Jeder Versuch, David Foster Wallace' Roman "Unendlicher Spaß" vorzustellen, scheitert schon an der Zusammenfassung der Handlung. Aber vielleicht kann man einen Umriss dieses Werks skizzieren, indem man möglichst viele Aussagesätze aneinanderreiht und hofft, dass die Quantität irgendwann in Qualität umschlägt. Also: Wallace verfügt über den größten Wortschatz seit Shakespeare und Joyce. Neben Wallace' seitenlangen Sätzen lesen sich Thomas Mann oder Marcel Proust wie Ernest Hemingway. Wallace ist ein begnadeter Stimmenimitator. Wallace' Präzisionsfetischismus dient der Welterweiterung, denn jeder Fachbegriff und jedes zusätzlich nuancierende Adjektiv erlauben Einblicke in neue Universen. Unendlicher Spaß hat eine eigene Kosmologie, eine eigene Technologie, eine eigene Geschichte, eigene Riten und Mythen sowie eine eigene Sprache. Unendlicher Spaß ist ein enzyklopädischer Roman mit Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften. Unendlicher Spaß ist ein Science-Fiction-Roman. Unendlicher Spaß ist eine postmoderne Familiensaga um James O. und Avril Incandenza sowie ihre drei Söhne Orin, Hal und Mario. Unendlicher Spaß ist im Erzählstrang um Steeply & Marathe ein Geheimagentenroman. Unendlicher Spaß ist eine Kritik der Spaßgesellschaft und der Exzesse der digitalen Demenz.
Reicht das? Und macht das nachvollziehbar, dass die Übersetzung eines solchen Romans sechs Jahre braucht? Denn wenn ich Ihnen im Folgenden einen Einblick in die Übersetzerwerkstatt gebe, kann ich nur einen winzigen Aspekt herausgreifen.
Wenn Fußballspieler erschöpft das Spielfeld verlassen und von den Reportern vor die Mikrophone gezerrt werden, um Kommentare zum Spiel abzugeben, kennen sie oft nur noch eine Sportart: das "Voltigieren über Bildungslücken", wie Karl Kraus diese Spielart sprachlicher Fortbewegung nannte. Da wird plötzlich "alles nur hochsterilisiert" (Bruno Labbadia), man bekommt vom Sanitäter "sofort eine Invasion gelegt" (Fritz Walter), bildet aber trotzdem immer "eine gut intrigierte Truppe" (Lothar Matthäus). Nach Madame Malaprop in Sheridans Theaterstück "The Rivals" von 1775, die sich am laufenden Meter solche Fehlgriffe leistet, nennt man diese falsch gebrauchten Fremdwörter Malapropismen. Manche Schriftsteller machen sich einen Spaß daraus, ihre Romane mit Malapropismen anzureichern. In der deutschen Literatur dürfte das bekannteste Beispiel Frau Stöhr in Thomas Manns Zauberberg sein, die ihr Mundwasser in einer "kosmischen Anstalt" kauft und nach Joachims Tod verlangt, an seinem Grab müsse Beethovens "Erotika" gespielt werden. Als Mittel der Komikproduktion funktionieren Malapropismen natürlich nur, wenn dem Leser die richtige Verwendung eines Ausdrucks geläufig ist. Dann verständigen sich Autor und Leser über den Kopf der ungebildeten Figur hinweg über deren Lächerlichkeit.
In diesen Zusammenhang gehören auch falsche Sprichwörter, deren Erfindung seit Bastian Sick ein richtiger Volkssport geworden ist. Sprüche à la "Klar hab' ich studiert: drei Silvester an der Unität", aber auch Verschmelzungen von Sprichwörtern oder Redewendungen zu "Hybrid-Bankerts der Volksmund-Weisheiten" (Frank Günther) bilden inzwischen geflügelte Worte zweiter Ordnung: "Liebe schlägt auf den Magen", "Das steht mir bis Unterkante Oberwasser", "mit Tauben auf Spatzen schießen", "wissen, wo der Hase begraben ist" - solche Sätze gehen doch auf keine Hutschnur.
In David Foster Wallace' Roman Unendlicher Spaß treten etliche Figuren auf, deren Ausdrucksweise durch Malapropismen und Artverwandtes charakterisiert wird. Zum Einen gibt es da den Frankokanadier Rémy Marathe, der ein nur unvollkommenes Englisch spricht. Er wird dabei nicht durch eine fehlerhafte Aussprache markiert, wie es Franzosen oft in Witzen oder Komödien ergeht ("Isch würde Ihnen ärwidärn, dass isch diesen Satz schon ge'ört 'abe"), sondern verfehlt oft haarscharf die gemeinten Begriffe. Zum Beispiel wenn jemand für brutale Tätigkeiten nicht mehr "abgegart" (statt "abgebrüht") genug ist oder wenn ein "Sündenwidder" gesucht wird. Marathe verhaut sich auch oft bei idiomatischen Ausdrücken: Wenn er sagt "We have larger seafood to cook" (statt des geläufigen "We have larger fish to fry"), kann ich aus der deutschen Entsprechung "sich nach der Decke strecken" ein "nach größeren Plumeaus greifen" machen und verbuche dabei den Kollateralnutzen eines französischen Lehnworts, was den Leser daran erinnert, dass er es mit einer französisch denkenden Figur zu tun hat. Oder aus "roll like no person's business" (statt "like nobody's business" - schneller als man gucken kann) wird "mit einem Primatenzahn fahren" (statt "Affenzahn").
Marathe vergreift sich drittens im Stilregister: Da heißt es beispielsweise aufgeblasen "the success had raised hopeful spirits for the acquisitions", wo jeder Amerikaner wohl einfach "the success let them hope to get" sagen würde. Da Marathe ein Kenner der europäischen Mythologie ist, habe ich mir hier erlaubt, aus dem normalen "Morgenluft wittern" ein "die Luft von der Aurora wittern" zu machen. Ein andermal wird aus "the room lacked all air" ein "gebrach es dem Zimmer an Luft".
Bei einer zweiten Figur in Unendlicher Spaß, deren Redeweise sich durch Malapropismen auszeichnet, liegt der Fall etwas anders. Randy Lenz ist ein kokainsüchtiger Dealer, der den Intellektuellen markiert, sprachlich über seine Verhältnisse lebt und mit furchtlos bildungswidrigen Aussprachemanieren einen Schnitzer nach dem anderen produziert. Seinen Zenit als Fehlleistungssportler erreicht er, als er, zugekokst bis an die Kiemen, von einem Treffen der Anonymen Alkoholiker zurückkehrt und seinen Begleiter Bruce Green in Grund und Boden faselt. Grundsätzlich hat sein falscher Sprachgebrauch denselben Unterhaltungswert wie die schon erwähnten Beispiele, unterscheidet sich von ihnen aber insofern, als Lenz' Fehler situationsbedingt sind. In seinem Sprechdurchfall lässt er beispielsweise Silben aus und macht aus einem gemeinten "microscopic" ein "microspic" oder aus einem "federal attorney", also einem Rechtsanwalt, einen "feral attorney".
In aller Regel sind Randy Lenz' Schnitzer zweitens "Dialogabbreviaturen für einen ganzen Sozialcharakter" (Joachim Kalka) - den kleinbürgerlichen Aufsteiger eben, der auch sprachlich hoch hinaus will und unweigerlich auf die Schnauze fällt. Da ihm das Fremdwort "tantamount" in seiner genauen Form unbekannt ist, greift er zu dem ähnlichen und phonetisch benachbarten "tattlemount" und produziert, ohne es zu ahnen, genau das: "a mount of tattle" - einen Berg Geplauder. Da er nicht weiß, dass "Adler" im Lateinischen "aquilinus" heißt, ist eine Adlernase bei ihm nicht "aquiline", sondern "aqualine", zeigt also "Wasserlinien" - übrigens ein Injoke von Wallace, denn durch das ständige Koksen hat sich Randy Lenz die Nasenscheidewand ruiniert und leidet unter einer ständig laufenden Nase. Da Wallace diese Fehler oft sehr unauffällig einschmuggelt und ich dann statt "akzentuiert" "aktenzuiert" und statt "anonym" "amonym" geschrieben habe, kann Verwirrung entstehen, denn der Korrektor könnte glauben, der Übersetzer habe sich vertippt, und der Rezensent könnte den Untergang des Abendlandes ausrufen, weil der Beruf des Lektors aussterbe. An dieser Stelle übrigens einen dreifachen Toast auf den Korrektor: Rainer Kühn hat die ganze Pracht und Herrlichkeit von Randy Lenz' 'Sinnenergie-Effekten' unangetastet gelassen.
Lenz' schönste Fehlleistungen sind drittens semantisch motiviert. Er sagt das Eine, denkt an das Andere (naja, eigentlich denkt er immer nur an das Eine) und überblendet Beides. Wenn er das ihm unbekannte Fremdwort "bonafide" (hier etwa "waschecht") als "bonerfied" verballhornt, steckt in der Schreibung ein "boner", eine Erektion, was ich kompensierend nachgeahmt habe, indem ich ihn an anderer Stelle statt von 'Geysiren auf Island' von "Geishas auf Island" sprechen und aus "regeneriert" "regenerigiert" machen lasse.
Nun könnte man fragen, warum ich so ausführlich auf diese oft nur mit der Lupe zu entdeckenden Abweichungen von der Standardsprache eingehe. Die Antwort lautet: Weil sie meiner Meinung nach ins Herz von Wallace' ästhetischem Programm zielen. Unendlicher Spaß will den Erkenntnisstand von Moderne und Postmoderne überwinden und nicht bloß eine Satire auf die heutige Condition humaine liefern. "Parodisten waren bestenfalls Schlachtenbummler hinter ironischen Masken, und Satiren stammten in der Regel von Menschen, die selber nichts Neues zu sagen hatten", heißt es im Roman. Wallace bezeichnete seinen Stil einmal als "psychotischen Realismus" und betrieb eine Mimikry nicht nur an die jeweils beschriebenen Gesellschaftsbereiche, sondern auch an die Denk- und Sprechmuster der Figuren, die von dieser Gesellschaft geprägt werden. Mit seinen Selbsthilfegruppen und Rehabilitationsanstalten schildert Unendlicher Spaß einige Tummelplätze der Therapiegesellschaft und bildet literarisch ab, wie eine herrschende Maschinerie der Bewusstseinsbildung bis in die Psyche des Einzelnen fortwirkt.