
Hristo Botev ist in Bulgarien ein Nationalheld. Mit 206 Getreuen bestieg er am 28. Mai 1876 auf rumänischem Gebiet den Donau-Raddampfer Radetzky, wo sie an Bord die mitgebrachten Uniformen anlegten und die Gewehre aus den Koffern holten. Im Städtchen Kosloduj, im Nordwesten Bulgariens, zwangen sie den Kapitän zum Anlegen, stürmten von Bord und begannen mit ihrem Aufstand gegen die Osmanen.
Von diesen Freiheitskämpfern überlebten nur acht, alle anderen waren nach ein paar Wochen tot. Botev selbst starb schon drei Tage nach der Ankunft in Bulgarien durch eine Gewehrkugel. Letztlich aber war der von ihm mitorganisierte Aufstand der Anfang vom Ende der Osmanenherrschaft. Zwei Jahre später hatte Bulgarien mit Hilfe Russlands seine Unabhängigkeit erreicht.
Nationalheld als Pate
Hristo Botev zählt auch zu den Nationaldichtern Bulgariens, seine Gedichte sind fester Bestandteil des kollektiven Literaturgedächtnisses. In fast jeder Stadt ist ihm ein Platz gewidmet, sogar einer der größten Fußballklubs des Landes ist nach ihm benannt: Botew Plowdiw. "Als ich davon erfuhr, fragte ich mich, was geschehen müsste, dass auch bei uns in Österreich die Mannschaften statt Red Bull und Rapid Georg Trakl Salzburg oder Grillparzer Wien hießen und in München nicht die Allianz-Arena, sondern das Oskar-Maria-Graf-Stadion stünde."

Karl-Markus Gauß ist wieder auf Reisen, und irgendwo in der bulgarischen Provinz überkam ihn dieser auf den ersten Blick absurde Gedanke, Vereine nicht nach beflügelnden Limonaden, sondern nach Poeten zu benennen - ein Gedanke, der aber eben nur von außen betrachtet absurd wirkt und jedem Bulgaren vollkommen naheliegend erscheint. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum Gauß - ähnlich wie der Pole Andrzej Stasiuk - fast ausschließlich in den Osten Europas reist: weil sich dort die Weltwahrnehmung am ehesten irritieren und verändern lässt, weil dort das Selbstverständliche plötzlich fremd und das Befremdliche ganz selbstverständlich erscheint. So wie der Bettler, der vor den Reisenden aus Österreich wortlos sein rechtes, tiefrot und blau verfärbtes Bein entblößt und auch noch ein Plastiktäschchen am Bauch vorführt, von dem aus ein Schlauch in die Hose führt. Auf Deutsch entfährt ihm dann ein "Zwanzig Lewa oder tot!". "Es war ein Überfall, doch der Kranke drohte nicht mit unserem, sondern mit seinem Tod. Er nahm das Geld, ohne sich zu bedanken, winkte müde mit dem Geldschein in der leicht erhobenen Hand und sagte, als er sich entfernte: Apteka. Apotheke."
Nachdem Karl-Markus Gauß schreibend zuletzt Erinnerungs- und Gedankenausflüge unternommen hat - in "Das Erste, was ich sah" (2013) und dem Journalband "Der Alltag der Welt" (2015) -, erkundet er nun wieder den Teil Europas, von dem man im Westen lange nichts wissen wollte und der auch jetzt wieder ganz gerne mit Kopfschütteln statt mit Neugier bedacht wird.
Heimat der Mutter
In die Republik Moldova führt ihn sein Weg dieses Mal, dieses kleine Scharnierland zwischen Europäischer Union und Russland, das einst als Bessarabien reichlich exotische Aura verströmte, auch nach Zagreb, in die Wojwodina und eben nach Bulgarien. Viel ist von der Donau die Rede, dem "Fluss meiner Kindheit und aller Erzählungen". Die Reise zu den Donauschwaben in der serbischen Wojwodina ist vor allem ein Ausflug in die Heimat der Mutter. Das Seltsame dabei ist, dass Gauß ausgerechnet dieser "Reisebericht" am wenigsten gelungen ist. Er verharrt fast ängstlich in historischen Ausführungen und bei den Schriftstellern Aleksandar Tima und Danilo Ki, während die Mutter eigenartig fern und ungreifbar wirkt. "Öffne die Augen und du wirst sehen: Hier bist du daheim."
Dieser Satz des kroatischen Dichters Slavko Mihalić, der dem Buch vorangestellt ist, bleibt in Novi Sad und Umgebung unerfüllt, weil Gauß gerade hier, wo es vielleicht zu unmittelbar um das eigene Herkommen geht, seine Augen eher nach innen wendet.
Wozu Gauß als Schriftsteller fähig ist, wenn er mit offenem Blick durch die Welt läuft, beweisen hingegen die anderen Texte. "Ja, dachte ich mir jetzt beglückt, ich reise auch deswegen so gerne, weil ich in der Fremde immer irgendwo auf den stoße, der ich einmal war oder der ich, ehe ich es vergessen hatte, gerne geworden wäre."