Müssen anonyme Blogger im Internet ihre wahre Identität preisgeben? Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte nach dem Anschlag in Norwegen am 22. Juli für ein Ende der Anonymität im Netz plädiert, weil solche Blogger den Attentäter Anders Breivik radikalisiert haben sollen. Ginge es allein nach dem Willen der Union, müsste man künftig seinen richtigen Namen offenbaren. Pseudonyme wären verboten.
Der Minister wird jetzt von der Unionsbundestagsfraktion unterstützt. In der digitalen Welt könne es „wie in der realen Welt kein grundsätzliches Recht auf Anonymität geben“, heißt es in einem "Welt Online" vorliegenden Positionspapier der „Arbeitsgruppe Innen“. Sie fordert klare Regeln für das Netz, das kein rechtsfreier Raum sein dürfe:
Anonymität als Voraussetzung für echte Meinungsfreiheit
„Der Staat benötigt effektive Werkzeuge, um Rechtsverstöße im Internet zu unterbinden und zu ahnden.“ Ob ein solcher Verstoß als Ordnungswidrigkeit bestraft und wie das kontrolliert werden soll, dazu steht kein Wort in dem Papier. Technisch ist vieles möglich: Man kann Nutzer über die Kennung ihrer Anschlüsse per Vorratsdatenspeicherung erfassen oder eine Ausweispflicht mit dem elektronischen Personalausweis einführen.
Friedrich will die geltende Rechtsordnung möglichst schnell auf die digitale Welt übertragen. Er fürchtet, dass das Netz sonst im „Chaos der Gesetzlosigkeit“ versinkt. Doch die Piraten-Partei , die für Freiheit im Internet kämpft, wirft ihm vor, er wolle den „Grundpfeiler der Demokratie“ angreifen. Sich anonym äußern zu können sei Voraussetzung für echte Meinungsfreiheit.
Ohne Angst vor Konsequenzen
„Das bedeutet, seine Meinung ohne Angst vor Konsequenzen frei sagen zu können. Letztendlich ist das nur anonym möglich“, sagte der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz "Welt Online". Der 28-jährige Bioinformatik-Student aus Tübingen hält Friedrichs Idee ohnehin für unpraktikabel:
„Jedes Internetforum, Facebook oder Twitter müssten verlangen, dass der Nutzer sich vor einer politischen Äußerung mit dem Personalausweis identifiziert. Das wäre über Blogs im Ausland, in dem es keine Ausweispflicht gibt, leicht zu umgehen.“
"Google+“ will Verwendung des vollen Namens
Die scharfe Kritik an seinen Vorschlägen hatte Friedrich als „dümmliche Reaktionen“ bezeichnet. Er sprach sogar von „intellektueller Plattheit“. Ihm reicht es nicht aus, nur darauf zu verweisen, dass im Internet alles international und deshalb nicht zu regeln sei. Die Schreiber eines Leserbriefes würden schließlich auch beim Namen genannt.
Widerstand kommt jedoch auch aus den eigenen Reihen. Die Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär (CSU) und Peter Tauber (CDU) hatten sich am 5. September gegen Friedrich gestellt. Gemeinsam mit den Parlamentariern Lars Klingbeil (SPD), Konstantin von Notz (Grüne) und Jimmy Schulz (FDP) verlangten sie in einem offenen Brief an Google, dass die „Pseudonymität“ im Netz gewährleistet bleiben muss, weil diese eine „wichtige Schutzfunktion“ für den Nutzer erfülle. Das neue soziale Netzwerk „Google+“ will in seinen Bestimmungen erreichen, dass man den „vollen Namen“ verwenden muss, mit dem einen Freunde, Kollegen und die Familie ansprechen.
Gegen "Überwachungsmethoden“ wehren
Jimmy Schulz gehört zu der 34-köpfigen Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestages. Der Bayer lehnt Friedrichs Kennzeichnungspläne vehement ab. „Im realen Leben gibt es sehr wohl Anonymität. Man kann zum Beispiel in einem Geschäft mit Bargeld bezahlen. Und in einem Beichtstuhl hängt ein Vorhang, damit man anonym bleibt“, sagte Schulz "Welt Online".
Er sieht die Anonymität als einen grundlegenden Teil der Privatsphäre. Deshalb ist Schulz dagegen, die Freiheitsrechte durch Sonderregeln für das Internet einzuschränken. Der Abgeordnete will sich innerhalb der Koalition gegen „Überwachungsmethoden“ wehren.
Koalition fehlt einheitliche Haltung
Bisher fehlt Schwarz-Gelb eine einheitliche Haltung zur Netzpolitik. Im Bundeskabinett gibt es gleich drei zuständige Minister: Ilse Aigner (CSU, Verbraucherschutz), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP, Justiz) und Friedrich. Sein Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) hatte im Juni vorigen Jahres 14 Thesen zur Netzpolitik vorgestellt. Damals sagte er: „Die Politik hat das Phänomen Internet erst ignoriert, dann bestaunt und teils zu zögernd, teils zu forsch gehandelt.“
Innenminister Friedrich denkt nun darüber nach, was die Regierung von sozialen Netzwerken verlangen kann. Bei einem Treffen mit dem Facebook-Lobbyisten Richard Allan am 8. September hatte der Minister allerdings wenig erreicht: Allan versprach ihm lediglich, Facebook werde erstmals an einer Initiative zur Selbstverpflichtung von sozialen Netzwerken mitarbeiten.
Darin soll es unter anderem um Regelungen zu sicheren Identitäten gehen. Ein Termin dafür wurde jedoch nicht vereinbart. Der Kodex soll mittelfristig in Kraft treten und nur so lange gelten, bis neue EU-Richtlinien für den Datenschutz verabschiedet werden.
Selbstverpflichtungen der Internetbranche
Friedrich hält Selbstverpflichtungen der Internetbranche für wirksamer als neue Gesetze. Die „AG Innen“ der Unionsfraktion vertritt ebenfalls die Auffassung, dass zunächst die Unternehmen für eine „Selbstregulierung“ sorgen sollten. Sie sagt aber auch ganz klar:
„Fehlt es an einer geeigneten Selbstregulierung, oder ist diese nicht ausreichend, muss der Staat die Rahmenbedingungen vorgeben.“ Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl prophezeit, dass der Staat künftig „Empfehlungen und Warnungen“ für das Internet aussprechen wird. Er fordert, dass die Politik ihre „Zaungast-Rolle“ aufgeben muss – es ist ein Appell an die eigene Koalition.