Wien, 29. Jänner 2010
Ich habe meinen Einreiseantrag online ausgefüllt und versichert, weder des Drogenhandels noch terroristischer Aktivitäten noch anderer geplanter Straftaten wegen in die Vereinigten Staaten einreisen zu wollen – und dass ich während des Nationalsozialismus keine Verbrechen begangen habe. Ich frage mich, ob man mich wegen meines syrischen Visums befragen wird. Damals hatte ich einen neuen Reisepass zu lösen, weil mich Syrien mit israelischem Stempel nicht einreisen ließ. Leider habe ich es verabsäumt, mir zwei Pässe zu lösen: einen für Demokratien und einen für Schurkenstaaten. (Andererseits ist jeder Staat als solcher ein Schurke, wie Derrida in schöner Prosa entwickelt.)
In der Josefstadt erzählt mir Klaus Gerger, Vertreter des :BB [ des Burgenland Bunch , siehe Rothblog 3; Red.], von seinen Vorfahren, die das Land nicht mehr ernähren konnte; die kleinen Parzellen wurden immer weiter aufgeteilt, weshalb jene aufbrachen – nach Chicago, New York und Allentown, hinaus in die weite Welt. In Coplay, Pennsylvania, dem Ort, von dem ich immer wieder höre, wo besonders viele Menschen aus Güssing und Umgebung lebten und leben, seien die Untersichbleibenstendenzen am Skurrilsten: Jemand aus der Jennersdorfer Gegend werde schon schief angesehen. Gerger erzählt von einer Frau, die ihn einmal kontaktierte: Sie komme nach Österreich, auf der Suche nach ihren Wurzeln, dabei werde sie ins Südburgenland reisen, ob er ihr etwas zeigen könne? Man vereinbart Ort und Zeit, kurz vor dem Treffen ein Anruf seiner Mutter: Eine Verwandte aus den USA sei da, ob er ihr etwas zeigen könne, sie werde um die und die Zeit an dem und dem Ort sein? Wie könnte es anders sein: Es war dieselbe Person, eine Verwandte! Da gebe es noch viele Verwandte, die aber nicht mehr aufzufinden seien. (Viele ließen ihre Namen amerikanisieren, andere ändern: jene etwa, die Tschida hießen, was angloamerikanisch gesprochen nicht besonders vertrauenerweckend klingt.) Gerger hat mir einen Ausstellungskatalog, Bildbände und eine gebundene Sammlung verschiedener Jahrgänge der Burgenländischen Gemeinschaft mitgebracht, das Scharnierorgan zwischen Alter und Neuer Welt.
Neben dem Lokal, in dem wir Apfelsaft gespritzt trinken (so ist das mit den Klischees! Andererseits heißt es bei Element of Crime: Dass das Bier in meiner Hand alkoholfrei ist, ist Teil einer Demonstration …), liegt das Lokal CliqueClaque, das Klaus Gergers Bruder führt – hinter der Glastür klebt eine vergilbte Ansicht der Burg Güssing.
Mitten im Gespräch meint Walter Dujmovits, als dämmerte es ihm gerade, er sei voller Geschichten. Das ist er tatsächlich – leider nur am Telefon. Während er im Güssinger Museum sitzt, habe ich es nicht mehr geschafft, ins Auto zu steigen und auf die Südautobahn zu fahren. Dujmovits’ Urgroßvater hatte achtzehn Kinder, die – bis auf eines – alle in die Vereinigten Staaten auswanderten. Als die Großmutter mit der Mutter des heutigen Präsidenten der Auslandsburgenländer (und Präsidenten der Burgenländischen Gemeinschaft) schwanger war, reiste sie nach Österreich. Der erste Weltkrieg brach aus, die Großmutter fuhr nach Chicago zurück, die Mutter wuchs ohne Eltern auf. Alle seine Verwandten, sagt Dujmovits, seien in den Vereinigten Staaten gewesen, drüben, wie er es nennt. Er selbst reiste 1956 zum ersten Mal nach drüben, wo er, wie er sagt, infiziert wurde. Diese Geschichte und ihre Geschichten wurden seine Lebensaufgabe – von der Dissertation bis zu einem neuen Buch, das heuer erscheinen soll. Fragt man nach Emigrationsgeschichten, wird sein Name als erster genannt.
In der kurzweiligen Dreiviertelstunde erzählt mir Dujmovits vom ersten Auswanderer, einem gewissen Wenzel, der 1887/88 aus Grodnau (immer wieder in Museen Moderner Kunst zu lesen, Otto Mühl kam dort zur Welt) auswanderte, sowie vom letzten, der sich bei einem Heimatbesuch einer Amerikaburgenländerin (ich erfinde auch schon Begriffe – oder: Burgenlandnordamerikanerin?) in diese verliebte. In New York gründete er ein Reisebüro, das gut mit einem Reisebüro im Burgenland zusammenarbeitete. Dreiundsechzig (jetzt weiß ich es endlich!) Miss Burgenlands gibt es, aber nur in New York wird jährlich eine gewählt – Chicago, New Jersey und Pennsylvania sind weniger konstant. Zwei von ihnen heirateten auf Heimat(erst)besuch einen waschechten Burgenländer; eine von ihnen führt heute einen Gasthof in Unterrabnitz. Auf Dujmovits’ Frage, wie sie von New York nach Unterrabnitz ziehen konnte, habe sie geantwortet: Unterrabnitz ist doch viel schöner!
Julius Koch , Reagan-Lookalike
Walter Dujmovits jedenfalls hat auf jede Frage eine Antwort oder Geschichte parat. Er ist der erste, der von der Geschichte gehört hat, auf die ich gestoßen bin. Ein Mann, der in der Bronx aufwuchs und mit drei Jahren von Rechnitz nach New York gekommen war, Julius Koch, GI im Zweiten Weltkrieg, zog später nach Kalifornien. Anlässlich eines Ronald-Reagan-Lookalike-Bewerbs schickte seine Frau ein Foto ihres Mannes ein, der nichts davon wusste, mittlerweile Jay hieß und dem Präsidenten wie aus dem Gesicht gerissen ähnlich sah. (Jetzt bin erstmals nicht ich der, der notiert.) Koch wurde ausgewählt, lernte, wie Reagan zu sprechen und gestikulieren, verdiente viel Geld mit Auftritten in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt. In Back to the Future II, Hot Shots II und Panther spielte er den Präsidenten und Schauspieler.
Wenn ein Steirer Gouverneur Kaliforniens werden kann, warum sollte ein Burgenländer nicht Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden? (Übrigens bereits geschehen: in Martin Amanshausers Roman Chicken Christl, in dem Major Koegl, der mächtigste Mann der Welt, nicht nur aus jenem kleinen Streifen Land stammt, sondern noch dazu zwölf Finger sein Eigen nennt.) Dujmovits nennt mir noch ein paar Kontakte, weist mich auf interessante Geschichten hin, ich notiere. Jetzt hätte ich meine Hausaufgaben gemacht, ich möge mich jederzeit auf ihn berufen, als Türöffner sozusagen. Ich verspreche, nach meiner Reise wirklich auf Besuch zu kommen.
Den Jahreswechsel verbrachte ich orangenpflückend auf Mallorca, von dort ging es in die Wiener Kälte, übermorgen fliege ich nach New York. Ein schneller Jänner. Man rät mir, mit leerem Koffer an- und mit gefülltem abzureisen. Als Kind bekam ich jede Weihnacht einen Zehndollarschein von der Tante in Amerika, die nicht meine Tante ist, sondern die Schwester meiner Großmutter, und ich rechnete mir aus, wie viel das in Schilling sei. Sehr viel! Und jetzt sagt man mir: Der Dollar ist so günstig. Am Grunde der Moldau wandern die Steine.
P.S. IM ÜBRIGEN BIN ICH DER MEINUNG, DASS DIE KOMMENTARFUNKTION GENUTZT WERDEN SOLLTE.
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Da das Thema “Burgenland in Chicago” von Clemens Berger wunderbar in allen Facetten und Nuancen vermittelt wird, darf ich eine Begebenheit zum umgekehrten Vorgang zu Protokoll geben: Ein Bekannter kam mit 25 Jahren aus Chicago direkt ins Burgenland, im Zuge eines Lehrer-Austauschprogramms. Nach einigen Jahren im Burgenland verschlug es ihn nach Wien, und sein herrliches Deutsch als Mischung aus USA-Akzent mit burgenländischem Sprachgebrauch und wiener Streusel erfreut uns immer wieder…
Lieber Herr Brandenberg, ich habe hier, in New York, Ähnliches erlebt: Wenn sich jemand freute, Deutsch mit mir sprechen zu können, mußte ich immer wieder nachfragen – “Woldfest” mit amerikanischem Akzent ist erst nach dem zweiten, dritten Mal als “Waldfest” zu dechiffrieren. Es tauchen aber auch Worte wie “Schwammerln”, “Schuhplattln” und “Bamschui” (Baumschule) auf. CB