Die Comic-Zeichnerin Zeina Abirached wurde 1981 in Beirut geboren, mitten im libanesischen Bürgerkrieg. Das Haus der Familie stand an der Demarkationslinie, welche die Stadt in West und Ost zerteilte. Abirached hat bereits während ihres Studiums an der Kunstakademie in Beirut erste Comics gezeichnet. Da es in ihrer Heimat aber weder Verlage noch ein Publikum für ihre Arbeiten gibt, ist sie vor acht Jahren nach Paris übergesiedelt. Mit ihrem jetzt ins Deutsche übersetzten autobiografischen Comic „Das Spiel der Schwalben“ (Avant Verlag, 181 S., 19,95 Euro) hat sie sich im französischen wie im englischen Sprachraum einen Namen gemacht.
Die Welt:
Sie haben vier Comics über Ihre Kindheit in Beirut während des Bürgerkriegs gezeichnet. Wie kam es, dass Sie sich als Zeichnerin bislang so sehr auf ein Thema beschränkt haben?
Zeina Abirached:
Der Auslöser war eine Erinnerung, die ich in meinem ersten Buch „Beyrouth Catharsis“ beschreibe. Ich lebte während des Krieges in der Rue Youssef Semaani, die durch eine Wand von Sandsäcken abgeschnitten war. Dahinter befanden sich Scharfschützen. Aber als Kind dachte ich, dass es eine Sackgasse wäre, hinter der Beirut aufhören würde. 2002 befand sich Beirut mitten im Wiederaufbau. Die Orte meiner Kindheit verschwanden oder veränderten sich allmählich. Eines Tages kam ich von der Seite in die Straße, die von den Sandsäcken versperrt gewesen war. Niemand konnte mir sagen, seit wann der Weg wieder von beiden Seiten zugänglich war. Die Erinnerung an die Sackgasse war mir so wichtig, dass ich sie mitteilen wollte. Sobald ich damit anfing, meine Erinnerungen aufzuzeichnen, musste ich immer weiterzeichnen. Ich brauchte diese Arbeit. Bevor ich an andere Projekte denken konnte, musste ich erst meine Reihe über die Kriegsjahre in Beirut abschließen.
Sie leben seit 2005 in Paris. Was bewirkt die so entstandene Distanz?
Vor allem ist meine innere Distanz zu meinen Erfahrungen in Beirut größer geworden. Das gab mir im Umgang mit der Geschichte mehr Sicherheit und erlaubte mir größere gestalterische Freiräume. Zwar habe ich mir immer wieder gesagt: „Das war’s, ich will jetzt über etwas anderes schreiben“, aber ich kehrte dauernd zu diesem Thema zurück. Es ging dabei ja immer auch um meine eigene Identität.
In „Das Spiel der Schwalben“ ist der Krieg omnipräsent und doch nie zu sehen. Haben Sie die Bombardements so erlebt?
Ich wollte erzählen, wie ein Kind den Krieg wahrnimmt, das von seinen Eltern und den anderen Erwachsenen vor der Außenwelt beschützt wird. Mir war es verboten, den Geschehnissen draußen auf den Grund zu gehen. Deswegen sieht man auch keine Kriegsszenen. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich die Präsenz des Krieges darstelle. Er dringt letztlich durch den Lärm des Bombardements in den abgetrennten Raum der Wohnung, in dem die Geschichte stattfindet. So abstrakt, wie Geräusche in einem visuellen Medium wie dem Comic sind, war der Krieg für mich, als ich klein war.
Der Bürgerkrieg begann 1975 und endete 1990. Die Leser erfahren, dass die Geschichte 1984 in Beirut spielt, aber nicht, wer warum gegen wen kämpft, der ganze historische Hintergrund fehlt. Warum?
Erst mit zehn oder elf Jahren, als der Krieg vorbei war, wurde mir klar, was ich erlebt habe und dass ich Beirut nur im Kriegszustand kannte. Trotz allem habe ich schöne Erinnerungen an meine Kindheit. Ich erinnere mich an Solidarität und Geborgenheit. In dem geschützten Raum, den ich als Kind erlebt habe, lebten die Menschen der Außenwelt zum Trotz ihren Alltag weiter. Der Krieg blieb für mich buchstäblich außen vor. Ich bin ein wahres Kind meines Landes. Erst beim Schreiben habe ich realisiert, was damals wirklich geschehen war. Der Bürgerkrieg wurde im Libanon noch nicht aufgearbeitet. Bis heute gibt es keine offizielle Geschichtsschreibung. Man redet nicht darüber. In den Schulbüchern endet die libanesische Geschichte Ende der Fünfzigerjahre.
Die Schwalben im Titel repräsentieren die Libanesen, die der Bürgerkrieg zur Flucht zwang. Aber warum steht dort das Wort „Spiel“? Finden sich Ihre Figuren fatalistisch mit dem Krieg ab und meinen, eben mitspielen zu müssen?
Ich würde nicht von Fatalismus sprechen. Es stimmt, es heißt oft, die Libanesen hätten sich mit dem Krieg abgefunden und würden sich wie Figuren in einem fatalen Spiel vorkommen, aber ich denke anders darüber. Das Spiel ist eher ein Akt gewaltlosen Widerstands, den man im Kriegsalltag durch kleine Dinge leistet. Ich denke da zum Beispiel an Ernest, der in meinem Comic trotz aller Wasserknappheit jeden Mittwoch seine Pflanzen gießt und sogar während des nächtlichen Bombardements darauf achtet, elegant gekleidet zu sein. Diese kleinen Akte sehen wie Spiel aus, sie sind aber dazu da, der Gewalt und der Verwahrlosung zu trotzen. Das ist nicht unbedingt etwas typisch Libanesisches. Es ist viel universeller und liegt in der menschlichen Natur. Das Spiel ist Teil der Überlebensstrategie, es setzt Erfindungsreichtum und Kreativität frei. Humor gehört unbedingt auch dazu. Ohne Humor wäre das Leben im Krieg unerträglich. All diese Züge machen die Geschichte überhaupt erst erzählbar, es wäre sonst alles zu schrecklich.
Sind Ihre Bücher auf Arabisch erschienen? Wie sind sie im Libanon aufgenommen worden?
Sie sind noch nicht ins Arabische übersetzt worden, weil es im Libanon für Erwachsenencomics keine Verleger gibt. Meine Bücher sind aber auf Französisch und Englisch erhältlich. Als sie erschienen sind, wurden sie sehr gut aufgenommen. Ein libanesischer Verleger hat für Oberschüler eine französische Schulbuchfassung von „Das Spiel der Schwalben“ herausgegeben, mit Unterrichtsmaterial auf Arabisch im Anhang. Das ist mir sehr wichtig, weil es die nach dem Bürgerkrieg geborenen Schüler vielleicht dazu bewegt, das Schweigen zu brechen und Fragen zu stellen, auch wenn sie nicht alles verstehen werden, weil sie im Geschichtsunterricht sonst nichts über den Krieg lernen.
Ihre Bücher werden überall mit „Persepolis“ von Marjane Satrapi verglichen, die darin ihre Kindheit im Iran schildert. Schmeichelt Ihnen der Vergleich oder stört er Sie?
Eigentlich ist es lustig, weil ich die Arbeiten von Marjane Satrapi überhaupt nicht kannte, als ich nach Frankreich kam. Und dann hörte ich ständig, wie ähnlich sich unser Stil sei – und höre es heute noch. Ich finde nicht unbedingt, dass wir viel gemein haben. Sie arbeitet sehr effizient auf ein Ziel hin, ich hingegen liebe es, mich in Details, Ornamenten und Motiven zu verlieren. Ich habe darüber nachgedacht und eine Theorie entwickelt. Im Libanon existiert keine Comic-Tradition und ebenso wenig gab es sie im Iran, als Marjane Satrapi zu zeichnen anfing. Also haben wir im Ausland nach Vorbildern gesucht. Als Marjane Satrapi die ersten Seiten von „Persepolis“ zeichnete, saß sie im selben Atelier wie der französische Zeichner David B. Er hat ihr Projekt unterstützt und später das Vorwort zur ersten Ausgabe geschrieben. Sein Comic „Die heilige Krankheit“ hat auch mich sehr geprägt. David B. interessierte sich für die arabische, persische und indische Kunst. Und wir haben im fernen Ausland nach Inspirationsquellen gesucht und dabei übersehen , was unsere eigenen Kulturkreise seit Tausenden von Jahren an grafischer Kunst hervorgebracht haben.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation im Libanon? Wie haben Sie den „arabischen Frühling“ erlebt?
Der „arabische Frühling“ hatte einen großen Einfluss auf die Zeichner. Mit ihren Blogs haben sie eine neue Form des Veröffentlichens etabliert. Ob in Ägypten, im Maghreb oder in Libyen: Überall sprießen neue Publikationen aus dem Boden. Es weht ein neuer Wind. Die politische Bilanz ist allerdings weniger erfreulich. Die Situation ist sogar zum Verzweifeln. Die Leute wissen nicht, wie sie sich in der Krise verhalten sollen. Ich bin allerdings auch nie sehr engagiert gewesen. Ich beobachte die Dinge und gehe sonst meiner Arbeit nach. Vielleicht ist das ein libanesischer Zug an mir.