3.1., Anjuna
Es war einmal ein östliches Reich. Es war einmal eine portugiesische Kolonie. Es war einmal eine indische Provinz. Es war einmal ein Paradies, entdeckt von Jugendlichen aus dem Westen. Es war einmal ein Paradies, zerstört von eben diesen Wohlstandskindern. Es waren einmal Menschen, die von europäischen Eroberern einst Eingeborene genannt worden waren und nun von den abendländischen Hippies zu Wissenden erhöht wurden. Es waren einmal Israelis, die sich hier wiederzufinden suchten. Es waren einmal abgerüstete Soldaten, die auszogen, den Frieden für sich zu erkämpfen. Es war einmal eine Küste endloser Parties. Es war einmal ein Eldorado, in dem alles erlaubt war, ehe die Regierung von Delhi Ordnung einforderte. Es war einmal ein Traum, dann erwache ich in Goa.
Mit Motorroller fahre ich zur Jam Connection von Janet. Hier tischt sie auf. Wiener Kaffeespezialitäten und österreichische Nachspeisen, israelisch orientalische Salate und internationale Küche. Vor etwa dreißig Jahren waren wir gemeinsam in derselben jüdischen Jugendbewegung; kurzfristig war sie die Erzieherin meiner Altersgruppe. Gemeinsam fuhren wir als Studenten auf ein Seminar für Jugendarbeit nach Spanien. Sie mit ihrer Gitarre im Gepäck. Bereits damals hatte sie eine Schwäche für Bob Marley. Von Indien war damals noch nicht die Rede gewesen. Eher von Jamaika. Ich mich erinnere, wie Janet Lieder sang – mit schöner Stimme, und in einem Stil, der einen an Joan Baez denken ließ.
In den Achtzigern kam sie in das Land. Seit 1989 lebt Janet in Anjuna. Sie hatte sich für diesen Ort entschieden.
Ihr Mann, ein großer Kerl, einst israelischer Handballspieler, der vor zwei Jahren einen schweren Autounfall überlebte, sagt: “Du mußt machen, was du liebst. Das ist die Hauptsache.” Und Janet erklärt, als ich sie frage, was ihr denn damals am Besten an Goa gefallen habe, es sei die Erfahrung gewesen, ihr Baby hierzulande aufwachsen zu sehen. In Indien werden Kinder geliebt. Es wird als Glücksfall angesehen, die Kleinsten zu hätscheln zu dürfen, und Säuglinge werden beinah wie ein Heiligtum umhergereicht und still angelächelt. Janet erzählt vom Schock, der sie erfaßte, als sie mit ihrer Tochter Österreich besuchte, und wieder kann ich den Eindruck nur bestätigen, denn nirgends ist meine Tochter kälter empfangen worden als in Schwechat.
Sie sei in Mumbay, das damals noch Bombay hieß, aus dem Flugzeug gestiegen und habe aus dem Fenster auf eine Baustelle geblickt. Männer, griesgrämig, Betel kauend, seien da gelümmelt und hätten sich die Eier gekrault. Dann habe sie die Frauen gesehen, die schwer arbeiteten und schleppten, dabei aber ein offenes Lachen im Antlitz. Starke, schöne Gestalten. Diese kräftigen Frauen und ihre mißmutigen Männer, das sei das erste Bild gewesen, das Indien in ihr hinterlassen habe.
Alle erzählen, wie sehr sich Anjuna veränderte. Ich treffe Georgettes, die bereits in den siebziger Jahren unter den ersten Hippies war, die hier am Strand wohnten. Ich kaufe einen Kalender, in dem die Photos der ersten Blumenkinder, teils nackt, zu sehen sind. Die junge Georgettes ist darunter. Ich spreche mit einem Wiener, der seit den achtziger Jahren hierher kommt. Er beschwert sich über die Gesetze und das ganze Gschistigschasti, das ihm das Leben hier nun schwer macht. Ja, dürfen die das. Die Inder wagen es, sich zu verändern! Wenn Goa westlich werden, will, was macht dann der Westler, der im Osten durchhängen wollte?
Die Drogenverbote werden in Goa strenger durchgesetzt denn je zuvor. Die Visumgesetze werden einengender. Die Polizei erlaubt nicht mehr ausgelassene Parties mit offenem Ende. Ab zehn Uhr, spätestens nach Mitternacht hat Ruhe zu herrschen. Das einstige Fischerdorf Anjuna hält nach neuen Gästen Ausschau.
Sie bauen auf Pauschaltouristen, aber diese Hotelgäste benehmen sich zwar weniger ausgelassen, aber deshalb nicht sanfter. Die meisten haben gebucht, um ein Zimmer am Strand zu haben und wollen mit den Menschen im Land gar nichts mehr zu tun haben. Ihr Geld fließt großteils in Hotelketten und überregionale Unternehmen des Fremdenverkehrs. Die sozialen Kosten tragen nicht selten die Familien im Ort. Die Bewohner von Anjuna sehnen sich bereits wieder nach den einstigen Aussteigern zurück.
Anjuna ist das Residuum jener geworden, die vor Jahren hierher gefunden hatten. Die jungen Israelis kommen kaum mehr her. Die Frischlinge gehen in den Süden, nach Arambol.
Abends treffe ich Zoorie in seinem Lokal. Er ist ein Orskönig, ein Lokalkaiser in jeder Bedeutung des Wortes. Vom Streit mit seinem Landbesitzer spricht er. Von der Korruption, von den Familienstreitigkeiten. “Sie verstehen es nicht. Was gibt es denn in Anjuna für die Pauschaltouristen, wenn wir verschwinden? Wer erfand denn den Flohmarkt? Wer verbreitete den Ruf von Goa? Was bleibt, wenn sie die Szene aus westlichen Aussteigern vertreiben?”
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