1. Home
  2. Kultur
  3. Literatur
  4. Verlage: Profitierte C.H. Beck von „Arisierungen“?

Literatur Verlage

Profitierte C.H. Beck von „Arisierungen“?

| Lesedauer: 7 Minuten
Haus der Geschichte: Der Verlag C.H.Beck in München. Haus der Geschichte: Der Verlag C.H.Beck in München.
Haus der Geschichte: Der Verlag C.H.Beck in München.
Quelle: Verlag C.H.Beck
Historikerstreit reloaded: Zum 250. Jubiläum erscheinen im Traditionsverlag C.H. Beck zwei Verlagsgeschichten. Über die Rolle des Hauses im „Dritten Reich“ ist ein heftiger Streit entbrannt

Ausgerechnet Nördlingen. In der schwäbischen Reichsstadt gab es „25 Leser, 1 Schreiber und 2 Denker“, wie der Publizist Wilhelm Ludwig Wekhrlin spottete – der eine Schreiber war er selbst, und auch das Denken übernahm er zu fünfzig Prozent. Trotzdem begann dort 1763 ein junger Mann, dem Bergbaumilieu entstammend, einen Stollen zu graben, der bis in unsere Gegenwart führt. Das Erz der Bildung wurde und wird dort reichlich zutage gefördert.

Die „Leserei“ sei „zum beinahe unentbehrlichen und allgemeinen Bedürfnis geworden“, stellte der Philosoph Kant Ende des 18. Jahrhunderts fest. Die neuen Lesegewohnheiten der Aufklärung bediente Carl Gottlob Beck mit seinem Verlag, der bereits auf Wissenschaftsvermittlung setzte. Zum Erfolgsrezept gehörte von Beginn an der enge Kontakt mit den Gelehrten. Es mussten durchaus keine Originalgenies sein. Gefragt waren systematische Köpfe, die neue Ideen oder den jeweiligen Stand der Forschung bekömmlich für eine breitere Leserschaft referieren konnten; diesem Autorenprofil ist der Verlag bis heute im Wesentlichen treu geblieben.

Wichtig war zudem die Diversifizierung des Wissens: von der Nördlinger Lokalgeschichte bis zur Nationalökonomie, von moralisch-pietistischen Traktaten bis zur rationalen Aufklärungstheologie, von der „vaterländischen“ Geschichte bis zur Polizeiwissenschaft und „Arzneygelahrtheit“, um nur ein paar Fakultäten zu nennen, deren Einsichten von Beck ans wissenshungrige Bürgertum vermittelt wurden. Die Ausdifferenzierung des Programms gehört heute erst recht zu den Maximen des Verlags.

Jurist versus Althistoriker

Neu im Angebot sind zwei selbstbezügliche Novitäten zum Jubiläum: Der Jurist Uwe Wesel liefert 590 Seiten zum Thema „250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C.H. Beck“; der Althistoriker Stefan Rebenich hat 860 Seiten über den „kulturwissenschaftlichen Verlag und seine Geschichte“ verfasst. Sein Buch analysiert die Zusammenhänge zwischen politischen Rahmenbedingungen und verlegerischen Initiativen und erweitert die Verlagsbiografie zur Kultur- und Mediengeschichte. Auch der Strukturwandel des Bildungsbürgertums ist ein wichtiges Thema. Der Beck-Verlag begleitete den Aufstieg und die Krise dieser Schicht, die ihren Anspruch auf soziale Exzellenz aus der Kumulation von „höherem“ Wissen ableitete.

Im Verlagsgeschäft war protestantische Arbeitsethik gefragt, denn bis zum ersten wirklichen Best- und Longseller dauerte es siebzig Jahre: Wilhelm Löhes Sammlung „Samenkörner des Gebets“, die 1840 erschien und bis 1903 44 Auflagen schaffte. Bei aller Liebe zur Aufklärung war guter Glaube lange ein wichtiger Umsatzbringer; Hauptabnehmer in den frühen Jahren waren insbesondere die Klosterbibliotheken. Ungeachtet ihrer Verwurzelung im Lutherischen pflegten die Becks enge Geschäftsbeziehungen mit den katholischen Institutionen.

Auch der Zeitgeist wurde bereitwillig bedient: der liberale Fortschrittsglaube des Bürgertums im 19. Jahrhundert, die machtgeschützte Innerlichkeit und der Nationalismus im Kaiserreich, die Weltendämmerungsstimmung nach 1918 (mit dem Bestsellerautor Oswald Spengler) und auch die nationalsozialistische Aufbruchseuphorie ab 1933. Der größte Erfolg der Verlagsgeschichte, der allerdings längst aus dem Programm ausgemustert wurde, war die hymnische autobiografische Kriegsnovelle „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ von Walter Flex aus dem Jahr 1917 – ein jugendliches Kultbuch für mindestens zwei Generationen.

Eklat beim Buchmessen-Empfang

Schlagzeilen hat im vergangenen Oktober die Kontroverse von Uwe Wesel und Stefan Rebenich beim Buchmessen-Empfang des Verlags gemacht. Streitpunkte waren die Verlagsgeschichte im Nationalsozialismus und die „Arisierung“ des juristischen Verlags Otto Liebmann, der im Dezember 1933 von C.H. Beck gekauft wurde. Rebenich beschreibt den damaligen Verlagspatriarchen Heinrich Beck als stillen Profiteur des nationalsozialistischen Regimes. Zwar übte er selbst keinen Druck auf Otto Liebmann aus, und das Geschäft wurde juristisch korrekt abgewickelt. Ob der bezahlte Preis allerdings angemessen war, darüber gehen die Meinungen der beiden Historiker auseinander.

Rebenich liest den Quellen ein „eindeutiges Eingeständnis“ Heinrich Becks ab, dass der jüdische Eigentümer mit 250.000 Reichsmark „keinen adäquaten Verkaufspreis erhalten“ habe. Es existierten aber noch zusätzliche Vereinbarungen hinsichtlich Einkommensteuer und Abfindungen, nach denen Wesel auf insgesamt 305.000 Reichsmark kommt. Das habe dem „tatsächlichen Wert des Unternehmens zu dieser Zeit entsprochen“.

Wenn Heinrich Beck dem Sohn Otto Liebmanns, der sich inzwischen in Ecuador als Buchhändler durchschlug, nach dem Zweiten Weltkrieg 50.000 Mark nachzahlte, sei das kein Eingeständnis gewesen, dass vormals zu wenig gezahlt worden sei, sondern „ein typisches Zeichen für die Großzügigkeit seiner vornehmen Haltung“ – so Wesels allerdings schwammig psychologisierende Formulierung. Dass Beck dank des erweiterten juristischen Geschäftsbereichs während der Nazi-Jahre erhebliche Gewinne erzielen konnte, spiele für den Verkauf selbst aus juristischer Sicht keine Rolle.

Auch Wesel lässt indes keinen Zweifel daran, dass Heinrich Beck von der „Arisierung“ profitierte, weil Otto Liebmann unter anderen politischen Umständen überhaupt nicht verkauft hätte. Mit Liebmann kam juristische Kompetenz zu Beck. Dafür sorgte die renommierte Deutsche Juristen-Zeitung, die Otto Liebmann gegründet und zum maßgeblichen Fachblatt gemacht hatte, auch wenn die Abonnentenzahl 1933 seit Jahren rückläufig war.

Kollaboration mit den Nationalsozialisten?

Noch wichtiger waren die juristischen Kurzkommentare, die C.H.Beck mit durchschlagendem Erfolg weiterentwickelte. So wurde das rechtswissenschaftliche Geschäft zum ökonomischen Standbein, zur „cashcow“, was das Überleben des Verlags in einer Zeit sicherte, in der die Freiräume für ein kulturpolitisches Programm sich zunehmend verengten und die wichtigsten Hausautoren in Ungnade fielen: der bei aller Affinität zum „Führergedanken“ für den Nazigeschmack zu elitäre Oswald Spengler und der antisemitisch angefeindete Kulturgeschichtler Egon Friedell, der 1938 in Panik vor der SS Selbstmord beging.

Elf Tage nach dem Tod von Oswald Spengler im Jahr 1936 warf sich der mit ihm befreundete Verlagslektor August Albers, der den Autor zu C.H. Beck geholt hatte, vor einen Zug. Angesichts solcher Erfahrungen und der Diskreditierung seiner bewunderten Autoren mochte Heinrich Beck, auch wenn er 1937 aus Geschäftskalkül in die NSDAP eintrat, durchaus einige Distanz zum Regime und seiner „Rassenidiotie“ (Spengler) empfunden haben, wie Wesel nachzuweisen sucht.

Das ändert nichts daran, dass er in der Praxis auf möglichst geräuschlose Anpassung, auf „Systemnähe“ und „Kollaboration“ setzte. Rebenich belegt das an den damaligen Verlagsanzeigen im Verbandsorgan Börsenblatt, die die Buchhändler mit den aktuellen Reizvokabeln zu ködern suchten – wenig verwunderlich, dienert sich Werbung doch in allen Epochen dem Zeitgeist an. Immerhin gesteht Rebenich zu: „Das nationalsozialistische Propaganda-Schrifttum und Blut-und-Boden-Werke wurden von C.H. Beck nicht verlegt.“

Kommentare zu den Nürnberger Gesetzen

Mit dem juristischen Zweig des Verlags verbinden sich allerdings berüchtigte Publikationen. In der Deutschen Juristen-Zeitung erschien nach den Röhm-Morden von 1934 Carl Schmitts Artikel „Der Führer schützt das Recht“ als Aufmacher. Ein „Schandfleck“ (Wesel) der Verlagsgeschichte ist der Kommentar zu den Nürnberger Rassengesetzen von Wilhelm Stuckart und Hans Globke. „C.H. Beck beteiligte sich mit seinen juristischen Publikationen an der Pervertierung des Rechts“, resümiert Rebenich.

Wesel vermeidet zwar solche anklagenden Töne; dennoch sind die beiden Verlagsgeschichten nicht so kontrovers, dass sich ein öffentlicher Streit daraus ergeben müsste. Worum ging es also wirklich? Womöglich hatte Wesel Sorge, dass ihm der knapp dreißig Jahre jüngere Kollege die Schau stehlen würde. Denn dessen kulturgeschichtliches Buch ist nicht nur umfangreicher, sondern auch besser zu lesen. Zwar kennt man auch Uwe Wesel als Autor, der strohige Rechtsmaterie populär und spannend vermitteln kann. Hier aber lässt er sich die Gelegenheit entgehen, anhand der Verlagsgeschichte juristische Paradigmenwechsel des zwanzigsten Jahrhunderts exemplarisch zu verdeutlichen.

Im ersten Drittel seines Buch ist wenig von Rechtswissenschaft die Rede, man bekommt eine kürzere und weniger kontextreichere Darstellung der ersten hundertfünfzig Jahre des Verlags. In der zweiten Hälfte widmet sich Wesel der Produktion des Hauses nach 1949. Spätestens mit der Gründung der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ wurde C.H. Beck zum führenden rechtswissenschaftlichen Verlag. In ermüdender additiver Folge werden die Handbücher, Kommentare, Schriftenreihen und Studienbände vorgestellt und gewürdigt, bis hin zum „Lauterkeits-, Bilanz- und Anfechtungsrecht“ – keine Lektüre, sondern ein Nachschlagewerk.

Anzeige

Und die Situation des Verlags heute? Der Wille zum Wissen ist nach wie vor Voraussetzung für ein Unternehmen, das seit zweihundertfünfzig Jahren Geld mit Geist verdient. In der theorielastigen Hochphase der Suhrkamp-Kultur drohte C.H. Beck den Anschluss zu verlieren. Seit den Achtzigerjahren aber schärfte der Verlag sein Profil wieder im Zeichen der Wiederkehr der Geschichte, die von prominenten Beck-Autoren entscheidend befördert wurde. Die Werke von Saul Friedländer, Jürgen Osterhammel, Fritz Stern, Thomas Nipperdey, Hans-Ulrich Wehler und anderen beweisen heute die Weltgeltung eines Verlags, der die Verbindung von wissenschaftlichem Anspruch und Verständlichkeit auch in den nachbildungsbürgerlichen Zeiten einer möglichst knallig-spaßig-spritzigen Sachbuchkultur nicht aufgegeben hat.

Stefan Rebenich: C.H. Beck 1763-2013. Der kulturwissenschaftliche Verlag und seine Geschichte. C.H. Beck, München. 861 S., 38 €.

Uwe Wesel: 250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag. C.H. Beck 1763-2013. C.H. Beck, München. 591 S., 38 €.

KOMMENTARE WERDEN GELADEN