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Literatur Mord der Woche

Wenn die harten Hunde los sind auf St. Pauli

Redakteur Feuilleton
Chastity Riley ist Deutschlands härteste, schnoddrigste Krimiheldin. Und ein guter Kerl. Sagt ein Auftragskiller im neuen Riley-Fall von Simone Buchholz. Eine Geschichte von vier Gespenstern.

Eine Geschichte, die mit Nebel anfängt, den jemand wütend wegrauchen will, und mit einer tiefen Bewusstlosigkeit, kann eine ziemlich undurchsichtige Angelegenheit werden. „Blaue Nacht“ ist so eine Geschichte.

Eine Geschichte von vier Halbgespenstern, die ihrer Gegenwart in unterschiedlichen Graden abhandengekommen sind oder zumindest deren Oberfläche, die sie dann aber doch mit ziemlich blutigen Folgen weiter bestimmen wollen.

Chastity Riley ist Staatsanwältin und kaltgestellt

„Blaue Nacht“ – damit ist zunächst eine Kneipe auf St. Pauli gemeint und dann erst das geisterfreudige Geschehen, das unter anderem von ihr ausgeht. Und „Blaue Nacht“ ist der sechste Fall für die Hamburger Staatsanwältin mit dem bemerkenswerten Namen Chastity Riley.

Die ist schon mal das erste Gespenst. Weil sie nämlich kaltgestellt wurde, was man verstehen kann, weil sie eine Neigung zu ungesunder zwischenmenschlicher Härte hat und in ihrem letzten Fall bedauerlicherweise einem Verdächtigen die Kronjuwelen wegschoss.

Beim letzten Fall gingen ein paar Kronjuwelen dahin

Der hatte eigentlich laut Simone Buchholz, ihrer auf St. Pauli ansässigen, aber wie Chastity auf Hessen stammenden Erfinderin, auch ihr letzter sein sollen. War er aber zum Glück nicht. So einen harten Hund wie Chastity hätten wir in der an bunten Hunden reichen deutschen Krimilandschaft dann doch vermisst.

Nun steht sie also, die Kaltgestellte, am Bett eines geisterhaften Mannes, den jemand ins Koma geprügelt und dem jemand den rechten Zeigefinger abgeschnitten hat. Um den soll sie sich kümmern. Den Fall aufklären darf sie eigentlich nicht.

Auftragskiller, Drogenboss, hartnäckiger Ermittler

Joe nennt sie den Mann, der augenscheinlich aus Österreich kommt. Sie bringt ihm Bier in die Klinik. Er nennt sie einen guten Kerl. Das hat noch keiner zu ihr gesagt. Sonst sagt er nicht viel. Den rechten Zeigefinger vermisst er jedenfalls nicht sehr. Er ist Linkshänder. Seiner Profession wird er weiter nachgehen können – Menschen zu töten. Joe ist Auftragskiller.

Womit wir bei Gespenst drei und Gespenst vier wären. Bei Gjergj Malaj und Georg Faller. Albanischer Drogenboss, der sich angeblich längst aus dem Kiez zurückgezogen hat, der eine, Kriminalkommissar, der sich angeblich längst im Ruhestand befindet, der andere. Die hassen sich seit Jahrzehnten, jagen sich, wollen sich ausschalten. „Blaue Nacht“ ist auch so eine Art Schussfahrt in den Showdown auf St. Pauli.

Simone Buchholz: Blaue Nacht. Suhrkamp, Berlin. 235 S., 14,99 Euro.
Simone Buchholz: Blaue Nacht. Suhrkamp, Berlin. 235 S., 14,99 Euro.
Quelle: Verlag

Simone Buchholz war übrigens schon immer eine Meisterin im Vergespenstern von Plots. Das, worum es eigentlich in den Kriminalfällen geht, die ihre schnoddrige, moralisch ein bisschen versprengte und seelisch multiangeknackste Chastity ja lösen soll, das muss, nein, darf man manchmal in einem Nebel von herrlich feinen, herrlich liebevollen Szenegeschichten suchen.

So auch hier. „Blaue Nacht“ gleicht einer Schnitzeljagd (das Wort Schnitzel wird häufig gebraucht, das soll Veganer aber bitte nicht von der Lektüre abhalten) durch einen Drogenkrieg, in dessen Kugelhagel Drogen wie Crystal und Krok ins Land kommen, die wiederum Menschen bei lebendigem Leib in irre Gespenster verwandeln.

Buchholz spannt den Bogen weit, über dreieinhalb Jahrzehnte spiegelt sie das Leben der Protagonisten, der Helden und der Subhelden, in Form kompilierter Zeugenaussagen in die Geschichte. Da muss man dranbleiben, die darf man nicht überlesen. Dafür wird man dann anschließend immer wieder mit knochentrocken hingehauenen Bildern aus der Poesiemaschine der Simone Buchholz belohnt.

In denen geschehen die seltsamsten Dinge, gerät ein offensichtlich geliebter Ort in gespensterhafte Bewegung. „Die Sonne kommt kurz durch die Wolken, wirft einen ihrer Strahlen gegen die Elbphilharmonie, die Wolken machen wieder dicht, und der große Kasten, dessen Job es doch mal sein soll, weit über diese Stadt hinaus zu strahlen, isst den Sonnenstrahl einfach auf.“ Mahlzeit.

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