Die Farbe ist eine andere, die Struktur des Putzes auch. Es ist nur eine kleine, fast kreisrunde Stelle in der Wand unter den S-Bahngleisen am Alexanderplatz. Sie fällt nicht weiter auf. Nur denjenigen, die auf der Suche nach einem echten "Banksy" durch Berlin laufen. Und auch hier werden sie enttäuscht: Statt auf die an einem Regenschirm vom Himmel segelnden Ratte mit Schlips und Aktenkoffer, schauen sie auf ein nachträglich verputztes Stück Wand zwischen zwei rostenden Fenstergittern. Das Graffiti von Banksy ist verschwunden.
Der unbekannte Mensch hinter dem Pseudonym Banksy ist einer der populärsten Street-Art-Künstler des Planeten. Die Ratte im Business-Dress mit Regenschirm ist eines seiner Markenzeichen. An vielen Orten in der Hauptstadt konnte man die Nagetiere bewundern (oder sich über sie ärgern). Neben London und New York ist Berlin eine der Städte, an denen sich der britische Maler abgearbeitet hat. Im Internet findet man sogar einen Stadtplan, auf der seine sämtlichen Kunstwerke durch ein Symbol markiert sind.
Banksys malende Ratten, intelligente Affen, küssende Polizisten oder wunderliche Imperative findet man nicht nur in westeuropäischen Metropolen. In allen Teilen der Welt hat er seine - meist mit Hilfe von Schablonen aufgetragenen - Graffiti angebracht. Ein dünne Farbschicht nur, auf Brücken, an Telefonzellen, auf Straßenschildern, auf dem Gehweg und natürlich an Mauern, darunter die, die Israel und das Westjordanland trennt.
Er will nicht einfach gefallen
Banksy will nicht einfach gefallen. Das Subversive an seinen Wandgemälden ist nicht allein die Tatsache, dass sie ungefragt auf öffentlichem oder privatem Stadtmobiliar angebracht werden. Auch ihr Inhalt lässt Betrachtern zuweilen den Atem stocken.
Etwa der Anblick des nackten Mädchens, das Hand in Hand mit zwei grinsenden Markenbotschaftern - den Mickey Mouse und Ronald McDonald - daherkommt. Das Mädchen weint und man erinnert den realen Kontext: es ist der Vietnamkrieg, das Kind ist auf der Flucht vor todbringenden Napalmbomben. Die Ikonographie eines Werks wie diesem sagt viel über Banksys Gesellschaftsbild, und noch mehr über seine Motivation. Es geht um Botschaften. Und die brauchen Raum - öffentlichen Raum.
Seit mehr als einem Jahrzehnt betreibt Banksy Sachbeschädigung im großen Stil. Dies tut er allerdings mit so viel Stil, dass ihn die Leute dafür lieben, nicht nur die Kunstszene. Weil das so ist, ist ein echter Banksy inzwischen viel Geld Wert. Bis zu 150.000 Euro erzielten seine Werke bei Versteigerungen. Nachgefragt wird seine Strassenkunst sogar in Hollywood.
Dilemma für Hausbesitzer
Das Phänomen Banksy bedeutet ein Dilemma, nicht nur für Hausbesitzer. Selbst, wenn es Sachbeschädigung aus juristischer Perspektive trifft, fällt es schwer, dieses Wort zu gebrauchen. Ein schnödes Stopschild wird durch das Auflegen einer Schablone zu einem Exponat der Straße. In wenigen Sekunden verfielfacht sich sein Wert.
Deshalb sind die meisten Banksys wieder aus dem Stadtbild verschwunden. Vermeintliche Liebhaber oder Leute mit geschäftlichem Interesse haben sie aus der Wand gemeißelt. Ein Foto reichte da nicht. So war das auch am Alexanderplatz. Anderswo in Berlin wurden Stoppschilder, Stromkastenabdeckungen oder Holzlatten geklaut. Weitere Banksys wurden einfach abgewaschen.
Seit einiger Zeit ist Berlin also wieder Banksy-frei. Das könnte sich jetzt ändern, denn Banksy wird auf der Berlinale erwartet. Am Sonntag wird dort seine Regiearbeit „Exit through the gift shop“ vorgestellt. Eines ist dabei jetzt schon sicher: sollte der Streifen ein Erfolg werden, wird der Regisseur nach der Vorführung nicht auf der Bühne erscheinen, um sich an den Ovationen der Kinobesucher zu erfreuen.
Verhaftung wäre möglich
Das ist keine Koketterie eines publikumsscheuen Genies. Weil Banksys Leinwand bisher die Hauswand war, muss er vielmehr fürchten, von der Bühne weg verhaftet zu werden. Die ganze Geschichte mag ein wenig an die Affäre um Regisseur Roman Polanski erinnern, auch hier gilt: Popularität schützt vor Strafe nicht.
Ob er tatsächlich unerkannt zwischen den Berlinale-Zuschauern im Kinosessel Platz nehmen wird ist ungewiss. Klar ist indes, dass die fröhliche Banksy-Jagd ausgerufen ist. Nicht von der Polizei, sondern von Graffiti-Fans. Wer findet die neue Banksy-Bilder zuerst? Ins US-amerikanische Park City jedenfalls - wo "Exit through the gift shop" jüngst im Rahmen des Sundance-Filmfestivals gezeigt wurde - war der Künstler samt seiner Schablonen gereist. Nur so konnte man überhaupt schlussfolgern, dass er vor Ort gewesen sein muss. Erkannt wurde nicht die Person Banksy, sondern seine Kunst.