommt, weil man nach Gleichheit strebt, und schließlich die Hoffnung aufgibt, sie je zu erreichen.
Inzwischen ist 2013, der Tag, an dem ich mich mit einem Gefühl der Beklommenheit hinsetze, um diesen Text zu schreiben. Der Nachruf der „Times“ auf Yvonne Brill, eine anerkannte Raketenwissenschaftlerin und Trägerin der National Medal of Technology and Innovation, beginnt mit: „Sie kochte ein exzellentes Bœuf Stroganoff, folgte ihrem Mann von einer Arbeitsstelle zur anderen und blieb acht Jahre zu Hause, um drei Kinder aufzuziehen.“ Die Vergangenheit ist nicht vorbei. Oder, wie Faulkner schrieb: „Die Vergangenheit ist nie tot. Sie ist noch nicht einmal vergangen.“ Bis sie es ist, sollte man nicht von uns erwarten, sie wegzustecken.
Ich bin stolz auf meine Nominierung für einen Literaturpreis, der nur an Frauen verliehen wird. Mir ist keine Definition von Sexismus bekannt, nach der der „Women’s Prize for Fiction“ – ein dreifach Hoch auf die Transparenz seines Namens! – „sexistisch“ wäre. Im Gegenteil, er entschädigt für Jahrhunderte des literarischen Sexismus, der Voreingenommenheit und Unsichtbarkeit. Es gibt einen Grund, weshalb J. K. Rowlings Verlag verlangte, dass sie statt „Joanne“ ihre Initialen benutzte.
Es ist derselbe Grund, warum Mary Anne Evans ihre Romane unter dem Pseudonym George Eliot veröffentlichte und Robert Southey, seinerzeit offizieller Hofdichter des englischen Königshauses, an Charlotte Brontë schrieb: „Literatur kann nicht die Hauptbeschäftigung im Leben einer Frau sein, und das sollte sie auch gar nicht.“
Als amerikanische Autorin ziehe ich es tatsächlich in Erwägung, in den Vereinigten Staaten einen Frauenliteraturpreis ins Leben zu rufen, der ein Mal jährlich vergeben wird, jedes Jahr, bis Geschlechtergleichheit in der Kunst erreicht ist. Das wird mich vermutlich bis zu meinem Nachruf beschäftigen.
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.