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Literatur

Das Ich surft

Von Jan Küveler | Veröffentlicht am 02.03.2010 | Lesedauer: 3 Minuten
Der Hegemann-Skandal ist eine verpasste Chance, Literatur im Netz zu verstehen

"Wer ins Internet geht, betritt einen literarischen Raum", sagt Alban Nikolai Herbst und zündet sich die nächste Zigarette an. Der Berliner Autor vor allem dicker Romane, die mit allen Wassern der phantastischen Moderne gewaschen sind, sitzt im Hessischen Literaturforum im Frankfurter Mousonturm. Er blickt herausfordernd in die Runde. Die Teilnehmer seines Seminars "Dichtung und Internet" kann er nicht mehr schocken. Eine Psychologiestudentin ließ sich nach dem ersten Tag nicht mehr blicken. Die andern hängen an seinen Lippen, die vom längst nicht ausgeschöpften Potenzial der Netzliteratur künden.

Man kann sich die Wochenendtage in diesem zunehmend verqualmten Raum als Gegenveranstaltung zum Hegemann-Skandal vorstellen. Im Gegensatz zum größten Teil des Literaturbetriebs sieht Herbst das Netz nämlich nicht bloß als Trampolin Richtung Leineneinband mit Fadenheftung.

Sein Blog "Die Dschungel / Anderswelt" begreift er als wuchernden Roman, als Hefeteig und Kuchen zugleich. Hier tauchen unfertige Fassungen seiner Produktionen auf, die sofort von allerlei Figuren kommentiert werden. Echten Figuren? Avataren, Identitäten von leibhaftigen Usern, die mit ihren Meinungen wie mit ihren Persönlichkeiten spielen. Und der Weg ist umkehrbar: Herbst zollt den Wechselfällen dieser Kommentarliteratur Respekt, indem er sie auch wieder einfließen lässt in neue Geschichten, von denen einige durchaus in Buchform erscheinen mögen.

Gerade in dieser spielerischen und kämpferischen (denn es geht hier mitunter ziemlich zur Sache) Mischform liegt aber das Potenzial von Literatur im Internet, das die allmählich verebbende Debatte um Helene Hegemann leider unausgeschöpft ließ. Denn dort stellte sich die Sache so dar: Der Buchautor bezieht Stellung in den Medien, den Buchhandlungen: auf dem offenen Feld der Aufmerksamkeit. Der Netzliterat hingegen duckt sich ins Dickicht der Blogs. Da muss man gar nicht mehr schießen. Denn diesen Kampf entscheidet der Leser. Und die Abzeichen der Buchoffiziere flößen Respekt ein. Das Heer der angestellten Aussortierer suggeriert Qualität; im Netz kann jeder Depp kritzeln.

Deshalb ging die Hegemann-Geschichte so ans Eingemachte, schien die Deutungsmacht der Verlage kurz zu kippen: Wenn sich plötzlich das Buch beim Blog bedient, stellt es den eigenen elitären Herrschaftsanspruch in Frage. Ullstein, wo Hegemann erscheint, tritt konsequent die Flucht nach vorn an und nimmt den Blogger "Airen" ab Herbst unter die Verlagsfittiche. Noch zuvor besorgen die Betriebsrabauken vom Blumenbar-Verlag die Fortsetzung: unter dem albernen Titel "I Am Airen Man".

Die ganze Geschichte ist für Airen erfreulich; für die Netzliteratur ist sie fatal. Sie hätte die Diskussion, welches ganz eigene Potenzial sie bietet, befeuern können. Indem die "Süddeutsche Zeitung" etwa höhnte, Hegemann sei ja gar nicht so "authentisch" wie Airen, hat sie den Literaturbloggern einen Bärendienst erwiesen.

Am Sonntag, auf dem Heimweg nach Berlin, steckt Herbst im Sturm fest. Im Netz kommt er durch, denn wenn der Literat surft, fängt sein Ich an zu schwimmen.

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