Doron Rabinovici: 15.1. Ahungalla

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15.1. Ahungalla

Wir essen zu Mittag. Xiane und ich sitzen mit dem Rücken zum Garten, auch weil wir dem neuen Gast, einer Filmproduzentin aus Prag, den Blick ins Grüne gönnen wollen. Dennoch, obwohl sie nicht ins Freie schaut, ist es Xiane, die es als Erste bemerkt. Sie sagt: “Was ist das für ein eigenartiges Licht?”

Xiane sagt: “Wieso ist es so dunkel?” Sie sagt: “Merkt Ihr nicht. Es ist still.” Sie sagt: „Die Vögel zwitschern nicht.“ Wir schauen uns um, und es läßt sich nicht leugnen. Die Natur ist verstummt. Nicht Ruhe, sondern ein Kirchhofsfriede. Ein Reiher erstarrt in der Wiese. Ein bunter Specht hockt reglos im Baum. Es ist, als falle die Welt in Ohnmacht. Ein Land im Koma. Ein Grauen nimmt überhand. Die Tropensonne steht im Zenit, derweil es dämmert. Der Himmel wolkenlos, aber nicht klar.

Und wieder ist es Xiane, der es als erstes einfällt. Vor einigen Tagen war von einer Sonnenfinsternis die Rede. Ein befreundetes Paar fuhr in den Norden , nach Jaffna, um dort die totale Eklipse mitzuerleben, die Auslöschung. Wir blieben zurück. Irgend jemand erwähnte noch, wir würden während des Ereignisses vielleicht im Halbschatten sein. Die ganze Insel werde ins Zwielicht geraten. Alle aber gingen davon aus, so eine partielle Verdeckung würde uns nicht kümmern. Niemand erwartete sich viel, und um so größer nun die Überraschung.

Es wird deutlich kühler. Am Absonderlichsten aber die Schatten. Sie scheinen gekrümmt, gebogen, als spiegle sich in ihnen die Mondsichel wieder, die sich eben vor den Feuerstern schiebt. Laurent Ziegler, der Photograph, macht ein Bild von diesen eigenartigen Schemen auf dem Boden. Hier das Photo. Copyright: Laurent Ziegler.

Glas wird aus der Küche herbeigeschafft und über einer Flamme schnell geschwärzt. Mit gerußten Scherben in die Sonne schauen, während ein Teil von ihr verschwindet. Es ist, als hätte einer ein kleines Stück von ihr abgebissen. Hier ein weiteres Photo von Laurent Ziegler. Wiederum der Hinweis auf sein copyright.

Der Erdtrabant drängelt sich zwischen uns und den großen Flammenball. Es ist ein Hauch von Abgewandtheit in der Luft. Ein Anflug von Einsamkeit. Irgend etwas Abgründiges steigt auf.

Es dauert, bis die Helligkeit der Tagesstunde wieder entspricht. Die Tiere, verwirrt erst, kommen allmählich zu sich. Noch trauen die Vögel dem Licht nicht. Sie flattern zum nächsten Ast, ehe sie wagen, hochzufliegen.

Danach das Gespräch vom Tsunami. Wie damals Kathrin und Joseph ums Leben rannten. Wir erzählen vom Jahrestag, dem sechsundzwanzigsten Dezember, an dem wir auch diesmal die Schweigeminute einhielten, im Stehen. Das Gedenken an die Toten, etwa an die Frau des Nachbarn.

An diesem Tag versucht jenes befreundete Paar, das vor kurzem noch bei uns war, nach Jaffna zu fahren, um die völlige Sonnenfinsternis zu erleben. Sie werden indes, hören wir, nicht in die Hafenstadt gelassen. Die Gegend ist für Besucher gesperrt. Dort tobte bis zuletzt der Krieg. Dort, heißt es, hausen die Vertriebenen, die Tamilen noch in Lagern. Dort, so ist bekannt, herrsche die Armee. Dort, berichten Sender, seien Massaker verübt worden. Der Zugang nach Jaffna könne nicht gestattet werden. Niemand dürfe dorthin. Sperrzone. Militärgebiet. Ausnahmezustand. Nachrichtenblockade. Kreis der Verdunklung. Schwarzes Loch. Kernschatten. Totale Sonnenfinsternis.

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