Peter Rosei: Reisen, ein Argwohn 2 | Wien, Februar 2010: Postkoloniale Aporien

| mitSprache unterwegs |

Wien, Februar 2010

Selbstverständlich wird man dem Reisen an und für sich nicht absprechen können, dass es unseren inneren und äusseren RAUM erweitert. Wo wir den Alltag verlassen, müssen wir in neuer Umgebung auch uns selbst neu definieren.

Gleichwohl ziehe ich in Zweifel – das nimmt sich vielleicht jetzt ein bisschen apart aus -, ob auch beim Thema “Reisen” das Original unbedingt besser sein muss als dessen Reproduktion. Ob man z. B. nicht grundlegender oder wirklicher ins Phänomen “Indien” eindringt, wenn man ein gutes Buch darüber liest, anstelle dort auf irgendeiner langen, staubigen Strasse entlang zu flanieren. Bereits dies bleibt ein strittiger Punkt, der meinen Argwohn gegenüber dem physischen Reisen schürt.¹

Nicht selten hat man mich unter dem Motto subsumiert: Peter Rosei, der Reisende. Dies bestätigt aber immer meine Vorstellung, dass mein Denken die eigentliche Reise sei. Also war und bin ich nicht der typische Herr, der mit Köfferchen in einen Zug oder ein Flugzeug steigt. Ich der Andere, der scheinbar ruhig irgendwo sitzt, in Gedanken jedoch ständig irgendwelche Routen abfährt, und nie das Gefühl hat, je an irgendeiner Endstation anzukommen. Im Gegenteil hat – eingesperrt in meinem eigenen “Kopfbahnhof”, der ich bin – meine Vorliebe immer dem Offenen gegolten.

Was einem, wenn man älter wird, immer stärker auffällt, ist, dass die ökonomische Kluft zwischen Erster und Dritter Welt,- ja, sogar innerhalb von Indien und China – sich nicht verringert hat, sondern eher verschärft. Indien zum Beispiel befindet sich unübersehbar in einem wüsten kapitalistischem Schub, wo einfach mitten aus einer Savanne plötzlich enorme Hochhäuser herauswuchern, Metros und Industrieanlagen, die uns ständig daran erinnern, dass man unausweichlich Teil globaler Prozesse ist. Dies war in der Kolonialzeit allerdings auch nicht anders. Was uns zur nächsten Frage führt, ob nicht Begriff und Idee von “Fremde” selbst ein kolonialistisches Relikt sein könnte.

Eben hier konnte ich Folgendes beobachten: Einerseits verfallen die Europäer (inklusive mir) sofort wieder in dieses alte Rollenspiel der Kolonialherren: es wird ihnen ja auch angemutet: sie fahren in Wagen mit getönten Scheiben, quasi tiefgekühlt, und der Rest der Welt draussen bettelt, vereinfacht gesagt.

Es ist unglaublich schwer, konkret und im eigenen Handeln aus diesen postkolonialen Mustern auszubrechen, es sei denn, man arbeitet als Lehrer, Arzt oder so Ähnliches wie die Schwestern bei Mutter Theresa. Wenn ich zum Beispiel hier an einer Uni Lesungen und Vorträge halte (was ich seit längerem betreibe und jetzt mein Geschäft ist), leiste ich ja doch auf meine Weise etwas Nützliches. Bin eine Art “Informationsbrücke”. Insofern bin ich vor mir selbst ein wenig gerechtfertigt.

Gleichzeitig ist natürlich ist ein enormes Informationsgefälle da, die wollen von mir unheimlich viel wissen. Für sie stelle ich eine Auskunftsperson dar über eine Welt, die sie fasziniert. Die Kehrseite ist jene Glorifizierung hellhäutiger Menschen, die Wohlstand und Fortschritt personifizieren. Sehen Sie sich die Werbung, sehen Sie sich den Kult um Hollywood- Stars an. Es gibt unglaublich viel “Whitening Cream”- Reklamen. Manche Inder schieben einem die Kinder zu, weil sie sich positive Wirkungen durch die Berührung erhoffen.

Kurz: Sie, die Inder, die haben ein Problem mit ihrer Vergangenheit, und wir haben ein ANDERES Problem; wie wird das jemals kompatibel … ?

 

¹ Peter Rosei: Der kalte Traum. Fata Morgana. Träume, vernarrtin das Bunte und Neue und Niegesehene. Wir kennen dergleichen aus Märchenbüchern, doch hier ist es blank und kalt, dies Märchen dreht sich um Erfolg, um Aufstieg und Triumph. Indien: eine Andeutung. In: Die Presse, Spectrum, 5. 3. 2010

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