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Kultur

Lauftext

| Lesedauer: 3 Minuten
Eine Berliner Tagung befasste sich mit dem Schreiben in der Ära der Mobilität

Wer am Wochenende im Berliner Kulturlabor ICI Digital Residents bei der Arbeit erwartet hatte, wurde enttäuscht. Unter den etwa 80 Teilnehmern des Symposions "Mobile Textkulturen", das sich mit dem Verhältnis von "Medien und Mobilität" und der Zukunft des Schreibens beschäftigte, hatten höchstens ein halbes dutzend Notebooks oder Smartphones zur Hand. Weniger als in jeder Vorlesung. Kein polyphoner Live-Stream begleitete die Gesprächsrunden, die Debatte blieb auf den Kreis der Anwesenden beschränkt.

Bereits in der ersten Gesprächsrunde kritisierten die Teilnehmer jene Annahme eines "mobility turn", die dem Symposium zu Grunde lag. Texte, so lautete das einhellige Urteil, seien zu jeder Zeit mobil produziert worden. Stattdessen wurde schon im vorbereitenden Workshop "Wir nennen es schreiben" deutlich, dass Mobilität heute erstmals keine Voraussetzung mehr dafür ist, sich zusammenfinden zu können. Chris Köver, Geschäftsführerin des "Missy"-Magazins, erzählte aus ihrem Redaktionsalltag. Zwar hat "Missy" in Hamburg Räume, die Redakteurinnen leben jedoch an verschiedenen Orten. Konferenzen werden via Skype abgehalten, damit jede dort bleiben kann, wo sie ist. Trotzdem ist Köver zwiespältig: "Wir leiden am digitalen Kommunikations-Overhead."

Ist an der Rede vom Auseinandertriften einer digitalen und einer realen Welt also doch etwas dran? Das Unbehagen gegenüber jenen, die in der U-Bahn lieber in ihr Telefon sprechen als zu ihren Sitznachbarn oder Bucherfolge wie "Ich bin dann mal offline" und "Payback" deuten darauf hin.

Die Entwicklungen weisen indes in eine andere Richtung. Auf sozialen Netzwerken werden Ausgehtipps ausgetauscht, Gemeinschaftsräume wie das Londoner "Soho House", in dem sich Freelancer zusammenfinden, erfreuen sich großer Beliebtheit. Zu Recht weist die On- und Offline-Autorin Mercedes Bunz darauf hin, dass die Einrichtung von Orten wie das "Soho House", an denen das Private ins Öffentliche getragen wird, eine Tradition in Kaffeehäusern und Clubs hat. Neu ist daran nichts.

Als revolutionär gilt der Medienwissenschaftlerin Verena Kuni hingegen die Möglichkeit des unmittelbaren Publizierens. Kuni spricht von "Echtzeit-Internet": Pressekonferenzen auf Youtube, Live-Tweets aus abstürzenden Flugzeugen und Wahlergebnisse vor ihrer offiziellen Bekanntgabe. Texte in Form von Streaming-Berichten, die ständige Bewegung aus Tweets und Retweets, Funktionen wie der Share- oder "Gefällt mir"-Button wirken sich auf das Schreiben aus. Texte werden kürzer, die Bildsprache prägnanter. Ein Umstand, der insbesondere den Printmedien zusetzt. Doch die digitalen Marker, die Nutzer durch das ständige Versenden und Empfangen von SMS, Fotos, Videos, Links oder GPS-Daten hinterlassen, als Text zu begreifen, ist nur mit einem ziemlich erweiterten Textbegriff möglich. Bereits in seiner Eröffnungsrede hatte der Veranstalter des Symposiums, Krystian Woznicki, darauf hingewiesen, dass nach Jacques Derrida Schreiben vor allem Registrieren bedeute.

Trotzdem hatte es Matthias Spielkamp, auch er On- und Offline-Autor, als Moderator eines Podiums mit Bewohnern der digitalen Welt wie Robin Meyer-Lucht, dem Journalisten und DJ Sascha Kösch oder der Autorin Kathrin Passig schwer. Fast überdeutlich wurde die Kluft zwischen Digital Residents und Digital Visitors.

Spielkamps Frage, ob niemand das Bedürfnis habe, auch mal "offline" zu sein, irritierte die Anwesenden sehr. "Abwesenheit bringt mir nichts", gab Kösch patzig zurück: "Für mich sind andere Texte extrem relevant, ich brauche nicht in mein tiefstes Inneres zu hören."

Auch für Passig bedeutet die Notebook-Abstinenz auf dem Podium leicht vermeidbaren Stress. "Meine physische Anwesenheit könnte eine bloße Dreingabe sein", resümiert sie.

Zwar hat der (ungleiche) Zugang zur digitalen Welt mittlerweile einen so hohen Stellenwert wie Lesen und Schreiben. Gleichzeitig stehen die großen Veränderungen - jene "turns", die man im ICI hatte heraufbeschwören wollen - erst noch bevor. Kövers Verweis auf Dietmar Daths "Die Abschaffung der Arten" war daher passend. In seinem Roman beschreibt Dath, wie Geruch Sprache als Kommunikationsmittel ablöst und so die Grenzen der menschlichen Spezies aushebelt. In London immerhin twittert die Themse bereits ihren Wasserstand, und niemand wundert sich darüber. Wenn sich das nicht "neu" anhört!