1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Countdown zum Konkurs: Sparpaket rettet Griechen nicht vor der Staatspleite

Wirtschaft Countdown zum Konkurs

Sparpaket rettet Griechen nicht vor der Staatspleite

| Lesedauer: 4 Minuten
Proteste gegen den griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou Proteste gegen den griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou
Proteste gegen den griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou
Quelle: dpa picture alliance/Arno Burgi
Griechenland muss sparen und Staatsbesitz verkaufen. Die Pläne wenden einen Bankrott kaum ab, sondern dienen allein der Beruhigung deutscher Wähler.

Sollten Griechenlands Finanzbeamte sich bald über einen wundersamen Schwund der einheimischen Autoflotte wundern, können sie bei den Kollegen in Bulgarien nachfragen. Seit die Behörden die Staatseinnahmen erhöhen wollen, sind die Besitzer von Griechenlands 7,9 Millionen Autos, Lkw und Motorrädern zur Zielscheibe geworden.

Sie werden mit einer höheren Benzinsteuer, Autobahnmauten und einer mehrfach angehobenen Kfz-Steuer malträtiert. Dem diese Woche gebilligten Sparpaket zufolge sollen Autobesitzer bis Jahresende eine weitere „Notfallsteuer“ zahlen. Doch ein Ausweg winkt – eine Fahrt ins Nachbarland Bulgarien.

„Wir haben die Lösung: Wechseln Sie auf bulgarische Nummernschilder!“ So zitiert der Informationsdienst „Griechischer Reporter“ einschlägige Angebote. Das Gesamtpaket sei ab 1000 Euro zu haben: eine bulgarische Aufenthaltserlaubnis, Mietvertrag, Bankkonto und Autoversicherung, Steuern und Zulassungsgebühren.

Im Norden Griechenlands, so heißt es, hätten bereits Hunderte Landsleute Scheinfirmen im Nachbarland eröffnet, die ebenfalls das Anbringen bulgarischer Nummernschilder und damit das Umgehen der neuen griechischen Krisenabgaben möglich machen.

Griechen tricksen bei Ausgaben

Es dürfte nicht der einzige Fall bleiben, in dem Griechenlands neuer sozialistischer Finanzminister Evangelos Venizelos feststellt, dass es schwer ist, die eigene Partei dazu zu bringen, ein Sparpaket zu billigen – aber noch schwieriger, das eingeplante Geld auch wirklich in die Kasse zu bekommen.

Schon Amtsvorgänger Giorgios Papaconstantinou erlitt mit einer auf den ersten Blick bestechenden Idee Schiffbruch. Im ersten Spar- und Steuererhöhungspaket vom Mai 2010 verordnete der Minister, Griechen müssten Ausgaben belegen, wenn sie in den Genuss der vollen Steuerbefreiung aufs Grundeinkommen kommen wollten.

Der Minister rechnete mit hohen Mehreinnahmen. Doch die Griechen sammelten so eifrig echte – und wahrscheinlich auch viele falsche – Belege, dass die Finanzämter seit Anfang des Jahres vier von zehn Steuerzahlern Geld zurückerstatten mussten. Statt mehr einzunehmen, buchten die Beamten den Bürgern allein von Januar bis Mai 700 Millionen Euro zurück.

Ist schon zweifelhaft, dass Kürzungen und Steuererhöhungen tatsächlich die geplanten 28 Milliarden Euro in die Kasse bringen, so gilt dies erst recht für das Privatisierungsprogramm – auf dem Papier Athens neuer Dukatenesel. Dem von EU-Kommission und Euro-Partnern durchgesetzten Paket zufolge soll Griechenland bis Ende 2015 Staatseigentum für 50 Milliarden Euro verkaufen.

Das ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil die – einen mächtigen Teil der Klientel der Regierung bildenden – Gewerkschaftler gegen die Privatisierung ihrer Unternehmen streiken. Im Fall des Strommonopolisten PPC etwa bewiesen streikende Gewerkschafter bereits, dass sie bereit sind, in Griechenland buchstäblich die Lichter ausgehen zu lassen.

Privatisierungserlöse beruhigen nur die deutschen Steuerzahler

In Wahrheit dient die Aussicht auf Privatisierungserlöse in Höhe von mehreren Dutzend Milliarden Euro in erster Linie der Beruhigung der Steuerzahler in Deutschland und anderswo. Noch Ende Februar hielten Experten der EU und des Internationalen Währungsfonds in einem Bericht bis 2015 nur Privatisierungserlöse von 12,5 Milliarden Euro für realistisch.

Bernardo Bortolotti von der Universität Turin erforscht seit mehr als einem Jahrzehnt die Privatisierung von Staatseigentum in aller Welt. Auch sein Urteil lautet: „Es ist für Griechenland unmöglich, durch Privatisierung 50 Milliarden Euro einzunehmen.“

Realistisch seien gut 14 Milliarden Euro – und selbst dies sei „sehr optimistisch geschätzt“. So betrug der Wert der Staatsanteile der 15 börsennotierten griechischen Unternehmen Anfang dieser Woche gerade 6,68 Milliarden Euro, sagt Bortolotti.

Zudem glich der Forscher Angaben über 71 nicht an der Börse notierte Staatsunternehmen mit der europäischen Unternehmens-Datenbank Amadeus ab. Das ernüchternde Ergebnis: „Ihr Wert liegt bei 7,7 Milliarden Euro – und das auch nur, wenn wir Faktoren wie Unternehmensschulden oder Profitabilität nicht berücksichtigen.“

In den vergangenen 20 Jahren habe Griechenland nur Staatseigentum für 25 Milliarden Euro privatisiert, sagt Bortolotti. „Und das geschah in einer Boomzeit, unter guten Marktbedingungen, mit viel Zeit. Jetzt steht Griechenland am Rand des Staatsbankrotts. Jeder Eigentümer, dem das Wasser bis zum Hals steht und der schnell verkaufen will, muss beim Preis deutlich runtergehen – das wird in Griechenland nicht anders sein.“

Griechische Immobilien sind nicht viel Wert

Zwar hat Griechenland auf dem Papier noch umfangreichen Immobilienbesitz. In der Praxis aber fehlen oft gültige Grundbuchtitel. Auf rund 40 Prozent angeblicher Staatsimmobilien erheben Firmen oder Privatleute Anspruch. Ein weiteres Viertel hat einen „fragwürdigen“ legalen Status, gab der damalige Finanzminister Papaconstantinou Anfang 2011 im Parlament zu.

Zudem sind die Preise auf Griechenlands Immobilienmarkt im freien Fall. Schon sind gesetzte Ziele verfehlt worden. Im April kündigte der Finanzminister an, im Juni das erste Portfolio mit Staatsimmobilien zum Kauf anzubieten. Die Präsentation wurde verschoben - angeblich auf Dezember.

Anzeige

Und schließlich würde selbst eine erfolgreiche Umsetzung des Sanierungspaketes nur wenig an den dramatisch zunehmenden Schulden ändern. Ende Juni 2009 war Athens Schuldenberg 292 Milliarden Euro hoch, Ende März 2011 nach neuen, offiziellen Angaben schon 354 Milliarden.

Nach der Überweisung der nächsten Kredittranche von Euroländern und IWF werden es fast 370 Milliarden Euro sein. Kein Wunder, dass Anleger und Analysten die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts bei 80 Prozent sehen. Allen Sparpaketen und Beteuerungen aus Athen und Berlin, Brüssel und Paris zum Trotz.

KOMMENTARE WERDEN GELADEN