Inzwischen haben sie das Grabmahl eingehegt. Die Gärtner vom Pariser Ehrenfriedhof Père Lachaise waren es leid, den Stein zu reinigen von lebensmüden Inschriften und Pilger aufzuscheuchen, die über Jim Morrisons Gebeinen lagen. Täglich waren Kerzenstummel, Kippen und Kondome aus der Anlage zu klauben. Heute stehen Zäune vor der Ruhestätte wie bei Rockkonzerten vor der Bühne.
Die Besucher schreiten in gemessenem Abstand an Jim Morrison vorüber , spielen „When The Music’s Over“ von den Doors mit ihren Telefonen, sie fotografieren sich dabei und ziehen weiter. Zu den Souvenirgeschäften mit Jim Morrison auf Kaffeetassen. In die „Lezard King Bar“, wo die Cocktails heißen wie die Songs der Doors. Und in die Rue Beautreillis 17, wo Jim Morrison vor 40 Jahren leblos in der Badewanne lag, am 3. Juli 1971.
Das ist lange her, sagen sie Absperrgitter und die Handyfotos, die Touristenrouten und die Popgeschichte. Aber all das sagt auch: Niemand, der am Rock’n’Roll starb, wird so inbrünstig verklärt. Vor Elvis Presleys Graceland laden Reisebusse blauhaarige Damen aus. John Lennon hat seine Gedenkstätte an einem Nebenweg im Central Park. Die Asche Kurt Cobains befindet sich im Bankschließfach.
Der Club der toten Stars und Sänger, die mit 27 Jahren zu Legenden wurden, führt Jim Morrison als ungekürten Präsidenten. Keiner hatte bessere Voraussetzungen; keiner hat die kurze Zeit, die ihm im Leben blieb, so kühn genutzt, um sich als Kunstfigur und Künstler zu verewigen.
George Stephen Morrison, sein Vater, war einer der alten Helden von Amerika. Er hatte als Marineoffizier im Krieg gekämpft und anschließend als Admiral die Flotte im Pazifik kommandiert. Der Sohn studierte Film bei Josef von Sternberg in Los Angeles, las Jack Kerouac und schrieb Poesie und Prosa.
Der Generationskonflikt der Zeit erhitzte sich im Haushalt der Familie Morrison wie unter einem Brennglas. Der gestrenge Vater sprach von Werten und der selbstgerechte Sohn von Aldous Huxley. 1965 gründete Jim Morrison am Strand die Band The Doors, gemeinsam mit dem Studienfreund Ray Manzarek, der in der Kindheit klassische Klavierstunden genossen hatte und Elektroorgel spielte. Robbie Krieger stieß hinzu, ein Gitarrist, der sich für einen Meister des Flamenco hielt. Der Schlagzeuger John Densmore mochte lieber Jazz.
Sie waren eine merkwürdige Band für ihre Tage: ein Poet, der sich bemühte, mit der Stimme Frank Sinatras Blues zu singen und drei Musiker, die sich nur darin einig waren, dass man auf den Bass, das Fundament der Rockmusik, getrost verzichten könne. Dafür wiesen sie ihr Auditorium unablässig darauf hin, sich nach einem Gedicht von William Blake benannt zu haben, nach den „doors of perception“, den Pforten der Wahrnehmung. Darauf berief sich damals auch die LSD-Literatur.
Zum Jahresausklang 1966 feierten die Doors mit „Break On Through“ den Durchbruch. Bereits 1967 sang Jim Morrison, dass die Musik vorbei sei und das endlos wirkende Lied „The End“. Die Sechzigerjahre wurden von ihm ausgeläutet, als die Blumenkinder noch durch Kalifornien tanzten. Bevor Martin Luther King erschossen wurde, vor Charles Mansons Prominentenmorden und vor Altamont, dem Woodstock der Gewalt.
Für Morrison waren die Sechziger als Goldenes Zeitalter des Pop ohne das Dunkle nicht zu haben: Es waren die Nährböden der Nachkriegsjahre, aus denen noch Stars als Staatsfeinde erwachsen konnten. Sie mussten den Traum Amerikas nur wörtlich nehmen, das Versprechen individueller Freiheit, Selbstverwirklichung und Glück, um auf sich aufmerksam zu machen. Die verursachten Skandale offenbarten auch die Albträume Amerikas.
Nixon schickte einen Dankesbrief
Jim Morrison rief seine Gäste 1967 in New Haven zum Krawall auf und wurde verhaftet, von der Bühne weg. Danach zählten die Polizisten zur Komparserie der Doors. Im Frühjahr 1969 in Miami sah Jim Morrison dann selbst aus wie Charles Manson: Er betrat die Bühne, polizeilich unter Schutz und Aufsicht, und er kündigte die Öffnung seiner prallen Lederhose an. Ob er es wahr machte, was er den Anwesenden vorführte, darüber gehen die Erinnerungen auseinander. Er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt und zu einem halben Jahr Gefängnis.
Richard Nixon schickte einen Dankesbrief nach Florida. Jim Morrison floh nach Paris, und bevor die Berufung vor Gericht verhandelt werden konnte, war er tot. Im Herbst 2010 wurde der Sänger durch den aktuellen Gouverneur postum begnadigt. Wegen Mangels an Beweisen und vertrauenswürdigen Zeitzeugen, nicht wegen des aus heutiger Sicht geringfügigen Tatbestands. Es handelte sich schließlich um Jim Morrison. Paris hat ihm nicht nur die Haft erspart. Paris war die Kulturhauptstadt Europas für amerikaverdrossene Amerikaner, um die Ursprünge der Kunst jenseits der Popkultur zu suchen.
Wenn Bob Dylan sich verdient gemacht hat um die Würdigung der Dichtkunst in der Popmusik, dann hat Jim Morrison das alte Bildungsbürgertum enteignet und die damalige Jugend unterrichtet. Er war selbst kein großer Lyriker und Literat. Aber seine Lektüre fand sich mühelos in seinen Liedern wieder.
Nietzsches Übermensch wurde behandelt, die Tragödie aus dem Geiste der Musik geboren. „Father I want to kill you! Mother I want to fuck you!“, das war Freud für Mittelschüler. Und die Frage nach dem Weg zur nächsten Whiskey-Bar, der „Alabama Song“, stammte von Brecht. Dafür bekam Jim Morrison, was allen unsterblichen Künstlern zusteht: Größenwahn und Präpotenz, Genieglaube und Todessehnsucht.
Hauptfigur einer Passionsgeschichte
Ein Narziss mit Schmollmund, der sich schon zu Lebzeiten verzehrte, als besessener Bluessänger und als verkannter Dichter der Boheme. Vor 20 Jahren hat ihn Oliver Stone im Film „The Doors“ entsprechend dargestellt, in einer glühenden Passionsgeschichte.
Also starb er: Dass die Umstände bis heute nicht geklärt sind und erbittert debattiert werden, hat die Mythologie beflügelt. Seine letzte Freundin sagt, der Tod habe Jim Morrison ereilt, nachdem er die Musik der Doors gehört und Blut gehustet habe, zwischen drei und fünf Uhr morgens, während eines Wannenbads. Verschwörungstheoretiker behaupten, Morrison sei aufgrund einer Überdosis Heroin auf der Toilette des Pariser Rock’n’Roll-Circus verschieden und von aufgeschreckten Drogenhändlern in sein eigenes Bad verschleppt worden.
Angeblich hatte er zuvor notiert: „Lass den aufgeklärten Verstand in unserem Kielwasser zurück/ Du wirst Christ sein auf dieser Pauschalreise/ Geld schlägt die Seele/ Letzte Worte, letzte Worte/ Aus.“ Angeblich nahm Admiral Morrison, sein Vater, zeitgleich Abschied von der „USS Bon Homme Richard“, seinem ausrangierten Flugzeugträger. Und angeblich lebt Jim Morrison heute als 67-jährige Eremit auf den Seychellen, wie sein Organist Ray Manzarek seit Jahren öffentlich erklärt.
Man weiß: Der Leichnam wurde flüchtig untersucht und eilig eingeäschert und bereits vier Tage später auf dem Père Lachaise beerdigt. Als verblichener Poet, in Abschnitt 6, Reihe 2, Grab 5. Zwischen Maria Callas, Oscar Wilde und Marcel Proust, Marcel Marceau, Antoine de Saint-Exupéry und Edith Piaf. Allein Jim Morrison wird heute vor den Lebenden beschützt.
Zum Jubiläum: The Doors: A Collection, 6 CDs (Rhino)
Frédéric Bertocchini: Jim Morrison – Poet des Chaos, Comic. Splitter-Verlag. 114 S., 16,80 Euro