4.1., Arambol
In Arambol suche ich zuerst das Jüdische Haus auf. Vor dem Gebäude Sandsäcke und dahinter ein indischer Soldat. Seit dem Attentat in Mumbay geht die Angst um. Israelis wollten dem Konflikt im Nahen Osten ausweichen, doch der Haß folgt ihnen bis hierher. Im Haus lebt – gemeinsam mit seiner Familie – Tomer, ein Abgesandter des Bratslawer Chassidismus, einer orthodox mystischen Bewegung. Das sind die Hippies des Fundamentalismus. Junge Religiöse mit weißen Kippoth, die zur Freude und zum Gottvertrauen aufrufen. Sie sind eine ekstatische Sekte und propagieren Zuversicht und Innerlichkeit, denn der Frohsinn trotz aller Leiden sei der eigentliche Gottesbeweis, meinen sie. Irgendwie klingen ihre Sätze immer wie Religiosität wider besseres Wissen. Sie können am Besten auf die jungen Weltenreisenden aus Israel eingehen. Auf einem Sticker steht: “Don’t worry, be Breslav”.
Hier setzen sich die Menschen auf Liegepolster und in Hängematten. Tomer wohnt hier mit seiner Familie. Seine Kinder spielen auf dem nackten Boden herum. Die einstigen Soldaten kommen, um mit den Kleinen herumzualbern, um Feste zu feiern, um traditionelle Lieder zu singen.
Ich treffe dort auf Sela. Er predigt. “Zweiundzwanzig Jahre war ich im Dunkel, jetzt habe ich das Licht gesehen.” Er erzählt mir vom Mysterium und vom Rätsel. Er spricht als Wissender, als Guru. – “Er ist ausgeflippt”, warne ich Tomer und ich meine damit, der Kerl mache eine manische Phase durch. Womöglich erwischte er von irgendeinem Stoff ein wenig zuviel. “Der ist immer so”, wiegelt der Fromme ab. Na, wenn das kein Trost ist …
Die Breslaver kümmern sich um die wenigen Durchgedrehten. Sie fangen sie auf, aber sie fangen sie auch ein. Für mich persönlich ist schwer zu entscheiden, welche Verrücktheit bedrohlicher wirkt.
Der liebe Tomer, ein gelockter Mann mit lustigen Augen, ein sanfter Vater der neuen Art, stammt aus Bat Ayn, einer radikalen Siedlung im Westjordanland. Dort operiert eine militante jüdische Gruppe. Immer wieder wird das Dorf vom palästinensischen Terror heimgesucht. Im April wurde ein Kind der Siedlung von Palästinensern erstochen und ein anderes schwer verletzt. Ob er denn nicht für einen Kompromiß sei? Müsse das Land nicht geteilt werden? Was er denn mit den Menschen in den Gebieten machen wolle? “Erst sollen sie Menschen sein. Dann reden wir weiter.” – Die Breslaver sind an sich keine politische Bewegung, aber das hindert zumindest Tomer persönlich nicht daran, Chauvinist zu sein.
Ich gehe durchs Dorf. Billige Absteigen für Italiener, Deutsche, Australier, Engländer, Franzosen. Da sind auch Israelis, aber weshalb wird eigentlich um sie so ein großes Aufsehen gemacht. Sie sind eine Gruppe unter vielen. Ein indischer Falafelkönig spricht Ivrit. In seinem Lokal kreist der Schillum. Ich treffe hier auf einen Iraner. Er spricht von den Demonstrationen gegen das Regime in Teheran. Ihm gefallen, sagt er mir, die Israelis sehr gut. Er könne schon einen hebräischen Satz. “Du bist ein nettes Mädel.” Na, bitte. Wenn das nicht Friedensarbeit ist.
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