Der Norweger Edvard Munch hat eines der berühmtesten Gemälde aller Zeiten gemalt: „Der Schrei“. Steffen Kverneland hat nun eine bildgewaltige Comic-Biografie seines Landsmannes Munch vorgelegt, die in Norwegen den wichtigsten Literaturpreis erhielt. Ein Gespräch über die Exzentrik des Künstlers, das große Dorf Norwegen und Munchs mächtigen Freund August Strindberg.
Die Welt: Vor Jahren haben Sie mit Lars Fiske eine Comic-Biografie über den norwegischen Simplicissimus-Zeichner Olaf Gulbransson geschrieben. Nun widmen Sie sich Edvard Munch. Wie kam es dazu?
Steffen Kverneland: Munchs Kunst hat mich schon immer fasziniert. Sie war einer der Gründe, warum ich mit dem Zeichnen nie aufgehört habe. In den Neunzigerjahren habe ich dann für eine norwegische Zeitung eine Serie gemacht, bei der ich Buchauszüge in Comicform adaptiert habe. Unter den Büchern, die ich als Comicstrip umgesetzt habe, war auch eine frisch geschriebene Munch-Biografie aus den Vierzigern. Als ich daraus einige Passagen adaptiert habe, stellte ich fest, dass Munch der perfekte Comic-Charakter ist. Da hatte ich das erste Mal die Idee, eines Tages einen Munch-Comic zu machen.
Die Welt: Was macht Munch zu einem perfekten Comic-Charakter?
Kverneland: Er ist sehr exzentrisch und hat viele auffällige Züge. Ich glaube, dass das bei vielen Künstlern der Fall ist, denn ein Künstler, der in seiner Kammer sitzt und immer nur malt, der muss sich an keine Umwelt anpassen. Er wird dabei immer kantiger, spleeniger, extravaganter. Munch wollte ich diesen Cartoon-Charakter angedeihen lassen, er sollte nicht wie ein netter junger Mann von nebenan aussehen. Dafür musste ich nur sein ohnehin ausgeprägtes Kinn überzeichnen und fertig war die Comicfigur.
Die Welt: Ihr Porträt konzentriert sich auf Munchs Berliner Jahre, die seine produktivsten waren.
Kverneland: Zum einen fand sich Munch in einem intellektuell sehr stimulierenden Milieu zwischen zahlreichen Schriftstellern und Malern wieder. Vor allem Autoren wie sein bester Freund August Strindberg oder der polnische Dichter Stanislaw Przybyszewski hatten es ihm angetan. Zugleich ist diese Produktivität auch das Ergebnis seiner jahrelangen harten Arbeit an seinem Strich und den Techniken. Er hat sich die Kontrolle über sein Schaffen Stück für Stück erarbeitet – in Berlin konnte er das endlich alles umsetzen. Nicht zuletzt muss man sich vor Augen halten, dass Norwegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Dorf war. In Berlin öffnete sich ihm plötzlich die Welt.
Die Welt: Welche Rolle spielte der schwedische Dramatiker Strindberg für Munch?
Kverneland: Strindberg war experimentierfreudig in allem, was er tat. Sein avantgardistischer Zug hatte einen anregenden Einfluss auf Munch. Er sollte in dem Comic nur eine Nebenrolle einnehmen, aber zuweilen drohte er die Geschichte an sich zu reißen. Sowohl Munch als auch Strindberg waren sehr grundsätzlich, explizit und direkt in allem, was sie dachten, taten und machten. Man kann gut mit diesen Charakterköpfen arbeiten, wenngleich es schwierig ist, sie im Griff zu behalten.
Die Welt: Sie erzählen aus verschiedenen Perspektiven. Neben der historischen Nacherzählung werden die Stimmen von Zeitgenossen laut und es gibt die Metaperspektive ihrer eigenen Recherche. Dazu kommen Wort- und Bildzitate. War es schwierig, die Erzählebenen im Griff zu behalten?
Kverneland: Es war schwierig und ich habe mich manchmal gefragt, warum ich mir das eigentlich antue und nicht einfach chronologisch erzähle. Aber ich wollte vielschichtig bleiben, denn die Wirklichkeit ist nicht einfach. Auf der Metaebene konnte ich einerseits die Skepsis an dem Quellenmaterial verorten und andererseits die erzählte Zeit weiter strecken – von Munchs Zeit bis heute. Das Ganze funktioniert am Ende ein bisschen wie das Dogma-Kino von Lars von Trier.
Die Welt: Es gibt zahlreiche Biografien von Munch. Warum wollten Sie eine eigene verfassen?
Kverneland: Mir ging es darum, Munch aus den Missverständnissen und den pseudopsychologischen Interpretationen seiner Biografen zu befreien. Er wird oft als depressiver und missverstandener Künstler dargestellt. Aber das stimmt nicht. Er hatte viele Frauen, Freunde und Förderer, war ein witziger und streitbarer Kopf, der immer aktiv an sich und seinem Erfolg gearbeitet hat.
Die Welt: Sie haben für „Munch“ Norwegens wichtigsten Literaturpreis, den „Brageprisen“, erhalten. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?
Kverneland: Schon die Nominierung meines Comics in der Kategorie Sachbuch war eine ziemliche Sensation. Nun hat „Munch“ auch noch gewonnen, was sowohl für mich persönlich als auch für das Medium Comic in Norwegen eine tolle Geschichte ist. Der Preis bringt viel Aufmerksamkeit und macht deutlich, dass Comics nicht unbedingt lustig sein, für Kinder gemacht oder von Superhelden handeln müssen. Das erste Mal überhaupt hat ein Comic diesen Preis gewonnen. Die Neunte Kunst ist endlich als legitimes literarisches Genre anerkannt.